Das OCEANS war anlässlich der bevorstehenden Verlobungsparty festlich geschmückt und vorbereitet. Caroline hastete aufgeregt hin und her und kontrollierte zum wiederholten Male die tadellos aussehende Tischdekoration. In wenigen Augenblicken würden die ersten Gäste eintreffen.
Dean, der sich noch hinter der Bar zu schaffen machte, bedachte sie mit einem amüsierten Grinsen.
„Hey, wenn du so weitermachst, wirst du vor Erschöpfung zusammenbrechen, noch bevor der erste Besucher seinen Fuß über die Schwelle gesetzt hat! Komm schon, ruh dich noch einen Augenblick aus, bis der Ansturm losgeht.“
Nach einem letzten, prüfenden Blick in die Runde nahm sie ihm gegenüber auf einen der Barhocker Platz.
„Unsere erste Feier. Ich will, dass alles perfekt ist.“
„Es wird perfekt. Dank deiner Bemühungen.“
Bevor sie etwas erwidern konnte, betrat ein junger Mann die Bar und blieb zögernd an der Tür stehen.
„Wir haben noch geschlossen, Sir“, rief Dean, doch Caroline hatte den Besucher erkannt und sprang erfreut auf.
„Doktor O`Malley! Wie schön, kommen Sie doch herein!“
Der Mann trat näher und reichte Caroline die Hand.
„Scheint fast, als ob ich etwas zu früh dran bin“, sagte er entschuldigend. „Wie geht es Ihnen, Caroline?“
„Oh, alles in Ordnung. Der Kopf tut nicht mehr weh.“ Sie wandte sich an Dean, der die Szene interessiert beobachtete. „Ich möchte dir Doktor John O`Malley vorstellen. Er hat mich nach meinem Unfall behandelt. Dr. O`Malley, das ist Dean Lockwood, mein Geschäftspartner.“
Die beiden Männer schüttelten sich freundschaftlich die Hand.
„Freut mich sehr, Sie kennenzulernen, Doktor.“
„Bitte nennen Sie mich John. Den Doktortitel lasse ich für gewöhnlich nach Feierabend in der Klinik. Und im Huntington Memorial gehört er ab sofort sowieso der Vergangenheit an.“
Caroline blickte erschrocken auf.
„Sie verlassen uns wieder?“
„Ja, die Vertretungszeit ist vorbei. Ich habe eben meine letzte Schicht beendet und wollte noch ein wenig Abschied feiern von der Stadt, die mir so gut gefallen hat.“
Dean nickte, und sein Blick wanderte dabei nicht zufällig in Carolines Richtung.
„Ja, Sunset City hat etwas Besonderes an sich, das die Menschen sehr schnell in seinen Bann zieht.“
John O`Malley lachte.
„Die Legende von der untergehenden Sonne am Pier. Ich habe davon gehört. Aber funktioniert hat sie nicht. Zumindest nicht bei mir.“
„Nun, dann betrachten Sie sich wenigstens an Ihrem letzten Abend als unser Gast, John“, lud Dean ihn spontan ein. „Wir haben zwar heute eine geschlossene Veranstaltung, aber ich bin sicher, dass Sie viele der Gäste durch Ihre Arbeit in der Klinik bereits kennen werden. Waren Sie ausschließlich in Huntington beschäftigt?"
„Nein, ich war auch hin und wieder im Sunset Memorial“, erklärte John. „Vielen Dank für die Einladung. Was wird denn gefeiert?“
„Verlobung“, platzte Caroline heraus. „Und sogar eine doppelte. Kennen Sie Dr. Yamada?“
„Natürlich. Wir haben gelegentlich zusammengearbeitet.“
„Sie ist eine der Glücklichen. Sie wird Mitch Capwell heiraten, einen ehemaligen Piloten und guten Freund von Dean. Er und Mitch haben eine Zeit lang bei der gleichen Fluggesellschaft gearbeitet. Die anderen beiden sind Danielle Belling, ebenfalls eine ehemalige Kollegin von Dean, und Matt Shelton, einer der Geschäftsführer der HAMILTON & SHELTON ENTERPRISES.“
John zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen.
„Danielle Belling... Wenn ich mich nicht irre, war sie kürzlich erst bei mir in der Sprechstunde.“
„Ach ja?“ Caroline überlegte kurz. „Danielle wurde vor ein paar Wochen entführt und mit einer Überdosis betäubt. Sie hat danach ein paar Tage im Koma gelegen.“
„Ja genau, und ich habe die Nachuntersuchungen durchgeführt.“
„Danielles Entführung war eine schlimme Sache“, erinnerte sich Caroline stirnrunzelnd. „Matt hatte große Angst um ihr Leben. Die beiden haben sich während eines Fluges kennengelernt.“ Sie lächelte verklärt. „So wie Dean mir das erzählt hat, war es wohl Liebe auf den ersten Blick.“
Dean grinste und schob John ein Bier über die Theke.
„Caroline ist hoffnungslos romantisch. Ich versuche gerade, sie zu einer knallharten Geschäftsfrau umzuerziehen, aber das könnte noch etwas dauern.“
In diesem Augenblick flog die Tür auf und die erste Gästeschar stürmte lärmend und lachend in die Bar. Binnen weniger Minuten waren alle Tische besetzt. Der extra für diesen Abend engagierte DJ ließ sich nicht lange bitten und sorgte schnell für eine stimmungsvolle, musikalische Umrahmung, während die beiden Brautpaare, die kurz darauf erschienen, mit übermütigen Hochrufen willkommen geheißen wurden.
Die Party konnte beginnen.
*
Randy sah auf die Uhr. Verflixt, schon so spät! Ausgerechnet heute hatte er im Internetcafé die Schicht eines erkrankten Kollegen übernehmen müssen. Nun würde die Mega-Party im OCEANS ohne ihn anfangen! Er beschleunigte seinen Schritt und nahm schließlich die drei Stufen vor dem Eingang gleich mit einem Satz. Als er die Tür aufschloss, hielt ein Taxi hinter ihm. Erstaunt drehte er sich um. Hatte sich jemand in der Hausnummer geirrt?
Die junge Dame, die ein paar Sekunden später ausstieg, sah jedoch nicht so aus, als sei sie hier verkehrt. Als sie Randy erblickte, kam sie zielstrebig auf ihn zugeeilt und umarmte ihn so spontan, dass ihm für einen Augenblick die Luft wegblieb.
