Um aus der Haut zu fahren, war es von Vorteil ebensolche zu besitzen. Kein Muss, denn es ist eine Redewendung. An Klaras Stelle - nur noch in Unterwäsche und gusseisernen Schmiede-Armreifen - war die Anwendung von naheliegendem Sarkasmus schwer zu verwirklichen. Die zu eng gespannte Zuneigung um ihre Handgelenke war nicht die einzige Zone ihres Körpers, die schmerzte. Abgesehen von dem deftigen Tritt in den Hintern, der ihr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit denselben Gefallen erwiesen hatte, wie es ein Treppensturz nicht nonchalanter hätte ausführen können - nämlich nicht mehr an den enervierenden Ratsversammlungen sitzend auf den ungepolsterten Bänken teilnehmen zu müssen.
Tropfte aus ihrer Nase noch immer Blut? Tropf, tropf, tropf, bei jedem Atemzug, den sie durch den Mund aufnehmen musste. Das hörte gar nicht mehr auf. Abgesehen davon, dass ihre Augen tränten und somit auch ihre Nase gern ein bisschen mitgeschleimt hätte, spürte sie das Pochen der Schwellung, welche sich über ihren Nasenrücken zu beiden Seiten entfaltete wie große Schmetterlingsflügel der hübschen Masken auf den Bällen des Adels. So ein bisschen leicht duselig war ihr zumute, als hätte sie ebenfalls vom Kelch gekostet, der Lady Adelheid zum Verhängnis geworden war.
Der Tod war noch nicht einmal den Bruchteil der Zeiteinheit (h) her. Adelheids Körper sicher noch warm, womöglich zuckten ihre Finger und Zehen noch gelegentlich auf. Selbst von Klaras Wissensstand her, konnte sie ableiten, dass das Gift verflucht schnell seinen Dienst verrichtet hatte. Hatte der Braut nicht den Hauch einer Chance gelassen. Galt Herr Klein jetzt als Witwer? Also theoretisch schon, vor Zeugen - wirklich, wirklich vielen Zeugen - und den Gottheiten war der Bund geschlossen worden. Gab es noch immer irgendwelche Abergläubige die zur Besiegelung auf das Vollziehen in der Nacht bestanden, selbst wenn dieses am Spätnachmittag stattfinden würde, oder gar in den Morgenstunden? Bei so vielen Gästen wäre die Feier auf alle Fälle lang geworden. Lag Adelheid jetzt auf eben jenem Altar, auf dem die Blumengebinde mit Rosen standen und ihre ach so prächtige Hochzeit ausstaffiert hatten? War ihr weißes Linnen mit dem Spitzenschleier nun benetzt von roten Blutstropfen? Sie würde so wunderschön aussehen - für eine Tote - zwischen all den weißen und roten Blüten.
Klara sah den Tropfen dabei zu, die in ihren Schoß fielen. Dieser gelbäugige Bastard (der Kerkerwächter - Anmerkung der Autorin), entsprungen aus dem Leib einer fetten Wachtel, brachte gerade genug Neutralität auf um ihr nicht zwei Weinflaschenkorken in die Nasenlöcher zu rammen, damit sie aufhörte zu jammern.
Blut war, ist und wird immer widerlich bleiben. Sei es das Eigene oder das von anderen. Ausgenommen die jüngst krepierte Adelheid, deren Blut war tatsächlich gar nicht so schlimm gewesen. Ein feiner Schnürlregen, emporgehoben von ihren Lippen. Sie hatte ihren Gatten damit überzogen, in einer einzigen anmutigen Fontäne. Eine Dame ihres Standes pflegte nicht einmal beim Sterben zu spucken. Ein Tod, wie es selbst in einer Chronik nicht andächtiger und hoheitsvoller erwähnt werden könnte. Adelheids helles Haar, ihre vollkommenen Rundungen im Kleid, das assistierende Mieder, diese kleinen perlenbesetzten Pantoffeln. Alles voller hauchfeiner Spritzer, ein Maler des antiken Blutizissmus hätte es nicht vollkommener abbilden können. Und dann diese Dramatik am Tage ihrer Vermählung. Genau das richtige Maß, um den Betrachter mitleiden zu lassen.
tropf, tropf, tropf
Hustend hob Klara den Saum ihres Untergewandes an den Mund und wischte sich das Blut, welches den falschen Weg aus ihrer Nase in den Rachen nahm und unangenehm auf ihrer Zunge klebte, fort. Sie hatte das Bedürfnis sich den Mund zu spülen. Nur bitte nicht aus eben jenem Kelch. Und sie hatte noch gesagt, als sie den Kelch der Braut gereicht hatte, als Herrn Kleins Trauzeugin, dass das alles ein Missverständnis war.