28 – Ziele und Vorschläge
Es war erstaunlich, wie schnell ein Monat vergehen konnte, wenn man beschäftigt war. Und genau das konnte Erik von sich mehr als sicher behaupten. Neben der Schule arbeitete er nur noch ab und zu dienstags am Nachmittag bei Herrn Ceylan.
Die Arbeit dort brachte deutlich weniger als die im Rush-Inn. Deshalb beschränkte Erik sich – um seine Schulaufgaben nicht allzu sehr zu vernachlässigen – auf maximal einen Tag die Woche. Wobei er Herrn Ceylan an einem dieser Nachmittage bereits gesagt hatte, dass er langfristig den Job in dessen Laden aufgeben würde.
Die Freitagabende war Erik bei Alex – hinter der Bar. Und zwei der Samstage gingen ebenfalls für die Arbeit im Rush-Inn drauf. Da seine Mutter nur eine Woche im Januar zur Nachtschicht gewesen war, fielen die Treffen mit Tom entsprechend spärlich aus. Vermutlich war das der Grund, weshalb ebendieser im Augenblick verdrossen an der Bar im Rush-Inn saß und auf Eriks Schichtende wartete.
„Warum so grimmig?“, fragte Erik mit einem Grinsen im Gesicht.
„Das weißt du genau“, grummelte Tom schlecht gelaunt zurück.
„Ach komm schon, die Schicht geht nur noch ein paar Minuten. Stell dir einfach vor, wir wären wie immer hier zum Trinken.“
Tom seufzte und trank das Bier aus. „Es ist nicht das Gleiche, wenn du hinter der Bar stehst.“
„Wegen Alexanders Regeln?“, schoss Erik feixend mit einem Grinsen auf den Lippen zurück. „Die gelten nur für Singles.“
Tom verzog den Mund, grummelte etwas Unverständliches, antwortete jedoch nicht wirklich. Das brachte Erik nicht das erhoffte Flattern im Bauch. Eben dieses Kribbeln und die zerplatzenden Seifenblasen, das er in letzter Zeit zu oft bei seinen Treffen mit Tom vermisste. Und dafür viel zu oft tagsüber verspürte.
Was diese ominöse ‚Beziehung‘ anging, in der sich Erik immer öfter gern mit Tom gesehen hätte, waren sie in den letzten Wochen seit Neujahr nicht vorangekommen. Jedenfalls nicht in einer Art und Weise, wie Erik es gern gehabt hätte. Jedes Mal, wenn er dazu ansetzte, das Thema noch einmal zur Sprache zu bringen, landete er auf Toms Bett und hatte kurz darauf keine Klamotten mehr an.
„Wie lange dauert es noch, Erik?“
Das flaue Gefühl im Bauch wurde stärker, schmerzhaft, bis es kurz davor stand zu viel zu werden. Trotzdem rang Erik sich ein Lächeln ab.
„Wenn du dich langweilst, geh doch schon einmal heim. Ich komme, sobald ich hier fertig bin.“
Beinahe rechnete Erik damit, dass Tom ihm sagte, er bräuchte gar nicht mehr bei ihm auftauchen. Auch das war in den letzten Wochen eine zunehmend öfter auftretende Befürchtung geworden. Obwohl sie sich bisher nie bewahrheitet hatte. Die einzige Möglichkeit, die Erik sah, diesem Kreis zu entkommen wäre jedoch, den Job bei Alex aufzugeben.
‚Kommt nicht infrage‘, sagte er sich selbst. ‚So einfach wie hier kann man die Kohle für die Abschlussfahrt nirgendwo sonst verdienen.‘
Das war in der Tat der Hauptgrund, warum Erik weiter im Rush-Inn hinter der Theke stand. Denn für die angestrebte Beziehung zu Tom schien dieser Job ein stetig größer werdendes Hindernis zu sein.
Seufzend zog ebender einen fünf Euroschein aus der Tasche und legte ihn vor Erik auf den Tresen: „Bis nachher.“
„Klar“, murmelte er und ging zur Kasse, um Tom das Wechselgeld herauszugeben.
„Behalt den Rest. Vielleicht hilft’s ja, dass du nicht jedes Wochenende hier rumhängst.“
Wie erstarrt hielt Erik inne und sah Tom verstohlen hinterher, während der mit den Händen in den Hosentaschen die Bar verließ. So ging das nicht weiter. Wenn Erik nicht riskieren wollte, Tom zu verlieren, würde er irgendetwas ändern müssen.
