Die Sonne, die durch den Spalt zwischen den Gardienen schien, weckte mich. Gähnend rieb ich mir den Schlaf aus den Augen. Michael war wohl schon aufgestanden, den seine Betthälfte war leer. Ich ging rüber in mein Zimmer, um mich fürs Frühstück fertig zu machen. Ich entschied mich für ein einfaches rotes Stoffkleid ohne Verzierungen. Schließlich hatte ich nichts vor und konnte mir bequeme Sachen erlauben.
Im Haus war weniger los als sonst. „War den schon wieder Wochenende?“, fragte ich mich. „Vielleicht sollte ich mehr darauf achten“, überlege ich und trat ins Esszimmer. Dort saß Michael am Tisch und pellte sein Frühstücksei. „Guten Morgen Shiro“, begrüßt dieser mich. „Gut geschlafen?“, fragt er und schenkt mir Tee ein. „Guten Morgen, ja habe ich“,
„Entschuldige nochmal, dass ich dich geweckt habe“,
„Nicht schlimm ich bin schnell wieder eingeschlafen“,
„Ich werde heute nicht arbeiten und morgen auch nicht“,
„Hast du deshalb so lange gearbeitet gestern?“,fragte ich ihn und setze mich zu ihm.
„Ja ich wollte heute nicht arbeiten und es hat sich viel angestaut“, erklärte er mir. Ich nickte ihm zu und nehme mir eins der noch warmen Brötchen. Während ich meine Brötchenhälften schmiere und mein Frühstücksei pelle erzähle ich vom Treffen mit der Architektin. „Danke, das hast du wirklich gut gemacht“, lobte er mich und reicht mir das Salz. „Danke“, ich schnitt die Spitze vom Eiweiß ab und legte sie auf eines der Brötchenhälften, die andere Hälfte schnitt ich in Streifen. Michael sah mir verwundert dabei zu, wie ich Salz auf die Streifen streute und ins Eigelb tunkte. Er hatte ein hartes Ei, das er in scheiben schnitt und auf sein Brötchen legte. „Wie isst du weiche Eier“, frage ich ihn auf seinen fragenden Ausdruck hin und nehme einen Bissen.
„Gar nicht ich mag nur hart gekochte Eier“, erklärte er und streute Salz und Pfeffer auf sein Brötchen. Der Rest des Frühstücks verlief schweigend. Mir fiel aber auf das Michael statt, wie sonst Tee Kaffee trank. Er aß auch mehr als sonst, der gestrige Tag hatte ihm wohl viel Kraft gekostet. Nach dem Frühstück räume ich den Tisch ab und trinke noch eine Tasse Tee. „Wenn du heute nicht arbeiten musst, hast du heute etwas vor?“, frage ich grade heraus. „Ja ich habe etwas vor, ich treffe mich mit meinem Bruder heute Mittag. Wir wollen zusammen essen und über die neuen Produkte reden“, erzählt er mir. „Also doch arbeiten“, erwidere ich. Michael seufzt „ja irgendwie schon“,
„Du solltest nicht vergessen, Pause zu machen“, erinnere ich ihn.
„Ja du hast recht, morgen werde ich gar nichts tun, was mit der Arbeit zutun hat. Versprochen“, antwortet er und zeigt mir seine Finger. „Was wirst du tun bis du losmusst?“, frage ich weiter und sehe nach draußen. Der Himmel war voller Wolken, durch die sich die Sonne kämpfen musste. Das gute Wetter der letzten Tage war wohl vorbei. „Es sieht aus, als würde es morgen Regen geben“, murmelte ich. „Das macht nichts“, antwortet Michael. „Ich habe morgen nichts geplant, was draußen stattfindet“, fügte er hinzu. „Ich plane meine Tage nie“, gebe ich zu.
„Warum nicht?“
„Weil ich nie weiß, was der Tag so bringt. Ich stehe morgens auf und überlege mir dann worauf ich Lust habe oder ich treffe auf dem Weg, jemanden der Hilfe braucht“, erklärte ich. „Harald meinte, dass du viel Zeit mit lesen verbringst“,
„Ja, wenn die beiden sich nicht einig sind, wo ein Buch eingeordnet werden muss, lese ich es für die beiden. Ich sage ihnen dann, wo ich es einordnen würde. Leider kann ich oft die Entscheidungen der Figuren nicht nachvollziehen. Wahrscheinlich weil ich über Sachen ganz anders denke als Menschen. Ich würde einfach bestimmte Dinge nicht tun oder sagen“, erkläre ich ihm.