„Hallo Randy, bin ich froh, dass ich noch einen von euch hier erwische! Ich habe schon befürchtet, ihr wärt bereits alle auf Danielles Party!“
Völlig überrumpelt trat Randy einen Schritt zurück und starrte sein Gegenüber ungläubig an.
„Robyn?“
Statt einer Antwort winkte sie übermütig lachend den Taxifahrer, der unschlüssig mit zwei riesigen Koffern am Wagen stehengeblieben war, zu sich heran. Mit den Worten „Der Rest ist für Sie...“ reichte sie ihm einen zusammengefalteten Geldschein, worauf er sich dankend verabschiedete.
Sie blinzelte Randy schelmisch an und hob scheinbar gleichmütig die Schultern.
„Tja, da bin ich. Oder glaubst du vielleicht, ich würde mir die Verlobungsparty meiner großen Schwester entgehen lassen?“
*
In einem unauffälligen Mietwagen bog Mason in die Ocean Avenue ein und hielt ein ganzes Stück entfernt vom Haus seines Bruders. Von hier aus konnte er alles gut überblicken.
Er brauchte nicht allzu lange zu warten. Etwa eine Viertelstunde später verließ Matt mit einem großen Rosenstrauß das Haus. Schnell verbarg Mason sein Gesicht hinter einer Zeitung und tat so, als würde er eifrig lesen, als sein Bruder an ihm vorbei in Richtung OCEANS eilte.
„Du bist spät dran, mein Freund“, knurrte Mason leise und blickte ihm hämisch grinsend nach. „Aber das bist du ja irgendwie immer.“
Er wartete noch einen Augenblick, bis Matt außer Sichtweite war. Dann vergewisserte er sich, dass niemand ihm Beachtung schenkte, nahm die Perücke ab, verstaute sie unterm Sitz und verließ den Wagen. Auf die lästigen Kontaktlinsen hatte er dieses Mal verzichtet, da seine Augen ohnehin hinter einer dunklen Sonnenbrille verborgen waren.
Sich mehrmals vorsichtig umsehend lief er die Ocean Avenue hinunter. Bisher war ihm außer ein paar Touristen, die vom Strand heraufkamen, niemand begegnet.
Kurz vor Matts Haus blieb er stehen. Alles schien ruhig.
Das Gartentor war unverschlossen und Mason betrat das Grundstück. Die Eingangstür zu öffnen, würde keine große Herausforderung darstellen. Allerdings fiel ihm schlagartig etwas ein, was er die ganze Zeit überhaupt nicht in Betracht gezogen hatte: In dem noblen Strandhaus war mit Sicherheit eine Alarmanlage installiert!
Verdammt, warum hatte er nicht früher daran gedacht?
Er schlich nach hinten in den Garten zum Wirtschaftseingang. An der Wandseite hinter der Glastür blinkte ein rotes Lämpchen... Also doch!
Mason knirschte mit den Zähnen und überlegte fieberhaft. Er hatte schon vieles versucht, aber mit einer solchen Anlage hatte er keine Erfahrung. Wenn er hier einbrach, und das Ding ging los! Nicht auszudenken! Aber vielleicht hatte Matt in der Eile vergessen, die Verandatür zu schließen und man konnte von da aus in die Wohnung gelangen.
Mason straffte die Schultern. Ein Versuch war es wert. Sollte ihn wider Erwarten jemand sehen, würde er ihn für Matthew Shelton halten und sich nichts dabei denken.
Zielstrebig machte er kehrt und lief wieder zurück.
Zu Tode erschrocken fuhr er zusammen, als er um die Hausecke bog und urplötzlich Madame Dolores gegenüberstand.
*
Danielle trat mit einem herrlichen Rosenstrauß an die Bar. Ihre Augen strahlten, und ihre Wangen waren vor Aufregung leicht gerötet. Man sah ihr deutlich an, wie glücklich sie war.
„Kannst du bitte die Blumen ins Wasser stellen?“, bat sie Caroline und reichte ihr den Strauß.
„Wow, die sind aber schön!“ Fast ehrfürchtig strich Caroline mit den Fingerspitzen über die zarten Blüten.
Dean musste lächeln. Für ein verwöhntes Mädchen, dass in unermesslichem Reichtum aufgewachsen war, und dem man bis vor kurzem jeden Wunsch erfüllte hatte, konnte sich Caroline erstaunlicherweise auch an kleinen Dingen des Lebens erfreuen. Sie strahlte so viel Lebensfreude und Herzlichkeit aus, dass es eine Freude war, sie zu beobachten.
„Dein zukünftiger Mann hat Geschmack!“ Lachend zwinkerte Caroline Danielle zu und verschwand mit den Rosen im Lagerraum, der zum Keller führte, um eine Vase zu holen.
„Dem kann ich nur zustimmen.“ John O`Malley hatte sich von seinem Barhocker erhoben. „Ihr Verlobter hat nicht nur einen guten Geschmack, sondern auch sehr viel Glück.“
Erstaunt drehte sich Danielle um.
„Doktor O`Malley!“ Sichtlich erfreut reichte sie dem jungen Arzt die Hand. „Das ist eine nette Überraschung. Schön, dass Sie zu unserer Party gekommen sind.“
John hielt ihre Hand einen Augenblick lang fest und bedachte die junge Frau mit einem herzlichen Lächeln.
„Eigentlich bin ich eher zufällig hier. Umso mehr freue ich mich, dass ich diese tolle Party miterleben darf. Herzlichen Glückwunsch, Danielle. Ich wünsche Ihnen und Ihrem zukünftigen Mann alles Gute!“
„Haben Sie Matt schon kennengelernt?“, fragte Danielle.
„Ich glaube nicht.“
„Dann kommen Sie, ich stelle Sie ihm und unseren Freunden vor.“
Sie zog ihn einfach mit sich fort, durch das Gedränge auf der Tanzfläche, hin zu dem Tisch, an dem Matt und die übrigen WG- Bewohner saßen.
*
„Nun schau mich nicht an, als ob du einen Geist vor dir hättest“, grinste Robyn und wies auf die beiden Koffer. „Hilf mir lieber mit dem Gepäck, oder wollen wir hier draußen stehen bleiben?“
Randy schüttelte fassungslos den Kopf.
„Danielle hat uns nicht verraten, dass du extra von Oklahoma herkommst.“
Robyn lachte.