„Ärger im Paradies?“, fragte plötzlich eine lachende Stimme neben Erik. Als er selbst das Gesicht verzog, wurde das Lachen lauter und eine gut gemeinte Hand legte sich für einen Moment auf seine Schulter. „Ist bestimmt nur der Neujahrsblues.“
„Ich weiß nicht, Benny ...“, murmelte Erik verhalten, während er erneut zur Tür sah. Tom war längst verschwunden.
„Hey, ich kenne das“, winkte Benny gut gelaunt ab. „Am Anfang des Jahres, da überlegen sie sich alle, was sie ändern wollen. Neuer Kerl, neues Glück. Und manchmal hat man Glück, der neue Kerl zu sein.“
Da musste Erik grinsen, obwohl ihm die Vorstellung, dass Tom sich einen ‚Neuen‘ suchte, nicht behagen konnte. „Er ist sauer, weil ich mindestens einmal die Woche hier stehe, anstatt mit ihm auf der anderen Seite zu sitzen.“
Da gerade nicht viel los war, lehnte Benny sich an den Tresen neben der Kasse und sah Erik so eindringlich an, dass der den Kopf senkte und zur Seite blickte. „Versteh das Problem nicht“, meinte Benny nach kurzer Überlegung stirnrunzelnd.
Mit einem schiefen Grinsen antwortete Erik: „Ja, das geht mir leider genauso.“
✑
Als Erik die Tür zur Wohnung seiner Mutter aufschloss, begann der neue Tag bereits zu dämmern. Noch vor ein paar Wochen hätte er versucht, sich hereinzuschleichen – oder wäre gar nicht erst so lange ausgeblieben. Aber inzwischen hatte Erik seiner Mutter erzählt, dass er im Rush-Inn arbeitete, um das Geld für die Klassenfahrt zusammen zu bekommen.
„Erik?“, flüsterte plötzlich eine ängstliche Stimme aus Richtung Schlafzimmer.
Verwundert sah er von den Schuhen auf, die Erik soeben ausgezogen hatte. Was machte seine Mutter den um die Zeit auf den Beinen? Soweit er sich erinnerte, war sie gestern von einer Spätschicht nach Hause gekommen. Deshalb hatte er angenommen, dass sie schlafen würde.
„Ja, Ma?“, fragte Erik seinerseits besorgt zurück. „Alles okay bei dir?“
„Himmel, Junge, hast du mich erschreckt“, rief seine Mutter erleichtert, während sie die Schlafzimmertür aufschloss und in den Flur trat. „Es ist mitten in der Nacht. Warst du etwa bis jetzt auf Arbeit?“
Erik lächelte in dem zaghaften Versuch, sie damit zu beruhigen. In den letzten Wochen hatte sich das als durchaus gute Taktik herausgestellt. Vielleicht war das ja ebenso der Grund, warum das Geständnis darüber, dass er mindestens einmal die Woche an Freitagen oder Samstagen im Rush-Inn arbeiten würde, nicht sonderlich negativ angekommen worden war.
Der spontane Gedanke, dass Berger mit dem Rat darüber, sein eigenes Verhalten anderen gegenüber zu überdenken dafür verantwortlich war, wurde von Erik wie immer recht schnell verdrängt.
„Ich war noch bei einem Freund. Es ist spät geworden und ich hab ein paar Stunden dort gepennt. Geh wieder ins Bett Ma. Es ist alles in Ordnung wir können nachher reden. Ich hab was zum Frühstück mitgebracht.“
Schlagartig zeigte sich auf ihren Lippen ein Lächeln und sie nickte. Wirklich sicher, dass es funktioniert hatte, war Erik sich erst, als sie zufrieden in ihrem Zimmer verschwand, um sich noch ein paar Stunden zu erholen.
Erik schlurfte derweil, nachdem er die Papiertüte vom Bahnhofsbäcker in der Küche verstaut hatte in sein eigenes Zimmer und ließ sich aufs Bett fallen. Das frühe Aufstehen nach der Schicht bei Alex hätte er gern vermieden, aber nachdem Erik ohne Decke und mit schnarchendem Tom im Rücken aufgewacht war, hatte er nicht mehr einschlafen können. Und bis sich die Schnarchnase bequemte aufzustehen, würden ohnehin noch ein paar Stunden vergehen.
