7 – Angebot und Nachfrage
Nachdem der Plan, den Erik für seinen Lehrer gehabt hatte, derartig katastrophal in die Brüche gegangen war, sollte er den nächsten vielleicht etwas deutlicher durchdenken. Dafür müsste Erik aber erst einmal klar werden, was er überhaupt wollte. Einen Mann. Ein hübscher Po, ein geiler Schwanz – vorzugsweise beides am gleichen Kerl. Und wenn der Rest von dem Typ einen nicht direkt zum Kotzen brachte, wäre das vermutlich ebenso hilfreich.
‚Sonst noch was, du oberflächlicher Arsch?‘
Erik seufzte, überlegte, kam aber auf nichts, was ihn absolut abschrecken würde. Da zuckte das Bild Bergers durch einen Kopf und sofort verfinsterte sich sein Blick.
‚Eine Persönlichkeit, bei der man nicht direkt zum Psychopaten wird, wäre ganz nett.‘
Geistig fügte Erik den Punkt seiner Liste hinzu. Damit ergab sich ein weiterhin recht verschwommenes Bild eines potenziellen Kandidaten. Besonders optisch waren Eriks Ansprüche ja nicht gerade hoch – sah man von ein, zwei körperlichen Attributen ab, auf die er doch größeren Wert zu legen schien. Immerhin ein Anfang.
Wenn sich Eriks schulische Laufbahn schon dem Ende entgegen neigte, wollte er sich wenigstens nicht auch noch sozial ins absolute abseits drängen lassen. Entschlossen drehte Erik sich erneut herum. Ein weiteres Mal ließ er seinen Blick über die Besucherschar wandern. Diesmal bemühte er sich ernsthaft, mögliche Kandidaten herauszusuchen. Aber wann immer einer auf den ersten Blick geeignet zu sein schien, fanden Eriks Augen sofort irgendetwas, was den Betroffenen wieder von der Liste strich. Mal waren die Haare zu lang, dann der Körper zu kräftig, der Hintern doch etwas zu flach – oder zu üppig. Zu groß, zu klein und der Kerl, der da drei Stühle weiter saß und ihm zuprostete, war definitiv zehn Jahre zu alt.
„Fuck it.“
Frustriert nippte Erik an seinem Bier. Dabei sollte er froh sein, wenn er überhaupt einen abbekam. Seine Augen wanderten weiter. Diesmal in der anderen Richtung an der Bar entlang. Plötzlich stockte ihm der Atem. Mit zitternder Hand stellte Erik das Bier ab und versuchte, ein Keuchen zu unterdrücken.
Ein gerader Rücken, eine schlanke Taille und unten dran ein kleiner, runter Knackpopo, der geradezu danach schrie, dass jemand seine Hände darauf legte. An weitere Dinge sollte Erik dabei lieber nicht denken. Allein der Gedanke ließ ihm ganz anders werden. Er musste sich nicht nur metaphorisch kurz den Schritt zurechtrücken. Was ihn jedoch so überrascht hatte, war weder der Hintern noch der Rücken, sondern vielmehr die am Nacken ausgeschorenen schwarzen Haare, die reichlich vertraut erschienen. Es kam ihm vor, als hätte er dieses Bild fast täglich vor Augen.
‚Weil genau das der Fall ist, du Trottel!‘
Erik schluckte. Das konnte nicht sein! Der Mann da drüben war garantiert nicht sein Lehrer. Berger war ein verfluchter Mistkerl, der ihn vier Tage die Woche quälte und gleichzeitig mit Missachtung strafte. Weil er genauso ein intolerantes Arschloch war wie Sandro. Ganz sicher war sein beschissener Lehrer nicht hier in einer Schwulenbar und amüsierte sich köstlich! Finster funkelte Erik den Rücken an. Immer weiter stieg die Wut in ihm auf. Wenn das Arschloch tatsächlich schwul war, warum unternahm er dann nichts gegen den Scheiß, der in der Schule ablief?