„Du Schäfchen! Wie soll sie euch etwas verraten, das sie selbst noch gar nicht weiß.“
Sie nahm ihren Rucksack und öffnete die Tür. „Ich will sie natürlich mit meinem Besuch überraschen!“
„Und dazu brauchst du so viel Gepäck?“, ächzte Randy, der beim Anheben der beiden Koffer fast in die Knie ging.
„Ich dachte, wenn ich einmal hier bin, könnte ich ja auch gleich eine Weile bleiben“, erwiderte Robyn leichthin, worauf Randy seine Last fast fallen ließ.
„Wie lange ist denn bei dir eine Weile?“, fragte er vorsichtig, nachdem er es geschafft hatte, die Koffer unbeschadet bis ins Hausinnere zu wuchten. Scout kam neugierig aus Richtung Küche geflitzt und umkreiste die Besucherin freudig bellend.
„Hallo Kleiner!“ Robyn nahm ihn auf den Arm und kraulte ihn liebevoll zwischen den Ohren.
„Na ja“, meinte sie dann und sah sich um, als sei sie nach langer Reise endlich nach Hause gekommen. „Jetzt, wo meine Schwester in festen Händen ist, wird sie vermutlich bald hier ausziehen und bei ihrem Verlobten wohnen.“ Aufseufzend ließ sie sich dann auf das Sofa fallen, während Scout es sich sogleich auf ihrem Schoß bequem machte. „Und ich habe mir gedacht, wo doch ihr Zimmer hier frei wird, könnte ich vielleicht...“
Sie bemerkte das grenzenlose Erstaunen auf Randys Gesicht und richtete sich erschrocken auf. „Glaubst du, Mitch hat etwas dagegen, wenn ich hier einziehe?“
„Ähm... keine Ahnung. Ich weiß ja nicht einmal, ob Danielle wirklich ausziehen wird.“
„Mit Sicherheit“, erwiderte Robyn im Brustton der Überzeugung. „Wenn ich mit so einem tollen Mann verlobt wäre, würde ich jedenfalls keinen Augenblick zögern. Außerdem hat Matt ein fantastisches großes Haus, da wäre es doch Verschwendung, wenn er noch länger allein dort wohnen würde.“ Sie lächelte Randy auf die ihr ganz eigene Art an. „Kann ich bitte etwas zu trinken haben? Ich bin am Verdursten!“
Während er schnell in der Küche verschwand, um das Gewünschte zu holen, sah sich Robyn zufrieden um. Sie hatte es geschafft. Sie war wieder zurück in Kalifornien, dem Land ihrer Träume! Hier würde für die nächsten Wochen und Monate ihr neues Zuhause sein. Zu dumm nur, dass ihre Eltern noch nichts davon ahnten!
Sie würde sie schnellstens anrufen müssen...
„Was sagen denn deine Eltern dazu?“, fragte Randy, der eben mit einem Glas Mineralwasser aus der Küche zurückkam. „Du studierst doch zurzeit irgendetwas, wenn ich mich richtig erinnere.“
„Agrarwissenschaft.“ Robyn spie das Wort förmlich aus und verzog das Gesicht, als hätte sie auf etwas Saures gebissen. Dann nahm sie mit dankbarem Lächeln das Glas und trank gierig einen tiefen Schluck. „Aaah, das tut gut“, seufzte sie und kam noch einmal auf Randys letzte Frage zurück. „Mein Studium habe ich für eine Weile unterbrochen, zunächst einmal für ein oder zwei Semester. Danach werden wir weitersehen.“
„Lass mich raten, darüber wird deine Mutter nicht sehr begeistert gewesen sein“, grinste Randy und setzte sich ihr gegenüber in den Sessel. Das Grinsen verging ihm, als er Robyns Blick sah. „Hey... Moment mal!“ Schockiert hob er beide Hände. „Sag jetzt bloß nicht, deine Eltern wissen das noch gar nicht!“
„Na ja, wenn man es genau nimmt...“, begann sie zögernd, doch Randy unterbrach sie mit fassungsloser Miene. „Das gibt es doch gar nicht. Lass mich raten... Mister und Misses Belling aus Crawford/ Oklahoma haben keine Ahnung, dass ihre jüngste Tochter ihr Studium abgebrochen und sich auf den Weg nach Kalifornien gemacht hat?“
Schuldbewusst senkte Robyn den Blick.
„Ich glaube, es ist besser, wenn ich sie gleich mal anrufe und ihnen sage, dass ich das Wochenende doch nicht bei einer Studienfreundin verbringe“, murmelte sie kleinlaut. Randy verdrehte die Augen.
„Du bist ja vielleicht ein Herzchen“, lachte er kopfschüttelnd. „Und wie hast du ihnen die zwei tonnenschweren Koffer erklärt?“
„Die hat ein Freund für mich zum Flughafen gefahren, als niemand zu Hause war.“
„Clever bist du jedenfalls.“ Er dachte an Kim und sah Robyn prüfend an. „Und volljährig hoffentlich auch, oder?“
Sie nickte heftig.
„Na klar, ich werde in ein paar Monaten einundzwanzig! Und zum Studieren habe ich schließlich noch mein ganzes restliches Leben Zeit. Außerdem hat mir ein gewisser junger Mann vor kurzem beim Abschied am Flughafen in LA erklärt, ich solle nicht traurig sein, es würden schließlich täglich Flugzeuge hierher fliegen.“
„Du weißt genau, wie das gemeint war“, verteidigte sich Randy, konnte jedoch ein Lachen nicht verkneifen. „Aber da du nun schon mal hier bist, sollten wir uns vielleicht so langsam auf den Weg ins OCEANS machen, sonst ist die Party zu Ende, bevor wir dort ankommen.“
Robyn nickte, sprang auf und tätschelte Scout, der sich genüsslich zwischen den Sofakissen zusammengerollt hatte, den Kopf.
„Dann mal los, lass uns gehen!“
*
„Matthew...“
Madame Dolores trat einen Schritt zurück und schluckte, als müsse sie sich erst überwinden, das Wort an ihren Ex-Schwiegersohn zu richten.
Masons Verstand arbeitete auf Hochtouren. Was um alles in der Welt wollte Marinas Mutter hier?
Sie hielt ihn eindeutig für Matt. Jetzt bloß keinen Fehler machen!
„Hallo Dolores“, sagte er möglichst gleichgültig und hob in gespieltem Erstaunen ein wenig die Augenbrauen. „Was willst du?“
„Ich muss mit dir reden“, erwiderte sie, ohne ihn aus den Augen zu lassen.