‚Zumal ihr ja eh nie etwas unternehmt.‘
Der Stich in Eriks Magen war schmerzhaft genug, dass er den Mund verzog und sich auf die Seite drehte. Irgendwie funktionierte das mit der Beziehung weiterhin nicht. Und allmählich gingen Erik die Ideen aus, was er tun sollte, um das zu ändern. Wie oft hatte er Tom in den letzten Wochen gefragt, ob sie ‚etwas unternehmen‘ wollten? Alles, was zurückkam, war Kino oder ein Abend im Rush-Inn. Allerdings musste Erik zugeben, dass es ihm selbst ebenso an Ideen mangelte, was sie denn gemeinsam machen könnten. Also abgesehen von genau diesen drei Sachen: Kino, etwas Trinken und Sex.
Müde strich Erik sich über die Augen. Das konnte doch nicht so schwer sein. Selbst ein Idiot wie Sandro bekam es auf die Reihe, eine Beziehung mit jemandem zu führen. Wobei Erik nicht sicher war, wie viel bei dem Trottel von Ines ausging.
‚Von Tom geht jedenfalls nicht wirklich etwas aus.‘ Betreten sank Erik weiter in sich zusammen. ‚Irgendetwas machst du falsch.‘
Leider hatte er keine Ahnung, was das war. Und so kreisten Eriks Gedanken wie üblich immer weiter, bis sie sich im Nebel verfingen und er allmählich doch noch einmal eindämmerte.
Entsprechend ruckartig wachte Erik Stunden später auf und blinzelte irritiert. Es dauerte ein paar Sekunden, bis Erik verstand, dass er zu Hause in seinem eigenen Bett lag, anstatt bei Tom in dessen WG-Zimmer. Seufzend drehte er sich auf den Rücken und starrte an die Decke. Ein Klopfen an der Tür ließ ihn prompt den Kopf zur Seite drehen. Das auf Sparflamme arbeitendes Hirn brauchte weitere wertvolle Sekunden, bis Erik begriff, dass ein eben solches Klopfen ihn aus dem Schlummer gerissen haben musste.
„Erik?“, fragte in diesem Moment seine Mutter, eine Spur Besorgnis in der Stimme. „Schläfst du immer noch?“
Irritiert zog er das Handy aus der Hosentasche und stellte kurz darauf überrascht fest, dass schon fast zwölf war. Hatte er ernsthaft derart lange geschlafen? Das war doch sonst nicht seine Art.
„Erik?“, fragte es noch einmal.
„Ja. Bin wach!“, rief er hastig zurück und rappelte sich auf.
„Kommst du zum Essen?“
Erik fühlte sich erschlagen und rieb sich über die Stirn, während er eilig seiner Mutter versicherte, dass er ‚gleich‘ da sein würde. Wo kam denn diese Abgeschlagenheit auf einmal her? Das kannte Erik von sich sonst überhaupt nicht. Er war immer ein Morgenmensch gewesen. Und als er bei Tom aufgebrochen war, hatte Erik sich nicht müde gefühlt. Allerdings hatte er heute noch keinen Kaffee gehabt. Vielleicht waren die letzten Wochen zwischen Schule, der Arbeit bei Herrn Ceylan, Alex und Tom dann doch etwas zu viel geworden.
‚Nicht jammern‘, ermahnte Erik sich sofort.
Schließlich hatte er das eine oder andere Ziel, was er erreichen wollte. Angefangen mit dem Abitur, über die Teilnahme an der Abschlussfahrt bis hin dazu, dass Erik weiterhin hoffte, diese Beziehung zu Tom irgendwie auf die Reihe zu bekommen.
Also raffte er sich erneut auf und schlurfte in die Küche. Dankenswerterweise stellte seine Mutter ihm quasi umgehend eine Tasse Kaffee vor die Nase, die Erik mit einem gemurmelten „Danke“, auch sofort entgegennahm.
„Du siehst müde aus“, bemerkte seine Mutter, nachdem er die halbe Tasse intus hatte. Die Besorgnis war selbst für Erik deutlich herauszuhören.
„War eine lange Woche“, murmelte er ausweichend.
„Vielleicht war das mit dem Job in dieser Bar doch keine gute Idee, Erik.“
Schlagartig deutlich wacher, schnellte er hoch. Müde versuchte Erik, sich zu orientieren, bevor er es wagte, wenigstens in die Richtung seiner Mutter zu schauen. Ihr wirklich ins Gesicht zu sehen, gelang Erik allerdings wie immer nicht. Verzweifelt auf der Suche nach einem Punkt, den er fixieren konnte, ohne dabei dem stechenden Blick seiner Mutter begegnen zu müssen, zuckten Eriks Augen hin und her.
