Danielle verbrachte den Nachmittag in Johns Wohnung, da er sie gebeten hatte, in seiner Abwesenheit eine für ihn wichtige Postsendung entgegenzunehmen. Da sie sowieso bis zu ihrer Spätschicht nichts Anderes vorhatte, vertrieb sie sich die Zeit mit Saubermachen und Fensterputzen. So war sie beschäftigt und musste nicht ständig über Dinge nachdenken, die sich sowieso nicht mehr ändern ließen.
Sie war fast fertig, als es draußen läutete. In der Hoffnung, es sei der erwartete Postbote, riss Danielle die Tür auf.
Draußen stand eine zierliche junge Frau. Sie trug Blue Jeans, ein helles Shirt und trotz der Hitze darüber noch einen dunkelblauen Blazer. Ihr dunkles Haar war von hellen Strähnchen durchzogen und reichte ihr bis auf die Schultern. Ihre lebhaften, braunen Augen fixierten Danielle mit einer Mischung aus Erstaunen und Argwohn, während sie zögernd wieder nach dem großen Reisekoffer griff, den sie neben sich abgestellt hatte.
„Hi, ich wollte eigentlich zu Mall... ähm, ich meine… John O`Malley. Entschuldigen Sie bitte, ich muss mich wohl in der Adresse geirrt haben.“
„Warten Sie.“ Danielle war ebenso überrascht, nickte der Unbekannten jedoch freundlich zu. „Das hier ist Johns Wohnung. Sind Sie eine Freundin von ihm?“
Die junge Frau spitzte verlegen die Lippen. Es schien, als müsse sie ihre Antwort erst einen Augenblick lang abwägen, bevor sie schließlich zögernd nickte.
„Nun ja, ich bin eine gute Bekannte. Zumindest war ich das einmal. Mein Name ist Katherine Grant. Ich komme aus Chicago.“
„Kate“, entfuhr es Danielle in Erinnerung an ihr vertrauliches Gespräch mit John vor ein paar Tagen. Abermals zog ein Lächeln über ihr Gesicht. „Er hat mir von Ihnen erzählt.“ Sie reichte der jungen Frau spontan die Hand. „Ich bin Danielle Belling. Bitte, kommen Sie herein.“
Katherine nahm den Koffer auf.
„Entschuldigen Sie, aber ich bin etwas überrascht, dass John von mir erzählt hat“, sagte sie, während sie Danielle zögernd ins Wohnzimmer folgte.
„Kommen Sie direkt vom Flughafen?“, fragte Danielle, ihre letzte Bemerkung bewusst ignorierend und wies auf die gemütliche kleine Sitzecke. „Bitte nehmen Sie Platz.“
Kate folgte der Aufforderung mit einer gewissen Verlegenheit und sah sich aufmerksam um.
„Ja, ich bin vorhin erst angekommen und mit einem Taxi direkt hergefahren.“
„Sie sind sicher durstig. Möchten Sie ein Glas Mineralwasser?“
„Gerne“, nickte Kate und zog endlich den Blazer aus. „Es ist ungewohnt heiß hier in Kalifornien.“
„Oh ja“, lachte Danielle. „Aber man gewöhnt sich sehr schnell daran.“ Sie ging in die Küche und holte das gewünschte Getränk. „Johns Schicht ist bereits zu Ende. Falls er nicht wieder Überstunden machen muss, dürfte er jeden Moment hier sein. Weiß er, dass Sie ihn besuchen?“, fragte sie so beiläufig wie möglich, während sie das gefüllte Glas vor Kate auf den Tisch stellte und sich ihr gegenüber niederließ.
„Nein, ich wollte ihn überraschen.“ Die junge Frau lächelte etwas gequält und maß Danielle mit einem prüfenden Blick. „Stattdessen bin ich es nun, die überrascht ist. Darf ich Sie etwas fragen?“
„Aber ja, gerne.“
„Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, wenn ich vielleicht etwas direkt bin. Wer sind Sie? Ich meine, wer sind Sie für John?“
Danielle lächelte und es fiel ihr nicht schwer, Kate in die Augen zu sehen.
„Wir arbeiten zusammen im selben Krankenhaus. Ich wohne eine Etage weiter oben und bin seine Kollegin.“
Kate starrte sie einen Augenblick lang nachdenklich an, räusperte sich dann etwas verlegen und schüttelte den Kopf.
„Entschuldigen sie bitte, ich platze hier herein und stelle Ihnen Fragen, die mir eigentlich gar nicht zustehen. Es ist nur so, wenn Sie mit John liiert wären, dann sollte ich vielleicht stillschweigend meine Sachen nehmen und von hier verschwinden, um sein Leben nicht unnötig kompliziert zu machen.“
Danielle dachte daran, was John ihr über seine Beziehung zu Kate erzählt hatte
und nickte verständnisvoll.
„Da er mir von ihnen erzählt hat, und Sie mich so direkt fragen, will ich ganz offen zu Ihnen sein, Kate“, erwiderte sie und zögerte kurz, während sie die folgenden Worte sorgsam abwog. „John und mich verbindet seit einiger Zeit eine sehr tiefe Freundschaft, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob ich bisher für ihn wirklich so eine gute Freundin war, wie er es eigentlich verdient hätte. Ich glaube, ich bin wohl eher so etwas wie sein Schützling. Er hat mir geholfen, als es mir schlecht ging. Vermutlich hätte ich die letzten Wochen ohne ihn nicht besonders gut überstanden. John ist momentan für mich der beste Freund, den ich habe.“
„Also nur ein Freund“, fasste Kate nachdenklich, aber mit einer Spur Erleichterung zusammen.
Danielle nickte.
„Nicht mehr, aber auch nicht weniger. In dieser Millionenstadt, unter all den fremden Menschen, kann man sich sehr allein und verloren vorkommen. Da ist es ein großes Glück, einen Freund wie ihn zu haben.“ Sie machte eine kurze, aber bedeutungsvolle Pause, bevor sie nun ihrerseits eine Frage stellte.
„Und wie ist das mit Ihnen, Kate?“
„Was meinen Sie?“
„Wieso sind Sie hier?“
Kate strich sich ein paar Haarsträhnen hinters Ohr.
„Da er Ihnen von mir erzählt hat, werden Sie sicher wissen, dass wir in Chicago zusammenwaren.“ Ihr Lächeln wurde wehmütig. „Ich war schuld, dass es nicht funktioniert hat. Ich habe unsere Beziehung gründlich vermasselt. Aber vielleicht ist es ja noch nicht zu spät.“
„Ich denke, das müssen Sie beide selbst herausfinden“, meinte Danielle diplomatisch, und Kate nickte.
„Deshalb bin ich hergekommen.“
In diesem Moment wurde draußen die Tür geöffnet.
Danielle zwinkerte Kate verschwörerisch zu.