„Es ist oft so, dass man Verhalten von anderen nicht nachvollziehen kann. Mir geht es auch so. Das liegt daran, dass wir alle andere Erfahrungen gemacht haben oder anders erzogen worden sind“, erklärt Michael mir und trinkt seinen Kaffee aus. Ich nicke nur, es war für mich, völlig logisch, was er sagte. Nur löste das mein Verständnisproblem nicht. „Wenn du die Figuren verstehen willst, musst du dir überlegen was sie erlebt haben, das erklärt dir, warum sie so handeln“, spricht Michael weiter. „Soll ich dir ein Beispiel geben?“, fragt er mich und ich kam mir ziemlich dumm vor. „Ja bitte“, antworte ich ihm und er bittet mich, im Speisezimmer zu warten.
Nach kurzer Zeit kommt Michael mit zwei Metallflaschen wieder. Er reicht mir eine und meint: „Trink aus der Flasche, das Wasser ist heiß. Ich nehme vorsichtig einen Schluck aus der Flasche, aber das Wasser ist kalt. Irritier, schaue ich auf. Michael reicht mir die andere Flasche und meinte dann, das Wasser sei kalt. Mit dem Gedanken, dass er die Flaschen vertauscht hatte, trinke ich wieder vorsichtig und in dieser Flasche war kaltes Wasser. „Du hast zuerst mit heißem Wasser gerechnet, also hast du langsam und vorsichtig getrunken. Weil du gelernt hast, wie man heißes Wasser trinkt. Du dachtest ebenfalls, ich hätte die Flaschen vertauscht, da du nicht davon ausgegangen bist, dass ich zweimal kaltes Wasser in die Flaschen gefüllt habe. Hätte ich dir gesagt, in der Flasche sei kaltes Wasser und es wäre heißes drin gewesen, hättest du einen größeren Schluck genommen und dich verbrannt. Du hast gelernt, wie man Heißes und Kaltes trink und reagierst dementsprechend. So ist es mit allem. Viele gehen bei diesen Flaschen davon aus, dass etwas Heißes darin ist, weil diese Flaschen Flüssigkeiten lange warm halten. Teste das mal bei anderen mach kalten Tee in die Flaschen und sag jemanden du hättest ihm Tee gemacht, ich wette, er geht davon aus, dass er heiß ist. Ist es für dich jetzt etwas Verständlicher geworden?“, erklärt er mir das Experiment. „Aber woher weiß ich was die Entscheidung begründet?“
„Oft steht es im Buch selbst, manchmal muss man es sich selbst ausdenken oder vermuten, das ist abhängig von der Erzählweise“, erklärt Michael mir weiter.
„Warum hast du mich gerettet?“
„Weil du Hilfe brauchtest“
„Aber ihr hättet mir nicht helfen müssen, was hat dich dazu gebracht, mir zu helfen?“
„Meine Mutter sagte, immer wenn jemand Hilfe braucht, dann helfe. Für sie hatte jedes Leben eine Daseinsberechtigung und sie hat die Versklavung der Neko und Inu nie gutgeheißen“, erklärte er mir.
„Deshalb behandelst du mich auch so, wie du es tust“, stellte ich fest und er nickte. Eine seltsame Stille entstand zwischen und und Michael fuhr sich durch die Haare. Ich werde mich jetzt für das Treffen fertig machen und danach nochmal zu dir kommen“, sagte er plötzlich und verließ das Zimmer. Ich blieb ziemlich verwirrt zurück und beschloss, das Experiment wirklich in die Tat umzusetzen. Ich ging runter in die Küche, spülte die Flaschen aus und füllte sie mit kaltem Tee. Eine brachte ich zu Harald. „Guten Morgen Harald ich habe Tee für dich“, erklärte ich ihm und reichte ihm die Flasche. Er schraubte die Tasse ab und den Deckel. Vorsichtig goss er den Tee ein und trank in kleinen Schlucken, wie Michael gesagt hatte. Verwundert sah er mich an. „Wieso füllst du kalten Tee in eine Thermoskanne?“, fragte er. „Ich versuche, Beweggründe für menschliche Handlungen zu verstehen“, erklärte ich ihm.
