Mit diesem Kapitel geht SUNSET CITY in die zweite und letzte Runde.
Teil 1 sollte man gelesen haben, denn Teil 2 schließt unmittelbar daran an.
Und nun viel Spaß!
❤
Kapitel 43 - Blumen aufs Grab
Dean saß allein im OCEANS, schrieb die Abrechnung und sah die Bestellungen für das Wochenende durch. Für gewöhnlich nutzte er sein komfortables Büro oben über der Bar für diese Tätigkeit, aber heute hatte er es vorgezogen, sich wie ein Gast an einen der Tische zu setzen.
Vor ihm stand ein Glas mit Wein und daneben brannte eine Kerze, als hätte er etwas zu feiern. In gewissem Sinne war es auch so.
Er feierte heute ganz privat und für sich allein seinen Abschied vom OCEANS.
Matts und Danielles Verlobungsparty morgen Abend würde die letzte Feier sein, die er als Besitzer dieser Bar erleben durfte.
Anfang nächster Woche war der Zahlungstermin fällig, den Edward Hamilton ihm gesetzt hatte, um ihm Chelseas Anteil zurückzuzahlen, doch die Banken weigerten sich, Dean einen Kredit zu geben, da ihm angeblich die nötigen Sicherheiten fehlten.
Leihen wollte er sich nichts, dazu war er einfach zu stolz. Lieber würde er den Laden schließen. Schlimm war nur, dass dann der Weg für Edward frei war, das OCEANS zu erwerben, denn für ihn spielte Geld bekanntlich keine Rolle. Er würde wieder einmal bekommen, was er wollte, und für den Verlierer hätte er nicht ein müdes Lächeln übrig.
Das wollte Dean sich nicht antun. Er würde gehen, weg von hier, weg aus Sunset City. Aber schon allein der Gedanke daran tat ihm weh.
Seufzend wandte er sich wieder seiner Abrechnung zu, als es draußen an der Eingangstür klopfte.
„Wir haben geschlossen!“, rief er missmutig und nahm einen Schluck Wein.
Nachdenklich drehte er das Glas in seinen Fingern und betrachtete eingehend, wie sich das Licht der Kerze in der zart goldschimmernden Flüssigkeit brach. „Auf dich, Chelsea“, murmelte er bitter. „Darauf, dass du es geschafft hast, unseren Traum zu zerstören, bevor er richtig begonnen hatte.“
Es klopfte abermals laut und vernehmlich. Unsanft stellte Dean das Glas auf den Tisch, stand auf und ging die Stufen hinauf zum Eingang.
„Zum Teufel, ich will heute niemanden sehen!“, rief er erbost und riss die Tür auf.
Vor ihm stand Caroline Hamilton.
*
Marina ging schnellen Schrittes die Ocean Avenue hinunter. Vor Matts Haus zögerte sie einen Augenblick und blieb dann stehen. Heute wollte sie ihm endlich sagen, dass sie ein Baby erwartete. Er musste es wissen, sonst wäre am Ende ihr schöner Plan in Gefahr. Sie war gespannt auf seine Reaktion, und zugleich fürchtete sie sich davor. Wie würde er darauf reagieren, wenn sie ihm eröffnete, dass er Vater würde? Für den Mann, den sie von früher kannte, gäbe es in diesem Falle keine Diskussion. Er würde uneingeschränkt zu ihr stehen. Schließlich hatte er sich immer Kinder gewünscht. Aber Matt hatte sich verändert.
Sie selbst hatte ihn verändert, indem sie ihn damals verließ, und nun hatte er sich Danielle zugewandt, seiner neuen Liebe aus Oklahoma.
Eigenartigerweise empfand Marina ihr gegenüber gewisse Skrupel, denn Danielle war keine Person, die man einfach so hassen konnte. Sie war eine liebenswerte, freundliche und sanftmütige junge Frau, und die beiden schienen einander wirklich zu lieben.
Nun würde sie mit ihrer Lüge vielleicht diese Liebe für immer zerstören.
Wollte sie das wirklich?
Marina versuchte vergeblich den Kloß hinunterzuwürgen, der in ihrem Hals festzustecken schien. Sie war normalerweise kein hinterhältiger Mensch, sie hatte nur leider in der Vergangenheit ein paar falsche Entscheidungen getroffen, die ihr Leben in unvorhergesehene Bahnen lenkten. Aber sie liebte Matt noch immer, und sie wollte ihn wiederhaben. Außerdem musste sie an ihre Zukunft denken, und an die des ungeborenen Kindes.
Sie straffte die Schultern und öffnete entschlossen die Gartenpforte. Für gewöhnlich war Matt um diese Zeit zu Hause.
Als sie vor der Haustür stand und anklopfen wollte, spürte sie plötzlich eine Bewegung hinter sich.
„Wohin des Weges?“, fragte eine lauernde Stimme. Erschrocken fuhr Marina herum und sah in Annis drohend funkelnde, grüne Augen.
„Was willst du denn schon wieder?“, fragte sie teils erschrocken, teils verärgert.
