2. Kapitel
Im Krankenhaus erwachte sie schliesslich wieder. Als sie die Augen öffnete, verzog sie das Gesicht. Ihr ganzer Körper schmerzte, vor allem ihr Kopf. Sie versuchte sich zu bewegen, zum Glück schien sie scheinbar weder irgendwelche schlimmen Brüche zu haben, noch gelähmt zu sein. Darüber war sie unglaublich froh! Sie versuchte sich der Ereignisse der letzten Stunden zu entsinnen und erinnerte sich an den seltsamen Mann und dass sie beim Versuch ihm auszuweichen, von der Fahrbahn abgekommen und in einen Baum gekracht war.
Eine Krankenschwester schaute nach ihr und informierte sie, dass sie zwar eine Gehirnerschütterung, eine Platzwunde an der Stirn und ein paar gebrochene Rippen, jedoch sonst keine ernsthaften Verletzungen, hätte. Darüber war Alena natürlich sehr froh, wenn sie auch noch immer nicht begriff, wie es zu diesem Unfall gekommen war. Warum war dieser Idiot bloss vor ihr auf der Strasse gestanden? Er war schuld an der ganzen Misere. Doch irgendwie getraute sie sich nicht, den Ärzten und Schwestern zu erzählen, dass ein Mann, der ausgesehen hatte, wie aus irgendeiner Märchenwelt, diesen Unfall verursacht hatte. Bestimmt würden sie sie dann noch für verrückt erklären lassen. Sie selbst zweifelte ja selbst an ihrem Verstand. Vielleicht hatte der monatelange Schlafentzug sie halluzinieren lassen. Das alles war schon sehr seltsam.
An Arbeit war jetzt jedenfalls eine Weile nicht zu denken. Die Krankenschwester meinte, sie müsse bestimmt eine Woche hierbleiben, um sicher zu gehen, dass Alena wirklich keine inneren Verletzungen aufwies und auch die, doch recht schwere Hirnerschütterung abgeklungen war.
Für Alena war das okay, so gab es endlich einen triftigen Grund, nicht an ihrem, mittlerweile so verhassten Arbeitsplatz, zu erscheinen.
Bald dämmerte es und Alena beobachtete durch das ziemlich hoch gelegene Zimmer des Spitals, den Sonnenuntergang. Goldrot leuchtete die Abendsonne durch das Fenster hinein und spiegelte sich im blankpolierten Stahl des modernen Spitalbettes. Ein paar dunkle Wolkenfetzen zogen teilweise am Himmel dahin und trübten manchmal den Schein der Sonne etwas, doch es war eine sehr schöne Stimmung und Alena konnte sich das erste Mal nach langer Zeit, etwas entspannen. Die Schmerzen waren gut auszuhalten, denn wie üblich, hatte man ihr genug Schmerzmittel verabreicht und nun kam die Schwester sogar noch mit einer kleinen, halben Tablette in einem Plastikbecher zu ihr und meinte, dass dies ein Beruhigungsmittel sei, um besser zu schlafen. Alena nahm die Tablette gern entgegen und ziemlich bald, breitete sich eine wohlige Entspannung und Wärme in ihr aus und die Augen fielen ihr ganz von selbst zu.
Erst einige Stunden später, erwachte sie wieder. Sie war immer noch sehr ruhig und entspannt und nun merkte sie erst, wie erholsam er war, einfach mal nicht daran denken zu müssen, dass man bereits um 5 Uhr wieder aufstehen musste. Sie liess ihren Blick ein wenig im Raum herumschweifen und sah das helle Rechteck des Fensters, dass sich von der dunklen Zimmerwand abhob. Auf einmal wurde dieses jedoch für einen Moment verdunkelt und Alena glaubte, das Rauschen von Wasser zu vernehmen…
Und dann… war da plötzlich wieder dieses blauleuchtende Augenpaar, neben dem Fenster, das sie bereits auf der Landstrasse gesehen hatte, bevor sie gegen einen Baum gekracht war! Die Augen schienen einen Augenblick lang in der Luft zu schweben und musterten Alena eingehend. Erst jetzt sah die Frau, dass die Pupillen in den mandelförmigen Augen, länglich waren, ähnlich wie bei den Augen einer Schlange und doch nicht ganz. Sie wollte einen Schrei ausstossen, doch sie brachte keinen Ton heraus. Die Augen bewegten sich etwas nach rechts und vor dem Fenster stand nun eine hochgewachsene Gestalt. Einem Moment blieb diese völlig regungslos, wie ein Standbild…, vor dem sternenbedeckten Himmel stehen.
Die Welt schien für einen Augenblick lang den Atem anzuhalten. Alena wusste nicht, ob sie träumte oder wachte. In ihr kämpften die verschiedensten Emotionen. Einerseits machte ihr das Ganze eine Riesenangst, andererseits war sie auch sehr fasziniert.