Der Rücken zuckte zusammen und riss Erik aus den Gedanken. Vielleicht amüsierte sich der Kerl doch nicht so richtig, denn der Mann, mit dem das Objekt seines Hasses gerade gesprochen hatte, verabschiedete sich und kehrte stattdessen zu einer Gruppe an einem der Tische zurück.
Erik hatte keine Ahnung, warum er sich im nächsten Moment das Bierglas schnappte und wütend zu besagtem Rücken hinüber marschierte. Vielleicht wollte er schlichtweg ein paar Antworten. Allen voran, weshalb Berger in der Schule ein Arsch zu ihm war, wenn er mehr an Männern als an irgendwelchen Weibchen interessiert war.
„Hey“, knurrte Erik, kaum dass er sich hinter dem schwarzen Haarschopf aufgebaut hatte. Es kostete ihn einiges an Überwindung, um nicht direkt mit einer Beleidigung herauszuplatzen.
„Hm?“
Blinzelnd stand Erik kurz danach vor einem Set blaugrüner Augen, die ihn verwundert ansahen. Direkt darunter breitete sich aber ein nicht unfreundliches Lächeln auf den dazugehörigen Lippen aus.
„Selber hey, Kumpel“, raunte es kurz darauf aus eben diesen Lippen.
‚Scheiße!‘, fluchte Eriks innerliche Stimme.
Blöderweise brachte er nun kein Wort mehr heraus. Stattdessen starrte Erik wie gebannt auf die so falsch wirkenden Augen, die etwas zu große Nase, den Leberfleck auf der linken Wange und den Scheitel, der akkurat gekämmt nach rechts zeigte. Berger hatte grüne Augen, eine eher zierliche Nase und keinen beschissenen Scheitel, sondern einen ausgefransten Pony.
„Sorry“, murmelte Erik irgendwann mit einer Spur Enttäuschung und wandte sich ab, um als jämmerlicher Volltrottel auf seinen Platz zurückzukehren. Wieso war er überhaupt auf die bekloppte Idee gekommen, dass ausgerechnet Berger auf Männer stehen und hier auftauchen könnte? Das war absolut lächerlich.
„Warum denn?“, fragte der Fremde und lachte zurückhaltend. „Musst ja nicht gleich wieder abhauen. So schlechte Gesellschaft bin ich wirklich nicht.“
Erik stockte. Richtig, er hatte doch geplant, endlich einmal jemanden anzusprechen. Das hatte sich hiermit wohl erledigt. Und wenn Erik schon so weit war, warum dann mittendrin aufhören?
„Hatte mit jemand anderem gerechnet“, versuchte Erik sich zu erklären, als er zu dem jungen Mann zurücksah. Ein, zwei weitere Blicke konnten sicherlich nicht schaden. Nur weil der Kerl von hinten wie sein dämlicher Lehrer aussah, hieß das ja nicht, dass sie auch noch die Persönlichkeitsstörung teilten.
„Oh. Du wartest auf jemanden?“ Langsam schüttelte Erik den Kopf. „Ich bin Tom“, fuhr der Typ fort und reichte ihm die Hand zum Gruß.
Er überlegte nur kurz, bevor er einschlug. „Erik.“
„Hi, Erik.“
Okay, das Lächeln war ansehnlich und die etwas zu groß geratene Nase vernachlässigbar. Prüfend ließ Erik die Augen tiefer wandern. Kein Muskelpaket, aber genau wie Berger irgendwie sportlich. Null Bauchansatz, eher schlank. Als Eriks unverhohlene Musterung unterhalb der Gürtellinie landete, räusperte Tom sich belustigt, woraufhin sein Blick schlagartig wieder nach oben schnippte.
„Ich hab auch Augen“, bemerkte sein neuer Bekannter mit einem durchaus freundlichen Lachen.
‚Ja.‘, bestätigte Eriks innere Stimme zu. ‚Aber das Grün stimmt nicht.‘
Irritiert schüttelte Erik kurz den Kopf, um diesen Gedanken loszuwerden. War ja schließlich nicht so, dass er sich wünschen würde, Berger hier zu treffen. Wobei es sicherlich interessant wäre, wenn er endlich etwas gegen seinen blöden Lehrer in der Hand hätte.
