„Könntest du mir bitte erklären, was das hier sein soll?”
Sophia stand im Wohnzimmer der Penthouse - Suite und hielt Edward mit eisigem Blick ein Dokument entgegen, als dieser vom Büro nach Hause kam.
Müde und überreizt von den Geschehnissen dieses für ihn absolut schrecklichen Tages blinzelte er, nicht sonderlich interessiert.
„Was ist das?“
„Sag du es mir!“
Er warf seinen Aktenkoffer auf die Couch und ging an ihr vorbei in Richtung Badezimmer, während er bereits mit einer unwirschen Bewegung begann, sich seiner lästigen Krawatte zu entledigen.
„Ich hatte heute nichts als Ärger am Hals, also verschone mich bitte mit deinen albernen Ratespielchen“, knurrte er ungehalten.
„Du wirst gleich noch viel mehr Ärger bekommen, mein Lieber“, erwiderte sie mit drohendem Unterton in der Stimme. Edward ignorierte ihre Bemerkung und öffnete bereits die Tür zum Bad, doch ihre folgenden Worte ließen ihn mitten in seiner Bewegung erstarren. „Bist du für den Einsturz der Höhle verantwortlich, bei dem unsere Tochter fast ums Leben gekommen wäre?“
Langsam und mit ungläubig zusammengezogenen Augenbrauen drehte sich um.
„Herrgott nochmal... Was sagst du da? Wie zum Henker kommst du denn auf so einen Blödsinn, Sophia?“
Unbeirrt trat sie näher und hielt ihm dabei die Unterlagen hin.
„Ich will eine Antwort von dir. Hast du jemanden beauftragt, die Höhle zum Einsturz zu bringen?“
Mit einem äußerst misstrauischen Blick griff er nach dem Papier. „Was ist das?“
„Das wollte ich eigentlich von dir wissen. Aber wenn du mich so fragst...“ Sie sah ihn durchdringend an. „Diese Aufzeichnungen habe ich in unserem Safe- Schließfach gefunden. Hierauf sind die Strandhöhlen verzeichnet. Vier Höhlen, obwohl man nur noch drei davon findet. Eine gibt es nicht anscheinend mehr. Wieso, Edward?“
„Was redest du da für wirres Zeug, Sophia? Es gab von jeher nur drei Höhlen! Und was zum Teufel suchst du in meinem Safe?“, fragte er entrüstet und merkte mit Unbehagen, wie sein Blutdruck gefährlich anstieg.
Unbeeindruckt davon zog Sophia erwartungsvoll die Augenbrauen hoch.
„Unser Safe, mein Lieber. Ich wurde vom Sicherheitsdienst gebeten, unser Schließfach auf Vollständigkeit zu überprüfen, als mir dieser eigenartige Plan in die Hände fiel. Also, lenk gefälligst nicht vom Thema ab, sondern erklär mir jetzt bitte, was es mit dieser Höhle auf sich hat.“ Sie konnte förmlich sehen, wie es hinter Edwards Stirn arbeitete. „Und versuch erst gar nicht, mir irgendwelche Lügenmärchen zu erzählen“, warnte sie ihn mit Nachdruck. „Ich bin hier in Sunset City aufgewachsen und kenne den Strand und die dazugehörigen Höhlen sehr gut. Und diese hier...“ Sie wies auf die Zeichnung „die gab es bis vor kurzem noch. Als ich jedoch vorhin bei Alex Franklyn anrief und fragte, wann die vierte Höhle gesprengt werden soll, zeigte er sich eigenartigerweise sehr erstaunt und erklärte mir, er wüsste nur von drei Höhlen. Findest du das nicht auch etwas merkwürdig?“
Edward sah plötzlich seine Felle davonschwimmen und packte seine Frau hart am Handgelenk.
„Du... du hast… Was? Du hast mit Franklyn gesprochen? Verdammt nochmal, Sophia!“
„Du tust mir weh!“ Vergeblich versuchte sie sich aus seinem Griff zu befreien.
„Antworte! Ist das wahr? Hast du mit ihm über die Höhlen gesprochen?“, fauchte er sie unbeirrt an.
„Nein!“, rief sie und wand sich unter seinem Griff. „Nein, ich habe nur geblufft, aber ich werde es garantiert tun, wenn du mich nicht augenblicklich loslässt!“
Er besann sich und ließ ihr Handgelenk los.