Obwohl er für gewöhnlich nicht so leicht aus dem Konzept zu bringen war, ließ ihr durchdringender Blick Mason dennoch frösteln. Diese Frau hatte von je her etwas Respekteinflößendes an sich.
„Ich höre?“
„Können wir vielleicht ins Haus gehen?“, fragte sie und wies auf die Tür.
Auch das noch!
„Tut mir leid, Dolores, aber ich bin in Eile. Heute findet die Verlobungsparty für mich und meine zukünftige Frau im OCEANS statt, und ich bin spät dran“, erklärte er so höflich wie möglich.
„Deine zukünftige Frau...“ Dolores verzog die rot geschminkten, schmalen Lippen zu einem geringschätzigen Lächeln. „Verstehe. Ich werde dich nicht lange aufhalten, Matthew, aber was ich dir zu sagen habe, ist äußerst wichtig.“
„Nun gut, ich höre.“
„Es geht um Marina.“
„Ah ja.“ Mason nickte spöttisch. „Schickt sie dich her, um mir ihre Glückwünsche zu meiner Verlobung zu überbringen?“
Dolores` Gesicht zeigte keine Regung.
„Marina weiß nichts davon, dass ich dich hier aufsuche. Aber ich hielt es für dringend angebracht, dich über die gegebenen Umstände zu informieren, bevor es dafür zu spät ist.“
Was sollte das denn jetzt heißen? Masons Augen verengten sich misstrauisch.
„Zu spät? Wofür?“
„Um diese Verlobung wieder zu lösen und deinen Verpflichtungen als Ehemann und Vater nachzukommen“, erwiderte Dolores mit fester Stimme.
„Wovon zum Teufel sprichst du?“
„Marina ist schwanger, Matthew. Sie bekommt ein Kind von dir. Das Kind, das du dir schon so lange gewünscht hast!“
*
„Lass uns tanzen!“
Liebevoll nahm Matt Danielles Hand und führte sie zur Tanzfläche, als aus den Lautsprechern der Musikanlage eine gefühlvolle Ballade erklang.
Danielle legte verträumt ihren Kopf an seine Schulter und schloss die Augen, während er sie zu der einfühlsamen Melodie in den Armen hielt und seine Hände zärtlich über ihren Rücken streichelten.
Auch Suki und Mitch tanzten zu diesem Song. Eng aneinander geschmiegt bewegten sie sich zum Klang der Musik. Sie bemerkten nicht einmal, wie der DJ die Beleuchtung herunter dimmte und die anderen Gäste die Tanzfläche verließen. Erst als der letzte Ton verklungen war, hob Suki den Kopf und sah erstaunt, dass alle Anwesenden am Rand der Tanzfläche Aufstellung genommen hatten und ihre Gläser in den Händen hielten.
„Was ist denn los?“, flüsterte sie erschrocken. Auch Mitch, Matt und Danielle sahen sich verwundert um.
Dean kam mit einem Tablett voller gefüllter Champagnergläser auf die beiden Paare zu.
„Wir möchten gemeinsam mit euch gemeinsam auf diesen bedeutungsvollen Abend anstoßen“, sagte er feierlich. „Auf eure Verlobung und eure gemeinsame Zukunft. Möge sich alles so entwickeln, wie Ihr es euch wünscht! Matt...“ Er hob sein Glas in dessen Richtung. „Auf dich und die bezaubernde Danielle, die du den Singles dieser Stadt einfach vor der Nase weggeschnappt hast.“ Während alle ringsum lachten, wandte er sich an Mitch: „Und auf dich, Pilot Capwell, mögest du mit deiner Suki noch unzählige Höhenflüge erleben! Und falls es doch einmal zu einer Bruchlandung kommen sollte, kann sie dich ja verarzten.“ Erneut brandete Gelächter auf, und gemeinsam mit Dean, Caroline und den beiden frisch verlobten Paaren hoben alle ihr Glas. „Auf euch! Herzlichen Glückwunsch!“
„Sekunde mal... ohne uns läuft hier überhaupt nichts“, erklang plötzlich eine atemlose Stimme. Alle drehten erstaunt die Köpfe.
Robyn Belling stand auf der Treppe vom Eingang, unmittelbar gefolgt von Randy, und beide grinsten schelmisch in die Runde. „Hey Danielle, was soll denn das, du hast doch früher keine Party gegeben, ohne dass deine kleine Schwester dabei war!“
Danielle brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, dass es sich hier nicht um eine Sinnestäuschung handelte.
„Robyn?“, fragte sie vorsichtig und kniff ungläubig die Augen zusammen. Als sie diese wieder öffnete und ihre Schwester langsam auf sich zukommen sah, breitete sie lachend die Arme aus, und Robyn warf sich übermütig hinein.
„Ich freue mich so sehr, dich zu sehen! Ist mir die Überraschung gelungen?“
„Voll und ganz!“ Danielle löste sich aus Robyns Umarmung und betrachtete einen Moment lang das strahlende Gesicht ihrer jüngeren Schwester. „Meine Güte! Wann bist du denn angekommen?“
„Vor einer halben Stunde“, sprudelte Robyn los. „Ich habe mir vom Flughafen ein Taxi genommen. Zum Glück kam Randy gerade nach Hause, sonst hätte ich ja nicht einmal meine Koffer abstellen können.“
„Koffer?“, fragte Danielle erstaunt. „Bleibst du länger hier?“
Robyn nickte heftig.
„Ja, ich bleibe länger.“ Sie schluckte und sah Danielle mit feierlicher Miene an. „Ich habe beschlossen, eine Zeit lang in Sunset City zu leben.“
Fassungslos blickte Danielle abwechselnd von Robyn zu Matt, der die Szene schmunzelnd beobachtete. „Und... was ist mit deinem Studium? Und was sagen Mom und Dad dazu? Robyn? Du bist doch nicht etwa abgehauen?“
Als sie keine Antwort erhielt und das betretene Gesicht ihrer jüngeren Schwester sah, griff sie sich aufstöhnend an die Stirn. „Mein Gott, das glaube ich nicht! Die beiden werden krank vor Sorge sein. Was um alles in der Welt hast du dir denn dabei gedacht?“
Matt bemerkte, wie Robyns Mundwinkel nervös zu zucken begannen und legte Danielle beruhigend seine Hand auf den Arm.
„Immer der Reihe nach. Jetzt gönn ihr doch erst einmal eine Erfrischung, sie ist ja noch ganz durcheinander!“
Hastig nickte Danielle.