„Da ist er schon. Ich lasse Sie jetzt mal beide allein und wünsche Ihnen viel Glück!“ Sie stand auf und ging hinaus auf den Flur.
„Hi Doktor O`Malley“, begrüßte sie John mit einem geheimnisvollen Lächeln. „Die Postsendung, auf die du wartest, ist leider bisher noch nicht abgegeben worden. Aber dafür ist eine andere angekommen.“ Sie grinste und wies auf die Wohnzimmertür. „Ich verschwinde dann mal. Meine Schicht fängt bald an. Bis später, Mall!“
Erstaunt blickte John ihr nach, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte.
Dann drehte er sich um und ging neugierig zum Wohnzimmer hinüber.
Er öffnete die Tür und blieb angesichts seiner Besucherin wie angewurzelt stehen.
„Kate?“, fragte er ungläubig, und während sein Herz ein paar total unkontrollierte Sprünge zu machen schien, starrte er sie an, als habe er einen Geist vor sich. Sie stand langsam auf und strich sich nervös durchs Haar.
„Hallo Mall! Lange nicht gesehen.“
*
„Verdammt!“
Wütend strich sich Matt über die Stirn und blickte zum hundertsten Male auf seine Uhr. Er hätte schon lange bei ihr sein können, in Venice, bei Danielle.
Jetzt, nachdem er endlich erfahren hatte, wo sie sich aufhielt, wollte er nur noch das eine: Sie endlich wiedersehen, ihr sagen, wie sehr er sie liebte und sie vermisst hatte. Und er wollte ein für alle Mal diese Zweifel und Missverständnisse beseitigen, die sie beide quälten.
Aber ausgerechnet heute ging hier alles drunter und drüber.
Die Staatsanwaltschaft hatte nach Edwards gestriger Verhaftung einen Durchsuchungsbefehl für die HSE erwirkt, die sich nicht nur auf das Büro des Verdächtigen beschränkte. Die verantwortlichen Beamten waren seit Stunden damit beschäftigt, jede Akte zu durchforsten und jedes noch so belanglose Schriftstück genau unter die Lupe zu nehmen. Dabei gingen sie nicht gerade behutsam vor, sondern schienen ein perverses Vergnügen dabei zu empfinden, die tadellos aufgeräumten Büroräume binnen kürzester Zeit in ein wildes Chaos zu verwandeln.
Edwards Inhaftierung selbst kam in Sunset City einer Sensation gleich. Sämtliche Boulevardblätter stürzten sich wie wild auf die Schlagzeilen, die sich ihnen unverhofft boten, und die Telefone im Büro standen keine Minute still.
Ronda und Elisabeth waren hoffnungslos überfordert und befanden sich beide kurz vor einem Nervenzusammenbruch, weil sie hilflos mit ansehen mussten, wie ihre wohlbehütete Büroordnung von den Beamten des Staatsanwaltes völlig zunichte gemacht wurde.
„Mister Shelton, können wir denn gar nichts dagegen tun?“, fragte Ronda, den Tränen nahe. Matt hob zunächst nur frustriert die Schultern.
„Ich fürchte nein. Im Augenblick können wir uns wirklich nur so kooperativ wie möglich verhalten, um das ganze Geschehen in Grenzen zu halten.“
„Was für Grenzen?“, fauchte Elisabeth und stürzte wütend zu ihrem Schreibtisch, den einer der Beamten soeben zu öffnen versuchte. „Finger weg, da oben sind meine privaten Sachen drin!“
„In diesem Büro gibt es ab sofort keine privaten Sachen mehr, Gnädigste“, belehrte sie der Beamte ungerührt und streckte die geöffnete Hand aus. „Den Schlüssel für die Schublade, sonst muss ich sie gewaltsam öffnen lassen.“
„Unterstehen Sie sich!“ Widerstrebend händigte ihm Edwards persönliche Assistentin ihren Schlüsselbund aus. „Ich merke, wenn etwas von meinen Sachen fehlt“, knurrte sie drohend, und Matt musste wider Willen grinsen.
„Beruhigen Sie sich, Liz“, meinte er und legte ihr seine Hand auf die Schulter. „Ich würde vorschlagen, Sie und Ronda gehen für eine Weile hinunter ins Café gegenüber und machen erst einmal eine Pause. Die Rechnung geht auf mich.“
Der Polizist, der am Fahrstuhl stand, hob warnend die Hand.
„Keiner verlässt dieses Büro, bis...“
Matt zog zerknirscht die Augenbrauen zusammen und fixierte den Beamten mit einem leicht verärgerten Blick.
„Meine Mitarbeiter gehen jetzt einen Kaffee trinken“, sagte er ruhig, aber bestimmt. „Ich verbürge mich dafür, dass beide in einer Stunde wieder hier sind. Und wenn Sie ein Problem damit haben, können Sie die Damen ja begleiten.“
Der Polizist räusperte sich etwas verlegen.
„Sie müssen verstehen, ich habe meine Anweisungen, Sir.“
„Niemand geht hier irgendwo hin und damit basta“, donnerte einer der anwesenden Beamten unfreundlich.
Matts Stimme klang deutlich schärfer als vor ein paar Sekunden, als er sich langsam umwandte: „Sie sollten in Ihrem Übereifer nicht vergessen, dass keiner der hier anwesenden Mitarbeiter irgendeines Vergehens beschuldigt wird. Wir sind aus freien Stücken vor Ort, um die Untersuchungen zu unterstützen. Sie selbst sind nur im Auftrag Ihres Vorgesetzten, des Bezirksstaatsanwaltes hier. Und ich bin mir nicht sicher, ob er Ihr Benehmen, vor allem den Damen gegenüber, gutheißen würde. Also verhalten Sie sich entsprechend angemessen, ansonsten muss ich Sie daran erinnern, dass auch meine Geduld ihre Grenzen hat.“
Der Beamte starrte ihn einen Moment lang sprachlos an. Insgeheim musste er sich jedoch eingestehen, dass er seine Kompetenzen wohl etwas überschritten hatte, denn er gab dem Polizisten an der Tür widerwillig ein Zeichen.
„Lassen Sie die Damen gehen, Cooper. Mister Shelton verbürgt sich persönlich dafür, dass sie das Gebäude nicht verlassen.“
Elisabeth sog deutlich hörbar die Luft ein.