«Wer… bist du?» brachte sie schliesslich über die Lippen. Doch die Gestalt antworte nicht, stattdessen verschwand das Augenpaar erneut und tauchte ganz nahe vor ihr wieder auf! Der schattenhafte Umriss des Körpers, blieb noch einen Moment vor dem Fenster stehen, dann löste er sich auf und baute sich um das Augenpaar herum wieder auf. Wieder wollte Alena laut kreischen vor Schreck, doch die Gestalt hielt den Finger vor seinen, bisher noch immer unsichtbaren Mund und sie brachte einmal mehr keinen einzigen Ton heraus
Langsam verdichtete sich die Silhouette des seltsamen Besuchers und Alena konnte nun wieder seinen festen Körper sehen. Es war tatsächlich derselbe Mann, der vorhin auf der Strasse gestanden hatte. Leider war es immer noch zu dunkel, um Details zu erkennen, aber sie sah sein weissblondes langes, glänzendes Haar, das einige der wenigen Lichtreflexe einfing und sein markantes, männliches Profil, welches klar darauf schliessen liess, dass es sich um einen sehr gutaussehenden Mann handeln musste.
Vor dem Unfall war alles so unglaublich schnell gegangen und wenn Alena so darüber nachdachte, dass dies dieselbe Person wie auf der Strasse war, erschauderte sie. Was um alles in der Welt wollte dieser Fremde von ihr? Ihre Gedanken äusserten sich gleich in mehreren Fragen: «Was willst du von mir? Warum bist du hier und… Wie?» Der Fremde liess ein leises Lachen hören und mit einer ziemlich tiefen, wohlklingenden Stimme erwiderte er: «Über das Wie reden wir jetzt noch nicht, doch das Was und das Warum wird sich bald aufklären. Obwohl, ob du es verstehen wirst, ist eine andere Frage. Vielleicht ist es besser ich zeige es dir! Nimm meine Hand!» Alena zögerte einen Augenblick «nur keine Angst!» meinte der mysteriöse Mann «Es wird dir nichts passieren, ich will dir nichts Böses!» «Ach ja!» sprach Alena mit ungehaltener Stimme: «Warum hast du mich dann eben auf der Strasse beinahe umgebracht?» «Ich wusste, dass dir nichts Ernstes passieren würde. Ich hatte die Sache unter Kontrolle. Es war leider der einzige Weg, dich zur Besinnung zu bringen und du musst dadurch endlich mal eine Pause einlegen. Deine Lebenskraft ist sehr gering zur Zeit, früher oder später wäre so etwas sowieso passiert, denn du bist schon viel zu lange, viel zu übermüdet und es dauert nicht mehr lange und du wirst eine schlimmen Zusammenbruch erleiden. Davor wollte ich dich bewahren, in der Hoffnung, dass du deinem Leben vielleicht eine neue Wendung geben kannst.» Alena schaute erstaunt und zugleich immer noch misstrauisch in die blauleuchtenden Augen des Mannes. Dieser steckte ihr erneut seine Hand entgegen und sie ergriff diese nun doch. In diesem Augenblick verschwamm alles um die beiden herum und wurde zu einem wirbelnden Wasserstrudel. Dieser Strudel erfasste sie und riss sie mit sich fort!
An einem wundervollen, tropischen Strand dessen Sand leicht bläulich schimmerte, fand sie sich wieder. Sie sah sich um und stellte erstaunt fest, dass dieser Ort auch von der Vegetation her ganz ungewöhnlich aussah. Alle Pflanzen hier waren in verschiedenen Blau- Weiss und Lilatönen gehalten.
Wo um alles in der Welt war sie? Sie hielt nach dem seltsamen Mann mit den weissblonden Haaren Ausschau, doch er war nirgends zu sehen. «Hallo?» rief sie in die Stille hinein, die nur vom sanften Rauschen der Wellen durchbrochen wurde. Doch niemand antwortete. Sie schaute hinauf in den Himmel, eine Sonne war zu sehen, doch auch sie besass irgendwie einen seltsamen, bläulichen Schimmer. Der blau- lilafarbene Himmel über ihr, schien in seltsamer Bewegung zu sein und auf einmal schwamm ein riesiger Wal dort oben, als sei das Firmament selbst ein Meer.
«Mein Gott! Was ist das?» sprach sie ungläubig zu sich selbst «Wo bin ich hier?» Sie schaute noch länger hinauf in den seltsamen Himmel und tatsächlich schwammen, oder flogen da noch mehr Wasserwesen. Es gab Fische in allen Farben, sogar ein riesiges Seepferdchen erblickte sie, dass sich vor dem Hintergrund der Sonne und sogar einiger Sterne fortbewegte. Es war ein herrlicher Anblick! Fassunglos blieb sie noch eine Weile stehen, dann rief sie erneut in die Stille hinein. Wieder keine Antwort. Noch mehrmals rief sie, dann ging sie langsam zu dem nahe gelegenen Wald, der an den Strand angrenzte.