In W…, einer bedeutenden Stadt im westlichen Deutschland, ließ der junge von P… seinen für den Schrottplatz reifen Nissan mit blinkender Warnleuchte auf dem Standstreifen halten, da er, wider besseren Wissens, auf andere Gedanken gekommen sei; da er
Miroslav war ihr Kommilitone. Er war groß, gut gebaut - geradezu definiert, blondes lange Haar, zu einem Zopf im Nacken geflochten, durchdringende Augen, Bartschatten und wirkte so deplatziert zwischen all den kichernden Studentinnen im Kurs: Kreatives Schreiben. Abseits des Universitätsgeländes trafen sie sich in seiner Bar. Denn um sein Studium zu finanzieren, musste er nebenher arbeiten und das hart und lang bis spät in die Nacht. Auch um seine Frau und ihr gemeinsames Kind versorgen zu können. Ein nicht gerade einfaches Unterfangen, aber bemerkenswert. Miro hatte zwar beide Hände voll zu tun, aber auch alles im Griff.
Wie zum Beispiel diesen Abend, an dem er eine Lesung veranstaltete. Es gab nicht viele Besucher. Stammkundschaft, welche ihr abendliches Bier wollte. Neugierige Kommilitonen mit schwarzen, parfümierten Zigaretten und extra Wünschen für Cocktails, die er nur bedingt erfüllen konnte. Daneben eine der jungen Dozentinnen, die auch einen eigenen modernen Kurs gab und wahrscheinlich in derselben Altersklasse wie Miro spielte.
Jana kam mit ihrem neuen Gespielen. Sie hatte ihn letztes Jahr kennengelernt. Da hatten sie beide aber noch in Sackgassen-Beziehungen gesteckt. Von denen hatten sie sich zwar gelöst, aber auch noch nicht zugegeben, dass sie jetzt was „mehr“ miteinander hatten. Man konnte auch so viel Spaß haben. Zu zweit und vor allem auch zu dritt oder viert. Sie trug ihre neueste Montur und ließ auch Miro zum ersten Mal diese sehr individuelle, laut schreiende Seite an ihr sehen. Aufreizend ihre Kurven betonend, aber nicht lack und ledrig genug, um diese Lesung zur Fleischbeschau werden zu lassen. Es war noch früh genug, sie bestellten sich etwas Softes und suchten sich einen Tisch. Zum ersten Mal, seit von P… sie abgeholt hatte, holte sie ihr Blackberry heraus und linste nach neuen Nachrichten. Samy wollte sich mit ihnen hier treffen. Den kannte sie auch schon eine Weile, doch nur aus dem Netz und es würde ihnen beiden ein Vergnügen bereiten, ihn heute Abend in echt kennenzulernen. Samy war unanständig jung, noch jünger als Jana, spielte in einer Band, trug gestreifte Arm- und Beinstulpen, stand auf ziemlich krasse Musik. Nicht so krass wie Dany, den sie vor zwei Jahren gekannt hatte, mit dem tiefer gelegten, roten Golf, aus dem Pausenlos Hardcore-Techno wummerte. Tiefer gelegt war auch sein Verständnis von Ausgehen und Spaß haben und Bettsport gewesen. Seitdem hatte Jana sich sehr verändert. Nicht nur die Haarfarbe und die Kleidung, sondern auch die Musik und die Autos. Von P… war ein ganz anderes Kaliber. Sie hatten inzwischen viele interessante Menschen kennengelernt. Und es waren auf allen Ebenen bereichernde Erfahrungen gewesen.
So sollte auch heute etwas Neues ausprobiert werden. Samy ließ sie wissen, dass er auf dem Weg war. Das war vor einer halben Stunde gewesen, er würde also bald eintreffen. Sie freuten sich sehr auf die Bekanntschaft. Sie würden zusammen anstoßen, etwas für ihre Kultur tun, Miro unterstützen und dann mit Samy zu von P… fahren für das Wochenende. Es war alles vorbereitet und eingekauft.