„Mister Shelton verbürgt sich persönlich dafür...“, äffte sie den Beamten nach und verzog grimmig das Gesicht. „Eine bodenlose Frechheit, was Sie sich hier herausnehmen! Wenn das alles hier vorbei ist, wird Mister Shelton Ihnen persönlich in den Hintern treten, dafür verbürge ich mich! Und wenn Mister Hamilton erst wieder hier ist, dann...“
„Das reicht, Liz!“, lachte Matt und schob Edwards vor Empörung zitternde Assistentin zum Ausgang. „Trinken Sie einen extrastarken Kaffee, am besten mit einem kräftigen Schuss Rum zur Beruhigung!“
Als sich die Fahrstuhltüren hinter den Damen geschlossen hatten, atmete er tief durch und warf erneut einen Blick zur Uhr. Im selben Augenblick hörte er, wie etwas von seinem Schreibtisch polternd auf die Erde fiel und in tausend Stücke zerbrach.
„Ups“, hörte er den dort beschäftigten Beamten sagen. „Sorry!“
Matt fuhr herum und hieb mit der Faust so heftig auf die Tischplatte, dass der Mann erschrocken innehielt.
„So, Schluss mit diesem Theater! Verbinden Sie mich sofort mit Ihrem Boss, dem Bezirksstaatsanwalt!“
„Was?“ Der Beamte starrte ihn ungläubig an. „Aber Sie wissen, dass wir einen amtlich beglaubigten Durchsuchungsbefehl...“
Matt stützte sich mit beiden Armen auf dem Schreibtisch, beugte sich vor und funkelte den Mann drohend an.
„Es ist mir egal, ob Sie auf Grund dieses beglaubigten Wisches hier den Mörtel aus den Fugen kratzen oder das Gebäude abreißen“, sagte er gefährlich leise. „Ich weiß nicht, welcher Vergehen sich mein Partner schuldig gemacht haben soll. Ich selbst jedoch habe mir nicht das Geringste vorzuwerfen. Was ich allerdings habe, ist ein absolut dringender Termin, der keinen Aufschub duldet, und von dem mehr als nur meine geschäftliche Existenz abhängt. Und wenn ich nicht in spätestens einer Stunde dieses Büro endlich verlassen kann, dann werde ich dafür sorgen, dass Sie für den Rest Ihrer Tage Büros wie diese säubern, anstatt sie sinnlos zu verwüsten! Habe ich mich klar ausgedrückt?“
Die Männer starrten einander sekundenlang feindselig an, dann schluckte der Beamte mühsam und nickte nur stumm, während er zum Telefon griff und die Nummer seines Chefs eintippte.
„Na also.“ Matt entspannte sich sichtlich und nickte zufrieden. „Warum nicht gleich so.“
*
Wütend starrte Mason auf das Faxgerät in Cynthias Hotelzimmer.
„Komm schon, spuck endlich die Papiere aus, dämlicher Kasten“, knurrte er und sah ungehalten zur Uhr. Um diese Zeit wäre er längst weggewesen, auf dem Weg nach Venice, zu Danielle. Inzwischen würde sie mit Sicherheit wieder zurück sein von ihrem Wochenendausflug.
Bei diesem Gedanken überzog für einen Moment ein zynisches Lächeln sein angespanntes Gesicht. Oh, sie würde sicher sehr überrascht sein, ihn zu sehen, und ehe sie begriffen hätte, dass er nicht der Mann war, für den sie ihn hielt, säßen sie beide längst im Flugzeug nach Venezuela, wo er ein reicher Mann war und ihnen die ganze Welt offenstand. Und mit Hilfe seiner mächtigen Firma in Caracas und den von Cynthia erworbenen Anteilen an der HSE würde es ein Kinderspiel für ihn sein, seinen Bruder Matt endgültig fertigzumachen. Für immer.
Es klang wirklich einfach, wenn nicht vor ein paar Stunden dieser Anruf von Cynthia gekommen wäre.
Sie saß in der verdammten Firma fest, weil die Staatsanwaltschaft nach der Verhaftung Edward Hamilton zur Stunde dort alles durchsuchte, und teilte ihm mit, dass ihr Kontaktmann in Caracas sie telefonisch über schwerwiegende Probleme bei CASTILLO CORPORATIONS informiert hätte.
„Du musst dich unbedingt mit der Geschäftsleitung in Verbindung setzen, Mason“, hatte sie ihm aufgeregt erklärt. „Am besten wäre es, du würdest sofort hinfliegen!“
„Unmöglich“, hatte er verärgert geantwortet. „Ich habe jetzt für so etwas keine Zeit!“
„Dann verlierst du vielleicht deine Firma“, warnte ihn Cynthia eindringlich und erläuterte ihm die Gründe für ihre Vermutungen.
Mason fluchte. Ausgerechnet jetzt!
Nein, die Firma und damit einen Großteil seines neu erworbenen Vermögens zu verlieren, durfte er nun doch nicht riskieren. Schließlich wollte er in der Zukunft mit Danielle ein angenehmes Leben führen.
Cynthia, die sich in seiner Firma besser auskannte, als jeder andere, riet ihm schließlich, was genau er zu tun hatte. Er tätigte also laut ihrer Anweisung einige entsprechende Anrufe und wartete nun ungeduldig auf die Papiere, die sein Firmenanwalt ihm zum Unterzeichnen faxen sollte. Als nach einer Stunde immer noch nichts angekommen war, rief Mason noch einmal ungeduldig in Caracas an.
„Tut mir leid, Mr. Castillo, aber so schnell geht das nicht. Ich muss erst alle notwendigen Unterlagen zusammensuchen, um das entsprechende Formular aufzusetzen, dass Sie unterzeichnen müssen“, erklärte ihm der Anwalt wichtig. Mason unterdrückte mühsam seine Wut.
„Wer ist Ihrer Meinung nach für dieses Desaster verantwortlich?“, erkundigte er sich so ruhig wie möglich.
„Nun ja, so einfach ist das nicht. Wenn man es genau überlegt...“
„Wofür bezahle ich Sie eigentlich?“, brüllte Mason ins Telefon. „Ich will Namen! Sofort!“
Der Anwalt räusperte sich erschrocken und nannte ihm die Namen zweier Mitglieder der Geschäftsleitung. „Zumindest ist durch die Versäumnisse dieser beiden Herren...“
„Entlassen!“, unterbrach ihn Mason. „Alle beide.“
„Aber Mister Castillo, es handelt sich immerhin um ehemals enge Vertraute Ihrer verstorbenen Gattin!“
„Entlassen!“, wiederholte Mason mit eisiger Stimme. „Fristlos! Habe ich mich klar ausgedrückt?“
„Ja, Mister Castillo.“
„Gut. Und in spätestens einer Stunde erwarte ich die erforderlichen Papiere zum Unterzeichnen. Keine Minute später, sonst sorge ich persönlich dafür, dass Sie in Zukunft nur noch Eheverträge annullieren dürfen, Herr Anwalt!“
„Ich werde Ihnen die Papiere umgehend zufaxen, Mister Castillo. Sie können sich darauf verlassen“, beeilte sich der Jurist zu sagen.