„Das selbe könnte ich dich fragen, meine Liebe“ erwiderte Anni mit boshaftem Blick. „Warum schleichst du um Matts Haus?“
„Ich schleiche überhaupt nicht, ich stehe vor der Haustür, wie sich das gehört. Wenn hier einer schleicht, dann bist du das“, entrüstete sich Marina. „Bereits, als ich noch mit Matt verheiratet war, bist du uns ständig auf die Nerven gegangen. Die aufdringliche Nachbarin, die bei jeder Gelegenheit stören musste. Ich merke, es hat sich nichts daran geändert.“
„Oh doch, es hat sich etwas ganz Entscheidendes geändert“, meinte Anni gedehnt und verschränkte siegessicher die Arme vor der Brust. „Du bist nämlich nicht mehr mit ihm verheiratet, und da ich auf sein Haus aufpasse, wenn er nicht da ist, würde ich dir raten, gleich wieder zu verschwinden!“
„Ha!“ Marina lachte verächtlich. „Kleine Anni... werde endlich erwachsen! Wenn ich Matt sprechen will, frage ich dich als Allerletzte um Erlaubnis.“ Damit drehte sie ihrer Rivalin demonstrativ den Rücken zu und klopfte mit Nachdruck an die schwere Eichentür.
„Ich sagte doch bereits, er ist nicht da.“
Obwohl Marina Annis Gesicht in diesem Augenblick nicht sah, konnte sie förmlich deren Grinsen fühlen. Obwohl sie selbst bereits innerlich vor Wut kochte, zwang sie sich zur Ruhe und drehte sich langsam wieder um.
„Und wo ist er?“
Anni grinste unbeirrt weiter.
„Willst du ihm vielleicht sagen, dass du dir einbildest, schwanger zu sein?“
„Ich bin schwanger!“
„Und du meinst, das interessiert ihn?“
„Er ist der Vater.“
„Das musst du erst einmal beweisen.“
„Dir... muss ich gar nichts beweisen. Also noch einmal: Wo ist er?“
„Vielleicht bereitet er ja seine Verlobungsparty mit Danielle vor?“ Mit Genugtuung bemerkte Anni, wie Marina erblasste. „Die beiden heiraten nämlich in Kürze“, fügte sie genüsslich hinzu und lächelte scheinheilig. „Hast du das etwa nicht gewusst?“
Marina starrte Anni an, als käme sie aus einer anderen Welt.
„Nein, das habe ich nicht gewusst“, murmelte sie fassungslos. „Und ich glaube das auch nicht. Du, du willst mir damit doch nur wehtun!“
Anni schnalzte höhnisch mit der Zunge.
„Hör mal, Schätzchen, soviel bist du mir nun auch nicht wert, dass ich für dich irgendwelche Märchen erfinde. Die beiden haben sich vor ein paar Tagen verlobt, auf Matts romantischer Insel“, plauderte sie voller Genugtuung aus. „Du solltest mal Danielles Verlobungsring sehen! Ein wundervolles Stück, das er eigens für sie hat anfertigen lassen. Und am Samstag feiern beide im OCEANS ihre große Verlobungsparty! Marina?“ Mit gespieltem Erstaunen blickte sie Matts Exfrau an. Diese stand einen Augenblick lang unbeweglich da und starrte wortlos vor sich hin.
„Das kann nicht sein“, murmelte sie kaum hörbar. Dann wandte sie sich um und lief wie gehetzt die Straße hinunter, als sei sie auf der Flucht vor irgendetwas.
„Einen schönen Tag noch, meine Liebe!“, rief Anni ihr spöttisch nach und rieb sich zufrieden die Hände. „Diese Runde geht eindeutig an mich.“
Plötzlich fiel ihr etwas ein und sie sah erschrocken auf die Uhr.
„Ach du lieber Himmel, die Vorstandssitzung in der HSE!“ Diese hatte sie im Eifer des Gefechtes vollkommen vergessen. Das würde garantiert Ärger geben! Zumindest mit Edward. „Keine Panik, Anni“, beruhigte sie in Gedanken ihr schlechtes Gewissen, während sie sich eilig auf den Weg in die Firma machte. „Diese Mission hier war eindeutig wichtiger als das blöde Meeting.“
*
„Miss Hamilton? Was tun Sie denn hier? Hat Ihr Vater Sie geschickt, um sich an meinem Untergang zu weiden?“, fragte Dean sarkastisch und musterte Caroline argwöhnisch.
„Mein Vater weiß gar nicht, dass ich hier bin“, erwiderte sie selbstbewusst. „Und wenn, würde das auch nichts ändern. Darf ich hereinkommen?“
Dean hob scheinbar gleichmütig die Schultern, trat wortlos beiseite und ließ sie ein. Caroline blieb auf dem unteren Absatz der Treppe stehen und blickte sich um, als sähe sie alles zum ersten Mal.
„Sie haben viel erreicht, Dean“, meinte sie anerkennend. „Und Sie haben das OCEANS wieder zu dem gemacht, was es früher war.“ Sie wandte sich um und sah ihn mit ihren blauen Augen an. „Als Kind habe ich hinter dieser Bar immer etwas Geheimnisvolles vermutet. In der Tiefe des Ozeans...“ Sie lachte über ihre eigenen Worte. „Können Sie sich vorstellen, dass ich damals wirklich geglaubt habe, die Bar läge unter dem Meer?“
Wider Willen musste Dean schmunzeln.
„Was man als Kind so für Träume hat.“ Er ging an ihr vorbei und blieb dann mitten im Raum stehen, die Hände in den Hosentaschen vergraben. „Ich bin in Dallas aufgewachsen, unter den Cowboys sozusagen, und ich habe als Kind immer davon geträumt, wie es wäre, einen richtigen Saloon zu führen, so wie im Western, mit Revolverhelden, finsteren Typen und wilden Schießereien. Und natürlich einer wunderschönen Sängerin.“ Ihre blauen Augen, die ihn unverwandt anblickten, irritierten ihn. „Tja, in gewissem Sinne habe ich hier meinen Traum verwirklicht, zumindest fast. Aber nun ist er ausgeträumt. Spätestens Ende nächster Woche gehört das OCEANS jemand anderem.“
Caroline hob die Augenbrauen und lächelte geheimnisvoll.