„Hör zu“, schnaufte er und versuchte, sich etwas zu beruhigen. „Diese Höhle ist völlig ungefährlich für die Sprengungen, die geplant sind. Sie würde die Firma nur einen Haufen Geld kosten, deshalb habe ich sie nicht mit aufgeführt, und die Pläne dafür sicherheitshalber hier in unserem Safe deponiert.“
Sophia kniff ungläubig die Augen zusammen.
„Und warum habe ich sie neulich bei meinem Spaziergang überhaupt nicht finden können?“
„Weil der Eingang verschüttet wurde, verdammt!“, fluchte Edward, der sich durch die unbequemen Fragen seiner Frau in die Enge getrieben fühlte.
„Verschüttet? In wessen Auftrag? In deinem?“ Sophia schüttelte ungläubig den Kopf. „Du weißt genauso gut wie ich, dass schon von je her vermutet wird, die Strandhöhlen seien alle unterirdisch miteinander verbunden. Glaubst du denn wirklich, Franklyn und sein Team würden mit ihren hochmodernen Geräten diesen Schwindel nicht irgendwann herausbekommen? Ganz abgesehen davon, dass ein unentdeckter Hohlraum für die Stabilität der Felsen eine absolute Gefahr darstellen würde?“
Edward wurde das Gespräch langsam zu gefährlich.
„Hör schon auf, Sophia, davon verstehst du doch überhaupt nichts“, fauchte er und wollte sich abwenden, doch seine Frau hielt ihn energisch am Arm fest.
„Allmählich wird mir so manches klar, und ich frage mich, wobei du noch alles deine Finger im Spiel hast, nur um ein paar lumpige Dollar zu sparen!“
„Was soll das heißen? Du glaubst doch nicht etwa...“ Edward sah den prüfenden Blick seiner Frau und schüttelte energisch den Kopf. „Hör zu, mit dem Einsturz im Keller des OCEAN hat das nicht das Geringste zu tun! Wie kannst du auch nur annähernd denken, ich hätte so etwas veranlasst? Wo doch unsere eigene Tochter in dieser Bar arbeitet!“
Sophia betrachtete ihn mit einer Skepsis, die ihn wütend machte. Zugleich begann ihn sein schlechtes Gewissen zu quälen.
„Vergiss das Ganze“, befahl er barsch. „Caroline ist glücklicherweise bei diesem bedauerlichen Unfall nichts Ernsthaftes geschehen. Und was die vierte Höhle betrifft, so werden wir ihre Existenz weiterhin schön für uns behalten.“
„Nein, das werden wir nicht“, sagte Sophia entschieden und ließ mit einem geringschätzigen Lächeln zu, dass er die Pläne zerriss. „Gib dir keine Mühe, mein Lieber, ich habe mir Kopien gemacht.“
Edward stöhnte auf und ließ resigniert die Arme sinken.
„Was willst du, Sophia?“
Sie sah ihn mit einem eigenartigen Lächeln an, dass ihm an ihr fremd war.
„Ich will, dass du Caroline in Ruhe lässt. Sie und ihren neuen Freund, diesen Dean!“
„Ich soll diesem Grünschnabel allen Ernstes das OCEANS überlassen? Und überdies noch mit unserer Tochter als seiner Geschäftspartnerin? Niemals!“
Sophias Augen blitzten überraschend herausfordernd.
„Dann werde ich Mister Franklyn leider doch noch anrufen müssen.“
„Das würdest du tun?“ Edward starrte sie an und las die Antwort in ihrem Blick. Oh ja, sie meinte es ernst! „Verdammt Sophia, das ist Erpressung!“
„Nenn es, wie du willst“, erwiderte sie ungerührt. „Mir geht es dabei nur um Caroline.“
„Ist dir klar, wieviel das OCEANS wert ist?“
Sie zog missbilligend die eine Augenbraue hoch. Für wie dumm hielt ihr Gatte sie eigentlich?
„Nicht mehr halb so viel wie vorher, nachdem du den unterirdischen Zugang hast sprengen lassen, mein Lieber!“
„Sophia, ich sagte doch…“
„Hier geht es allein um unsere Tochter, die einzige, die du hast... dein kleines Mädchen, wie du sie noch immer gerne nennst“, unterbrach sie ihn mit einer Ruhe, die ihn erneut zutiefst verunsicherte. „Was bedeutet dir mehr? Sie... oder diese verdammte Kellerbar?“
Sie starrten einander sekundenlang abschätzend an, und diesmal hielt Sophia seinem Blick scheinbar mühelos stand.