„Na also.“ Mason legte das Handy weg und grinste zufrieden. „Das hätten wir geklärt.“
*
„Dani, da ist ein Anruf für dich auf Leitung drei“, rief die Schwester am späten Nachmittag vom Empfangstresen aus, als Danielle soeben das Ultraschallgerät in eines der Behandlungszimmer bringen wollte.
„Wer ist dran?“, fragte sie im Vorübergehen neugierig und blieb kurz stehen.
„Keine Ahnung. Die Dame wollte ihren Namen nicht nennen, aber es scheint wohl wichtig zu sein.“
Danielle hob bedauernd die Schultern.
„Tut mir leid, aber das wird warten müssen. Das USG wird dringend gebraucht. Sie soll später nochmal anrufen.“
Die Schwester rollte gutmütig mit den Augen, kam flink hinter dem Tresen hervor und nahm ihr das Gerät ab.
„Du hast zwei Minuten. Na los, geh schon, ich erledige das hier für dich.“
„Danke“ lächelte Danielle und griff nach dem Telefon. „Hallo?“
„Na, das wurde auch langsam Zeit“, schnaufte eine weibliche Stimme ungeduldig. „Danielle Belling, nehme ich an?“
„Wer spricht denn da?“
Ein kehliges Lachen, das ihr vage bekannt vorkam, war die Antwort.
„Habe ich doch wieder einmal den richtigen Riecher gehabt! Das Vögelchen hat sich gar nicht weit von hier am LA-Airport niedergelassen, damit es im Notfall schnell weiterfliegen kann.“
„Annabel, sind Sie das?“
„Herrgott nochmal, die Königin von England kann es ja wohl nicht mehr sein, Schätzchen!“
„Woher... ich meine... Wie haben Sie mich gefunden?“
Wieder lachte Anni spöttisch.
„Dazu gehört nun wirklich nicht allzu viel, meine Liebe. Nur ein klein wenig weibliche Intuition, gesunder Menschenverstand und ein paar gute Bekannte, die mir noch was schuldig waren. Und bevor Sie mich jetzt als nächstes fragen, wem ich alles erzählt habe, wohin Sie sich verkrümelt haben, da muss ich Sie enttäuschen. Selbst Anni Parker kann ein Geheimnis für sich behalten.“
Danielle schluckte mühsam. Wenn es für Anni wirklich so einfach gewesen war, sie aufzuspüren, dann könnte auch Matt... Ach was, jeder könnte sie finden, wenn er nur wollte!
Anni schien ihre Gedanken erraten zu haben.
„Sie fragen sich jetzt sicher, weshalb ich Sie eher gefunden habe als Matt?“
„Matt sucht nach mir?“, forschte Danielle vorsichtig.
„Meine Güte, Sie sind ja noch naiver, als ich dachte. Natürlich sucht er Sie. Dass er Sie noch nicht gefunden hat, ist relativ einfach zu erklären: Verliebte Männer sind für gewöhnlich absolute Trottel und können überhaupt nicht logisch denken. Unser gemeinsamer Freund scheint da ein besonders schwieriger Fall zu sein.“
Danielle spürte, wie ihr Herz unkontrolliert zu rasen begann. Vergeblich versuchte sie, wenigstens einen Teil ihrer inneren Ruhe wiederzufinden.
„Was wollen Sie? Weshalb rufen Sie mich an?“
Anni stöhnte am anderen Ende der Leitung schmerzlich auf.
„Noch eine, die schwer von Begriff ist! Dreimal dürfen Sie raten, Wandervögelchen!“
Danielle atmete tief durch.
„Anni, falls Sie sich die ganze Mühe nur gemacht haben, um mich zu beleidigen, dann können wir uns jedes weitere Wort sparen. Ich habe nicht viel Zeit.“
„Ich will Sie nicht beleidigen, Danielle“, erwiderte Anni plötzlich in ungewohnt ernstem Tonfall. „Das wollte ich nie. Ich rufe Sie an, um Matt und Ihnen zu helfen.“
Irritiert zog Danielle die Stirn in Falten.
„Was... was soll das heißen, uns helfen? Ich dachte, Sie hassen mich!“
„Oh nein, meine Liebe“, meinte Anni gedehnt. „Sie leben noch nicht sehr lange in dieser Gegend und kennen manche Leute nicht einmal halb so gut wie ich.“
„Reden Sie von Matt?“
„Schätzchen, ich rede von Marina Cortez-Shelton, seinem Fehltritt Nummer Eins, und davon, dass das Miststück angeblich nach einer leidenschaftlichen Liebesnacht mit ihrem Ex ein Kind von ihm erwartet!“
„Angeblich?“, wiederholte Danielle und lauschte atemlos.
„Ganz richtig, angeblich. Ich habe ein wenig recherchiert, und es würde mich überhaupt nicht wundern, wenn die gute Marina ein ganz und gar falsches Spielchen spielt.“
„Können Sie beweisen, was Sie da sagen?“
„Beweisen?“ Anni lachte höhnisch. „Ich kenne Marina lange genug, um zu wissen, dass sie ein durchtriebenes Luder ist. Und es ist schon etwas mehr als ein dummer Zufall, dass sie am Tag vor besagter Nacht in der Apotheke Schlaftabletten kauft, die so stark sind, dass sie einen ausgewachsenen Mann für gut ein paar Stunden völlig aus den Pantoffeln kippen lassen, so dass man ihm hinterher sogar eine heiße Liebesnacht einreden kann, von der er nichts mehr weiß.“
„Ist diese Vermutung nicht etwas gewagt?“
„Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Denn meine nächste Vermutung übertrifft die erste noch: Was würden Sie sagen, wenn Marina schon länger schwanger wäre, als sie zugibt?“
Danielle musste sich setzen.
„Das... das würde ja bedeuten...“
„Ja genau. Na, klingelt es jetzt endlich bei Ihnen?“
„Anni, woher um alles in der Welt wissen Sie das alles?“, stammelte Danielle.
„Glauben Sie etwa, ich binde Ihnen meine Quellen auf die Nase? So sympathisch sind Sie mir nun auch wieder nicht.“
Wider willens musste Danielle lächeln.
„Warum tun Sie das, Anni? Ich meine, Sie müssten sich doch freuen, dass Matt und ich nicht mehr zusammen sind. Das war es doch, was Sie die ganze Zeit wollten!“
Anni schnaufte verächtlich.