„Da wäre ich mir nicht so sicher.“
„Wie meinen Sie das?“, fragte Dean verwundert.
Caroline sah hinüber zu dem Tisch, auf dem die Kerze flackerte.
„Können wir uns bitte einen Augenblick setzen? Ich verspreche, ich werde Ihre wertvolle Zeit nicht allzu lange in Anspruch nehmen.“
„Natürlich.“ Dean bot ihr einen Platz an und schob schnell seine Unterlagen beiseite. „Möchten Sie vielleicht auch ein Glas Wein?“
Sie blickte überrascht auf, nickte dann aber.
„Gerne.“
Während er ihr vom Tresen ein Glas holte, überlegte er fieberhaft, aus welchem Grund sie wohl hergekommen sein mochte. Ob doch vielleicht ihr Vater die Hände im Spiel hatte?
Nein, eigentlich konnte er sich nicht vorstellen, dass eine junge Frau wie Caroline sich dazu herablassen würde, für ihn zu spionieren. Warum auch? Edward wusste ohnehin ganz genau, dass er den Zahlungstermin nicht einhalten konnte. Die Sache war doch schon so gut wie gelaufen.
Er setzte sich ihr gegenüber an den Tisch und füllte ihr Glas.
„Worauf trinken wir, Miss Hamilton?“, fragte er förmlich.
„Zuerst darauf, dass Sie mich künftig bei meinem Vornamen nennen. Ich lege keinen Wert auf irgendwelche Privilegien in dieser Stadt, nur, weil ich zufällig zum Hamilton- Clan gehöre.“ Sie lächelte, als sie sah, wie auf seinen Wangen die beiden Grübchen erschienen, die sie bereits von dem Augenblick an, als er vor ein paar Tagen so unverhofft in ihrer Penthouse- Suite aufgetaucht war, fasziniert hatten. Er gefiel ihr, und es hatte sie tief beeindruckt, dass er den Mut hatte, ihrem Vater offen die Stirn zu bieten. Feiglinge gab es schließlich schon genug auf dieser Welt.
Feiglinge wie Brendon.
Dean riss sie aus ihren Gedanken, indem er das Glas hob.
„Okay, Caroline. Trinken wir also auf den Untergang des OCEANS und seine Wiederauferstehung als neuste Trophäe von Edward Hamilton.“
Erneut hob sie bedeutungsvoll die Augenbrauen und schüttelte dann den Kopf.
„Nein. Trinken wir darauf, dass das OCEANS so bleibt wie es ist. Mit allem, was dazugehört.“
Dean stellte sein Glas wieder ab und sah sie eindringlich an.
„Darauf kann ich nicht mit Ihnen anstoßen, denn es ist unmöglich, dass ich das OCEANS behalte. Ihr Vater hat meine Teilhaberin ausbezahlt, und um die Bar behalten zu können, müsste ich ihm die Hälfte der Summe des Schätzpreises innerhalb der nächsten Woche zurückzahlen. Doch das kann ich nicht. Keine Bank in Sunset City gibt mir Kredit.“
„Ich weiß“, erwiderte Caroline. „Im Vorstand der Banken sitzen lauter Geschäftsfreunde meines Vaters, und er hat allen untersagt, Ihnen Kredit zu gewähren.“
„Ah ja.“ Dean nickte. „Das hätte mir eigentlich klar sein müssen.“
„Wie dem auch sei“, lächelte sie versonnen „Sie und Ihre Freunde haben so viel erreicht, weil einer für den anderen da war. Das macht wahre Freundschaft aus, und glauben Sie mir, ich habe Sie heimlich darum beneidet. Wenn man so reich ist, wie meine Familie, dann ist es mitunter sehr schwer, zu erkennen, wer es ehrlich meint. Wirklich gute Freunde sind rar. Die meisten sind nur auf Geld aus.“
Sie machte eine kurze, bedeutungsvolle Pause, bevor sie weitersprach. „Ich bin öfter hier vorbeigegangen, zu der Zeit, als Sie mit Ihren Freunden das OCEANS renoviert haben, und ich habe mir heimlich gewünscht, dazuzugehören.“
„Warum sind Sie nicht einfach hereingekommen?“
„So mutig bin ich nun auch wieder nicht.“
„Aber mutig genug, heute Abend hierher zu kommen!“
„Ja. Denn heute bietet sich vielleicht die Chance für mich, meinen Traum zu verwirklichen.“
„Wie meinen Sie das?“
„Ich möchte Ihre Teilhaberin werden, Dean. Als Gegenleistung dafür biete ich Ihnen den Anteil, den Sie meinem Vater schulden.“
Dean starrte Caroline sprachlos an. Dann, nach einer Weile, die ihr wie eine Ewigkeit erschien, lehnte er sich zurück und begann zu lachen.
„Was ist an meinem Vorschlag so lustig?“
„Entschuldigen Sie bitte, Caroline, aber ich stelle mir eben das Gesicht Ihres Vaters vor, wenn er erfährt, dass seine eigene Tochter ihn boykottiert!“
„Ich boykottiere meinen Vater nicht“, erwiderte sie entrüstet. „Ich will nur endlich einmal etwas tun, was er nicht vorbestimmt hat. Mein ganzes Leben lang hat er mir den Weg geebnet, nach seinen Regeln wohlbemerkt. Aber diesmal funktioniert das nicht.“
Dean betrachtete sie nachdenklich.
