I love to laugh
Loud and long and clear
I love to laugh
It's getting worse ev'ry year*
Es kam ein Passant des Weges und hörte es, da blieb er stehen und lauschte. Der gute Herr stopfte sich in Ruhe seine Pfeife, hörte weiter hin und nickte zwischenzeitlich. Es klang vergnügt, beschwingt und fröhlich. Was müssen die guten Leute für eine Freude haben in diesem Haus? Wahrscheinlich feierten sie einen Geburtstag, womöglich sogar eine Geburt? Ach, wann hörte man schon mal so viel Lachen, dass es bis auf die Straße schallte? Es war schön, es erhellte den trüben Tag, nicht wahr? Denn es würde sicher noch regnen am Nachmittag, doch das war jetzt gar nicht mehr so schlimm, obwohl der Herr seinen Schirm vergessen hatte, war sein Tag nun gerettet. Er entzündete das Kraut und paffte, weiße Schwaden waberten um ihn und die Straße hinunter.
Er hob den Blick und sah auf den Stufen am Eck des Hauses ein Kind sitzen. Es war schwer auszumachen ob es ein Bub oder eine Deern war. Denn es trug nicht viel am Leib, nur ein Nachthemd und ein Kuscheltier im Arm, welches es fest an sich drückte.
Der Herr rieb sich die Nase und ging neugierig hinüber: „Na, was machst du denn hier draußen so ganz allein, wird dir nicht kalt?“
Das Kind zog seine Füße mitsamt den Pantoffeln eng an sich unter den Saum des Nachtrockes. Es schniefte sich in die Armbeuge und hob erst den Kopf, als der Mann sich immer noch nicht anschickte zu gehen. In Ruhe paffte er weiter. Der Geruch des Tabaks schien das Kind jedoch zu beruhigen und so seufzte es lang. „Ach“, machte es dann kleinlaut. „Ich kann da nicht wieder rein.“
„Oh, hast du dich ausgesperrt?“ Er bot ihm sofort die Hand: „Komm nur, ich bringe dich zur Tür und klopfe, damit du keinen Ärger bekommst.“
Das Kind schüttelte den Kopf und als der Herr aufsah, stellte er fest, ja tatsächlich, die Hintertür, vor dem es saß, war nur angelehnt und ein Stiefel stand zwischen Rahmen und Blatt. Erleichtert senkte er seine Hand.
„Ach“, machte das Kind und seufzte erneut: „Vater ist wütend.“
Der Herr rieb sich über die Stirn und unter die Krempe seines Zylinders. „Na so was?“ Aber nach Schimpfen hatte das ja so gar nicht geklungen.
„Aber, feiert ihr denn nicht gerade ein Fest? Bist du denn nicht eingeladen?“ Vielleicht war es ja das Kind eines der Bediensteten?
Abermals schüttelte es den Kopf. Alles musste man ihm aus der Nase ziehen.
„So sprich endlich, worüber ist dein Vater denn so erbost?“
Das Kind schauderte und zitterte. Der Herr steckte seine Pfeife in den Mundwinkel, öffnete seine Mantelschnalle, nahm diesen ab und schlug ihn um das Kind und das Stofftier aus. Das würde wohl noch länger dauern, also setzte er sich zu ihm auf die Stufen, streckte eines der langen Beine aus und wartete geduldig, paffte weiter und sah sich um. Neben den Stufen standen die Milchflaschen von heute morgen. Er nahm sich eine und öffnete sie, hielt sie dem Kind hin, es war ja ohnehin seine. Es trank auch brav und kuschelte sich in den warmen Stoff.
„Vater hat einen Onkel Albert.“
So? Nun hatte es wohl ein Familienzerwürfnis gegeben, das kam ja nicht selten vor auf Feiern. „Was hat Onkel Albert denn getan?“
Das Kind sah ihn nun an mit großen braunen Augen: „Du kennst Onkel Albert nicht?“
Jetzt schüttelte zur Abwechslung der Herr mal den Kopf.
Und das Kind seufzte: „Ach“, es trank noch einen Schluck aus der Flasche: „Vater ist so wütend, weil er nicht aufhören kann mit seinem Onkel Albert.“
Statt noch einmal nachzuhaken, hielt der Herr es für klüger abzuwarten was noch als Erklärung folgen würde.
„Mama reicht ihm das Croissant zum Frühstück und er lacht. Ich bringe ihm die Zeitung und Vater lacht. Unser Hund liegt ihm brav auf den Füßen, er lacht dann auch. Und wenn er in den Spiegel schaut und sich rasiert.“
Es klang so, als wäre es glasklar was gemeint war. „Dann ist dein Vater aber ein glücklicher Mann, wenn er so fröhlich ist.“ Da musste sicher einiges passieren, dass der Vater böse wurde.