„Klar“, murmelte Erik.
Nachdenklich nippte er am Bier. Hauptsächlich, um nicht noch mehr sagen zu müssen. Denn wie immer hatte er keinen Plan, was er überhaupt entgegnen könnte. Also musterte er stattdessen Toms Gesicht erneut. Sonderlich alt konnte der nicht sein. Allerdings zeigte Berger ja, dass man mit Mitte bis Ende zwanzig deutlich jünger aussehen konnte. Schlecht sah Tom nicht aus und das pulsierende Blut in Eriks eigenen Weichteilen war ein eindeutiges Indiz dafür, dass der Rest seines Körpers das genauso sah.
„Also?“, fragte Tom, weiterhin grinsend.
„Was?“
„Zufrieden mit dem Angebot?“
Erik konnte förmlich fühlen, wie seine Wangen anfingen zu glühen, also nippte er erneut am Bier, um nicht ganz so unbedarft und unfähig rüberzukommen, wie er nun einmal war. Mit irgendwelchen Flirtversuchen hatte Erik keine echte Erfahrung. Bei Dominik hatte er im Grunde nur ‚Ja‘ sagen und mitmachen müssen.
„Könnte schlechter sein“, murmelte Erik schließlich ausweichend. Ganz so billig und notgeil wollte er nicht rüberkommen – obwohl es unbestreitbar der Realität entsprach.
„Du bist auch nicht übel“, gab Tom gelassen zurück und nahm einen großen Schluck aus dem eigenen Glas. „Lust zu ... reden?“
„Sicher nicht“, schoss es aus Erik, bevor er sich bremsen konnte.
Sofort schimpfte er mit sich selbst über diese Blödheit. Da kam endlich ein Gespräch mit jemandem in Gang, der auch noch dem eigenen Beuteschema entsprach und was machte er? Würgte den Kerl bei der ersten Frage ab. Am liebsten hätte Erik sich selbst eine Ohrfeige verpasst, aber das wäre ja noch bescheuerter rüberkommen.
Anstatt beleidigt zu sein, wurde Toms Grinsen sogar breiter. „Nur hier zum Trinken?“
„Weiß nicht“, gab Erik langsam zurück, nicht sicher, wie er die Frage auffassen durfte.
Prompt wurde er nun selbst zum eindeutigen Ziel einer Musterung. Zunehmend nervös fingerte Erik an seinem Bierglas herum. Er sollte etwas sagen. Irgendwas wenigstens halbwegs Cooles, bei dem er selbstsicherer rüberkam.
„Also ich nicht“
Toms Blick war fragend, aber Erik weiterhin unsicher, ob er nicht nur wollte, dass da eine Frage war. Könnte schließlich auch ein Hirngespinst durchdrehender Hormone darstellen. Rein optisch war Tom durchaus sein Typ und das Ziehen in Eriks Schritt signalisierte deutlich, dass er förmlich darauf brannte, endlich einen echten Mann in die Finger zu bekommen, anstatt über irgendwelche Arschlochlehrer zu fantasieren.
„Weshalb bist du hier?“, wagte Erik sich nach einer gefühlten Ewigkeit weiter vor.
Mit mehr Ruhe, als er es sich selbst zugetraut hätte, hob Erik das Glas und nippte erneut daran. Vielleicht sollte er schneller trinken. Alkohol lockerte in seinem Fall ja bereits die Zunge. Womöglich würde es ihm sogar einen gewissen ‚Mut‘ verleihen.
Tom grinste weiter wie ein Honigkuchenpferd. „Also eigentlich hatte ich gehofft, dass ich hier jemanden zum Vögeln finde.“
Mit einem kräftigen Husten versuchte Erik das Bier, das sich fälschlicherweise in die Luftröhre verirrt hatte wieder herauszubekommen. Von seinem neuen Bekannten Tom erntete er dafür ein leises Lachen.
„Du bist ziemlich direkt“, murmelte Erik, nachdem er endlich wieder normal atmen konnte.