„Sind Sie sich eigentlich im Klaren darüber, worauf Sie sich da einlassen wollen, Caroline?“
Sie schluckte.
„Ich glaube schon.“
„Ach wirklich?“ Dean zog skeptisch die Stirn in Falten. „Sie hätten praktisch kaum noch Freizeit. Arbeiten bis in die Nacht, die Gäste bedienen, sich vielleicht auch noch von ihnen anpöbeln lassen, schwere Tabletts schleppen, saubermachen, den Schreibkram, die Bestellungen...“
„Okay okay.“ Caroline hob abwehrend die Hände und stand abrupt auf. „Ich sehe schon, Sie wollen gar nicht, dass ich Ihnen helfe. Anscheinend glauben Sie, die verwöhnte Hamilton-Göre braucht nur ein neues Spielzeug, weil ihr langweilig ist! Vielen Dank für Ihr Vertrauen! Dann muss ich mir wohl etwas Anderes suchen, wo ich mich nützlich machen kann.“ Tief verletzt wandte sie sich um und wollte gehen, doch Dean war mit zwei Schritten bei ihr und ergriff ihren Arm.
„Caroline... warten Sie! Es tut mir leid, ich wollte Sie nicht kränken. Aber...“ Er sah sie prüfend an. „Ist Ihr Angebot wirklich ernst gemeint? Ich kann es mir nämlich nicht leisten, dass Sie aus einer Laune heraus hier einsteigen und ein paar Tage später vielleicht alles wieder hinwerfen, weil es Ihnen zu viel wird oder Ihr Dad Ihnen die Hölle heiß macht.“
Ihre blauen Augen hielten seinem Blick stand.
„Mir war noch nie im Leben etwas so ernst.“
„Und Sie tun das nicht nur, um Ihrem Vater eins auszuwischen?“
Caroline straffte die Schultern.
„Nein. Wie ich schon sagte, mein Angebot hat nichts mit meinem Vater zu tun. Allerdings...“ Sie überlegte kurz und schien ihre folgenden Worte genau abzuwägen „Abgesehen davon, dass es mir Spaß machen würde, hier zu arbeiten und die Bar gemeinsam mit Ihnen zu leiten, finde ich es auch nicht richtig, was er mit Ihnen macht. Soviel ich weiß, will er ein Nobelrestaurant aus dem OCEANS machen. Das kann ich nicht zulassen. Diese Bar ist ein Treffpunkt für alle Leute, egal ob jung oder alt. Die Privilegierten sollen doch meinetwegen in den Yacht Club gehen! Außerdem gehören Sie hierher, Dean, und nicht irgendwelche Lakaien meines Vaters.“ Sie atmete tief durch und sah ihn an. Jetzt war alles gesagt.
„Das wird Ärger geben“, murmelte Dean.
„Haben Sie Angst?“, fragte Caroline und blitzte ihn herausfordernd an.
„Ja“, erwiderte er überraschend ehrlich. Sie wollte sich bereits wieder abwenden und gehen, als er plötzlich hinzufügte: „Aber ein bisschen Nervenkitzel ist gut für den Kreislauf. Das hier wird ein Tanz mit dem Teufel. Aber okay, ich bin einverstanden.“
Caroline fuhr herum und strahlte ihn an. Dann trat sie auf ihn zu und reichte ihm die Hand.
„Sie werden das nicht bereuen, Dean.“
„Das hoffe ich.“
Als sie gegangen war, setzte er sich zurück an den Tisch.
Ihre Stimme klang ihm noch immer im Ohr: „Sie werden das nicht bereuen.“
Er strich sich nachdenklich über die Stirn.
„Da bin ich mir allerdings gar nicht so sicher.“
*
CASTILLO CORPORATIONS in Caracas (Venezuela)
Zufrieden blickte Mason auf die Firmen-Abrechnungen der letzten Tage, die Cynthia ihm eben vorgelegt hatte. Sie erzielten Gewinn, und das nicht einmal schlecht!
Er grinste. Sämtliche Geschäfte liefen hervorragend, und das, obwohl er bislang nicht einen Finger krumm gemacht hatte. Nur wenige Mitarbeiter hatten nach seiner ersten Vorstandssitzung die Firma verlassen, alle anderen arbeiteten weiter wie bisher. Aber jeder Einzelne von Ihnen hatte einen Riesenrespekt vor dem neuen Boss und gab sich die größte Mühe, dessen Wohlgefallen zu finden. Keiner kam auch nur im Entferntesten auf den Gedanken, dass Mason Castillo in Wahrheit nicht viel mehr von der Branche verstand als der Wachmann, dessen einzige Aufgabe es war, die Firmeneingänge im Auge zu behalten. Eigentlich war das auch egal, er hatte einerseits das nötige Kapital, um andere für sich denken zu lassen, und andererseits besaß er in Cynthia eine sogenannte "rechte Hand", die sich bestens auskannte und jede Unregelmäßigkeit oder Zuwiderhandlung sofort bemerken würde. Also konnte er sich vorerst beruhigt zurücklehnen und seinen neu erworbenen Wohlstand genießen.
Vorerst...
Er kniff verschwörerisch die Augen zusammen. Es war noch zu früh, zum großen Schlag auszuholen. Aber seine Stunde würde kommen, und dann würde Sunset City ihm zu Füßen liegen, und sein verhasster Zwillingsbruder würde sich wünschen, nie geboren zu sein.
Cynthia kam herein und brachte ihm seinen Kaffee.