„Ja... Du hast recht.“ Ihre Augen suchten Robyns Blick. „Ich bin sofort zurück. Und dann reden wir“, meinte sie mit leicht drohendem Unterton in der Stimme und lief hinüber zur Bar, während sich Matt an Robyn wandte.
„Na komm, setz dich erst einmal zu uns, dann können wir uns in Ruhe über alles unterhalten.“
Widerspruchslos folgte Robyn ihm an den Tisch.
„Was ist los?“, fragte Caroline erstaunt, als Danielle zu ihr an die Bar kam. „Freust du dich denn nicht, dass deine Schwester hier ist?“
„Doch, natürlich“, erwiderte Danielle. „Nur die Umstände sind nicht ganz die, die ich mir gewünscht hätte. Da gibt es sicher einigen Ärger in der Familie.“
Caroline verdrehte die Augen.
„Wem sagst du das! Damit kenne ich mich seit kurzem bestens aus.“
„Spricht dein Vater immer noch nicht mit dir?“, fragte Danielle voller Anteilnahme. Caroline schüttelte den Kopf.
„Seit er mich rausgeworfen hat, haben wir uns nicht mehr gesehen. Mit meiner Mutter habe ich mich zwar heimlich bei Becky getroffen, aber sie kann auch nichts tun.“
„Vielleicht solltest du zu ihm gehen und versuchen, vernünftig mit ihm zu reden“, schlug Danielle vor, doch Caroline schien ihr gar nicht mehr zuzuhören. Wie gebannt starrte sie zum Eingang hinüber. Neugierig folgte Danielle ihrem Blick und erblickte Edward Hamilton, der sich zielsicher einen Weg durch die Menge bahnte.
„Na also, wer sagt`s denn“, meinte Danielle und zwinkerte Caroline aufmunternd zu. „Anscheinend möchte dein Vater ebenso mit dir reden und sich wieder versöhnen.“
Caroline antwortete nicht, sondern blickte Edward erwartungsvoll entgegen.
Der jedoch würdigte seine Tochter keines Blickes, sondern ging grußlos am Tresen vorbei, schnurstracks hinüber zu dem Tisch, an dem Matt, Mitch und ihre Freunde saßen. Dort reichte er allen die Hand und gratulierte seinem Geschäftspartner mit feierlichen Worten zu dessen Verlobung. Anscheinend vermisste er Danielle in der Runde, denn Matt wies auf die Theke und winkte sie zu sich heran.
Carolines Gesicht wirkte wie versteinert.
„Tut mir Leid, Cary“, murmelte Danielle betreten. „Ich habe ja schon mitbekommen, dass dein Vater schwierig sein kann, aber das eben...“ Sie schüttelte sprachlos den Kopf.
„Ja, so ist er.“ Caroline versuchte vergebens, eine möglichst gleichgültige Miene aufzusetzen. „Er hat seine festen Prinzipien, und die wird er wegen mir nicht ändern.“
Danielle legte mitfühlend ihre Hand auf Carolines Arm.
„Du hast das Richtige getan, glaube mir. Alle bewundern deinen Mut und deine Entschlossenheit. Vor allem Dean. Er wird dir das nie vergessen, und er wird dich niemals im Stich lassen.“
Caroline nickte und lächelte bitter.
„Du solltest zu den anderen hinüber gehen, Danielle. Sicher will mein Vater dir zu deiner Verlobung gratulieren.“
Als Danielle an ihren Tisch zurückkam, sprang Edward auf und ergriff ihre Hände.
„Meine liebe Danielle“, begrüßte er sie überschwänglich. „Es freut mich außerordentlich, dass Sie und Matt zueinander gefunden haben. Ich glaube, es gibt kein schöneres Paar in Sunset City als euch beide.“ Er räusperte sich und grinste. „Na ja, außer Sophia und mir vielleicht, und eventuell auch noch Mitch Capwell und Dr. Yamada.“
Alle lachten und Matt zwinkerte Danielle vielsagend zu. Sie beantwortete seinen Blick mit einem Lächeln. Nein, er brauchte wirklich nicht zu befürchten, dass sie Edward wegen Caroline eine Szene machen würde, nicht an diesem Abend. Dazu war sie heute viel zu glücklich.
Und sie würde auch ihre Schwester nicht spüren lassen, dass sie mit deren Verhalten nicht ganz einverstanden war. Das hatte alles später noch Zeit. Der heutige Abend gehörte ihr und Matt. So wie von nun an jeder neue Tag ihnen beiden gehören würde.
„Vielen Dank! Bitte nehmen Sie doch wieder Platz, Edward“, meinte sie mit honigsüßer Stimme. „Ich hoffe, Sie feiern Sie ein wenig mit uns.“
Er sah kurz auf die Uhr und nickte dann lächelnd.
„Nun ja, ich habe zwar nachher noch einen wichtigen Termin wahrzunehmen, aber ein halbes Stündchen kann ich sicher erübrigen.“
Dean kam mit dem Tablett an den Tisch und servierte ihnen frische Getränke.
„Was darf ich Ihnen bringen, Mister Hamilton?“, fragte er höflich.
Edward blickte ihn an und sein Lächeln gefror zu einer eisigen Grimasse.
„Mr. Hamilton nimmt sicher einen Cognac“, rief Matt schnell, bevor sein Geschäftspartner etwas erwidern konnte. „Den mag er am liebsten.“
Dean nickte und eilte zurück zur Bar.
„Hat mein Vater dich beleidigt, Dean?“, fragte Caroline, die alles genau beobachtet hatte, unsicher.
„Aber nein“, schmunzelte er. „Mach dir bitte keine Sorgen. Edward Hamilton kann mich gar nicht beleidigen. Er hat es nicht einmal versucht. Er hat nur eben sein Gesicht zur Faust geballt, das war alles.“
„Er versteht es meisterhaft, jemandem mit Worten wehzutun. Bei mir wirkt das nicht mehr. Deswegen versucht er, mich zu ignorieren. Er weiß genau, womit er mich am meisten treffen kann, damit es richtig schmerzt.“ Weil ihr die Tränen in die Augen traten, wandte sie sich rasch ab und verschwand im Lagerraum hinter der Theke.
Momentan warteten außer Edward keine weiteren Gäste auf ihre Bestellung, deshalb stellte Dean sein Tablett kurzentschlossen ab und folgte Caroline. Er legte seine Hände auf ihre Schultern und drehte sie zu sich herum.