„Mir macht die Arbeit Spaß, Ma. Und ich kann dort gut verdienen.“ Erik musste nicht einmal direkt hinsehen, um zu bemerkten, wie sie ihre Stirn sich in Falten zog. Das Argument war nicht gut genug. Er brauchte etwas anderes. „Woanders müsste ich deutlich mehr Zeit investieren, die mir dann für die Schule fehlt. Ist nicht mehr lange bis zu den Prüfungen.“
Das hatte offenbar die richtige Stelle getroffen, denn Eriks Mutter seufzte und nickte langsam. „Ja, das verstehe ich schon. Aber ...“
Es reichte nicht. Diese Diskussion durfte gar nicht erst aufkommen! „Du kannst es mir nicht verbieten“, sagte Erik ruhig und erntete dafür prompt einen bösen Blick.
Ihre Antwort war deutlich kühler, allerdings ebenso beherrscht wie seine: „Ich weiß. Aber gut finde ich es trotzdem nicht.“
„Es ist nur temporär.“
Als sie seufzend aufstand und den Brotkorb samt Eriks Einkauf von letzter Nacht auf den Tisch stellte, wähnte er sich bereits in Sicherheit. Tatsächlich schwieg seine Mutter weiterhin, während sie beide sich ein reichlich verspätetes Frühstück gönnten. Erik war eben fertig geworden, als es mit der Ruhe schlagartig vorbei war.
„Willst du nach der Schule so weitermachen?“, fragte seine Mutter leise.
„Was meinst du?“
Einen Augenblick lang schwieg sie, bevor sie seufzend den Kopf schüttelte. „Was willst du denn nun nach dem Abschluss machen, Erik? Studieren? Ausbildung? Hast du endlich eine Bewerbung geschrieben für einen Ausbildungsplatz?“
Erik lehnte sich zurück und überlegte einen Augenblick. Er war sich weiterhin nicht schlüssig, in welche Richtung es gehen sollte. Das Einzige, wobei er sich sicher war, stellte wohl die Tatsache dar, dass Erik seiner Mutter nach dem Abi nicht mehr auf der Tasche liegen wollte. Also kam nur etwas infrage, wo er genug Geld verdienen oder irgendwelche Gelder wie Bafög beantragen konnte.
„Ich weiß nicht genau“, antwortete Erik ausweichend.
Offenbar wiederum die falsche Antwort, denn ein weiteres Mal schüttelte seine Mutter den Kopf und verzog den Mund. „Es sind nur noch ein paar Monate. Wenn du eine Ausbildung machen willst, musst du endlich mal Bewerbungen losschicken. Bist wahrscheinlich eher zu spät dran inzwischen. Und je nachdem, was du studieren willst, brauchst du vielleicht bestimmte Voraussetzungen, Praktika. Ich weiß doch auch nicht.“
Er schluckte. Erik wusste selbst, dass er in der Hinsicht in die Gänge kommen sollte. Aber wenn er ehrlich war, hatte Erik nun einmal keinen Plan, was er machen könnte. Und irgendetwas anzufangen, nur um der Sache willen, war ihm gelinde gesagt zuwider.
„Vielleicht brauche ich einfach noch etwas Zeit. Ich könnte nach der Schule erst einmal ein Jahr arbeiten und sehen, was ich machen will“, gab Erik verhalten zurück.
„Du hattest die ganzen letzten Jahre, um dir zu überlegen, was du machen willst, Erik!“
Allmählich nervte es. Warum kam sie gerade heute damit? Für diese Art von Diskussion fehlte Erik im Augenblick jeder Nerv – vor allem aber das Interesse. So lange er den Abschluss nicht hatte, war das doch eh egal.
„Machst du dein Abi um danach in irgendeiner Bar Bier auszuschenken? Ist das alles, was du erreichen willst?“
Wütend sprang Erik auf. „Was soll das, Ma? Ich hab doch gesagt, ich überleg mir was!“, fauchte er angepisst zurück. „Früher hat man noch Wehrdienst oder Zivildienst gemacht. Da musste man auch nicht direkt nach dem Abi gleich wissen, was man will. Keine Sorge, du wirst mich schon noch früh genug los.“
„Nein, ich meinte doch nicht ...“, setzte sie an.
Die Wut kochte in Erik. Er musste die Zähne zusammenbeißen. Seine Hände waren an seiner Seite bereits zu Fäusten geballt. Nicht, weil er damit zuschlagen wollte, sondern, weil der Schmerz, mit dem sich die Fingernägel in seine Handfläche bohrten, von dem Brennen in seiner Brust ablenkte. Um nicht doch etwas zu sagen, das er bereuen würde, stapfte Erik zurück in sein Zimmer. Knallend fiel die Tür ins Schloss, während er sich auf den Stuhl am Schreibtisch fallen ließ.