„Du hast recht“, gab er nach einer Weile, die ihr wie eine Ewigkeit erschien, plötzlich klein bei. „Ich bin ein Trottel!“ Er drehte sich zum Fenster, damit sie nicht sah, wie es um ihn stand.
Sophia musterte ihn einen Augenblick lang erstaunt, dann flog ein triumphierendes Lächeln über ihr angespanntes Gesicht.
„Ja, das bist du. Aber Einsicht ist ja bekanntlich der erste Weg zur Besserung.“
Sie zögerte kurz, dann ging sie auf ihn zu und legte ihm ihre Hand auf die Schulter. „Geh zu ihr, gleich morgen früh. Rede mit ihr. Sie wird dir ganz bestimmt zuhören.“ Bestürzt gewahrte sie die Tränen, die in seinen Augen standen. Es waren nur wenige Momente in ihrer Ehe gewesen, in denen sie ihn jemals so schwach gesehen hatte.
„Glaub mir, ich wollte das alles nicht“, stöhnte er. „Ich wollte immer nur das Beste... für uns, für die Kinder... für die Firma.“
„Dann tu endlich einmal das Richtige“, erwiderte Sophia leise, aber eindringlich. „Lass Dean Lockwood und Caroline in Ruhe. Lass die beiden ihr eigenes Leben führen. Wir haben eine so großartige Tochter! Gib ihr endlich die Chance, die sie verdient.“ Sie überlegte einen Moment und fügte dann etwas zögernd hinzu: „Und wo wir einmal dabei sind, Edward, vielleicht kannst du auch uns beiden und unserer Ehe noch eine Chance geben. Ich für meinen Teil wäre dazu bereit.“
*
Ron Austin war etwas enttäuscht gewesen, als Sophia am Vormittag das Treffen zum Lunch abgesagt hatte. Aber in Anbetracht der besonderen Umstände konnte er verstehen, dass sie momentan einen Besuch bei ihrer Tochter in der Klinik vorzog.
Allerdings hatte er sie am Nachmittag telefonisch zurückgerufen und nicht eher lockergelassen, bis sie schließlich seinem Vorschlag zustimmte, sich am Abend mit ihm im YACHT CLUB zu treffen. Auf seine vorsichtige Frage hin, ob es wegen des Termins Probleme mit ihrem Ehemann gäbe, hatte sie nur gemeint, es wäre allein ihre Angelegenheit, wann und mit wem sie ausginge. Ihre Antwort erfüllte ihn mit Genugtuung. Vielleicht würde aus ihrer Begegnung, die in LA so abrupt geendet hatte, doch noch die erhoffte Romanze.
Im YACHT CLUB hatte er einen Tisch für zwei bestellt. Dabei wollte er nichts dem Zufall überlassen und hatte ausdrücklich die etwas diskrete Nische ganz hinten rechts am Fenster mit Blick aufs Meer verlangt. Dort würde er mit Sophia ungestört dinieren und anschließend eventuell auch gemeinsam mit ihr ohne viel Aufsehen das Restaurant durch den Nebeneingang, der direkt zu den Aufzügen führte, verlassen können.
Zuversichtlich und pünktlich auf die Minute erschien er zur vereinbarten Zeit am Eingang des YACHT CLUB und erhielt auf seine Frage hin vom Chefkellner Gaston die Auskunft, dass Sophia bisher noch nicht eingetroffen war.
Er wartete zunächst ein paar Minuten, dann entschloss er sich, einstweilen Platz zu nehmen. Gaston würde Sophia sicher sofort zu seinem Tisch geleiten, sobald sie hier auftauchte.
Er betrat das Nobelrestaurant und sah sich einen Augenblick lang suchend um. Von den dienstbeflissenen Angestellten, deren Aufgabe es war, die Gäste zu ihren Plätzen zu begleiteten, war momentan keiner zu sehen, also ging Ron zielstrebig zu dem von ihm reservierten Tisch, als er feststellen musste, dass dort bereits jemand Platz genommen hatte. Erstaunt blieb er stehen.
„Verzeihen Sie vielmals, Ma`m“, sagte er höflich. „Aber das ist mein Tisch.“
Die blonde Dame mittleren Alters in dem veilchenblauen Kostüm hob den Kopf und musterte ihn erstaunt. Ron fiel sofort auf, dass ihre Augen genauso strahlend blau waren wie ihr Outfit. Überhaupt war sie eine äußerst attraktive Erscheinung, und er registrierte den leicht amüsierten Ausdruck in ihrem Gesicht, während sie ihn in aller Ruhe von oben bis unten musterte.