„Und wie bist du auf den Tee gekommen?“
„Michael hat mir das aufgetragen“, antworte ich ihm und erzähle vom Gespräch vom Frühstück. „Ich wette, Manuela fällt auf den Trick nicht rein. Ich wünsche dir viel Erfolg bei deinen Studien. Geh wirklich mal zu ihr mit der 2. Flasche“, rät er mir und widmend sich wieder seinen Büchern. Gespannt laufe ich los und suche Manuela. Diese finde ich im Garten beim Blumenschneiden. „Hallo Manuela ich hab dir Tee gemacht“, erkläre ich ihr und reiche ihr die Thermoskanne. Sie öffnet die Flasche und gießt sich Tee ein und trinkt sie ihm einem Zug leer. „Danke dir das hab ich gebraucht“, bedankt sie sich und trinkt noch eine Tasse. „Woher wusstest du, dass der Tee kalt ist?“, frage ich sie.
„Er hat nicht gedampft, wäre er heiß gewesen, hätte er gedampft“, erklärt sie und lächelt. Auch Manuela erzähle ich von dem Gespräch. Sie lachte und wuschelte mir durchs Haar. Wenn du deine eigenen Entscheidungen verstehst, verstehst du die Entscheidung anderer auch besser. Es ist immer gut, dich in andere hineinzuversetzen“, rät sie mir und schneidet weiter trockne Blätter und Blüten ab. „Kann ich dir dabei helfen?“fragte ich sie. Manuela reichte mir eine Schere und zeigte mir, was ich rausschneiden sollte. „Wenn man die verblühten Blüten drin lässt, blüht die Blume nicht nochmal“, erklärt sie und wird eine Hand voll Stängel in einen Eimer. Zusammen schneiden wir das Schlechte von den Blumen ab. „Michael trifft sich heute mit seinem Bruder“, fing ich ein neues Gespräch an. „Die beiden wollten über die Arbeit reden, dabei hat er gesagt, er würde heute nicht arbeiten. Ich glaube nicht, dass es gesund ist so viel zu arbeiten“, füge ich hinzu und leere meine Hände in den Eimer von Manuela. „Ja da hast du recht aber er hört leider nicht auf mich. Wenn dieser ganze Parfumrummel vorbei ist sollte er wirklich Urlaub machen“, stimmt sie mir zu. „Was ist Urlaub?“, frage ich sie und sie fängt an zu lachen: „Urlaub ist eine Zeit, in der man nicht arbeitet. Jeder der Arbeit hat ein Recht auf Urlaub. Nur leider scheint Michael das immer wieder zu vergessen“,
„Vielleicht sollte ich ihn heute Abend dran erinnern“, murmele ich und widme mich weiter den Pflanzen.
Der Himmel zieht sich immer weiter zu. „Das wird sicher bald Regnen“, meine ich und blicke zum Himmel.
