Rudolphus Lestrange schämte sich manchmal dafür, dass es ihm mittlerweile so gut ging. Madame Pomfrey versorgte ihn mit Stärkungstränken. Er hatte ein Bett zum Schlafen, bekam regelmäßig zu Essen und wurde in Ruhe gelassen. Ab und zu sah Snape nach ihm. Rudolphus blieb mißtrauisch, auch wenn es ihm zusehends schwerfiel. Was immer den Meinungsumschwung bewirkt hatte, konnte nichts Gutes bedeuten. Ein Dunkler Lord wurde nicht plötzlich freundlich. In diesem Moment trat der Tränkemeister in die Zelle. „Master Snape.“, begrüßte der Gefangene ihn. „Der Herr will Dich sprechen. Benimm Dich besser, wenn er mit dir spricht.“, sagte er. Lestrange versuchte sich sein Unbehagen nicht zu zeigen. Snape führte ihn schweigend durch verwirrende Gänge. Der Todesser kannte sich im Schloss nicht aus und verlor daher sehr schnell die Orientierung. Endlich erreichten sie einen versteckten Raum in der Nähe des Astronomieturmes. Snape sagte das Passwort: „Spinner´s End. Du brauchst nicht versuchen, es Dir zu merken. Der Lord wechselt es für jeden Besucher.“ Der Wandteppich mit den Hogwarts Vier rollte sich auf. Die Mauer dahinter blätterte wie eine Blüte auf. Sie liefen eine steile, schmale Treppe hinab und folgten wieder verwirrenden Gängen.
Rudolphus fragte sich, wo sie gerade waren. Er hatte seine Schulzeit in Drumstrang verbracht, deshalb war ihm die Größe von Hogwarts nie klar gewesen. Unerwartet endete ihr Weg in einem Ritualraum. In der Mitte des Raums pulsierte ein blauer Kristall auf einem einfachen Altar. In allen vier Seiten warfen Spiegel die Strahlen des Kristalls auf ihn zurück. Lestrange vermutete zutreffend, dass auf diese Weise die Magie verstärkt wurde. Auf dem Boden klebte eine Flüssigkeit, die an Blut erinnerte. Wollte Potter ihn opfern? Der Todesser hatte schon von Blutmagien gehört, die Menschenopfer verlangten. Ihm schauderte vor Angst. Er hatte einmal bei Voldemort einem solchen Ritual assistiert – kurz vor Ende des Krieges.
Damals stellte Riddle eine besondere Prothese für Wurmschwanz her, die einen eigenen Willen haben sollte. Diesen eigenen Willen hatten sie aus der Lebensessenz einer Muggelfrau gewonnen, nachdem Riddle sie vergewaltigt hatte. Bis zum jetzigen Moment hatte Lestrange den Gedanken an die Frau komplett verdrängt. Hier in dieser Ritualkammer jedoch schien sie gegenwärtig zu sein. Er hörte ihr Flehen und Betteln, schämte sich zum ersten Mal für eines seiner Verbrechen und empfand leichte Reue. Mit aufsteigender Übelkeit erinnerte sich Lestrange an den Spott seiner Frau, als sie die Gefangene ihr Leben aushauchen sah.
Vor dem Altar erwartete sie der junge Lord. Lestrange hatte zum ersten Mal die Gelegenheit ihn in Ruhe zu betrachten. Der Lord war immer noch sehr jung. Seine markanten Züge zeigten keine Gefühle. Die gefährliche Aura strahlte weiter, als sie es bei Riddle getan hatte. Sie zwang den Todesser ohne weiteres Zutun auf die Knie. „Brav.“, spöttelte Lord Potter. „Du willst mir also dienen? Du willst die Seite wechseln?“, fragte der Lord. „Ja, Herr.“ sagte Lestrange mit echter Überzeugung. Er hatte sich gefragt, was Potter im Sinn hatte.
Die Forderung, die Potter in den Raum stellte, ging ihm nicht in den Kopf. Die Manöver des jungen Lord überraschten Snape gelegentlich schon, aber diese hatte eine eigene Qualität. Der Preis erschien nahezu widersinnig. „Mylord,“ wandte er deshalb ein. „Seid Ihr sicher, dass Lestrange der Richtige für diesen besonderen Dienst ist? Vielleicht wäre Lord Weasley besser geeignet?“ Lord Potters feines Lächeln wuchs zu einem überlegenen Grinsen: „Würde ich ihn sonst von dem Gefangenen fordern?“ Snape verstand noch immer nicht. Potters Stimme wurde härter: „Bist Du einverstanden, Lestrange?“ Auch der Todesser verstand nicht, weshalb Potter ausgerechnet ihn auswählte. Aber wenn es wirklich nur dieses Ritual war, was sprach dagegen. „Ich werde Euch treu dienen, Mylord Potter.“, stimmte er aufgeregt zu.
Der Dunkle Lord sprach die komplizierten Zauber, die durch den Kristall weiter verstärkt wurden. Er vollzog das Ritual absolut akkurat. Der silbrig blaue Magiestrahl vollendete den Zauber endgültig.
Dann schickte er seine Diener wieder fort. Den Charme dieses Schachzuges erschloss Severus Snape nicht. Er durfte auch niemanden fragen, soviel war sicher. Im Moment geschahen zu viele seltsame Dinge im Schwarzen Schloss um irgendjemanden zu trauen. Er brachte den Todesser zurück in seine Zelle. Severus Snape dachte an das Buch der Triade. Was musste er tun um der Triade zu dienen? Er entschloss sich, seine Überlegungen mit niemandem außer dem jungen Lord selbst zu teilen. Die Verbindung der Triade unterlag komplexen Regeln. Gelang sie jedoch, war ihre Macht kaum zu brechen.