7. Kapitel
Finsternis umgab Alena, eine undurchdringliche Finsternis, welche von keinem einzigen Licht durchbrochen wurde. Erschrocken schaute sie sich um. Wo nur, war sie gelandet? War sie tot? Nein, das glaubte sie nun doch nicht. Aber was war dann geschehen? Sie erinnerte sich an den dumpfen, krampfartigen Schmerz, der ihren Oberbauch durchzuckt hatte. Auch an die schreckliche Übelkeit und den Schwindel. Es fiel ihr schwer einen klaren Gedanken zu fassen und zugleich fühlte sie sich seltsam leicht, fast beschwingt.
Auf einmal jedoch, glaubte sie eine Bewegung in ihrer Nähe wahrzunehmen! Es schien von einem grossen, mächtigen Wesen zu kommen. Erschrocken starrte sie in die Dunkelheit, um etwas zu erkennen, doch es war aussichtslos. Das mächtige Etwas verursachte ein schabendes Geräusch, das irgendwie von allen Seiten zu kommen schien, als ob es sie umkreisen würde. Zuerst war es noch etwas weiter entfernt, doch dann kam es näher und näher… Alena war wie erstarrt und kalte Furcht ergriff sie, denn sie konnte nicht einordnen, was sich da auf sie zubewegte. Wie eine Blinde, streckte sie ihre Arme aus und versuchte das Wesen zu ertasten. Doch es schien so, als hielte dieses immer noch genügend Abstand, damit sie es nicht berühren konnte. «Wer oder was… bist du!» rief sie mit zitternder Stimme in die Dunkelheit. Doch es kam keine Antwort. Das unsichtbare, mächtige Etwas umkreiste sie weiterhin bedrohlich.
«Zeig dich! Du… Feigling!» schrie sie mit klopfendem Herzen.
«Feigling?» echote eine tiefe, unheimliche Stimme. «Das sagst ausgerechnet du? Wer wohl, ist von uns der grössere Feigling?»
Alena ahnte, dass das unsichtbare Wesen auf ihre Schwächen anspielte und erwiderte: «Wenn du kein Feigling bist, dann zeige dich doch!»
«Ich weiss nicht… ich weiss nicht…, ob du das wirklich verkraften würdest… kleines Menschlein!» meinte die Stimme spöttisch. Alena straffte ihre Schultern und versuchte furchtlos zu wirken. «Ich bin kein kleines Menschlein! Sei nicht so… überheblich, wer immer du auch bist!»
«Überheblich!?» die Stimme schwoll an. «Was erlaubst du dir!» Das unsichtbare Wesen, machte eine schnelle Bewegung auf Alena zu und zum Schrecken der Frau, tauchten nun zwei riesige Drachenaugen, unmittelbar vor ihrem Gesicht, auf. Sie schrie auf und taumelte zurück. «Dachte ich es mir doch!» lachte das unheimliche Geschöpf und musterte sie kalt.
«Du bist… ein Drachen?» fragte Alena erschrocken. «Aber…» Sie versuchte vorsichtig das Wesen zu berühren, doch ihre Hand glitt durch es hindurch, als würde es aus Schatten bestehen. Nur seine Augen sah man ganz klar. Es waren ganz besondere Augen, mit denen Alena bei so einem Schattenwesen, niemals gerechnet hätte. Die länglichen, schwarzen Pupillen, wirkten wie in dunkle Opale eingebettet. Die Iris besass einen schwarzen Grund, doch darüber verteilt, gab es bunt schimmernde Farbschattierungen, in denen sich unsichtbares Licht brach. Das Ganze erinnerte Alena an einen Regenbogen, vor einem nächtlichen Himmel. «Deine Augen… sie sind… wunderschön…» flüsterte sie.
Der Schattendrache zuckte zurück, als hätte sie ihn geschlagen. «Nein! An mir ist nichts Schönes!»