Wohlwollend betrachtete er ihre langen schlanken Beine. Ihr Lächeln verriet, dass sie sich ihrer Wirkung auf ihn voll bewusst war. Allerdings hatte ihr neuer Boss bisher keinen einzigen Annäherungsversuch gestartet, was sie insgeheim ein wenig enttäuschte. Aber da war dieses prickelnde Gefühl unter der Haut, jedes Mal wenn sie sein Büro betrat. Sie konnte förmlich spüren, wie er sie mit seinen Blicken verschlang, bis sie den Raum wieder verließ.
Mason lächelte amüsiert.
Er wusste, dass Cynthia ihm längst verfallen war, auch wenn sie die Unnahbare und Kühle spielte. Immerhin kannte er sich mit Frauen aus und war sich dessen sicher, dass nur ein einziges Wort von ihm ausreichen würde, und sie wäre nicht nur seine persönliche Assistentin. Doch als seine Geliebte würde sie sich vielleicht mehr erhoffen als nur loyal und verlässlich für ihn zu arbeiten, und das wollte er vermeiden. So, wie es im Augenblick war, so war es gut.
Außerdem machte gerade das den gewissen Reiz aus, ein wenig mit ihren Gefühlen zu spielen und sie hinzuhalten. Etwas, das leicht zu haben war, hatte ihn nie sonderlich interessiert. Höchstens zu materiellen Zwecken, so wie seine liebe Ehefrau Joanna, Gott hab `sie selig und möge sie für ewig behalten.
Frauen, deren Gunst man sich erkämpfen musste, das war die Herausforderung, die er brauchte. Hatte er sie erobert, langweilten sie ihn jedoch sehr schnell. So wie einstmals Marina.
Allerdings - eine Ausnahme hatte es in der Vergangenheit gegeben: Danielle Belling. Zu schade, dass sie sterben musste! Sie war genau nach seinem Geschmack gewesen. Doch sie war tot, gestorben an einer verdammten Überdosis. Und daran war nur Matt schuld!
Er würde alles daransetzen, ihn dafür büßen zu lassen.
Mit Nachdruck betätigte er den Knopf der Wechselsprechanlage.
„Cynthia?“
„Ja Sir?“
„Kommen Sie sofort in mein Büro!“
Fünf Sekunden später war sie da.
„Was kann ich für Sie tun, Mason?“
Wortlos reichte er ihr einen Scheck.
„Überweisen Sie dieses Geld hier auf Ihr Privatkonto.“
Cynthia starrte auf den Scheck und angesichts der Summe die darauf stand, verschlug es ihr zunächst die Sprache.
„A.. aber… wofür ist das?“ stammelte sie fassungslos.
Mason lachte.
„Ich möchte, dass Sie Aktien kaufen. Und zwar auf Ihren Namen.“
Cynthia riss die Augen auf.
„Aktien? Wessen Aktien?“
Er schrieb einen Namen auf und reichte ihr den Zettel.
„Von dieser Firma. Sie kaufen alle auf.“ Er sah sie eindringlich an. „Alle, die derzeit auf dem Markt sind.“
„Ja Sir. Und wann?“
„Sofort, wenn das Geld auf Ihrem Konto ist.“
Wortlos nahm Cynthia den Zettel entgegen. Sie hatte inzwischen bereits ein gutes Gespür für seine Launen entwickelt. Allerdings spürte sie ebenfalls, wie sie langsam aber sicher davon abhängig zu werden drohte. Lächelte er sie an oder machte ihr ein Kompliment, schienen ihr Flügel zu wachsen. War er wortkarg und schlecht gelaunt, schlug sich das sofort auf ihre Verfassung nieder. So wie jetzt.
Sie hätte noch eine Menge Fragen zu seinem Auftrag gehabt, aber sie wusste genau, wann es besser war, zu schweigen und einfach zu tun, was er sagte.
„In Ordnung“, erwiderte sie deshalb nur und war bereits auf dem Weg nach draußen, als er sie noch einmal zurückrief.
„Cynthia?“ Sie drehte sich um und sah ihn erwartungsvoll an. „Sie werden in Kürze verreisen.“
„Darf ich fragen, wohin, Sir?“
Er lächelte bedeutsam.
„Nach Sunset City in Kalifornien.“
*
Es sollte eine ganz normale Vorstandssitzung werden, wie sie die HSE einmal im Monat abhielt, doch dank Annis Anwesenheit wurde sie zu einem Desaster für Edward.
„Schaff mir dieses inkompetente Weib vom Hals!“, fauchte er Matt nach der Sitzung in dessen Büro an. Der ließ sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen.
„Und wie, bitteschön, stellst du dir das vor?“
„Keine Ahnung, lass dir gefälligst etwas einfallen! Ich kann ihre dummen und unkonstruktiven Fragen nicht länger ertragen, und ihr blasiertes Benehmen bringt mich zur Weißglut. Sie macht uns vor dem gesamten Vorstand zum Gespött! Schon allein die Tatsache, dass sie es einfach nicht hinbekommt, ein einziges Mal pünktlich zu sein. Diese Person ist ja nicht einmal qualifiziert für einen Anfängerkurs in Wirtschaftslehre!“
„Beruhige dich, Edward.“, meinte Matt gelassen. „So schlimm ist sie gar nicht. Sie versucht doch nur das Erbe ihres Vaters so gut wie möglich zu verwalten.“
„So gut wie möglich?“ Edward sah seinen Geschäftspartner an, als hätte der ihm eben das Ende der Firma prophezeit. „Wes würde sich im Grab herumdrehen, wenn er wüsste, wie sich sein missratenes Töchterlein hier aufführt!“ Er schüttelte frustriert den Kopf. „Ich brauche einen Drink, sonst bekomme ich wegen dieser Frau noch ein Magengeschwür.“ Während er sich einen Cognac einschenkte, stand Matt auf und trat ans Fenster.
