Die Sonne erhob ihre Flügel hinter den weit entfernten Bergen hervor und zog sich nach und nach in den Himmel empor. Kaum ein Wölkchen war vom Nebel, der in den letzten Tagen in der Stadt gehaust hatte, übrig geblieben. Der kräftige Wind, der inzwischen immer mehr zugenommen hatte, war wie eine Befreiung gewesen und hatte die Menschen endlich von den weißen Schwaden erlöst.
Unzählige Bewohner hatten sich auf die Straßen verirrt, um den neu gewonnenen Sichtfeld nun wieder seine Würde zu geben, die es sich verdient hatte.
Und so trug es sich zu, dass sich auf eine Frau in das Durcheinander auf den Wegen traute und in sich in die Menschenmenge stürzte. Ihr schönes Gesicht wurde von einer blutroten Kapuze umhüllt, sodass kaum eine Strähne ihres langen Haares zum Vorschein kam. Ihre hohen Stiefel klackten im Takt auf den Wegen, die nur den Fußgängern zugeordnet waren, während einige Duzend andere Spaziergänger an ihr vorbeidrängten. Immer schneller wurde ihr Schritt, aber achtete sie sorgfältig darauf, dass ihre Kapuze nicht in Bewegung geriet.
Nach einer gefühlten Ewigkeit verließ die Frau den Tumult und verschwand aus dem Sichtfeld der grauen Hochhäuser. Sie folgte einen schmalen Trampelpfad, der sie immer näher und näher an ihr Ziel bringen sollte.
Schließlich erhob sich ein Haus von ungewöhnlicher Würde aus der Erde.
Es war ganz und gar in Holz eingekleidet und nur die kaum geputzten Fensterscheiben verrieten, dass sich wohl niemand mehr um das Äußere erscheinen des Anwesens kümmerte.
Die Frau steuerte zielgenau auf die Tür zu, die aus edlem, dunklen Holz erbaut worden war. Schnell klopfte sie an und die Tür öffnete sich nach ein paar langen Sekunden.
Der Mann, der der Besucherin öffnete, schien überrascht zu sein und seine Augen weiteten sich verwirrt. Trotzdem zögerte er nicht lange, sondern zwang sich ein Lächeln auf und bat die Frau in sein trautes Heim.
"Setz dich ins Wohnzimmer", meinte er und deutete auf eine offen stehende Tür, die den Flur an einer Seite beschädigte.
Ohne einen Dank auszusprechen trat die Frau in das Zimmer.
Sofort schlug ihr ein ungewöhnlicher Geruch entgegen, der die Frau aber nicht im Geringsten zu stören schien. Ein großes Sofa, das augenscheinlich schon einige Jahre hinter sich gebrachte hatte, nahm den Großteil des Raumes ein und die Frau ließ sich darauf nieder. Es quietsche kurz, als sie sich darauf setzte und bei jeder auch noch so kleinen Bewegung fühlte es sich an, als ob es jeden Moment zusammenbrechen konnte.
Der Mann wechselte ein paar Worte mit der Frau. Die Stimmung war angespannt und jeder schien darauf zu warten, dass der Gegenüber den ersten Schritt tat, wie ein Raubtier lauerten beide Personen auf ihre Beute.
Aber niemand offenbarte sich, bis die Frau schließlich mit honigsüßer Stimme sprach: "Gibt es in deinem prächtigen Haus ein stilles Örtchen?"
Der Mann verstand sofort, auch wenn er die Stirn wegen des Anliegens in Falten zog. Er beschrieb ihr den Weg, während die Frau aufstand und durch den Türrahmen trat.
Die Frau zog die Kapuze noch tiefer ins Gesicht und trat einige Schritte in Richtung der Toilette, bevor sie es sich anders überlegte. Hektisch schweifte ihr Blick über jedes noch so kleine Mauerstück, über die prächtigen Möbel und über all die Dokumente, die im Flur aufgeschichtet worden waren. Dann schien sie das gefunden zu haben, was sie gesucht hatte, lief zurück zur Haustüre und verschloss sie. Den Schlüssel steckte sie ein.
Nach dieser Tat spürte sie, wie ein Funken der Freude in ihr entfacht wurde und das Spiel nun endlich seinen Reiz zurückgewann. Aus ihrer Manteltasche zog sie einige Streichhölzer und entzündete sie. Ohne weiter nachzudenken, rannte sie quer durch den Flur.
Immer wieder verlor sie ein brennendes Streichholz, das, kaum hatte es den Boden, Dokumente oder die hölzernden Möbel berührt, einen Brand entstehen ließ. Grelle Flammen lechzten an all den kostbaren und wundervollen Dingen, doch die Frau hatte kein Mitleid mit dem Mann, der alles verieren würde. Sie würde ihn genauso in Rauch aufgehen lassen, wie er es mit ihrer wunderschönen Maske getan hatte.
Dann kletterte die Frau aus dem nächstgelegenen Fenster und verschwand in den Wäldern und Wiesen, die um die Stadt wuchsen. Nur für einige Tage musste sie dort unterkommen, bis sie sich wieder in die Stadt trauen konnte und niemand sie verdächtigen würde. Die Flammen würden all die Beweise vernichten, die in diesem Haus gebunkert und gelagert wurdeh. Und dann konnte sie weitermachen. Weiterhin die ermorden, die es nicht wert waren zu leben.