Diesmal zuckte Tom mit den Schultern und grinste breit, während er den Rest des Bieres herunterschüttete. „Bin gerade erst hergezogen und kenne hier niemanden.“
Erik schwieg, konnte allerdings nicht verhindern, dass sein Blick ein weiteres Mal über Toms Körper glitt. Definitiv sein Beuteschema. Nicht, dass er schon öfters ‚Beute‘ gemacht hätte. Zwar war Tom kein Unterwäschemodel, aber unansehnlich war der Kerl nun wirklich nicht gerade.
„Muss ich noch deutlicher werden oder wen anders fragen?“, rief Tom sich mit einem kurzen Seufzen wieder in Erinnerung.
„Bin nicht gerade drauf aus, jemanden ‚kennenzulernen‘“, murmelte Erik, konnte seinen Blick aber nicht wirklich von Tom abwenden.
„Ich hab nicht um deine Hand anhalten wollen. Da sind andere Körperteile vermutlich interessanter.“
Okay, irgendwie war der Kerl sympathisch, vor allem diese direkte Art und Weise. Das Ziehen in Eriks Schritt verstärkte sich weiter. Nicht mehr lange und er würde hier nicht nur mit einem halbsteifen Schwanz stehen, sondern mit einer unübersehbaren Latte.
Scheiß drauf, das er bisher nur mit Typen geschlafen hatte, die er kannte. Immerhin wusste er von diesem Tom den Vornamen. Damit waren sie doch quasi schon auf dem Weg beste Freunde zu werden. Oder auch nicht. Wen scherte das?
‚Ein One-Night-Stand?‘, fragte Erik sich selbst.
Es hatte mehrere Treffen, eine heftige Knutscherei und reichlich Rumgefummel in diversen dunklen Klubecken benötigt, bevor Erik mit Dominik ins Bett gestiegen war. Und das hatte sicherlich nicht an dem aufreizenden Tänzer gelegen. Entsprechend unsicher war Erik, ob er das hier wirklich wollte. Andererseits bestand sein Schwanz ziemlich deutlich darauf, dass er da reichlich Interesse dran hätte.
‚Scheiß drauf! Für Sex braucht’s keine Gefühle.‘
War ja schließlich auch nicht so, als ob Erik befürchten müsste, dass Tom ihn demnächst aus den Socken kickte. Was außer beschissen schlechtem Sex konnte Erik hier denn schon passieren? Schlimmer als der Eigenbetrieb der letzten Monate konnte es nun wirklich nicht sein. Trotzdem sollte das eine oder andere Detail vorab vielleicht geklärt werden.
„Was genau würdest du denn sonst gern von mir wollen?“, fragte Erik und nahm nun seinerseits einen größeren Schluck aus dem Glas.
Wenn er mit Tom verschwinden wollte, dann sollte sich dieses Vorspiel irgendwo anders hin verlagern. Dessen Blick wanderte kurz über Eriks Körper und verharrte eine Sekunde länger auf dem Schritt, als auf dem Rest. Erneut rutschte Erik nervös auf dem Stuhl herum, um zu verstecken, dass sich in der Region, die Tom da gerade so vehement musterte, stetig mehr Interesse zeigte.
Natürlich entging dem Kerl nicht, wie das zufriedene Grinsen bewies: „Also ich denke an dem, was sich da in deiner Hose regt, hätte ich wohl am meisten Interesse. Aber so lange es deutlich weniger Klamotten und dafür mehr Körperkontakt als jetzt beinhaltet, lasse ich über andere Dinge durchaus mit mir reden.“
Erik schüttete den Rest des Biers runter und schob das Glas demonstrativ über den Tresen. Scheiß auf Gefühle. Sex ohne Verpflichtung. So machten es doch die meisten Typen hier. Zeit, endlich kein unsicheres Kind mehr zu sein.
„Okay, lass uns gehen“, entschied Erik schließlich.
Mit einem zufriedenen Lächeln trank auch Tom sein Bier aus und kurz darauf verließen sie gemeinsam die kleine Kneipe. Draußen atmete Erik tief durch. Die Aussicht darauf endlich wieder andere Hände als die eigenen an seinem Schwanz zu spüren, ließ diesen in freudiger Erwartung geradezu zucken.