„Wir können sie nicht einfach hinauswerfen“, gab er zu bedenken. „Ihr gehört immerhin ein Drittel der Firma. Denk an die Anteile, die Wes ihr vermacht hat.“
„Ich denke an nichts anderes mehr“, knurrte Edward und nahm einen Schluck aus seinem Glas. „Ich werde sie ausbezahlen.“
„Was?“ Matt wirbelte auf dem Absatz herum. „Du weißt genau, dass wir uns das momentan nicht leisten können.“
„Doch, wir können“, erwiderte Edward mit dem grimmigem Lächeln eines Schakals. „Wer sagt denn, dass wir ihr den vollen Preis dafür zahlen werden?“
Matt zog argwöhnisch die Augenbrauen zusammen.
„Was hast du vor?“
„Überlass das nur mir, mein Lieber. Ich regle das auf meine Art. Du kannst dich getrost heraushalten, genauso, wie du dich schon die ganze Zeit herausgehalten hast, wenn es um die Eskapaden der lieben Annabel ging.“
„Was willst du denn damit sagen, Edward? Immerhin hast du damals Wes als Teilhaber in die Firma geholt, und es ist verdammt noch mal nicht meine Schuld, dass Anni jetzt an seiner Stelle sitzt. Und deshalb sehe ich überhaupt nicht ein, dass du Firmengelder dafür verwendest, um sie damit auszubezahlen. Gerade zu dem Zeitpunkt, wo wir jeden Dollar in den Bau der Ferienanlage investieren.“
Edward schüttete den Rest seines Drinks hinunter und musterte Matt grimmig.
„Verdammt Matthew! Warum hast du dieses Miststück nicht einfach in dein Bett gelassen, so wie sie es die ganze Zeit wollte! Dann würde sie uns jetzt garantiert weniger Ärger bereiten.“
„Da irrst du dich gewaltig“, erwiderte Matt und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Wenn Anni mit mir liiert wäre, dann würde sie mit Sicherheit dank ihrer Stimmanteile uneingeschränkt meine geschäftlichen Aktionen unterstützen, und du, mein Lieber, müsstest um jede noch so kleine Entscheidung betteln.“
Edward starrte seinen Geschäftspartner einen Augenblick lang fassungslos an. Dann knallte er sein Glas auf den Tisch und stampfte wütend aus dem Büro.
„Schicken Sie Annabel Parker sofort zu mir, falls sich diese Person zufällig noch im Haus aufhält!“, brüllte er draußen Elisabeth an, bevor er die Tür zu seinem Büro lautstark zuwarf.
*
Claudia saß am Fenster des Hotelzimmers und blickte gedankenverloren hinaus. Das Frühstück, das ihr der Zimmerservice bereits vor einer Stunde gebracht hatte, stand unberührt auf dem Tisch.
Draußen zauberte die Morgensonne eine gleißende silberne Diamantendecke über das Meer, doch Claudia hatte keinen Blick dafür. Ihre Gedanken wanderten wieder zurück zu ihrem Gespräch mit Manuel...
Gestern war er endlich hier im Hotel aufgetaucht, nachdem er sich mehrere Tage weder bei ihr gemeldet hatte, noch zur Arbeit erschienen war. Er sah schlecht aus, hatte sich nicht rasiert, und seine Augen wirkten fremd und ausdruckslos. Seine unverwüstliche Fröhlichkeit, die sie so an ihm geliebt hatte, schien nicht mehr zu existieren.
„Trinkst du, Manuel?“, hatte ihn Claudia eindringlich gefragt. „Oder nimmst du irgendwelche Drogen?“
Er hatte nur den Kopf geschüttelt.
„Du weißt, so etwas würde ich nie tun. Du solltest mich besser kennen.“
Claudia seufzte.
„So, wie du dich momentan verhältst, frage ich mich, wie gut ich dich überhaupt kenne. Wo warst du die ganze Zeit?“
Zuerst schien es so, als wolle er sich nur wieder in Schweigen hüllen, doch dann sagte er leise:
„Ich war in San Diego bei Pater Emilio.“
„Du warst bei einem Geistlichen?“, fragte Claudia ungläubig. Sofort musste sie wieder an jenen Tag denken, als sie während ihres Morgenlaufes zufällig beobachtet hatte, wie Manuel die kleine Kirche in Sunset City betrat. Damals war sie ihm heimlich gefolgt und hatte zu ihrem Erstaunen festgestellt, dass ihr Mann, der, solange sie ihn kannte, nie ein Gotteshaus betreten hatte, dort eine Kerze anzündete, niederkniete und betete, und das auch noch in fließendem Latein. Als er sie nach einer Weile bemerkte, hatte er so einen merkwürdigen Ausdruck in den Augen... Claudia erinnerte sich genau daran, er hatte glücklich ausgesehen, und zufrieden. Und als sie ihn fragte, was er hier tat, er hatte etwas gesagt, dass sich seit jenem Tag in ihr Gedächtnis eingebrannt hatte: „Hier war einmal mein Zuhause.“ Er sprach von seiner Berufung Priester zu werden, und dass die Kirche früher sein Leben bestimmt hätte, bis zu dem Tag, als...
Claudia blickte auf.
Als sie beide gestern hier zusammensaßen, hatte sie ihn abermals danach gefragt, warum er damals die Kirche verlassen und einen anderen Weg gewählt hatte. Er hatte nur traurig den Kopf geschüttelt.