„Was wissen Sie denn schon von mir! Ich habe ihn immer geliebt, schon als ich noch ein Teenager war, und er damals hier in Sunset City auftauchte. Ich wollte stets das Beste für ihn. Und dass ihm Marina Cortez nur Unglück bringen würde, habe ich vom ersten Augenblick an gewusst. Als sie ihn dann verlassen hat, hoffte ich, endlich eine Chance bei ihm zu haben, aber nein, er wollte mich nicht. Er wollte mich nie... Ich war für ihn nur die gute Freundin von nebenan. Tja“ Anni seufzte am anderen Ende der Leitung verärgert, bevor sie fortfuhr: „Und dann kamen Sie. Ich spürte damals sofort, es hat ihn voll erwischt. Ich glaube, zu diesem Zeitpunkt habe ich endlich begriffen, dass aus Matt und mir niemals ein Paar werden würde. Und nun leidet er, weil Sie ihm einfach davongelaufen sind. Er leidet ganz furchtbar, und das kann und will ich nicht tatenlos mit ansehen!“
Danielles Stimme zitterte leicht, als sie antwortete:
„Aber ich bin ihm nicht einfach so davongelaufen, Anni. Er war bei mir und hat mir gesagt, dass er sich für Marina und das Baby entschieden hat.“
„Er war bei Ihnen und hat Ihnen das gesagt? Mmh, interessant. Da wären wir nämlich bei der anderen Sache, über die ich nachgedacht habe. Hier passt etwas nicht so ganz zusammen.“
„Erklären Sie es mir bitte?“
„Ich habe lange darüber nachgegrübelt, und mit Sicherheit sind Sie schuld an meinem ersten grauen Haar. Trotzdem, auch wenn Alex mich für komplett verrückt hält, ich bin mir ganz sicher. Ich habe ihn gesehen!“
„Wen haben Sie gesehen?“, fragte Danielle irritiert.
„An jenem Abend, als Sie sich mit Matt verlobt haben, war er da die ganze Zeit über bei Ihnen im OCEANS? Den ganzen Abend?“
„Aber ja.“
Anni schnaufte zufrieden.
„Na also, wusste ich es doch. Ich war abends mit Alex auf der Heimfahrt von LA, und ich habe ihn ganz deutlich gesehen. Kurz vor Sunset City stand er neben seinem Wagen am Straßenrand und sah ziemlich erschrocken aus, als unser Scheinwerfer ihn blendete.“
„Wer?“
„Na Matt eben.“
„Aber ich sagte doch gerade...“
„Ja, ich habe es gehört“, fiel ihr Anni unwirsch ins Wort. „Aber ich habe sein Gesicht ganz deutlich im Scheinwerferlicht gesehen. Und nun denken Sie mal scharf nach, Danielle: Wenn es nicht Matt war, der dort stand, wer war es dann?“
„Nein...“ Danielle stutzte und schüttelte dann entschieden den Kopf. „Nein, das ist nicht möglich, Anni. Mason ist tot!“
„Anscheinend nicht tot genug“, erwiderte Anni trocken. „Ich an Ihrer Stelle wäre jedenfalls etwas vorsichtig.“
Alle Farbe war aus Danielles Gesicht gewichen.
„Sie meinen...“
„Mason Shelton ist mit allen Wassern gewaschen, das müssten selbst Sie bemerkt haben, nach allem, was geschehen ist.“
Danielle strich sich über ihre inzwischen schweißnasse Stirn.
„Wenn das stimmt, dann wird mir manches klar.“
„Na, das wird auch allmählich Zeit“, kommentierte Anni spöttisch.
„Weiß Matt inzwischen, wo ich bin?“, erkundigte sich Danielle hoffnungsvoll.
„Noch nicht, aber ich denke, ich werde es ihm sagen, sobald ich ihn finde. Momentan ist er wieder einmal wie vom Erdboden verschwunden.“
Danielle schrak zusammen, als sich plötzlich eine Hand auf ihre Schulter legte.
„Alles in Ordnung mit dir?“, fragte die Schwester vom Empfang beunruhigt. „Du siehst etwas blass aus!“
Danielle nickte nur stumm.
„Dann komm, wir haben einen Notfall! Der Rettungswagen wird jeden Augenblick hier sein.“
Danielle sprang auf.
„Anni, ich muss jetzt Schluss machen“,. rief sie in den Hörer. „Ich danke Ihnen, dass Sie mich angerufen haben. Das werde ich Ihnen nie vergessen.“
„Nun werden Sie bloß nicht gleich sentimental“, knurrte Anni. „Das habe ich für Matt getan.“
„Das weiß ich doch“, flüsterte Danielle, aber das Klicken in der Leitung sagte ihr, dass Anni bereits aufgelegt hatte.
Danielle atmete tief durch und schluckte die aufsteigenden Tränen tapfer hinunter. Nicht nachdenken, jetzt nicht!
Sie wurde draußen gebraucht.
*
Er betrat den dunklen Hausflur und nahm auf dem Weg nach oben gleich mehrere Treppenstufen auf einmal. Ein paar Sekunden später stand er vor ihrer Wohnung.
Danielle Belling stand auf dem Türschild.
Er drückte auf den Klingelknopf und starrte auf die Tür.
Gleich würde sie ihm öffnen. In ihren schönen bernsteinbraunen Augen würde sich zunächst Überraschung und Erstaunen widerspiegeln, bevor sie richtig begriff, dass er es war, der sie gefunden hatte. Dann jedoch würde sie lächeln. Dieses Lächeln, dass ihn von Anfang an so fasziniert hatte, er konnte es kaum erwarten, es zu sehen.
Atemlos lauschte er, ob sich von innen Schritte der Tür näherten, aber nichts geschah. Alles blieb still. Noch einmal drückte er auf den Klingelknopf und klopfte zugleich ungeduldig an die Tür. Sie musste doch zu Hause sein!
„Tut mir leid, junger Mann, aber Sie kommen schon wieder umsonst! Miss Belling ist nicht da“, ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihm. Misses Housman, die alte Dame von nebenan, lugte neugierig aus ihrer Wohnung und lächelte ihn bedauernd an. „Sie musste heute arbeiten, obwohl sie eigentlich noch frei gehabt hätte, die Ärmste“, plauderte sie unbefangen. „Aber so ist das eben, in ihrem Beruf hat man nie Feierabend.“
Er atmete tief durch und versuchte mühsam, seine Enttäuschung nicht allzu deutlich zu zeigen.
„Und wo finde ich ihre Arbeitsstelle?“, fragte er so höflich wie möglich, während er sich ein halbwegs charmantes Lächeln abrang.
„Oh, das ist einfach“, rief Mrs. Housman, erfreut helfen zu können. „Sie fahren hinaus zum Airport, und kurz vorher biegen Sie ab zum CENTINELA Hospital. Es ist ein riesiger Klinik-Komplex, den können Sie gar nicht verfehlen. Liegt direkt am Manchester Drive. Dort arbeitet Miss Belling in der Notaufnahme.“
„Als Krankenschwester?“
„Ja genau“, nickte Mrs. Housman eifrig. „Der junge Herr Doktor hat sie dort untergebracht. Die beiden verstehen sich wirklich gut, sie sind ein schönes Paar.“
„Ein...“ Ihm verschlug es fast die Sprache. „Ein Paar, sagen Sie?“
„Nun, genau weiß ich es zwar nicht, aber sie würden sehr gut zusammenpassen, die beiden.“
„Ah ja. Und dieser Doktor, wohnt er auch hier?“
„Natürlich! Eine Etage tiefer, im Erdgeschoss. Aber der ist auch nicht da, der ist vor einer Weile weggefahren, mit einer jungen Frau. Die habe ich allerdings vorher noch nie hier gesehen.“
Normalerweise verabscheute er die Sorte Menschen, die allzu neugierig waren und ihre Nase überall hineinsteckten, aber diese Frau hier war für ihn ein Glückstreffer.