„Ich wohne zwei Straßen weiter dort lang“, erklärte Tom und deutete mit der rechten Hand zur nächsten Hausecke.
Einen Moment überlegte Erik. In seine eigene Wohnung wollte er ganz sicher nicht irgendeinen Kerl abschleppen. Zwar war seine Mutter nicht daheim, aber Eriks ehemaligen Kinderzimmer war mehr als deutlich anzusehen, dass es eben genau das vor zwei, drei Jahren noch gewesen war.
„Dann los“, antwortete Erik deshalb und wandte sich in die angegebene Richtung. „Wohnst du alleine?“
Tom schüttelte den Kopf. „WG. Aber meine zwei Mitbewohner sind derzeit noch bei ihren Eltern. Die kommen erst, wenn das Semester wieder anfängt.“
„Du bist Student?“
„Ja“, antwortete Tom sofort, holte allerdings nicht weiter aus.
Für einen Moment fragte Erik sich, ob er nachhaken sollte, ließ es aber bleiben. Bei zu vielen Informationen würde es persönlich werden. Genau das wollte Erik ja aber gerade vermeiden. Er war nicht mit Tom mitgekommen, weil er den so unheimlich interessant oder attraktiv fand. Nein, er lief hier mit Tom, da der sich förmlich als Freiwild angeboten hatte. Trotzdem erwartete Erik fast, dass Tom ihn seinerseits ein paar Fragen stellen würde.
Tat der aber nicht.
Und irgendwie fühlte sich das merkwürdig an. Obwohl Erik nicht einmal hätte sagen können, warum. Trotzdem stieg die Nervosität mit jedem Schritt, den sie sich vom Rush-Inn entfernten.
Sie wurde auch nicht besser, als Erik ein paar Minuten später die Wohnungstür von Toms zu Hause durchschritt. Ein kurzer Blick durch den Flur zeigte wenige Details. An den Wänden hingen keine Fotos, Möbel gab es kaum. Ein Schrank sowie ein Regal, in dem sich diverse Schuhe stapelten, war alles, was Erik entdecken konnte. Schon auf den ersten Blick machte er mindestens drei verschiedene Größen aus.
„Wie viele Leute gehen hier denn noch so ein und aus?“, fragte Erik beiläufig nach, während er sich die Schuhe von den Füßen streifte.
Tom grinste über die Schulter hinweg und stopfte die eigenen Sneaker scheinbar wahllos in das Regal hinein. „Als ich unterschrieben hab, waren es zwei andere. Aber da war noch ein viertes Zimmer frei. Ich nehme an, dass es inzwischen auch vermietet ist.“
Schweigend nickte Erik. Es fühlte sich zunehmend merkwürdig an hier zu stehen. „Und die anderen sind alle weg?“
Erik hatte so überhaupt kein Bedürfnis danach, dass jederzeit jemand hereinplatzen konnte. Dominik hatte alleine gewohnt, da waren sie eigentlich immer ungestört gewesen. Die Typen, mit denen Erik vor Domi was gehabt hatte, waren eher auf dem Niveau von Rumfummeln und Experimentieren am Badesee gewesen.
„Mein Zimmer ist da am Ende vom Flur links. Ein Wohnzimmer gibt es nicht. Das Bad ist hinter der blauen Tür da drüben.“
Erik schob die Hände in die Hosentaschen und versuchte, möglichst souverän rüberzukommen, als er langsam durch den Flur in Richtung des Zimmers schlenderte, das Tom als ‚seines‘ bezeichnet hatte. Tatsächlich schlug ihm das Herz bis zum Hals und Erik war sich immer weniger sicher, warum. Die freudige Erwartung darauf, endlich wieder mit einem Mann zu schlafen, oder doch die Nervosität, weil Erik bisher noch nie einfach mit einem Typen, den er nicht kannte, mitgegangen war? Scheiße, er wusste nicht einmal, wie dieser Tom mit Nachnamen hieß.
„Hast du was zu trinken?“, murmelte Erik. Hoffentlich war das Zittern in seiner Stimme für Tom nicht so deutlich zu hören, wie für ihn selbst.
