Am nächsten Morgen stehe ich mit Michael zusammen auf. Es war schön, mit ihm zusammen zu frühstücken. Nach dem Frühstück trennen sich jedoch unsere Wege wieder. Michael ging in sein Büro und ich ins Musikzimmer.
Ich atme tief durch und setze mich ans Klavier. „Gut dann wollen wir mal sehen, ob ich der Morgentyp bin“, denke ich und öffne mein Notenbuch. Ich schließe die Augen und stelle mir das Meer vor, das ich nur aus Filmen und Büchern kenne. Ich drücke die Tasten und laufe in Gedanken durch den weißen Sand. Nach und nach wird mein Klavierstück form an. Ich lasse mich von den Liedern inspirieren, die im Radio liefen. Die Künstler nutzen zwar kein klassisches Klavier aber so etwas ähnliches. Dieses Mal war ich nicht frustriert vom Schreiben, diesmal ging es mir leichter von der Hand. „Aber macht mich das schon zu einem Morgentyp?“, überlege ich und schüttele den Kopf. „Das geweißt noch gar nichts“, denke ich und arbeite weiter an dem Stück das den Titel „Fernweh“, bekommen soll. Es dauert nicht lange und ich bin zufrieden mit dem Stück. Ich hatte eine Tonfolge, die sich wiederholt und sich wie wellen vor und zurückbewegen. Diese mischen sich mit ein paar hohen Tönen für die Möwen. „Vielleicht kann ich Suse und Anni fragen wie Musik aus anderen Ländern klingt“, überlege ich. Nach dem Experiment beschließe ich, einen Walzer zu schreiben. „Vielleicht können Tom und ich dazu Tanzen“, kommt es mir in den Sinn und ich versuche mich an einem Dreivierteltakt. Unterm Tisch bewegen meine Füße sich im Takt und ich lache über mich selbst. Es war nicht einfach, etwas Eigenes zu schreiben, wenn man so viele Walzerstücke im Kopf hat. Immer wieder erwische ich mich dabei, wie ich anfange, mir bekannte Stücke zu spielen. Letztendlich gelinkt es mir doch etwas zu Papier zubringen, was so klingt, als könnte man dazu tanzen. „Na komponierst du wieder?“, holt mich Haralds raue Stimme ins hier und jetzt zurück. Ich drehe mich zu ihm um und bemerke, dass er eine Gitarre in der Hand hält. „Ja, ich möchte wissen, wann es mir am einfachsten fällt zu schreiben“, erkläre ich ihm und spiele ihm Fernweh vor ohne ihm etwas dazu zu sagen. Harald bittet mich, es noch einmal zu spielen, er setzt sich auf dem Stuhl und spielt meine Noten die jetzt durch das andere Instrument noch mehr Urlaub klingen. „Wie bist du darauf gekommen? Dein Gedanke war vermutlich das Meer oder der Wind in den Bäumen“, vermutet er und ich erzähle ihm von Michaels Plänen mit mir wegzufliegen und Suses und Annis reisen. „Dann hast du es gut getroffen, als ich kam, hast du einen Walzer gespielt“, beginnt er und ich spiele ihm den Walzer. „Man merkt, dass du eine klassische Ausbildung hast. Dir fällt es leichter, so etwas zu schreiben, oder?“,
„Ja das stimmt“,
„Jeder hat seine Stärken und Schwächen“, sagt er und stimmt ein Gitarrenlied an, das traurig klingt, dass mir das Herz schwer wird. „Das habe ich nach dem Tod meiner Frau geschrieben. Danach hab ich nie wieder ein Lied geschrieben. Es hat mich einfach zu traurig gemacht. Die Musik hat mich zu sehr an sie erinnert“,
„Ich glaube, sie wäre traurig zu wissen, das du die Musik aufgegeben hast“,
„Das glaube ich inzwischen auch. Du hast die Musik nicht nur zu Michael zurückgebracht auch zu mir“,
„Ich würde mich freuen deine Lieder zuhören, auch wenn du nicht mehr singen möchtest“, ermutige ich ihn und er spielt noch ein Lied für mich das nach tiefer Liebe und nach Hoffnung klingt. „Danke, dass du es mit mir teilst. Ihr habt euch wirklich sehr geliebt, das spürt man, wenn man deine Lieder hört“,
„Ja ich habe nach ihr keine andere Frau mehr gefunden, mit der ich mich so verbunden gefühlt habe“,
„Die wahre Liebe findet man wohl wirklich nur einmal im Leben“, antworte ich ihm und fange wieder an zu spielen. Wieder ein Walzer doch diesmal denke ich an Michael. Harald ist wieder so freundlich und schreibt mir die Noten auf. Es war so viel einfacher, mit jemanden zu arbeiten als alleine.