„Haben Sie vielen Dank, Misses...“
„Housman“, ergänzte die Nachbarin schnell. „Wissen Sie, mein verstorbener Mann war mit den Housmans verwandt, die vor achtzig Jahren unten in San Diego...“
„Wie gesagt, vielen Dank, Misses Housman“, unterbrach er sie ungeduldig und war schon an der Treppe. „Ich muss los. Auf Wiedersehen!“
Vor der Tür des Doktors verharrte er kurz und starrte auf das Namensschild.
„John O`Malley“ Den Namen würde er sich auf jeden Fall merken!
*
„Matt?“ Anni seufzte erleichtert auf, als sie nach unzähligen vergeblichen Anrufen seine Stimme endlich am Handy hörte. „Meine Güte, wo steckst du bloß? Ich muss ganz dringend mit dir reden!“
„Anni, jetzt nicht, ich habe keine Zeit!“
„Was soll das heißen! Wo zum Teufel bist du?“
„Auf dem Weg nach LA.“
„Dann komm zurück, ich muss dir was sagen.“
„Tut mir leid, aber das wird warten müssen. Wir sehen uns später.“
„Halt, warte... Leg nicht auf!“
Sie hörte, wie er ungeduldig durchatmete.
„Anni, ich sagte dir doch gerade, was es auch ist, es kann warten!“
„Kann es nicht“, widersprach sie hastig. „Es geht um Danielle!“
„Was ist mit ihr?“
„Ich habe mit ihr gesprochen.“
„Du hast... Was?“
„Matt, ich glaube, sie ist in großer Gefahr!“
„Wie kommst du denn auf diese Idee?“
„Ich... Na ja, es klingt vielleicht etwas merkwürdig, aber ich glaube, dass Mason noch lebt, und dass er genau wie du nach Danielle sucht. Vielleicht ist er zur Stunde sogar schon auf dem Weg zu ihr.“
„Anni! Warst du zu lange in der Sonne oder was? Solche Scherze sind nicht lustig!“
Sie stöhnte wütend auf und verdrehte die Augen.
„Du dämlicher Idiot! Hättest du in den letzten Tagen mal deinen Verstand gebraucht, anstatt pausenlos deinem Country-Girl hinterherzutrauern, dann wäre dir vielleicht aufgefallen, dass einige von den Dingen, die passiert sind, nicht zusammenpassen. Außerdem habe ich Mason selbst gesehen.“
„Waaas? Wo?“
„Ist doch jetzt egal! Damals dachte ich zuerst, dass ich dich gesehen hätte, aber du warst zu dem Zeitpunkt ganz woanders, also habe ich ein wenig nachgeforscht...“
„Anni, was ist los? Was weißt du genau?“
„Das Danielle vielleicht in Gefahr ist, wenn du sie nicht zuerst findest!“
„Ich weiß, wo sie ist, ich bin auf dem Weg zu ihrer Wohnung.“
„Aber da ist sie nicht“, rief Anni aufgeregt. „Ich habe vorhin mit ihr telefoniert!“
„Woher zum Teufel...“
„Ist doch egal. Sie arbeitet im CENTINELA Hospital am Airport.“
„Wieviel weiß Danielle von dem, was du mir eben erzählt hast?“
„Nicht mehr und nicht weniger als du.“
„Anni, du bist…“
„Eine echte Freundin, ich weiß, Matt. Aber das hast du ja nie kapiert!“
Sie holte tief Luft, um nicht an dem Kloß, der mit einem Male in ihrem Hals zu stecken schien, zu ersticken. „Na los, gib Gas! Beeil dich gefälligst!“
„Danke Anni!“
„Ja, ja, eure Dankeshymnen könnt ihr alle behalten“, murrte Anni und legte auf. Hoffentlich ging alles gut. Sie hatte jedenfalls getan, was sie konnte.
*
„Mit wem hast du denn gerade so eifrig telefoniert?“, fragte Alex, der eben aus dem Badezimmer kam.
„Ach.. ähm...“ Anni wollte ihm eigentlich die Wahrheit sagen, überlegte es sich jedoch in letzter Sekunde noch anders. Alex hatte ihr nicht geglaubt, als sie ihm von ihrer Theorie erzählte, die sie sich über Matt und Marina zusammengebastelt hatte. Das sei ausschließlich Wunschdenken, hatte er behauptet und ihr geraten, Matt endlich in Ruhe zu lassen. Er schien überzeugt zu sein, dass sie Gespenster sah und sich nur für das interessierte, was ihre einstige, unerfüllte Liebe betraf. Er war eifersüchtig, ganz eindeutig, und zuerst hatte Anni das auch gefallen. Aber inzwischen reagierte Alex auf ihre Versuche, Matt helfen zu wollen, zuweilen recht ungehalten.
„Ich habe mit einer Freundin telefoniert“, sagte sie deshalb und wollte sich schon abwenden, als Alex sie plötzlich am Arm packte.
„Warum lügst du mich an, Anni?“, fragte er in scharfem Tonfall. „Du hast keine Freundinnen! Du hast mit ihm telefoniert, mit Matt Shelton. Gib es zu!“
„Und wenn schon“, knurrte sie und machte sich ungehalten los. „Das ist doch meine Sache.“
„Nein, da irrst du dich“, erwiderte er und maß sie mit wütendem Blick. „Wenn die Frau, die ich liebe, ihre gesamte Freizeit damit verbringt, hinter einem Kerl herzulaufen, der sie eigentlich gar nicht haben will, dann ist das, verdammt nochmal, auch meine Sache! Kannst du Matt Shelton nicht endlich in Frieden lassen?“
Anni sah ihn mit großen Augen an.
„Was hast du eben gesagt?“
„Du hast mich sehr gut verstanden, meine Liebe! Ich werde mir nicht länger mit ansehen, wie du dich...“, wiederholte er ungehalten, doch sie hob die Hand und unterbrach ihn.
„Nein, das meine ich nicht, Alex. Vorher! Was hast du eben gesagt, über mich? Wer bin ich für dich?“
Alex stutzte und überlegte einen Augenblick, doch dann wurde ihm klar, was sie meinte.