„Es gibt Menschen, die können nicht loslassen. Noch schlimmer ist es, wenn sich diese Menschen einbilden, sie müssten den Lebensweg derer, die sie zu lieben glauben, bestimmen. Genau das ist mir passiert. Wenn du mehr wissen willst, frag meine Mutter und Stefano. Sie waren diejenigen, wegen denen ich damals ein anderes Leben begonnen habe.“
„Deine Mutter und Stefano?“
Er nickte.
„Aber die Entscheidung, die Kirche für immer zu verlassen, lag letztlich bei mir selbst, denn ich habe nach dem, was damals geschehen war, etwas an mir selbst bemerkt, was ich nie für möglich gehalten hätte.“ Er sah Claudia in die Augen. „Gott verurteilt jegliche Art von Hass. Ich aber habe sie beide gehasst, meine Mutter und auch Stefano, ich habe sie für das, was sie mir angetan haben, so sehr gehasst, wie man jemanden nur hassen kann... Als mir das klar wurde, wollte ich nur noch weg. Deshalb habe ich Sunset City und alles, was mir bis dahin etwas bedeutete, verlassen.“
„Warum?“, flüsterte Claudia fassungslos. „Aus welchem Grund hattest du einen solchen Hass auf deine Familie?“ Sie erhielt keine Antwort. Er saß nur da, gefangen in seiner Erinnerung, und starrte vor sich hin.
„Existiert dieser Hass auf die beiden noch immer, Manuel?“, hatte Claudia schließlich gefragt. Er schüttelte den Kopf.
„Nein. Wenn das so wäre, dann hätte ich diesem Auftrag hier niemals zugestimmt. Allerdings habe ich auch nicht ahnen können, welche Wirkung der Ort meiner Kindheit und Jugend noch immer auf mich hat.“
Claudia hatte daraufhin mühsam versucht, den dicken Kloß, der in ihrem Hals zu stecken schien, hinunterzuschlucken, bevor sie die nächste Frage auszusprechen wagte:
„Was wird nun geschehen? Wie geht es weiter, mit dir... Mit uns?“
Manuel hatte ihre Hand genommen. In seinen Augen las sie eine große Traurigkeit, aber da war plötzlich auch wieder dieses Leuchten, das sie an jenem Tag in der Kirche zum ersten Mal bemerkt hatte.
„Ich möchte meinen Weg von damals weitergehen, Claudia. Ich möchte als Priester für die Kirche arbeiten und den Menschen etwas von der Kraft geben, die mir Gott verliehen hat.“ Er machte eine kurze Pause, denn der letzte Satz fiel ihm unendlich schwer. „Ich möchte, dass wir unsere Ehe beenden.“
„Nein!“, wollte Claudia schreien. „Nein, das kannst du mir nicht antun, dass du an so etwas mehr glaubst als an uns! Ich liebe dich... du bist nicht so... du gehörst nicht der Kirche, du gehörst mir! Wir haben uns doch auch etwas geschworen...!“ Doch die Worte blieben ungesagt, ihre Kehle war wie zugeschnürt. Sie hatte den Kopf gesenkt und nur stumm genickt.
Erst als Manuel sie verlassen hatte, war sie weinend zusammengebrochen.
Und nun saß sie hier und wusste, sie würde allein zurückbleiben.
Sie hatte den Mann, den sie liebte, verloren.
Das Klopfen an der Hotelzimmertür ließ sie erschrocken zusammenfahren.
Manuel?
Hatte er es sich am Ende anders überlegt? War er zu ihr zurückgekommen?
Sie sprang auf und stürzte voller Hoffnung zur Tür.
Es war nicht Manuels Gesicht, in das sie blickte, als sie öffnete.
Es war Stefanos. Wortlos trat sie beiseite und ließ ihn ein.
„Claudia“ begann er zögernd, doch sie brachte ihn mit einer unwirschen Handbewegung zum Schweigen.
„Wenn du wissen willst, warum meinem Mann unsere Ehe nichts mehr bedeutet, dann muss ich dich enttäuschen, Stefano. Ich weiß es nicht“, sagte sie und bedeutete ihm, sich zu setzen. Sie nahm ihm gegenüber Platz und maß ihn mit einem abschätzenden Blick. „Aber vielleicht kannst du es mir erklären.“
Ungläubig zog Stefano die Augenbrauen zusammen, nachdem sie ihm von ihrem Gespräch mit Manuel berichtet hatte.
„Willst du damit sagen, du akzeptierst, dass sich dein Mann von dir abwendet und sich für das Priesteramt entscheidet? Du gibst einfach eure Ehe auf?“
Claudia hob resigniert die Schultern.
„So wie es jetzt aussieht, existiert unsere Ehe nicht mehr. Manuel hat die ganzen Jahre hindurch wegen irgendeiner Familienintrige seine Berufung verdrängen und ein Leben führen müssen, dass er eigentlich nie wollte. Seine Rückkehr nach Sunset City hat die alten Wunden wieder aufgerissen.“ Sie sah Stefano mit großen Augen an. „Sag mir, wie soll ich gegen etwas ankämpfen, das stärker und mächtiger ist, als ich?“
„Du musst es versuchen.“
„Nein!“, sagte sie entschieden. „Ich liebe Manuel, und gerade deshalb möchte ich, dass er glücklich ist. Wenn sein Glück darin besteht, sein Leben der Kirche zu widmen, dann werde ich das akzeptieren müssen.“
Stefano blickte sie nachdenklich an.
