Auf Zehenspitzen tapste die Dame in den feinen Netzstrümpfen über die mit Kreide gezeichneten Symbole auf dem Boden. Zwischen Salz, Kerzen und Hühnerblut waberten die weißen Schwaden des Räucherwerks. Es war eine Nacht von Montag auf Dienstag, in dem Raum war es ruhig und dunkel. Da große, geschlossene Kreise eine eher abschreckende und beleidigende Wirkung hatten, gab es hier nur die nötigen Linien und Punkte der Sigillen. Sie allen waren untereinander verbunden zu einem riesigen Netz.
Beatrize setzte sich in den Schneidersitz mitten in diese Zeichnungen und achtete darauf nichts zu verwischen, um die Anrufung nicht zu gefährden. Sie sah sich zu der Assistentin um, welche am Vorhang wartete. Diese nickte: Alles bereit. Beatrize begann in einem dunklen, schweren Singsang sich einzustimmen, bewegte ihren Körper dazu ein wenig und versuchte sich mittels Meditation zu konzentrieren. Dann schloß sie die Augen.
„Ich rufe Ronové, meinen Fürsten. Herr von zwanzig Legionen. Lehrer der Sprachen, Ratgeber der Magier, Verschlinger von Seelen, Dieb der Unschuld.“
Sie wiederholte die Worte immer und immer wieder, bis ein Kribbeln sie erfasste, welches sich unter ihr ausbreitete, als seien hunderte Ameisen zwischen den Steinritzen hervorgekrochen und würden sich nun über sie hermachen. Sie wusste, aus vorherigen Evokationen, dass das nicht stimmte, da war nichts. Es war nur diese Energie, welche nun in den Raum und in die Zeichen strömte, um das Monster zu verfestigen. Sie spürte es, als zöge jemand am anderen Ende einer imaginären Schnur um die Wette mit ihrer Beherrschung. Ihr Wille musste stark sein, ihr Wunsch aufrecht. Sie musste ihn dringend sprechen.
Mit einem infernalischen Knall und einer Rauchwolke, erhob sich aus dem Nichts eine geisterhafte Gestalt. Ein Wesen mit Hörnern, Krallen, roten Augen, die im Schatten eines noch unfertig konstruierten Gesichtes lagen. Noch nicht ganz materialisiert. Er brüllte, doch der Ton erreichte das Zimmer noch nicht. Scharfe Zähne von denen Geifer tropfte, Haare die in einem Orkanstoß herumwirbelten. Der Schlangenschwanz der unruhig zuckte.
Beatrize öffnete die Augen: „Ja, so ist es gut. Kommt zu mir, Fürst Ronové.“
Als der Dämon vollständig materialisiert war und seine Hufe über den Boden kratzten, fiel er schwer nach vorn, nur gehalten von seinem wuchtigen Stab. Aus dem Ast einer Esche, mit vielen Gravuren verziert. Er hustete schwarzes Pech aus und spuckte es zielsicher auf den Boden außerhalb der Zeichen. „Beatrize?“, raunte seine Stimme, er erkannte sie nicht nur wieder, sondern seine roten Augen glühten begehrlich auf. Er richtete sich zur vollen Größe auf.
„Hey Ron“, sie lächelte und stützte sich nach hinten ab mit beiden Händen. „Schön, dass ich dich so früh schon erreiche.“
Der Dämonenfürst schüttelte sich leicht. „Du hast mich aus einem Meeting geholt.“
„Oh, entschuldige Schatz.“ Die Menschenfrau schob die Unterlippe vor.
Aber gutmütig lächelte Ron: „Was gibt es denn so dringendes?“
Sie zog aus ihrer Rocktasche ein Blatt Papier. „Schau mal, was ich hier habe.“ Sie wedelte damit hin und her.
Er beugte sich vor, erkannte es aber nicht gleich, dann griff er in die Luft, als öffne er ein Kästchen, es war natürlich keines sichtbar, aber für ihn als Dämon und praktizierenden Magier keine große Sache. Dann hielt er aus dem Nichts eine schmale Brille in der Hand und setzte sie gewissenhaft auf die Nase. Beatrize reichte ihm das Schreiben.
Er überflog es und jubelte: „Ist das wahr? Du hast den Kredit bekommen?“
„Liebling, ich würde dich nie anlügen.“ Sie legte eine Hand über ihre Brust. „Ich bin einfach die zäheste Verhandlungspartnerin, die man sich als Gegnerin wünschen kann.“ Sie kicherte und erhob sich dann vorsichtig. Jetzt nur nichts versehentlich umwerfen. Sonst würde sich ihr Ehemann einfach in Staub auflösen und stante pede in die Unterwelt zurückfahren.
Er streckte eine wuchtige Klaue nach ihr aus, um sie an sich zu ziehen. „Das sind wunderbare Neuigkeiten., du bist fürchterlicher als jeder Dämon, den ich kenne.“
Sie lächelte und kuschelte sich an seine warme Brust. „Also, welche Farbe möchtest du?“
Er lachte tief und rumpelnd. „Ganz gleich, das überlasse ich deinem unfehlbaren Geschmack. Hauptsache es ist nicht Rot.“
Beatrize küsste sein überdimensioniertes Kinn: „Oh keine Sorge, Ron, ich kenne doch deine Abneigungen.“
Er seufzte lang: „Da wir gerade von Abneigungen reden. Ich muss zurück ins Büro. Rufst du Freitag auf Samstag noch mal durch?“
Sie nickte. Es gab einen langen Kuss und er löste sich wieder zu dem Nebel auf, aus dem er gekommen war. Beatrize wartete bis das Kribbeln aufhörte und sie allein in den Dreiecken, Linien und Punkten stand. Im ganzen Raum roch es nach ihrem Gatten, etwas minzig. Verfluchte Außentermine, bei denen ihr Mann Wochenlang nicht nach Hause kam.
Die Assistentin kehrte zurück und riss die Vorhänge und Fenster auf. „Waren Sie mit dem Service des Evokationsdienstleisters Grimoire zufrieden, Frau Engels?“
Beatrize nickt, klopfte sich ihren Rock glatt und trat hinüber zu ihren StöckelschuheN. „Aber ja, danke vielmals. Ich überweise dann wie üblich. Bis zum nächsten Mal, Constance.“
Die Assistentin nickte und machte sich daran den Raum gleich für den nächsten Kunden herzurichten. Der schon ungeduldig um die Ecke schielte.
„Hallo.“ Der junge Mann winkte ihr zu und gab sich ein wenig linkisch. Beatrize kam zu ihm, während sie sich ihre silbernen Ohrringe wieder ansteckte - die sie hatte ablegen müssen während des Rituals, damit das Silber nicht die Verbindung des Netzes verfälschte.
„Max, wie schön dich mal wieder zu sehen, wie geht es deinem Vater?“ Marax, Herr über sechsunddreissig Legionen und großer Wissenschaftler der Unterwelt mit einer unendlichen Kenntnis des Astronomie und Hobbybotaniker. Das brachte sie direkt auf eine Idee: „Ach, richte ihm doch bitte liebste Grüße aus und sag ihm, er soll sich mal bei meinem Mann melden, wegen unseres Gartens, ich bin nicht sehr glücklich mit dem Flieder, vielleicht hat er da eine Idee.“
Der junge Mann hob den Daumen: „Klar.“ Er zog sich die Turnschuhe aus und wusch sich die Hände am Waschbecken, während Beatrize schon den Flur hinunter gegangen war und sich an der Garderobe ihren Mantel reichen ließ.