„Ich habe gesagt, dass du die Frau bist, die ich liebe.“
„Ist das wahr?“ Annis Augen bekamen plötzlich einen eigenartigen Glanz.
„Natürlich ist das wahr“, nickte Alex. „Hast du das etwa nicht gewusst? Ich habe mich bereits vom ersten Augenblick an in dieses bezaubernde, kratzbürstige, unberechenbare, rothaarige Biest verliebt, mit dem man jeden Tag neue Überraschungen erlebt.“
„Aber du hast es nie gesagt.“
„Ich dachte, Annabel Parker will so etwas gar nicht hören“, rechtfertigte er sich und grinste, während er langsam auf sie zuging und sie in seine Arme zog.
Die Wut war verraucht. Anni schaffte es doch immer wieder, ihn in Erstaunen zu versetzen. So wie jetzt in diesem Augenblick.
Er hatte noch nie zuvor so einen verklärten Ausdruck in ihren Augen gesehen.
„Doch, ich will es hören“, sagte sie leise und schlang ihre Arme um seinen Hals. „Das hat nämlich noch nie ein Mann zu mir gesagt. Bitte, sag es nochmal!“
„Ich liebe dich, Anni!“
Sie lächelte zufrieden.
„Ich liebe dich auch, du dummer Kerl! Und du hast überhaupt keinen Grund, auf einen Mann eifersüchtig zu sein, den ich eben unter Einsatz aller meiner Kräfte mit einer anderen verkuppelt habe, damit er endlich aus meinem Leben verschwunden ist.“
Alex zog verständnislos die Stirn in Falten.
„Du hast... was?“
„Ach vergiss es. Das ist nicht mehr wichtig.“
„Wenn du das sagst.“
Anni lächelte verführerisch.
„Wie wäre es stattdessen, wenn du mir auf der Stelle beweist, wie sehr du mich liebst?“
Alex grinste.
„Nichts lieber als das!“
*
Er fuhr wie ein Besessener.
„Sie sind kein Paar, oh nein, Sie sind ganz bestimmt kein Paar“, brachte er immer wieder zwischen seinen grimmig zusammengebissenen Zähnen hervor, während er das Gaspedal bis zum Anschlag durchtrat.
Sie gehörte doch ihm, verdammt!
Das Kreischen von Bremsen und ein mehrstimmiges wütendes Hupkonzert machte ihm bewusst, dass er soeben eine rote Ampel überfahren hatte.
Es war ihm egal.
Da vorne, das riesige Gebäude, das musste es sein. Die CENTINELA Klinik.
Fast hätte er die Ausfahrt verpasst. Er riss das Lenkrad herum, schnitt einen schwarzen Mercedes, der erschrocken auswich und mit quietschenden Reifen kurz hinter ihm quer auf der Fahrbahn zum Stehen kam.
Trotz seiner viel zu hohen Geschwindigkeit schaffte er es gerade noch, seinen Wagen in der Abbiegespur zu halten, ohne die Leitplanken zu streifen.
Auf dem Parkplatz angekommen, besann er sich einen Augenblick.
Wenn er hier durch seine Raserei auffiel, würde er Ärger mit dem Sicherheitsdienst bekommen, und Ärger konnte er jetzt wirklich nicht gebrauchen. Also musste er sich ab sofort so unauffällig wie möglich benehmen.
Er parkte den Wagen in der ersten Reihe, die eigentlich für das Krankenhauspersonal reserviert war. Egal, es würde nicht lange dauern.
Er wollte nur rasch zu Danielle. Sie würde sofort mit ihm gehen, dessen war er völlig sicher.
Ohne sich umzusehen, lief er so schnell er konnte in Richtung Eingang.
Jetzt würde ihn niemand mehr aufhalten, niemand!
Er sah nicht den Jeep, der in völlig überhöhter Geschwindigkeit über die Parkplatzeinfahrt geschossen kam. Er hörte auch nicht die Schreie der Passanten, die dem Wagen in letzter Sekunde auswichen.
Er dachte nur an sie...
Der Aufprall kam völlig überraschend.
Er wurde durch die Luft geschleudert und landete irgendwo einige Meter weiter zwischen den Kühlerhauben zweier Autos. Bewegungslos zusammengekrümmt blieb er liegen.
Der Unfallwagen schlingerte und prallte ungebremst an einen der Lichtmasten, die neben dem Eingang standen. Dort blieb er laut hupend stehen.
*
John saß mit Kate in dem kleinen Strandlokal unweit seiner Wohnung.
„Willst du nicht endlich diese Jacke ausziehen?“, fragte er mit einem belustigten Blick auf den dunkelblauen Blazer, den sie trotz seines Hinweises auf die hier herrschenden sommerlichen Temperaturen angezogen hatte.
Kate nickte.
„Ich hätte sie in deiner Wohnung lassen sollen. Hier ist das Wetter etwas beständiger als in Chicago, wie mir scheint.“
John sprang auf, nahm ihr die Jacke ab und ging damit zur Garderobe. Beim Aufhängen rutschte ein Brief aus der Innentasche. Er hob ihn auf und warf schnell einen Blick darauf.
„St. Helen- Klinik, Santa Monica“, stand als Absender darauf.
Irritiert zog John die Stirn in Falten. Was hatte Kate mit Santa Monica zu tun?
Was hatte sie überhaupt hier zu tun? War sie nur wegen ihm hergekommen?
Er hatte unzählige Fragen, was sie betraf, doch nicht eine davon war über seine Lippen gekommen, als er ihr vor einer Stunde so plötzlich gegenübergestanden hatte. Stattdessen hatte er ihr einen Kaffee angeboten, sich mit ihr über belanglose Dinge unterhalten und sie dann zum Essen eingeladen, um die Verlegenheit, die deutlich zwischen ihnen spürbar war, zu mildern.
Nun saßen sie hier, und er scheute sich wie ein kleiner Junge davor, sie zu fragen, was ihm auf der Seele brannte, aus Angst, die Antworten könnten ihm nicht gefallen.
„Entschuldige, der ist eben aus deiner Jackentasche gefallen“, sagte er, als er zurück an den Tisch kam und reichte ihr den Brief.
„Lies ihn“, erwiderte Kate lächelnd. „Er ist einer der Gründe, warum ich hier bin.“
Erstaunt und etwas zögernd entfaltete John den Brief und begann zu lesen.
Kate beobachtete ihn währenddessen prüfend.
Er hatte sich nicht verändert, seitdem er Chicago verlassen hatte. Oder doch?
Sie fand ihn attraktiver denn je, und sie fragte sich zum tausendsten Male, wie sie es fertiggebracht hatte, den Heiratsantrag eines solchen Mannes einfach auszuschlagen. Er fehlte ihr, sein unkompliziertes Wesen, sein Lachen, seine Zärtlichkeiten. Sogar ihre gelegentlichen Streitereien, an denen die Versöhnung hinterher stets das Schönste war.