„Ich bewundere dich.“
„Wofür?“
„Dafür, dass du den Mut und die Stärke besitzt, das zu tun. Und noch mehr bewundere ich dich für dein Verständnis, Claudia. Genau das hat meiner Mutter und mir damals gefehlt.“
Plötzlich war es um Claudias lang bewahrte Fassung geschehen.
„Hör auf, Stefano! Wer sagt dir, dass ich Verständnis habe für das, was hier geschieht?“, schrie sie ihn an und sprang auf. „Was habt ihr beide damals getan, deine Mutter und du, dass ihr Manuel so sehr verletzt habt, dass er alles aufgab und von hier wegging?“
„Hat er dir das nicht erzählt?“, fragte Stefano irritiert.
„Nein, keiner von euch hat mir bisher erzählt, um was es hier eigentlich geht!“
„Okay.“ Stefano nickte mit versteinertem Gesicht. „Setz dich, Claudia. Du hast das Recht, endlich zu erfahren, was damals geschehen ist.“
*
Fremde kamen und gingen in Sunset City, das war nichts Außergewöhnliches. Es waren Touristen, Urlauber oder einfach nur Durchreisende.
Wenn allerdings ein Fremder diesen besonderen Platz am Rande der Stadt besuchte, dann fiel das den Einheimischen natürlich sofort auf.
So wie an diesem Nachmittag.
Pfarrer Paul Leary, ein sehr naturverbundener Mensch, hatte seine Robe gegen Jeans und Baumwollhemd getauscht und war dabei, die üppig wuchernde Hecke zu verschneiden, die den Friedhof umgab. Dieser letzten Ruhestätte der Menschen aus dieser Gegend widmete er besonders viel Zeit, um alles in Ordnung zu halten. Er fand, dass man es dem Andenken der Verstorbenen schuldig war, hier eine Oase der Ruhe und des Friedens zu schaffen. Er war derart vertieft in seine Arbeit, dass er eine Zeit lang kaum etwas von seiner Umwelt wahrnahm. Als er irgendwann dennoch aufblickte, sah er sie...
Die junge Frau ging zögernd durch die Reihen der weißen Marmorsteine und schien die Namen zu lesen, die darauf verewigt worden waren. Schließlich blieb sie etwas ratlos stehen und blickte sich suchend um.
Sie trug ein maßgeschneidertes, nachtblaues Kostüm, das ihre schlanke Figur vorteilhaft betonte. Der dazu passende elegante Hut und die dunkle Sonnenbrille verdeckten fast gänzlich ihr Gesicht. In der Hand hielt sie ein großes, teuer aussehendes Bukett aus dunkelroten Rosen.
Pfarrer Leary legte seine Heckenschere weg und wischte sich die Hände flüchtig an seiner Jeans ab, bevor er näher trat.
„Entschuldigen Sie, Miss“, sprach er die Fremde höflich an. „Kann ich Ihnen vielleicht behilflich sein?“
Etwas erschrocken wandte sie sich um und musterte ihn einen Augenblick lang. Dann zog ein verbindliches Lächeln über ihr Gesicht, während sie zögernd die Sonnenbrille abnahm.
Paul Leary fiel sofort auf, wie hübsch sie war. `Südamerikanerin`, schoss es ihm durch den Kopf, während er ihre anmutigen Gesichtszüge betrachtete.
„Kennen Sie sich hier aus?“, erkundigte sie sich vorsichtig und sah ihn fragend an.
Er nickte.
„Das will ich wohl meinen. Ich bin der Pfarrer.“
„Oh, dann werden Sie sicher wissen, wo ich das Grab dieser Frau finde...“ Sie reichte ihm einen Zettel, auf dem ein Name stand. „Sie war noch sehr jung und ist erst vor kurzem auf tragische Weise ums Leben gekommen. Es war ein Unfall“, fügte sie erklärend hinzu.
Überrascht las Paul Leary den Namen auf dem Papier.
„Das ist eigenartig“, erwiderte er und maß die Fremde mit erstauntem Blick. „Ich kenne die junge Frau, aber wie kommen Sie darauf, dass sie tot sei? Soviel ich weiß, erfreut sie sich bester Gesundheit und beabsichtigt sogar in Kürze zu heiraten!“
Die Unbekannte starrte ihn aus großen, dunklen Augen fassungslos an.
„Sind Sie sicher?“
„Absolut.“
„Entschuldigen Sie, dann muss mein Bekannter eine falsche Nachricht erhalten haben. Dem Himmel sein Dank.“ Sie besann sich einen Augenblick und überreichte dem verdutzten Pfarrer dann kurzentschlossen das Rosenbukett.
„Ich danke Ihnen für diese fantastische Nachricht, Sir! Bitte tun Sie mir den Gefallen und schmücken Sie mit den Blumen Ihre Kapelle.“
„Vielen Dank, Miss...“
Sie dachte nicht daran, ihren Namen zu nennen. Stattdessen grüßte sie freundlich zum Abschied und verließ schnellen Schrittes den Friedhof.
Nachdenklich stand Pfarrer Leary mit den herrlichen Rosen in der Hand da und sah ihr nach, bis sie verschwunden war.
Draußen lehnte sich Cynthia Rodriges an die kühle Friedhofsmauer und schloss für einen Augenblick die Augen. Seit dem Tod ihrer Eltern hasste sie diese Orte der ewigen Ruhe. Sie beschworen dunkle Erinnerungen herauf und machten ihr Angst.
Aber sie vermochte ihrem neuen Boss einfach keine Bitte abschlagen.
Und wer immer diese Danielle Belling auch sein möge, Mason würde sicher sehr erfreut sein, zu erfahren, dass sie überraschenderweise am Leben war!