Hagrid, der Halbriese, schüttelte noch immer den Kopf, nachdem Charly seinen Bericht schon lange beendet hatte. Eine Sklavin in ihrem Haushalt überforderte ihn einfach. Seine Sanftmut und seine Freundlichkeit verboten ihm, sich eine solche Sache auch nur entfernt vorzustellen. Er verließ die kleine, gedrungene Kate schweigend, um bei Norberta, seiner Lieblingsdrachendame, Trost zu finden. Immer wieder dachte er darüber nach, wie sehr sich alles verändert hatte. Er verfluchte die Tatsache, dass er nur wenig von der magischen Theorie verstand. Er verstand nur die Kreaturen und er liebte sie alle schon immer; egal ob es sich Riesenspinnen, Höllenhunde oder Drachen handelte oder um den Dunklen Herrn.
Gedankenverloren streichelte er den mächtigen Kopf von Norberta. Ihr Körper schimmerte bronzefarben in der Sonne. Der Drache knurrte zärtlich und schmiegte sich an Hagrids Hand. Seit dem Krieg schien die Welt immer verdrehter zu werden. Jetzt wohnte in der kleinen Hütte mit genau zwei Kammern, einer Küche und dem winzigen Bad eine Haussklavin. Abigail, so hieß das Mädchen, machte einen liebenswerten, wenn auch verstörten Eindruck. Charly hatte Hagrid die Angelegenheit bereits schriftlich erläutert und ihn darauf vorbereitet. Sie jetzt hier zu haben, war eine andere Sache. Genauso wie Harrys aktueller Wunsch. Der Wunsch oder eigentlich Befehl war eindeutig und unmißverständlich. Harry verlangte ein Paar Einhörner, das die Kutsche seiner Braut ziehen sollte, und ein Drachenpaar, auf dem sein Bräutigam und er standesgemäß zur Trauzeremonie fliegen wollten. Ein Einhornpärchen für den Dunklen Herrn - was dachte sich Harry dabei? Andererseits musste man sagen, dass zu Ginny Weasley Einhörner tatsächlich passten.
Die riesige, graue Zunge wischte aus dem Drachenmaul und über Hagrids Hand. Die liebevolle Geste des Tieres hinterließ eine Schramme darauf. Dann stupste sie sanft ihn an. Er fiel auf den Rücken. „Du bist eine Süße. Eine ganz kleine Süße.“, schmeichelte er der gewaltigen, kuschelnden Bestie. Sie riß das Maul weit auf und zeigte dabei ihre riesigen Zähne. Ihr Ruf ließ die Bäume an der Waldgrenze ein paar hundert Yards entfernt erbeben.
Woher bekam man denn bitte ein Einhornpärchen, das sich vor eine Kutsche spannen ließ? Diese reinen, freien Wesen unterwarfen sich nie. Die Drachen konnte Hagrid unproblematisch von der Aufgabe überzeugen, aber ein Einhornpaar? Er erzählte Norberta sein Problem, streichelte dabei ihre Schnauze, während sie noch ein weiteres Mal gähnte und dann einschlief. Er wollte noch nicht in die Hütte zurückkehren. Abigail mit diesem schrecklichen Halsband. Wie konnte er sich daran gewöhnen?
Er schritt langsam bergan in Richtung der zerstörten Burg Vlad. Harry hatte Vlad Dragul vor zwei Jahren eigenhändig vernichtet, weil sich dieser weigerte, das Konkordat anzuerkennen. Vlad lachte noch, als Harry ihm bedingungslose Kapitulation anbot. Dann spielte Harry seine Macht mit einem unbekannten Zauberstab aus. Der Stab war mannshoch gewesen und erzeugte tiefschwarze Flammen, die Harry komplett einhüllten. Lächelnd betrat er den Thronsaal Vlads. Keine der Wachen hielt ihn auf. Er zog grinsend eine Vampirdame an sich und küßte sie hart, bevor die schwarzen Flammen sie verzehrten. Ihre Schreie hallten von den Wänden wider, während sie verging. Dann stand er vor Vlad und das Duell begann. Hagrid hatte bereits das Duell zwischen Lord Potter und Lord Voldemort gesehen. Hier auf Burg Vlad ging es aber nicht um ein Duell. Es war eine Exekution gewesen. Die Flammen, die Harry umgeben hatten, schossen vereint durch einen Blutstein und vernichteten den Vampirfürsten ohne weiteres.
Die Burg war nach dieser Exekution durch einen mächtigen Sonnenzauber von Ron, Ginny und Hermine zu Staub zerfallen. Keiner der untoten Bewohner hatte überdauert. Das rumänische und das britische Zaubereiministerium belohnten Lord Potter mit der Zahlung einer atemberaubenden Summe Galeonen und überließen ihm die Verfügungsgewalt über Draguls Besitzungen. Lord Potter schenkte Lady Granger das Territorium. Sie entließ die Bewohner der Ländereien aus der Leibeigenschaft und verlangte nur angemessene Tribute. Die Menschen in der Gegend feierten befreit das Ende der Tyrannei der Draguls und ihre junge Lady. Der Tagesprophet und der Klitterer waren ausnahmsweise einer Meinung gewesen. Damals hatte Hagrid geglaubt, Harry wäre wieder der Alte. Es war ein Irrtum gewesen. Lord Potter hatte zwar die Karpaten befreit, aber er blieb ein Dunkler Herr.
Hagrid erreichte das Plateau bald. Nichts erinnerte mehr an die vormals stolze Festung. Der Wind hatte die Asche nach und nach zerstreut. Das Leben hatte sich den Platz zurückgeholt. Mittlerweile siedelten sich die ersten Pflanzen wieder an. Ab und zu wagte sich in diesem Frühling bereits ein vorwitziges Kaninchen hierher und nagte am sprießenden Löwenzahn. Jetzt im November aber wirkte das Plateau leblos und kahl.
Der Halbriese blickte weit über das Land und dachte an jenen süßen, unschuldigen Jungen, den er vor so vielen Jahren zum ersten Mal gesehen hatte. Harrys Liebe zu den Menschen hatte keine Grenze gekannt. Darin war er Hagrid ähnlich gewesen. Hagrid hatte ihn vor den Gefahren der Liebe nicht beschützt. Er hatte nicht genug von dem verstanden, was Dumbledore von dem Teenager verlangt hatte. Er wusste, dass er kein großer Zauberer war. Er war nur ein Wildhüter. Wegen einer alten Geschichte hatte er nicht einmal das ZAG abgelegt. Es tat Hagrid ehrlich leid und er trauerte um Harry Potter.
Doch im tiefsten Innern glaubte er noch immer daran, dass Harry eines Tages zurückkehren würde. Vielleicht war er nie fortgewesen? Er konnte in Harry nicht jenes Monster sehen, dass die meisten anderen in ihm sahen. Wenn Harry sich Seidenschnabel näherte, schmiegte sich der Hippogreif an ihn. Respektvoll. Zärtlich. Hippogreife waren von Natur aus helle Wesen. Auch Fawkes hatte Harry nach dem Ritual nicht gemieden, wie man erwartet hätte. Er atmete die feuchte Luft des Spätherbstes ein und wünschte sich weit fort in ein anderes Leben.