All das hatte sie einfach aufgegeben. Und wofür?
Kate schüttelte unmerklich den Kopf. Nein, das war es nicht wert gewesen. Nicht im Geringsten.
„Hey! Hörst du mir zu?“
John war fertig mit Lesen und sah sie prüfend an. Sie war total in Gedanken versunken und kehrte nun erschrocken in die Wirklichkeit zurück.
„Entschuldige, was hast du gesagt?“
„Ich habe dich gefragt, ob das hier dein Ernst ist!“ Er deutete auf den Brief. „Das ist eine Zusage auf eine Bewerbung!“
Kate lächelte.
„Ja, sehr gut erkannt. Genau das ist es.“
„Du willst im St. Helen Memorial anfangen, tausende Meilen weit weg von zu Hause?“
Kate nippte an ihrem Wasser und nickte dann.
„Ja John, das habe ich vor.“
„Warum?“, fragte er verständnislos.
Kate spitzte die Lippen, eine Angewohnheit, die sich immer dann zeigte, wenn sie angestrengt nachdachte und ihre Antwort genau abwägen wollte.
„Es ist ein sehr gutes Angebot“, erwiderte sie vage.
John zog ungläubig die Stirn in Falten.
„Kate, jetzt wo du deinen Doktortitel hast, hättest du bestimmt auch in Chicago Arbeit finden können.“
Wieder nickte sie.
„Das ist richtig, man hat mir sogar eine Stelle als Assistenzärztin in unserer alten Klinik angeboten.“
„Und du hast abgelehnt? Das kann ich kaum glauben.“
„Ich habe abgelehnt, weil...“ Kate drehte nervös das Glas zwischen ihren Fingern, bevor sie endlich ihren ganzen Mut zusammen nahm und John offen in die Augen sah. „Weil die Klinik ohne dich nicht mehr dieselbe ist wie früher.“
*
Nach Schichtende betrat Danielle den Umkleideraum und sah sich um. Erleichtert stellte sie fest, dass sie allein war. Sie lehnte sich erschöpft gegen die Tür ihres Schrankes und schloss sekundenlang die Augen. Annis Telefonanruf kam ihr sofort wieder in den Sinn. Bisher hatte sie noch keine Zeit gehabt, darüber nachzudenken, doch jetzt wurde ihr bewusst, dass Matt vielleicht schon auf dem Weg hierher sein könnte.
Nach unzähligen Tagen und Nächten der Traurigkeit stieg zum ersten Mal wieder so etwas wie ein leichtes Glücksgefühl in ihr auf.
Oh ja, wenn Anni bereits mit Matt gesprochen hatte, dann würde er ganz bestimmt herkommen! Vielleicht war er schon da?
So ein Unsinn, schalt sie sich sofort, sie hatten doch erst vor einer halben Stunde miteinander telefoniert.
Noch einmal ließ sie sich durch den Kopf gehen, was Anni gesagt hatte. Langsam ergab alles einen Sinn. Sie und Matt hatten sich blenden lassen, hatten zugelassen, dass ihre Liebe durch Intrigen fast zerstört worden war. Durch Marina, und durch Mason!
Der Gedanke an ihn jagte ihr einen eisigen Schauer über den Rücken.
Es war Mason gewesen, der sie in ihrem Zimmer aufgesucht und ihr gesagt hatte, er hätte sich für Marina und das Baby entschieden! Sie hätte es merken müssen! Seine Art, die Worte, die er wählte. Matt wäre nie so abgebrüht gewesen, ihr den Vorschlag zu machen, als seine heimliche Geliebte in Sunset City zu bleiben!
Aber sie war überzeugt gewesen, Mason sei tot. Und nun das!
Mason lebte und suchte nach ihr.
Vielleicht war er ebenfalls schon auf dem Weg nach LA? Wenn Anni herausbekommen hatte, wo sie sich aufhielt, dann konnte Mason das ebenfalls. Er war skrupellos und gerissen.
Danielle atmete tief durch und versuchte sich zu beruhigen.
Wie auch immer, jetzt war sie gewarnt, und sollte es zu einem Wiedersehen kommen, dann würde sie genau achtgeben, wem sie gegenüberstand.
Sie öffnete den Schrank und nahm ihre Sachen heraus, um sich umzuziehen, als die Tür des Umkleideraumes aufgerissen wurde. Lynn, die Schwester, mit der Danielle zusammen in derselben Schicht arbeitete, kam hereingestürzt.
„Gut, dass du noch da bist, Danielle“, rief sie aufgeregt. „Den Feierabend kannst du vergessen! Draußen vor dem Eingang hat sich soeben ein schwerer Unfall ereignet. Ein sturzbetrunkener Autofahrer hat einen Passanten angefahren. Sieht übel aus. Los komm, wir werden dringend gebraucht!“
*
Er spürte keinen Schmerz, als er die Augen öffnete. Ihm war nur kalt, und er merkte, dass er zitterte.
´Ich bin gestürzt...´, dachte er. ´Wie ungeschickt von mir!´
Er versuchte aufzustehen, da schoss ein scharfer, übermächtiger Schmerz durch seinen Körper, der ihn reglos verharren ließ. Aus weiter Ferne hörte er Stimmen, die in sein Bewusstsein drangen.
„Dieser Wahnsinnige hat ihn einfach umgefahren... sinnlos betrunken... wusste nicht mehr, was er tat… oh mein Gott, das sieht nicht gut aus...“
Und dann dicht neben ihm eine Stimme, die ihm wie ein Echo in den Ohren widerhallte:
„Können Sie mich hören, Sir? Bitte bewegen Sie sich nicht, bleiben Sie liegen, es wird gleich ein Arzt hier sein.“
´Wozu brauche ich einen Arzt?´, sinnierte er verwundert und schloss die Augen. ´Mir ist doch nur ein wenig kalt. Einen Moment ausruhen, dann geht es mir wieder gut. Ihr dürft mich nicht aufhalten, ich muss doch zu ihr!´
„Ich bin Doktor Anderson“, drang irgendwann eine sonore Männerstimme in sein Bewusstsein. Sie wirkte beruhigend und vertrauenserweckend. „Ich werde Ihnen erst einmal etwas gegen die Schmerzen geben, dann wird es erträglicher.“
´Ich habe doch gar keine Schmerzen…´, wollte er protestieren, doch seine Lippen waren wie taub. Gleich darauf spürte er einen schwachen Einstich im Arm. Das Mittel wirkte sofort.
Die Dunkelheit hüllte ihn ein wie ein warmer wohltuender Mantel, als er in tiefe Bewusstlosigkeit versank.
Den entsetzten Aufschrei, den eine der heraneilenden Schwestern ausstieß, als sie ihn sah, hörte er nicht mehr…