Aber wie das so war, mit Plänen, scheiterten sie an der Begegnung mit der Realität in dem Moment, als sie alle saßen und lauschten. Der Autor setzte sich gegenüber an den exponierten Tisch und trank von seinem Wasser. Er wirkte nervös, mit einer leichten Röte auf den Wangen. Ein wenig zaghaft begann er, doch mit jedem Wort aus seinem vorbereiteten Skript wurde er sicherer. Langsam wurden seine Betonungen feiner und er warf gelegentlich Blicke ins Publikum.
Jana und von P… lauschten andächtig und tranken jede Silbe von den Lippen des Mannes. Es war, als zähle er wahllos Anekdoten aus ihrer beider Leben abwechselnd auf, vermischt mit möglichen Ausgängen, die so nie eingetreten waren und vollgestopft mit viel schwarzem Humor und Zynismus. Beiden gefiel der Stil, aber mehr noch wurde ihnen immer mulmiger, weil sie sich so angesprochen fühlten. Jana sah sich verstohlen um, niemand anderem schienen die Härchen so zu Berge zu stehen wie ihr. Auch ihre Kopfhaut kribbelte und unauffällig fuhr sie sich hindurch. Sie bemerkte auch an von P… eine gewisse Erregung und warf ihm verstohlene Blicke zu. Seine scharfen Sinne bemerkten es sofort und die dunklen Augen funkelten im spärlichen Licht, als er sie fixierte.
Jana schüttelte leicht den Kopf: „Da habe ich mich bestimmt verhört.“ Sie hatte beinahe angenommen, der Autor sei mit seinem Werk in der Gegenwart angekommen. Sie hatte Samy ganz vergessen. Aber der Autor hatte ihr ein schlechtes Gewissen gemacht.
„Ja“, meinte von P… unsicher, „das ist wirklich wie ein Verhör. Wir müssen nur noch ‚Ja‘ oder ‚Nein‘. sagen.“
Sie blickten beide zu Samy, der sich offensichtlich langweilte und sich die Zeit damit vertrieb mit einer Schnur zu spielen. Er sehnte sich wohl dem Ende des Abends entgegen, um zu dem zu kommen, was danach folgen würde.
Nur waren sich Jana und von P… auf einmal nicht mehr so sicher, ob sie auch noch dasselbe vorhatten. Jana jedenfalls fand in den zufälligen Worten, die ihr so gut gefielen, einen klaren Gedanken, der sie danach nicht mehr losließ.
Und obwohl sie sich den Namen des Autors nicht merkten, Samy verabschiedeten und nach Hause schickten, statt ihn mitzunehmen und sich von Miro verabschiedeten mit einem Winken, hatte dieser Abend etwas gepflanzt.
Jana sah Miro im darauf folgender Semester in keinem ihrer Seminare und Kurse wieder. Sie ging auch nicht noch einmal in seine Bar. Der Kontakt zu Samy brach ab, wie er begonnen hatte: leise. Und was genau der Autor vorgelesen hatte, vergaßen sie auch über die Jahre. Doch nie das Gefühl, welches sie auf dem Heimweg begleitete und stumm nebeneinander sitzen ließ, bis von P... einfach anhielt.
und da von P…, in dieser glücklichen Stunde, Jana ernst fragte, warum sie sich beide so anstellten, sie könnten es so viel leichter haben, so sie denn gewillt sei mit dem albernen Herumtreiben Schluß zu machen, und sie ihm indes antwortete, indem sie sich über den Schaltknüppel zu ihm lehnte, dass sie nicht mehr ängstlich zweifeln wollte und die Zeit reif sei, es miteinander zu versuchen, da legten sie eine Weiche fürs Leben.
Ein Beitrag für alle, die denken: Wozu mach ich das überhaupt? Mir Gedanken und Übungen und Challenges? Wenn es doch eh keinen Einfluß auf irgendwen hat, weil ich nie ein großartiger Doppelvornamen-Initial abgekürzter Bestseller Autor werde.
Manchmal bewegt man doch etwas, ohne es je zu erfahren. Nennen wir es der Einfachheit: magischen Zufall.