11. Kapitel
Stefan blieb an diesem Tag noch so lange wie möglich bei Alena. Sie redeten viel und genossen in vollen Zügen ihre gemeinsame Zeit. Schliesslich aber, mussten die beiden sich wieder voneinander trennen.
Als Stefan das Spitalzimmer verliess, breitete sich einen Moment lang, gähnende Leere in Alena aus. Sie vermisste diesen Mann jetzt schon wieder so schrecklich und konnte noch immer nicht recht glauben, wie perfekt die Chemie zwischen ihnen beiden stimmte, obwohl sie sich erst so kurz kannten. Seine Liebe und sein Verständnis, hatten ihr unendlich gut getan und irgendwie schöpfte sie wieder neue Hoffnung, was ihr Leben nach dem Spitalaufenthalt, betraf. Zumindest würde da jetzt etwas sein, worauf sie sich freuen konnte, und zwar, war Stefan ab heute an ihrer Seite. Noch wusste sie nicht, wie lange die Sache zwischen ihnen Bestand haben würde, aber sie hatte das erste Mal, seit ewigen Zeiten, wieder einmal ein richtig gutes Gefühl.
Liebevoll umfasste sie den Drachenanhänger, den er ihr geschenkt hatte. Dabei ergriff sie tiefe Dankbarkeit und Liebe, auch Mondtänzer gegenüber. Es kam ihr vor, als wäre dieser Anhänger ein Art Talisman, der noch eine sehr wichtige Rolle spielen würde. Mit diesen hoffnungsvollen Gedanken, und einem leisen Gebet auf ihren Lippen, schlief sie schliesslich ein.
Strahlendes Licht, weckte sie wieder! Sie öffnete erstaunt die Augen und sah, dass sie sich in einem, gänzlich in Weiss gehaltenen, riesigen Gewölbe befand. Es wurde von meheren verzierten, ebenfalls weissen Säulen gestützt und hinter diesen Säulen wurde der Blick ins Weltall frei gegeben!
Ungläubig schaute sich die Frau um. Wo um alles in der Welt war sie? Instinktiv, fasste sie an ihre Drachenkette und stellte fassungslos fest, dass diese hell strahlte. Von ihr ging ein grosser Teil des Lichtes aus, in dem sie sich gerade aufhielt.
«Hallo!» rief die Frau, doch nur ihr eigenes Echo antwortete ihr.
«Hallo! Wo bin ich?» fragte sie noch einmal. Wieder keine Antwort.
Sie ging zu den Öffnungen hinter den Säulen und schaute ungläubig nach draussen. Unter ihr, lag der grünblaue Erdball; ihre Heimatwelt. Es war ein wundervoller, majestätischer Anblick.
«Oh Gott!» flüsterte sie «wo bin ich hier bloss gelandet?»
«Du bist in meinem Reich,» vernahm sie auf einmal eine volltönende, weibliche Stimme. Erschrocken fuhr sie herum und schaute in die strahlenblauen Augen eines wunderschönen, anmutigen Drachen, mit Schuppen, welche aussahen, wie der reinste Bergschnee. Die Schuppen waren mit Gold und weissen Edelsteinen verziert. Das Haupt
des Drachen schmal, sein Körper grazil.
«Wer… bist du?» fragte Alena tief beeindruckt.
«Ich bin die grosse Drachenmutter,» erwiderte das Wesen.
«Die Drachenmutter! Dann stimmen die Legenden und Mythen also tatsächlich?»
«Ja, das tun sie.»
«Aber… was bedeutet das?»
«Deine Seele hat nach mir gerufen, darum bin ich gekommen.»
«Meine Seele hat nach dir gerufen? Daran erinnere ich mich gar nicht.»
Der weibliche Drachen trat nun ganz nahe an Alena heran und seine wunderschönen, grossen Augen, in denen hunderte von Sternen zu funkeln schienen, musterten sie eingehend. Die Drachenmutter war etwas kleiner als Mondtänzer, aber die gewaltige Kraft und Präsenz, die von ihr ausging, war mit nichts zu vergleichen, das Alena jemals erlebt hatte.
«Doch,» sprach sie nun. «Dein Talisman beweist es.»
«Mein… äh Talisman?»
Die Frau blickte erneut hinab auf den Drachenanhänger, der zwar bereits wieder etwas verblasst war, jedoch noch immer ein magisches Leuchten absonderte.
«Du meinst meine Kette?» fragte sie.
«Ja.»
«Aber die habe ich erst gerade von jemandem geschenkt bekommen.»
«Von jemandem, dessen Seele eng mit deiner verknüpft ist,» stellte die Drachenlady fest. «Also… ich kenne ihn eigentlich noch gar nicht so lange.»
«Und dennoch seid ihr auf besondere Weise verbunden. Sein Geschenk ermöglichte dir immerhin, hierherzukommen.»
«Das verstehe ich nicht. Für mich stellte der Anhänger bisher eigentlich eher meinen guten Drachenfreund Mondtänzer dar.»
«Ach ja… Mondtänzer…» sprach die Drachenmutter sinnierend. «Er ist etwas ganz Besonderes. So wie du.»
«Nein, ich bin überhaupt nichts Besonderes,» widersprach Alena.
«Doch. Das bist du. Dich und die Drachen, vor allem die Wasserdrachen, verbindet eine gemeinsame Vergangenheit.»
«Was meinst du damit?»
«Du warst einst eine Drachenmagierin und Drachenreiterin.»
Die Frau konnte kaum glauben, was sie da hörte.
«So etwas Ähnliches sagte mir auch Mondtänzer einstmals. Er meinte ebenfalls, dass wir uns schon lange kennen und ich vielleicht einst Drachenmagier- Vorfahren gehabt habe. Tenebris bezeichnete mich seinerseits, als die letzte Nachfahrin der Drachenmagier.»
Als sie den Namen des unheimlichen Schattendrachen aussprach, wehte auf einmal ein eisiger Windhauch, durch das riesige, weisse Gewölbe, in dem sie sich gerade befand und es schien, als erschaudere die Drachenmutter unter dessen Einfluss förmlich.
«Tenebris?» fragte sie.
«Ja. Er wollte mich töten. Aber… Mondtänzer warf sich vor mich.»
Auf einmal ergriffen Alena erneut schrecklichen Kummer und nagende Schuldgefühle, als sie an ihren treuen Drachenfreund und sein Opfer dachte. In ihren Augen brannten Tränen und sie sprach leise: «Und nun… ist er vielleicht tot oder schwer verletzt und ich kann nicht mal zu ihm, um ihm beizustehen. Ich habe es wirklich versucht, aber… aus irgendeinen Grund, blieb mir das Reich der Wasserdrachen, seit diesem Vorfall mit Tenebris, verschlossen.»
Der schneeweisse Drachen, wiegte leicht seinen Kopf hin und her, während er seine Augen schloss. Als er sie wieder öffnete, sprach er: «Mondtänzer ist nicht tot.»
«Er ist nicht tot?!» fragte die Frau und tiefer Erleichterung, machte sich sogleich in ihr breit. «Nein. Aber er ist ziemlich stark verletzt. Wir sollten zu ihm gehen. Jetzt gleich!» Und ehe sich Alena versah, nahm die Drachenmutter sie behutsam in ihre Klauen und flog mit ihr davon…!