„Du bist unglücklich, und ich bin schuld daran.“
„Nein.“ Caroline schluckte die aufsteigenden Tränen tapfer hinunter. „Irgendwann wäre es sowieso passiert, dass ich mich gegen ihn aufgelehnt hätte. Du brauchst dir wirklich nichts vorzuwerfen.“
Dean legte seine Finger unter ihr Kinn und zwang sie mit sanftem Druck, ihn anzusehen.
„Ich finde dich großartig, Cary.“
Sie war ihm noch nie so nah gewesen. Kleine Lichtpünktchen spiegelten sich in seinen Augen und signalisierten ihr mehr, als er in diesem Moment zu sagen vermochte. Aber es war nicht der richtige Zeitpunkt für tiefe Gefühle. Sie war viel zu aufgewühlt und verletzt durch Edwards Verhalten, dass sie kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Verunsichert trat sie einen Schritt zurück.
„Entschuldige, Dean. Ich werde in den Keller hinuntergehen und noch etwas von dem Rotwein holen. Der ist fast alle...“ Sie drehte sich hastig um und eilte die Kellertreppe hinunter.
Dean lächelte. Er wusste, wie durcheinander sie durch das Geschehen der letzten Tage war. Gleichzeitig jedoch war er überzeugt davon, dass sie sich wiederfinden und dabei lernen würde, ihren Gefühlen neu zu vertrauen.
Er musste ihr nur genügend Zeit dafür geben.
*
Am Strand
Die drei Männer nutzten die hereinbrechende Dunkelheit und bewegten sich im Schutz der Felswände zielsicher vorwärts. Jeder von ihnen wusste genau, was zu tun war, und als sie ihr Ziel erreicht hatten, arbeiteten sie schnell und präzise. Keiner von ihnen sprach ein Wort, trotzdem ging alles Hand in Hand.
Das, was sie vorhatten, war lebensgefährlich, jeder von ihnen war sich dessen bewusst.
Gefährlich und ... strafbar! Aber in ihren Taschen knisterten ein paar Scheinchen, ein nicht unbedeutender Vorschuss ihres Auftraggebers. Sie würden die Sache heute Nacht zu seiner Zufriedenheit erledigen, um sich auch den Rest des versprochenen Geldes zu sichern.
Und danach?
Nichts wie weg von hier, an irgendeinen schönen ruhigen Ort, wo man für eine Weile herrlich Urlaub machen konnte.
Im Lichtkegel der Taschenlampen mussten nur noch die richtigen Stellen gefunden werden, wo das mitgebrachte Material am effektivsten angebracht werden konnte, damit es auch die volle Wirkung zeigen würde. Noch rasch die vereinbarte Zeit einstellen, ein paar Drähte ziehen und sich schleunigst in Sicherheit bringen...
Oh ja... Es war fast geschafft!
*
Claudia saß allein auf einer der Bänke am Pier. Unendlich traurig blickte sie aufs Meer hinaus. Seitdem sie und Manuel heute Nachmittag aus Santo Domingo in der Dominikanischen Republik zurückgekehrt waren, fühlte sie sich nur noch leer und ausgebrannt. Sie hatten gemeinsam diese paradiesische Insel besucht, wo unzählige verliebte Paare ihren Traumurlaub verbrachten. Für Claudia war es ein Albtraum gewesen, und sie würde an das wunderschöne Santo Domingo ein Leben lang mit einem bitteren Beigeschmack zurückdenken, denn heute Vormittag war die Ehe von Mister und Misses Manuel Cortez in einem Schnellverfahren, das nur an diesem exotischen Ort möglich war, geschieden worden.
Manuel war frei.
Frei für seine wirkliche Leidenschaft, die hier in seinem Heimatort vor kurzem erneut entflammt war und gegen die ihre Liebe keine Chance gehabt hatte – die Kirche.
Manuel war mit ihr ins Hotel zurückgefahren und hatte sich dort von ihr verabschiedet. Er wollte, nachdem er seine Sachen von zu Hause abgeholt hatte, unverzüglich nach Mexiko weiterreisen. Wahrscheinlich war er inzwischen bereits dort.
Claudia schloss die Augen und fühlte den warmen Wind auf ihrem Gesicht. Der würzige Duft des Meeres stieg ihr in die Nase.
„Jetzt bin ich wieder allein“, dachte sie und konnte diese schmerzliche Erkenntnis fast körperlich fühlen.
Die Sonne war inzwischen untergegangen.
Aufseufzend erhob sich Claudia. Es widerstrebte ihr, in das leere Hotelzimmer zurückzukehren, also beschloss sie trotz der hereinbrechenden Dunkelheit noch ein Stück am Strand entlangzulaufen. Hier würde sie bestimmt niemanden mehr treffen, der ihr dumme Fragen stellte.
Nur ein paar Tage, dann war die Arbeit an den Strandhöhlen beendet. Sie würde mit Alex und den anderen nach San Francisco zurückkehren und versuchen, alles Geschehene hinter sich zu lassen. Bei dem Gedanken daran lächelte sie traurig, während sie an den Felsen entlangging und die Absperrung zu den Höhlen passierte.
„Ich werde Sunset City niemals vergessen“, dachte sie wehmütig, „Manuel nicht, und auch nicht die beiden Menschen, die daran schuld sind, dass letztlich alles so gekommen ist: Madame Dolores und Stefano.“
Sie stutzte, als sie an Stefano dachte, denn für einen Moment sah sie sein Gesicht so überdeutlich vor sich, dass es sie fast erschreckte. Nein, sie empfand merkwürdigerweise keinerlei Hass auf ihn, nachdem er ihr alles erzählt hatte, was damals geschehen war. Immerhin hatte er es wirklich fertiggebracht, nach Mexiko zu fahren, in jenen kleinen Ort, wo Manuels Zukunft im Dienste der Kirche damals auf Grund der Familienintrige ein so jähes Ende gefunden hatte. Er hatte mit dem Dekan gesprochen und es geschafft, seinen Bruder vollständig zu rehabilitieren, so dass Manuel nun alle Wege zu seiner ersehnten Priesterlaufbahn offenstanden.
Claudia strich ihr langes, dunkles Haar zurück und setzte sich für einen Moment auf die Steine neben dem Eingang der mittleren Felsenhöhle, die seit der Sprengung der Nachbarhöhle den Strand mit dem OCEANS verband und noch immer vom Einsturz bedroht war. Morgen würden sie hier weiterarbeiten und den Gefahrenbereich abstützen, so gut es ging. Danach sollte entschieden werden, ob der Durchgang zur Bar bestehen bleiben sollte und vielleicht sogar als Attraktion für die Touristen ausgebaut werden konnte.