„Ich hab ein paar Bier im Kühlschrank. Mit härteren Sachen kann ich nicht dienen. Ist nicht mein Stil.“
Erik nickte. „Meiner auch nicht.“
Das Grinsen auf Toms Gesicht war ‚nett‘. Nicht unbedingt beruhigend, aber ebenso wenig unfreundlich. Als sich Tom umdrehte und durch eine weitere, bisher nicht näher bezeichnete Tür aus dem Flur verschwand, konnte Erik zum ersten Mal einen richtigen Blick auf dessen Rückseite werfen.
‚Echt netter Hintern‘, zuckte es sofort durch Eriks Kopf. Die Augen wanderten höher zu den schwarzen Haaren, die zwar vorn so akkurat zum Scheitel gekämmt, im Nacken aber reichlich durcheinander abstanden. Erik zuckte zusammen und sah schnell weg, als sich das Bild vor seinem Auge verschob und plötzlich durch ein anderes, fast gleiches ersetzt wurde.
‚Das Bild, wegen dem du den Kerl überhaupt angesprochen hast.‘
Schnell schüttelte Erik den Kopf. Er war hier um diese ganze Scheiße in der Schule zu vergessen. Das letzte, was er brauchen konnte, war, dass vor seinem geistigen Auge Toms Hintern mit Bergers ersetzt wurde. Zumal er mit dem Arschloch von Lehrer ganz sicher nicht mitgegangen wäre! So geil konnte ein Hinterteil gar nicht sein, dass er diesen Mistkerl dran erträglich machen konnte.
„Hier“, sagte Tom, sobald er zurück war, und reichte Erik eine bereits geöffnete Flasche. „Willst du eigentlich im Flur stehen bleiben?“
Wieder dieses Grinsen und irgendwie hatte es was. ‚Spitzbübisch‘ womöglich, aber Erik war sich nicht sicher, ob es das tatsächlich benannte. Auch wenn er bis vor einem Jahr deutlich mehr gelesen hatte, tat Erik sich schwer die richtigen Worte zu finden. Jedenfalls sobald es darum ging genau diejenigen zu wählen, die andere hören wollten. Das würde womöglich erklären, warum Erik trotz seiner Lesebegeisterung mit seinem Deutschlehrer solche Probleme hatte.
‚Schon wieder dieses Arschloch!‘, dachte Erik bei sich und versuchte, den Gedanken an Berger endgültig beiseitezuschieben.
Er war wegen Tom hier und der machte einen netten Eindruck. Wenn Erik selbst nicht endlich aufhörte, diesen Mann mit dem Mistkerl aus der Schule zu vergleichen, würde er heute keinen mehr hochbekommen. Das zunehmende Ziehen in seinen Eiern ließ bisher allerdings noch auf einen wesentlich positiveren Ausgang des Abends hoffen.
Ohne eine Antwort wandte Erik sich um und stapfte in Richtung der hinteren linken Tür. Tom hatte ja gesagt, dort wäre sein Zimmer. Mal sehen, wie ein Student hauste. Schließlich bestand ja die Chance darauf, dass Erik nächstes Jahr ebenso an der Uni eingeschrieben wäre. Zumindest falls er die kommenden Monate mit Berger überstand und sich endlich für etwas entschied, was er danach machen wollte.
„Was studierst du denn?“, fragte Erik schließlich, als er die Tür öffnete und neugierig nach dem Lichtschalter tastete.
„Biotechnologie.“
Das Bild, das sich Erik bot, kaum dass die etwas zu hell erscheinende LED angesprungen war, wirkte ernüchternd. Wobei er nicht sicher war, was er überhaupt erwartet hatte.
Die einzigen Vergleiche, die er hatte, waren die Kinderzimmer seiner früheren Kumpel, die Wohnung seiner Mutter und die kleine Einraumwohnung, in der Dominik sich eingerichtet hatte. Im Gegensatz zu dem Schnickschnack, der dort überall herumgestanden hatte, wirkte Toms Zimmer geradezu steril. Linkerhand ein kleiner, zweitüriger Kleiderschrank, daneben ein Bücherregal. Geradeaus unter dem Fenster ein Schreibtisch, auf dem ein Laptop samt zusätzlichem Monitor und kleinem Drucker thronte. An der rechten Wand stand ein Bett. Immerhin war das deutlich breiter als das Einzelbett in Eriks Zimmer.