Das Kind schüttelte den Kopf. „Er hat einen Onkel Albert, Mama sagt, dann kann man nie wieder glücklich sein, auch wenn man lacht.“
Noch immer verstand der Herr kein Wort. „Lacht dein Vater denn über alles?“
Das Kind nickte: „Ach“, es trank noch einen Schluck und schmierte dann seinen Milchbart in den Mantel. Der Herr verzog kurz das Gesicht, aber schon hatte der Stoff die Flüssigkeit aufgesogen. „Er lacht auch wenn es klingelt. Und wenn wir in den Park gehen. Er lacht wenn er die Schuhe bindet und die Treppe rauf geht. Manchmal lacht er abends im Bett und dann kommt Mama raus und weint.“ Das Kind holte Luft: „Mein Vater lacht wenn ich von der Schule erzähle und er lacht, wenn ich etwas kaputt mache.“ Dann flüsterte es: „Er hat auch gelacht, als der Hund etwas Ekliges gegessen hat.“
„Hm“, machte der Herr und lehnte sich etwas zurück. „Das klingt aber merkwürdig.“
Das Kind nickte und reichte ihm freundschaftlich die Milch. Tatsächlich im Grübeln versunken trank der Herr nun selbst einen guten Schluck, ehe er weiter paffte. Das alles erklärte aber doch immer noch nicht, warum der Vater böse geworden war. Er wollte gerade dazu ansetzen etwas zu fragen, da wurde hinter ihnen die Tür aufgerissen.
Der Herr beugte sich nach hinten, um besser sehen zu können. Das Kind zuckte ertappt zusammen.
„Hier bist du Charlie“, die Frau fiel beinah über den Stiefel.
Charlie sprang auf und ließ den Mantel achtlos zu Boden rutschen, hielt aber sein Tierchen weiter ganz fest an sich gedrückt. Der Herr beachtete es nicht, er hatte nur Augen für die Mamsell. Sie trug eine Schürze in Manier des Kindermädchens. Hübsch hätte er sie nicht genannt, aber sie strahlte etwas ganz besonderes aus.
„Mam“, knickste Charlie und trat unruhig von einem auf den anderen Pantoffel.
„Deine Mutter lässt dich rufen, eil dich, hopp hopp.“
Charlie nickte, verbeugte sich angedeutet gegenüber dem Herrn und rannte ins Haus.
Die Mamsell blieb jedoch und stemmte eine Hand in die Hüfte: „Und Ihr, was lungert Ihr hier herum?“
Die Pfeife verschwand aus dem Mund, er sammelte seinen Mantel auf und stand elegant auf. Der Herr verbeugte sich tief und behielt die Flasche Milch. „Ich schulde Euch wohl einen Groschen.“
Sie beäugte die Milch: „Schon gut. Seid beschenkt.“ Sie bückte sich nach den anderen fünf Flaschen in der Halterung und zog sich einen Schritt zurück zur Tür, stockte jedoch: „Ist noch etwas? Anständige Menschen sagen ‚Danke‘.“
„Oh“, er verbeugte sich erneut, der Zylinder verrutschte, er versuchte ihn aufzuhalten, „Danke“, und verschüttete Milch über seine Weste. „Verflixt.“
Die Mamsell schmunzelte und stellte die Milch ab. „Wartet, lasst mich helfen.“
Er entschuldigte sich mit einem stotterndem: „Wie ungeschickt von mir.“
Sie rollte die Augen, zückte sein Taschentuch aus der Anzugstasche und trocknete das Malheur. Sie besah sich die eingestickten Initialen, sagte jedoch nichts.
Leise, so nah vor ihr, traute der Herr sich zu fragen: „Wer ist denn Onkel Albert?“
Die Mamsell hob den Kopf: „Ach“, machte sie wie Charlie, „das ist eine Geschichte.“
Er legte den Kopf schief: „Es gibt also gar keinen Onkel?“
„Nein“, sie steckte ihm sorgfältig das Tuch zurück und klopfte gegen seine Brust: „es ist das Lachen. Es ist zwanghaft. Grundlos fängt der Master an und kann kaum aufhören. Wie in der Geschichte von Onkel Albert.“
Die kannte der Herr wohl nicht.
Die Mamsell schenkte ihm dann ein Lächeln: „Und dann wird der Master sehr wütend, weil er nicht aufhören kann und am Ende verfällt er ebenso unvermittelt in einen Weinkrampf.“ Sie zog sich nun zurück, sammelte die Flaschen auf und winkte dem fremden Herrn: „Aber bitte behaltet es für Euch.“
Er verbeugte sich und stand auch noch so, als die Tür schon geschlossen war. „Natürlich, das werde ich.“
Was eine Tragik. Die arme Familie, dachte sich der Herr und wandte sich um. Er zog sich den Mantel an, sah über die Schulter zu den Fenstern, doch keine der Gardinen bewegte sich. Der Passant steckte sich die Pfeife wieder in den Mund und nahm seinen Weg wieder auf.
*aus Mary Poppins "love to laugh"
*Pathologisches Lachen und Weinen