«Doch, doch. Deine Augen sind besonders. Die vielen Farben darin sehen aus wie… bunte Lichter im All… Wo Finsternis ist, da ist auch Licht…» murmelte sie und plötzliche Erkenntnis erfüllte ihren Geist.
«Nein!» brüllte der Drachen abermals «ich hasse Licht! Und alle die das Licht verehren! Ich bestehe aus Schatten, meine Seele ist schwarz, denn ich bin… Tenebris der Finstere!!»
Das laute Brüllen schleuderte Alena zurück und einen Moment lang, war sie wie betäubt davon. Sie rappelte sich auf und starrte fassungslos in die wunderschönen Augen des dunklen Wesens, die nun hasserfüllt funkelten. «Tenebris…» stiess sie hervor «Tenebris…»
Dann verschwamm alles in ihrem Gesichtsfeld und sie wachte in einem sterilen, weissen Raum auf, der von grossen Lampen hell erleuchtet wurde. Überall befanden sich hochentwickelte Gerätschaften und um sie herum standen Ärzte und Schwestern in grünen OP-Kitteln.
«Sie wacht auf!» rief eine der Schwestern erleichtert. «Die Operation war erfolgreich! Bringen wir sie in den Aufwachraum!»
Alena schaute erstaunt um sich. «Was… ist geschehen?»
«Sie hatten eine Leberblutung Frau Wagner,» erwiderte eine der Schwestern, während sie Alena, mitsamt dem Bett, aus dem OP-Saal schob. «Eine Spätfolge des stumpfen Bauchtraumas, das sie bei ihrem Unfall erlitten haben. Aber wir konnten die Blutung erfolgreich stillen und nun geht es wieder aufwärts.»
Alena hörte der Schwester, noch immer halb im Delirium der Narkose zu und es fiel ihr immer noch schwer einen klaren Gedanken zu fassen.
Ihre Zunge fühlte sich schwer an, als sie fragte: «Eine… Leberblutung… aber… es ging mir doch gut.»
«Ja, wir haben es auch nicht kommen sehen, da ihr Blutdruck bisher immer in Ordnung war. Darum mussten wir sofort handeln.» Alena erinnerte sich daran zurück, dass sie hatte ins Bad gehen wollen und dann einfach zusammengebrochen war.
«Stefan Hofer! Er war da als ich ohnmächtig wurde. Er muss sich schreckliche Sorgen machen!»
«Ja, das kann man wohl sagen. Da er jedoch keine näherer Angehöriger ist, mussten wir ihn wegschicken. Er bat aber darum, dass er baldmöglichst von uns angerufen wird, und wir ihn über ihren Zustand unterrichten.»
«Ich… muss ihn gleich anrufen!» Alena richtete sich in ihrem Bett auf doch die Schwester drückte sie mit sanfter Entschlossenheit in die Laken zurück.
«Sie müssen gerade gar nichts, ausser wieder zu Kräften zu kommen. Wir werden Herrn Hofer schnellstmöglich darüber informieren, dass die Operation erfolgreich verlaufen ist und sie sich auf dem Weg der Besserung befinden.»
Alena seufzte ergeben und nickte zustimmend, dann liess sie ihren Kopf erschöpft in die Kissen zurücksinken. Sie war sowieso noch viel zu müde und zu erschöpft, um zu telefonieren. Sie musste sich Zeit lassen, auch um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Immer wieder blitze vor ihrem inneren Auge der finstere Schattendrache auf, dessen Augen sich doch so sehr von dem unterschieden, was sie sich bisher vorgestellt hatte. Tatsächlich sollte Stefan recht behalten. Rote Augen wären zu definiert für diesen Drachen gewesen. Diese dunklen Opalaugen jedoch… ihre Intensität und wilde Schönheit beeindruckte Alena nach wie vor tief und in ihr wuchs eine seltsamen Zuneigung zu diesem schattenhaften Geschöpf, dass doch nicht wirklich nur aus Schatten zu bestehen schien…