Trotz allen Kummers freute sich Claudia auf diese Arbeit. Außerdem würde es ihr helfen, auf andere Gedanken zu kommen.
Sie schreckte hoch, als irgendwelche Geräusche an ihr Ohr drangen.
Was war das?
Ihr schien es so, als hätte sie von irgendwoher leise Stimmen gehört, aber sie war sich nicht sicher. Wahrscheinlich war es nur das Säuseln des Windes gewesen, der sich in den Felsspalten fing. Kurz darauf sprang irgendwo hinter dem nächsten Felsvorsprung ein Wagen an und fuhr davon. Vielleicht eine Patrouille der Strandwacht.
Claudia atmete tief durch.
Es war höchste Zeit zurückzugehen, bevor es ganz dunkel wurde.
Sie sehnte sich mit einem Mal danach, unter Menschen zu sein. Vielleicht bekam sie ja irgendwo noch ein gutes Glas Wein, um damit ihre wunden Nerven einigermaßen zu beruhigen.
Als sie am Eingang der Höhle vorbeiging, kam ihr plötzlich eine spontane Idee.
Das OCEANS lag am anderen Ende dieses Höhlenganges! Sie kannte die Höhle, und gleich hinter dem Eingang hatten Alex und sie Taschenlampen für den Notfall deponiert. Was also sprach dagegen, den Weg abzukürzen, um schneller an das verlockende Glas Wein zu gelangen?
Sie musste lächeln, als sie sich die verdutzten Gesichter der Besitzer vorstellte, wenn sie mit einem Male aus dem Kellergang auftauchen würde. Nun, schließlich arbeitete sie hier und konnte diese Aktion damit erklären, noch einen Kontrollgang gemacht zu haben.
Also los!
Kurzentschlossen setzte Claudia ihren Plan in die Tat um...
*
Nach der Begegnung mit Madame Dolores war Mason in seinen Wagen gestiegen und eine Weile ziellos herumgefahren. Es geschah selten, dass ihn etwas aus der Fassung brachte, aber die Mitteilung, dass Marina ein Kind von Matt erwartete, hatte bei ihm eingeschlagen wie eine Bombe.
Dieses kleine hinterhältige Miststück hatte es also wirklich geschafft, ihren Ex-Mann wieder in ihr Bett zu locken!
Mason grinste. Wer hätte das gedacht! Anscheinend kannte er seinen Bruder doch nicht so gut, wie er immer glaubte.
Und was war mit Danielle? Matt hatte sie betrogen! Lieber Himmel, hier taten sich Perspektiven auf, von denen er nicht zu träumen gewagt hätte.
Mason hielt den Wagen an und sah sich um.
Wo war er eigentlich? Irgendwo auf dem Freeway? Egal, er brauchte etwas Zeit zum Nachdenken.
Er stieg aus, lief ein Stück am Straßenrand entlang, um dann in einen einsamen Seitenweg abzubiegen. Hierher würde sich um diese Zeit kein Mensch verirren.
Er war ungestört und konnte in Ruhe nachdenken.
Sollte Matt wirklich wieder ein Verhältnis mit Marina angefangen haben?
Plötzlich erinnerte er sich an seine erste Begegnung mit Danielle unten am Strand. Sie hielt ihn damals für Matt und fragte ihn nach Marina...
„Matt... warte...“, bat sie, doch seine Lippen fuhren seitlich über ihre Wangen bis hinunter zu ihrem Hals. „Hör auf, wir müssen reden!“
„Reden? Ich hätte da einen ganz anderen Vorschlag.“
„Matt!“
Er hob ergeben die Hände und trat sichtlich widerwillig einen Schritt zurück.
„Okay, schon gut. Also, worüber willst du mit mir reden?“
„Über dich und Marina.“
Erstaunt hob er die Augenbrauen.
„Aber ich sagte doch bereits…“
„Warst du gestern bei ihr?“, fiel ihm Danielle ungeduldig ins Wort und musterte ihn prüfend. „Habt ihr die letzte Nacht zusammen verbracht?“
Matt starrte sie einen Moment lang erstaunt an. Dann, nach einer Weile, die ihr wie eine Ewigkeit erschien, schüttelte er lachend den Kopf.
„Nein, natürlich nicht! Wer zum Teufel hat dir denn solchen Blödsinn erzählt?“
„Marina selbst... und Anni Parker!“
Wieder schien er angestrengt zu überlegen.
„So?“, meinte er dann und wich ihrem Blick für einen Moment scheinbar irritiert aus. „Und was genau haben die beiden behauptet?“
„Marina sagte, sie erlebt zurzeit die große Liebe wieder neu, und der Glückliche wärst du, ihr Ex- Mann.“ Sie sah ihn mit großen Augen an. „Und vorhin habe ich Anni am Strand getroffen und sie erzählte irgendetwas von einer Wohnung am Ocean Drive, wo sie angeblich dein Auto heute Morgen gesehen hätte. Sie glaubte wohl, ich würde dort wohnen und du hättest die Nacht bei mir verbracht. Sie hat mich gewarnt, ich solle die Finger von dir lassen!“
„Anni... dieses kleine, rothaarige Biest…“, grinste Matt und strich sich nachdenklich übers Kinn. „Nun, was sie sagt, solltest du wirklich nicht ernst nehmen, das Luder lügt doch wie gedruckt! Schon seit Jahren streckt sie ihre rotlackierten Krallen nach mein… ähm, nach mir aus. Und was Marina betrifft: ich vermute, sie will dich mit ihrem Gerede nur eifersüchtig machen und sich wichtig tun.“
„Schon möglich“, erwidert Danielle, noch immer nicht so recht überzeugt. „Aber aus welchem Grund sollte Marina mich eifersüchtig machen wollen? Sie weiß doch noch gar nichts von uns! Und warum sollte Anni behaupten, sie hätte heute Morgen dein Auto am Ocean Drive stehen sehen? Marina hat dort ihre Wohnung, nicht ich!“
„Schön für sie. Davon wusste ich bisher noch gar nichts. Aber wie dem auch sei, für meinen Wagen gibt es eine einfache Erklärung: er ist mir gestern Abend, als ich von einem Geschäftstermin nach Hause fuhr, am Ocean Drive kaputtgegangen. Der Motor streikte und ich konnte keinen Meter mehr fahren. Deshalb habe ich ihn dort stehengelassen und bin nach Hause gelaufen.“ Er sah ihr skeptisches Gesicht und nahm ihre Hände. „Was soll denn das, vertraust du mir denn gar nicht?“
„Doch, natürlich... es ist nur...“ Sie blickte nervös zu Boden. Er trat dicht an sie heran, hob mit einem Finger sacht ihr Kinn und zwang sie auf diese Art, ihn anzusehen.