Erik war klar, dass seine Mutter nicht unrecht hatte. Aber er hatte diese beschissenen Tests beim Arbeitsamt inzwischen fünf Mal gemacht und abgesehen davon, dass bei jedem Versuch etwas anderes dabei herausgekommen war, fühlte sich keines der Ergebnisse ‚richtig‘ an.
Er verspürte nicht das geringste Bedürfnis in irgendeinem Großraumbüro als Informatiker zu enden. Mathematik fand er zwar faszinierend und Geometrie ganz besonders, aber welcher Architekt konnte sich denn wirklich mit eigenen, individuellen Projekten brüsten? Die meisten verendeten als Blaupausenkopierer des nächsten 0815 Einfamilienhäuschen. Und davon, dass ihm sein letzter Versuch vor zwei Wochen das absolut lächerliche Ergebnis ‚Lehrer‘ ausgespuckt hatte, wollte Erik gar nicht erst anfangen.
Es klopfte und da sie hier nur zu zweit wohnten, war klar, wer da vor der Tür stand. „Was ist?“, rief Erik gereizt über die Schulter.
Seine Mutter öffnete langsam und zögerlich die Tür. „Ich will dich doch nicht loswerden“, erklärte sie flüsternd.
„Schon klar“, knurrte er um Beherrschung bemüht zurück.
„Du bis ein kluger Junge, Erik und ich möchte nicht, dass du dein Potenzial in einer Bar verschwendest. Dafür hast du nicht so lange bis zum Abi durchgehalten.“
Erik nickte, drehte sich allerdings nicht um. Natürlich hatte sie recht, dass er die Jahre nicht in die blöde Schule investiert hatte, um dann in einem Job zu enden, den er auch mit einem Zehnteklasseabschluss hätte machen können. Das änderte nichts daran, dass Erik keine Ahnung hatte, wo er seine Zukunft sah. Und das nicht nur in beruflicher Hinsicht.
‚Mit Tom sieht es nicht viel anders aus.‘
„Ich verdiene bei Alex deutlich mehr als bei Herrn Ceylan“, antwortete Erik irgendwann lapidar, weil das weiterhin das beste Argument war, das er zu bieten hatte.
„Darum geht es nicht, Erik“, setzte seine Mutter erneut an.
„Doch, genau darum geht es, Ma!“, fuhr Erik laut dazwischen und sah sie wütend an. Als er ihren erschrockenen, geradezu ängstlichen Ausdruck sah, zuckte Erik zurück. „Tut mir leid“, murmelte er hastig. „Ich wollte nicht ...“
„Du hast recht“, meinte sie schließlich. „Ich kann es dir nicht verbieten.“
„Ma ...“
„Ich möchte nur nicht, dass ... du dich unter Wert verkaufst.“
Wieder musste Erik schlucken und nickte. „Das mache ich nicht.“
„Du kannst so viel mehr als Bier ausschenken.“
Er verdrehte die Augen. Schließlich hatte er nicht vor ewig bei Alex zu arbeiten. Zumal der ja nur Aushilfen anstellte. Aber bis Erik wusste, was er mit seinem Leben anfangen wollte, wäre das zumindest eine Möglichkeit, relativ unkompliziert Geld zu verdienen.
Seine Mutter seufzte. „Verstehst du mich wenigstens ein bisschen, Junge?“
„Ja, Mama“, gab er emotionslos zurück.
Die schmal aufeinandergepressten Lippen sahen aus, als wäre sie noch immer unzufrieden mit der Antwort. Trotzdem hakte sie nicht weiter nach. Nicht zum ersten Mal fragte Erik sich, ob sie ihn in Wahrheit längst aufgegeben hatte.
„Du musst zum Dienst“, murmelte er stattdessen.
„Bist du heute wieder dort?“
„Es ist Sonntag. Ich hab dir doch erklärt, dass Alex mich nur freitags und Samstag arbeiten lässt.“
Dass er sich mit Tom trotzdem im Rush-Inn treffen würde, verschwieg Erik. Zwar konnte sie ihm genauso wenig verbieten, dass er ausging, wie sie ihn davon abhalten konnte, bei Alexander zu arbeiten, aber die zusätzliche Provokation musste trotzdem nicht sein. Als seine Mutter knapp nickte, war Erik sich sicher, dass sie etwas erwidern wollte. Aber sie tat es nicht, schwieg stattdessen weiter.
Weil manchmal nichts zu sagen nicht nur besser, sondern auch einfacher war. Das hatte Erik schon früh von ihr gelernt.