„Nett ...“, murmelte er, brachte endlich sogar mal ein Lächeln heraus.
„Ich weiß, ist nicht sonderlich luxuriös, aber ich brauche nicht viel“, antwortete Tom mit einem Lachen, während er sich an Erik vorbei ins Zimmer drängelte und auf dem Bett Platz nahm. „Im Grunde wohne ich auch erst seit einer Woche hier. Mal sehen, wie lange es so ordentlich bleibt.“
Toms Augen blitzten Erik förmlich an. Sofort wandte dieser sich ab. Um die aufsteigende Unsicherheit zu überspielen, nahm Erik einen kräftigen Schluck aus der Flasche. Mit dem Fuß schob er die Tür hinter sich zu. Tom hatte gesagt, dass der Rest der Bewohner, nicht da wäre. Trotzdem hatte Erik keine Lust von irgendjemandem hier mit heruntergelassener Hose erwischt zu werden.
„Machst du das öfters, Tom?“
Erik hatte keine Ahnung, warum er so viele Fragen stellte. Reden war eigentlich nicht seine Stärke, im Moment erschien es aber einfacher, als Tom ins Gesicht zu sehen. Die Ungewissheit, was von ihm erwartet wurde, drückte Erik unangenehm auf die Brust. Dabei war doch völlig klar, weshalb sie hier waren. Tom hatte dahingehend ja kein Blatt vor den Mund genommen. Und die Art und Weise, wie der Kerl gerade ausgesprochen bereitwillig seinen Schritt präsentierte, zeigte Erik noch einmal, dass es einen Plan für diesen Abend gab.
„Was genau meinst du? Jemanden in einer Bar abschleppen?“
Erik nickte und erntete dafür ein kurzes Lachen.
„Nee, aber ich bin wie gesagt erst eine Woche hier und irgendwie muss man ja Leute kennenlernen.“
Erik schnaubte leise und nahm einen weiteren Schluck, um nicht so naiv und dumm zu wirken, wie er sich gerade fühlte.
„Komische Art, andere kennenzulernen“, murmelte Erik verhalten.
Wieder dieses Grinsen, das ihn stetig mehr in den Bann zu ziehen schien. Es war kein freundliches Lächeln, aber eben auch nicht fies und gemein. Weder sonderlich wohlgesonnen noch hinterhältig. Erik ließ seinen Blick für einen Sekundenbruchteil weiter nach oben wandern. Das Licht in diesem Zimmer war beschissen, Tom brauchte definitiv eine bessere Lampe, wenn er hier wirklich lernen wollte. Aber Erik stand nah genug vor Tom, um trotz der miesen Beleuchtung zu erkennen, dass die Augen immer noch das falsche Grün hatten. Hastig nahm Erik einen Schluck aus der inzwischen fast leeren Flasche.
„Ich finde, man kann recht viel über jemanden erfahren, wenn er erst einmal seine Klamotten losgeworden ist“, meinte Tom plötzlich und stand auf.
Mit einer gewissen Faszination beobachtete Erik, wie sein Gastgeber sich langsam den Pullover über den Kopf zog und ihn kurz darauf in Richtung des Bürostuhls am Schreibtisch warf. Aus dem Augenwinkel bemerkte Erik, dass Tom nicht traf und das Kleidungsstück stattdessen neben dem Stuhl auf dem Boden landete. Deutlich interessanter waren die klaren Linien der Brustmuskulatur, die sich ihm nun offenbarten. Ein dunkles Muster an Haaren, die sich vor allem auf dem Brustbein sammelten und sich in einem immer dünner werdenden Streifen nach unten verjüngten, bis sie im Hosenbund verschwanden.
„Also ...? Wieso sehen wir nicht endlich, was ich über dich so alles heute erfahren kann, Erik?“