„Glaub mir, ich will weder Marina noch sonst irgendwen! Ich will nur dich!“
Oh ja, er hatte sich damals sofort in die süße kleine Danielle verliebt.
Und er erinnerte sich auch an Marinas Reaktion, als er sie nach diesem Gespräch mit Danielle aufgesucht und auf ihre vermeintliche Nacht mit Matt angesprochen hatte. Natürlich stritt sie sofort alles ab, aber ihr entsetzter Blick hatte ihn doch stutzig gemacht.
„Jetzt habe ich dich, Bruderherz“, frohlockte Mason in Gedanken. „Deine glücklichen Tage mit Danielle sind gezählt!“
Es passte alles zusammen.
Und doch, irgendein merkwürdiges Gefühl sagte ihm, dass an der Sache etwas faul war.
Immerhin! Er selbst war ja auch mit Marina zusammen gewesen, vor nicht allzu langer Zeit! Sollte sie vielleicht...
Aber nein! Nein, auf keinen Fall! Diesen Gedanken verwarf er sofort wieder.
Jetzt waren nur zwei Dinge wichtig: seine Rache an Matt auszukosten und Danielle zurückzubekommen!
Er wollte sie haben, weil sie seinem Bruder gehörte. Aber wenn er ganz ehrlich zu sich selbst war, musste er sich eingestehen, dass da inzwischen noch etwas mehr war. Egal, er würde dafür sorgen, dass Danielle Matt ein für alle Mal aus ihrem Leben strich.
Entschlossen machte er sich auf den Rückweg zum Wagen.
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Alex lächelte, als er bemerkte, dass Anni auf dem Beifahrersitz seines Sportwagens erschöpft eingeschlafen war. Sie hatte ihn heute Nachmittag nach Los Angeles begleitet, wo er vom Institut für geologische Gutachten einen Ultraschall-Wärme-Sensor ausgeliehen hatte. Mit Hilfe dieses hochwertigen Gerätes würde er feststellen, ob sich weitere Hohlräume hinter den Rissen und Gesteinsschollen der teilweise eingestürzten Höhle befanden.
Während er dort beschäftigt war, hatte Anni einen ausgiebigen Einkaufsbummel gemacht. Alex konnte nur staunen, als er anschließend all die Päckchen und Pakete ins Auto lud. Für eine Frau, die angeblich kaum noch einen Cent besaß, hatte sie ganz ordentlich zugeschlagen.
„Kleinigkeiten“, meinte sie auf seine diesbezügliche Frage nur ausweichend. „Nichts, was die Welt aus den Angeln hebt.“
In einem kleinen Vorort von L.A. hatten sie dann beide gemütlich zu Abend gegessen, aber Alex wurde das Gefühl nicht los, dass Anni absichtlich bummelte, um nicht so bald nach Sunset City zurückkehren zu müssen, wo ja heute Matts Verlobungsparty stattfand.
Sie sprachen nicht darüber, aber er spürte genau, dass es ihr nicht gleichgültig war, dass ihr Traummann nun in Zukunft für sie wieder unerreichbar sein würde. Er konnte nur hoffen, dass sie mit der Zeit einsehen würde, dass sie sowieso nie eine Chance bei Matt Shelton gehabt hatte und sich endlich auf andere Dinge konzentrierte.
Auf ihn zum Beispiel.
Anni schlief noch immer, erschöpft von den Strapazen ihres ausgedehnten Shopping-Nachmittages. Als Alex jedoch plötzlich wegen eines unbeleuchteten Fahrzeuges am Fahrbahnrand scharf bremsen musste, schreckte sie hoch, genau in dem Moment, als der Lichtkegel der Scheinwerfer den Wagen erfasste, der so widerrechtlich geparkt war.
„Verdammt!“, knurrte Alex wütend. „Ist dieser Verrückte denn lebensmüde?“
Anni blinzelte und rieb sich die Augen.
„Alex! Hast du den Mann gesehen, der neben dem Fahrzeug stand?“
„Nur ganz kurz“, erwiderte er ohne großes Interesse, froh, seinen Wagen wieder unter Kontrolle zu haben. „Ich habe nicht weiter darauf geachtet, ob da jemand stand.“
Er setzte den Blinker und bog auf die Straße nach Sunset City ab.
Anni jedoch war schlagartig hellwach und starrte wie gebannt nach hinten in die Dunkelheit.
„Alex, der Mann sah aus wie... Matt!“
„Annabel Parker!“ Alex verdrehte genervt die Augen. „Würdest du bitte damit aufhören, überall Matt Shelton zu sehen? Vorhin in diesem Lokal hast du bereits gedacht, er säße an der Bar. Dein verdammter Jugendschwarm feiert in diesen Minuten seine Verlobung, also wird er sicher nicht gleichzeitig auf dem Freeway herumstehen!“
„Er sah aber genauso aus“, beharrte sie trotzig.
Alex stöhnte.
„Na gut, vielleicht wollte er mit Danielle hier oben ein wenig allein sein, und die beiden sind ihren Gästen entflohen.“
„Sei endlich still, Alex“, knurrte Anni unfreundlich. „Achte lieber auf die Straße!“
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Als Mason eben wieder in sein Auto steigen wollte, brauste ein kleiner dunkler Sportwagen an ihm vorbei, dessen Lichtkegel ihn für Sekunden erfasste.
Blitzschnell wandte er sich ab.
Beunruhigt blickte er dem Wagen hinterher, der kurz darauf hinter der nächsten Biegung verschwand.
Wie leichtsinnig von ihm, ohne seine Verkleidung hier herumzuspazieren! Hoffentlich hatte ihn niemand erkannt.
Er fuhr los und hatte den kleinen Sportwagen im nächsten Augenblick schon wieder vergessen, denn in seinem Kopf entwickelte sich bereits ein teuflischer Plan, wie er das, was er heute durch einen Zufall erfahren hatte, am besten für seine Zwecke nutzen konnte.