Die Klingel, die an der Tür angebracht war, hatte sich über all die Jahre des Öffnen und Schließens regelrecht durch das Holz gebimmelt. Die Türklinke war von all den Händen, die sie berührt hatten, so glatt gewetzt wie der Zeh der glückspendenden Statue am Brunnenplatz. Auch in die Bodendielen war schon eine Furche gelaufen worden. Von all den Füßen und Schuhen, die in all der Zeit von der Türschwelle bis zum Tresen gegangen waren. Links und rechts vom Gang säumten Regale den Weg. Und von den quer darüber gespannten Balken baumelten Gebinde aller Arten und Größen. Am Ende an dem Tresen, hingen noch mehr kleine Gaben an bunten Bändern. Hinter dem Tresen standen dickbauchige Vasen, Flaschen und Gläser in denen all die getrockneten Blüten und Stengel, Stöckchen und Blätter sortiert auf ihre Zeit warteten.
Ei, wie es duftete in diesem Laden, allein dafür liebten Lieschen und Irmchen diesen Tag. Aleidis, die Kräuterfrau hatte viel zu tun dieser Tage, all die Bestellungen, zu Ehren der Hochzeit der Fürstin. Die beiden jungen Frauen waren jedoch nicht hier, um die Kränzlein zu holen. Handtellergroße Buchsbaumkränzlein, die jeder an seiner Tür und in allen Fenstern hängen hatte, anlässlich der bevorstehenden Feiertage. Nein, sie waren aus einem anderen Grund hier. Bei drückten sich ein wenig davor mit der Sprache herauszurücken, obwohl daran nichts Schlimmes war. Sie schoben sich gegenseitig voran, doch nahmen sich dann bei der Hand, um frischen Mut zu schöpfen und die Kräuterfrau anzusprechen, die sehr beschäftigt schien.
„Frau Minze?“
Die Kräuterkundige schaute von ihrer Arbeit auf und lächelte die beiden an. Die eine groß, robust und dunkelhaarig, die andere klein, mit vollen Brüsten und kurzem blonden Bob. „Na Mädchen, was kann die gute Aleidis Minze für euch tun?“
Die beiden drückten sich aneinander.
Irmchen sprach dann selbstbewusst: „Der Vater schickt mich, er braucht seine Haarkur.“
Lieschen, von dem Mut der Freundin nun auch angesteckt fügte hinzu und knickste ungeschickt: „Und meine Schwester hätte gern noch etwas von dem Schlafmittel, Frau Minze, wenn es ginge und keine Umstände bereitet.“
Aleidis legte ihr Handwerk zur Seite und erhob sich. „Das ist aber lieb von euch beiden, dass ihr euch so um eure Familien kümmert.“
Die beiden giggelten und steckten die Köpfe zusammen. Sie sahen aus wie zwei noch ganz unbescholtene Dinger. Aleidis wusste es aber besser und stellte das braune Fläschchen auf den Tisch und füllte mit einem Löffel von den Lutschpastillen in eine Papiertüte. Beides brachte sie zu dem Tresen und griff darunter in einem Korb. Sie holte kleine Seifen hervor und legte sie mit zu den Waren. „Für eure Mühen.“
Die beiden bekamen große Augen: „Oh Danke.“ - „Ja, vielen Dank Frau Minze.“ Nur deswegen holten die jungen Mädchen und auch ein paar der Burschen nur zu gerne die Artikel die Frau Minze hier anbot.
Frau Minze, tz, wenn die beiden wüssten wie sehr Aleidis es verabscheute so genannt zu werden. Aber sie lächelte lieb, nannte den Preis, erhielt die Münzen und stützte sich auf dem Tresen mit den Ellenbogen auf. Ihre Finger mit den hölzernen Ringen rochen nach Kräutern, die sie nicht hier vorn im Geschäft führte. Sie lächelte versonnen, sie könnte so langsam mal eine Pause einlegen. Sie wartete bis die Mädchen den Laden verlassen hatten, was einige Zeit dauerte, denn es gab so viel zu sehen auf dem Weg. All die verschiedenen Kräuter und Mixture, die Salben, den Tee, die Tinkturen und die Gebinde, sowie den Schmuck. Wenn das Fräulein Lieschen nicht mit dem Irmchen zusammen herkam, dann kaufte es sich regelmäßig Liebessträußchen, um sie unter ihr Kopfkissen zu legen. Und das Irmchen war auch schon mal wegen eines Mittelchens da gewesen, was ihr unliebsame „Mitbewohner“ vergällen sollte, die sie sich zweifelsohne bei einem heimlichen Stelldichein zugezogen hatte.
Die Klingel bimmelte und so beweglich wie Aleidis war, huschte sie hinterher, drehte im Fenster das Zettelchen um »Bin gleich zurück« und schob den Riegel vor die Tür. Dann huschte sie ebenso flux zurück zum Tresen, darum herum, hob den Vorhang zum Hinterzimmer, sauste an der Stiege ins Obergeschoss vorbei und hinaus in den Garten und zum Gewächshaus.
Sie kam zum Stehen, strich ihren Blütenrock glatt, richtete sich ihre langen, seidigen, grünen Haare und öffnete die Tür des gläsernen Anbaus, drinnen sah sie erst nur lauter Blätter, Gestrüpp und Blütenpracht. Sie hörte das Summen und Brummen auf ihrem Weg mitten hinein in das kleine Paradies. Dort fand sie im Zentrum an einem schmalen Teetisch Willa. Sie legte ihr die Hände von hinten über die Augen.
Die zierliche Frau erschrak ein wenig und seufzte hell: „Ach, du bist’s, Liebste.“
„Ja, ich dachte mir, ich könnte dir ein wenig Gesellschaft leisten.“ Aleidis trat um sie herum und schenkte Willa einen tiefen, sehnsuchtsvollen Kuss. Jede Stunde getrennt von ihr war zu viel. Auch wenn ihre Gefährtin hier im Garten Unkraut zupfte, die Kräuter schnitt oder alles befeuchtete und Aleidis am Tresen stand und den Verkauf abwickelte und sie so gar nicht weit voneinander entfernt waren. Schließlich löste sie sich und ließ sich in den geflochtenen Korbstuhl fallen. Willa schob ihr etwas von dem lauwarmen Tee hinüber. Die Tasse war selbst getöpfert und bemalt von Willas ältester Tochter, es war ein Geschenk gewesen. Aleidis nippte, dann wandte sie sich dem Kästchen auf dem Tisch zu. Sie grinste ihre Freundin an, ließ ihre Finger über das Holz tippeln: „Ich schätze ein, zwei Züge werden wir uns wohl gönnen können.“ Sie sahen sich verschwörerisch an und Aleidis zog einen gerollten Stengel heraus, drehte ihn in den Fingern und wartete. Bis Willa mit ihren langen, feinen Fingern aus derselben Kiste die Zündhölzchen geangelt und angerissen hatte.
„Wir müssten mal wieder neue Seife aufsetzen.“
Willa nickte: „Ist gut, ich habe vorhin frische Katzenpfötchen gepflückt, die werden ganz wunderbar darin wirken.“
Sie grinsten sich an und teilten das Rauchkraut, kicherten und gaben sich einen weiteren Kuss.
So lebten die beiden Nymphen seit einer sehr langen Zeit schon in ihrem sauberen und gemütlichen Haus, welches sich vorne in die Straße einfand, und hinten heraus mit Aleides Baum und Wittas Quelle verwachsen war.