„Wir sind zum Glück fast fertig“
„Müssen die anderen Beete nicht auch noch gemacht werden?“,
„Ich mache nur die am Haus, um die Großen kümmern sich die Gärtner“
„Das werden sie wohl heute nicht mehr tun“,
„Die kommen, wenn das Wetter besser wird“, erwidert Manuela und steht auf. „Komm, wir gehen rein, bevor es anfängt zu schütten“, füg sie hinzu. Während wir zum Haus laufen treffen uns schon die ersten Tropfen. „Möchtest du heute mit uns zu Mittagessen. Heute Abend gibt es ja Brot und Salat für euch beide“, fragt sie. Michael kommt uns entgegen. „Ja gern esse ich mit euch“, antworte ich ihr. „Shiro, Manuela ich werde mich jetzt auf den Weg machen. Shiro ich habe dir ein paar Notenblätter aufs Klavier gelegt. Bitte sei so lieb und übe sie. Ich würde gern wissen wie sie klingen habe aber keine Zeit, sie selbst zu üben“, bat er mich. „Ist es für die Arbeit?“, will ich wissen. „Ja das sind erste Ideen für die Musik“, gibt er zu. „So viel zum Thema heute nicht arbeiten“, denke ich und seufze. „Ja ich spiele dir die Musik vor“, meinte ich, obwohl es mir gar nicht gefiel, dass er so viel arbeitete. „Bis später und danke“ meinte er und griff nach dem Regenschirm. Bevor wir noch etwas sagen konnten, war er zur Tür raus in den Regen. Wir seufzten gleichzeitig und lachten dann. „Ich glaube, er wird sich nicht ändern. Komm Shiro, wir gehen uns die Hände waschen und essen was“, bestimmte sie und lief Richtung Küche. „Ich befürchte, du hast recht“, stimme ich zu und folge ihr in die Küche. Ein herrlicher Duft von Käse und Tomatensoße begrüßt uns als wir die Küche betreten. „Heute gibt es Lasagne“, verkündete Simon und holte eine riesige Form aus dem Ofen. Er stellte sie in die Mitte vom Tisch. Schnell wusch ich mir die Hände und half, den Tisch zu decken. Der Nudel Hackfleischauflauf war schnell verteilt. „Guten Appetit“, wünschten wir uns und ließen uns das Essen schmecken. Dabei fiel mir auf, dass einige nachwürzten, entweder mit Kräutern oder mir Salz. Ich hatte das noch nie gemacht. „Manuela wieso macht Anni noch Salz dran und wieso macht Farbian noch Kräuter ins Essen? Es schmeckt doch gut?“, flüstere ich und betrachte meine Lasagne. „Jeder hat halt seinen eigenen Geschmack, der eine mag es etwas anders als der andere“, flüstert sie zurück. „Aber beeidigt das nicht denjenigen der kocht?“, möchte ich wissen. „Nein wieso sollte es. „Rosi, Vivien und die Jungs kochen so, dass die Anderen nachwürzen können und versuchen das es allen gut schmeckt. Das geht aber nicht immer und deshalb ist das völlig in Ordnung. Auch vertragen nicht alle alles. Susi hat eine Allergie gegen Nüsse, sie darf keine Essen. Du siehst, kochen ist nicht einfach, weil jeder einen anderen Geschmack hat. Ich zum Beispiel mag keine Pilze“, erklärte sie. Für mich ergab das Sinn. „Ich mag keinen Schwarztee“, antwortete ich. Manuela schenkt mir ein Lächeln und isst weiter.
Mich machen die Menschen neugierig. Ich sah nun genauer hin und und bemerke, dass Simons Herz schneller schlägt, wenn er mit Suse redet, aber bei Anni ganz normal schlägt. Suses Herz schlägt aber ganz normal. Still beobachte ich die Gespräche und immer mehr fällt mir auf, wie anders sie aufeinander reagieren oder miteinander umgehen. Obwohl Tatjana noch jung ist gehen sie mit ihr sehr respektvoll und viel hilfsbereiter um. Sie jedoch wirkt eher schüchtern und als würde Tatjana das stören das man ihr alles abnahm. „Sollte ich fragen, was mit Tatjana ist?“, überlege ich. Entscheide mich dann aber doch dagegen. Es geht mich nichts an. Ich sehe rüber zu Kastian. Der sich den Stuhl genommen hatte, der am weitesten von ihm entfernt war. Ich verstehe, warum Kastian das getan hatte, schließlich hatten wir keinen guten Start. Er nahm nicht an Gesprächen teil und schien auch überhaupt nicht zuzuhören. Er lachte auch nicht über die Witze der Küchenjungs. Alls würde ihn das alles nichts angehen und er säße nur, hier weil er es musste. Seine verschränkten Beine und sein Abwenden von Gesprächen zeigte pure Ablehnung. Das Küchenteam freute sich über Lob und füllte Nachschläge auf.
Nach dem Essen gehen alle wieder ihre Arbeit nach. „Was mach ich jetzt“, frage ich mich und sehe aus dem Fenster. Es schüttet wie aus Eimern. Also mache ich mich auf den Weg ins Klavierzimmer, um die Musik zu üben, die Michael meinte.