Diesmal höre ich, wie die Tür aufgeht, und rieche den Duft von Michael. „Guten Tag Harald warum wusste ich, dass ich euch wieder zusammen hier finde. Wenn Shiro spielt, kann sich dem keiner entziehen. Vor der Tür hab ich Manuela beim Lauschen an der Tür erwischt. Aber das ich dich auch spielen höre Harald, damit habe ich nicht gerechnet. Shiro hat irgendwie die Gabe Trauer zu heilen“, spricht er und setzt sich neben mich. Er liest sich die Noten durch. „Du probierst wirklich die verschiedensten Sachen aus. `Fernweh`“, liest er laut vor und bittet mich, es zu spielen. Michael nickt zufrieden. „Du wirst noch eine richtige Komponistin“, kommentiert er mein Spielen. „Du kannst wirklich stolz auf dich sein. Gut gemacht“, lobt er mich. „Danke, es macht wirklich Spaß, zusammen zu musizieren“,
„Ja das stimmt. Spielst du mir noch die zwei Walzer vor?“, bittet er und ich tue ihm den Gefallen. „Wirklich schön dir sind aber noch keine Namen eingefallen oder?“, fragt er mich und ich schüttele den Kopf.
„Der Erste klingt wirklich sehr klassisch und erinnert mich an ein Märchen. Bei dem Zweiten wolltest du wieder ein Liebeslied schreiben, habe ich recht?“, vermutet er und ich nicke stumm. „Dir wird schon ein Name einfallen aber jetzt wollen wir erstmal etwas essen. Manuela hat mir belegte Brote ins Büro gebracht, die wir uns teilen sollten. Ich kann niemals so viel essen“, scherzt er und steht auf. „Ich werde mal nach Tom sehen“, verabschiedet Harald sich und verlässt das Musikzimmer.
Während wir essen, grüble ich über die Namen nach und Michael ließt etwas auf dem Laptop, er kennt wohl wirklich weder Feierabend noch Pausen. „Was ist so wichtig, dass du nicht in Ruhe essen kannst?“, fragte ich ihn.
„Konrad hat die geschnittene Rohfassung von deinem Spot gesehen und mir einen dreiseitiges PDF geschickt, warum es eine schlechte Idee ist, den Spot auszustrahlen und die anderen findet er auch nicht gut“,
„Was ist ein PDF und warum hält er es für eine schlechte Idee?“
„Ein PDF ist eine Form, wie man Briefe, Unterlagen und Ähnliches schicken kann, ohne das man Sorge haben muss, dass derjenige der sie bekommt, sie ändern kann. Statt mir eine Mail zu schreiben, hat er mir seine Beweggründe als Dokument geschickt“, sagte er und seufzte. „Er wollte sich also wichtiger machen, als er ist?“
„Genau so ist es“,
„Er vergisst wohl, wer der Besitzer der Firma ist. Vielleicht solltest du ihn darin erinnern“, schlage ich vor.
„Ja da hast du recht. Nur weil er schon länger in der Firma ist als ich heißt es nicht, dass ich mir von ihm auf der Nase rumtanzen lassen muss. Männer wie Konrad leben leider im Gestern und sträuben sich, vor allem was anders ist und neu. Das haben wir immer schon so gemacht, ist sein Lieblingssatz und es wird Zeit das wir diesen aus seinem Wortschatz streichen. Ich werde ihn morgen in mein Büro bitten“, sagt Michael und fährt sich durch die Haare. „Weißt du, ich bin zwar der Chef, der Firma aber lieber sehe ich mich als Teil des Teams. Als von oben herab alles zu lenken. Aber anscheinend wird es mal Zeit, dass ich deutlich mache, dass ich auch der Chef bin. Bevor ich die Firma von meinem Vater übernommen habe, habe ich die Leitung des Marketingteams gehabt. Da mir die Arbeit Spaß macht, habe ich die Stelle nicht neu besetzt, sondern behalten“, erklärt er mir.
„Konrad hat wohl nicht begriffen, dass du aufgestiegen bist. Er sieht in dir nur den Sohn seines alten Chefs“, vermute ich und stelle die leeren Teller zusammen. „Fällt dir etwas ein, wie ich ihm dran erinnern kann, wer der Boss ist ohne, dass es noch mehr dicke Luft gib?“, fragt er mich.
„Vielleicht solltest du ihn versetzen oder Vanessa seine Aufgaben geben und Konrad nur noch Aufgaben machen lassen, die nicht so entscheidungskräftig sind. Das er sieht das wichtige Entscheidungen nicht von ihm, sondern von dir getroffen werden. Was auch eine Möglichkeit wäre, ihm seinen Platz zu zeigen, dass er jede Entscheidung, bevor sie umgesetzt wird, mit dir absprechen muss“, schlage ich ihm vor.
„Das sind wirklich gute Ansätze, die du hast. Ich werde ihm Antworten das wir uns morgen darüber unterhalten. Dann werde ich ihm sagen, dass es meine Verantwortung und meine Entscheidung ist“, antwortet er mir und ein Klopfen an der Tür unterbricht unser Gespräch.