„Darf ich fragen, mit wem ich das... Vergnügen habe?“, fragte sie charmant.
„Austin. Ronald Austin“, stellte er sich mit leichtem Kopfnicken vor.
Sie zog ein wenig die Augenbrauen hoch, ohne jedoch den Blick von ihm abzuwenden. Falls sie seinen Namen kannte, und er war sich sicher, dass dies der Fall war, so modebewusst, wie sie sich kleidete, ließ sie es sich jedoch nicht anmerken. Stattdessen wies sie auf den Tisch, hob mit ihren rotlackierten Fingernägeln einen Zipfel des blütenweißen Tischtuches an und ließ ihn wieder fallen.
„Tja, Mister... Austin, es tut mir leid, aber ich kann nirgends Ihren Namen entdecken, weder auf noch unter diesem Tisch. Von daher bezweifle ich, dass es Ihrer ist.“
Zuerst wollte Ron protestieren, doch er sah den Schalk in ihren schönen Augen und musste wider Willens lachen.
„Eins zu null für Sie, meine Liebe. Aber trotz alledem... Ich bin hier verabredet und hatte ausdrücklich darum gebeten, dass man mir diesen Tisch reserviert. Wenn Sie wünschen, werde ich mich selbstverständlich darum kümmern, dass Ihnen ein anderer, gleichwertiger Platz zugewiesen wird.“
„Nein danke, das wünsche ich nicht“, erwiderte sie prompt, ohne eine Miene zu verziehen. „Das ist sozusagen mein Stammplatz, deshalb gibt es keine gleichwertige Alternative.“
Für einen Augenblick verschlug es Ron die Sprache. Er war es gewohnt, dass man für gewöhnlich überall und in fast jeder Situation seinen Wünschen nachkam und vor allem die Damenwelt seinem berühmten Charme meistens widerspruchslos unterlag. Aber diese hier... Sie strahlte ein so gesundes Selbstbewusstsein aus, welches ihn sofort faszinierte. Er atmete tief durch und setzte erneut sein gewinnendes Lächeln auf.
„Nun, vielleicht könnten wir uns irgendwie arrangieren.“
Sie lehnte sich zurück und verschränkte erwartungsvoll die Arme.
„Und wie stellen Sie sich das vor, wenn ich fragen darf?“
„Nun, wir könnten den Tisch miteinander teilen“, schlug er spontan vor.
„Den Tisch miteinander teilen...“, wiederholte sie und lächelte dann amüsiert. „Es klingt interessant, fast schon intim, wie Sie das sagen.“
Ron lachte.
„Ich kann ihnen versichern, Ma`m...“ Er machte eine Pause und sah sie fragend an.
„Cloe Blackwater“, stellte sie sich nun ihrerseits vor. „Und versichern Sie mir bitte nichts. Das wäre der erste Schritt zu einem langweiligen Abend. Dabei hat er doch gerade äußerst verheißungsvoll begonnen. Also, teilen wir uns den Tisch und den Abend! Setzen Sie sich, Ron Austin.“
Er grinste, nahm Platz und winkte dem Kellner.
„Eine Flasche von Ihrem besten Champagner“, forderte er. „Und bringen Sie noch ein zusätzliches Glas. Die Dame ist mein Gast.“
*
Die innere Anspannung schien ihn fast zu zerreißen, als Matt an Mitch Capwells Tür läutete. Er hatte sich etwas verspätet, aber das war nicht wichtig. Wichtig war, ob Danielle die Neuigkeiten bereits wusste, und falls ja, wie sie darauf reagieren würde. Ungeduldig drückte er ein zweites Mal auf den Klingelknopf, als ihm endlich geöffnet wurde.
Es war Mitch selbst, der in der Tür stand, und er musterte den Ankömmling mit einem Blick, als sähe er ihn in diesem Augenblick zum ersten Mal.
„Was willst du denn hier?“, fragte er unfreundlich. „Hast du für heute nicht genug angerichtet?“
Matt atmete tief durch.
„Ihr wisst es also“, meinte er resigniert. „Okay, es tut mir leid, wie alles gekommen ist, aber ich werde das mit Danielle klären.“ Er wollte an Mitch vorbei ins Haus gehen, doch der hielt ihn mit einer energischen Handbewegung zurück.
„Gib dir keine Mühe. Sie ist nicht da.“
„Was?“ Matt glaubte sich verhört zu haben. „Ich verstehe nicht...“
„Was gibt es denn da zu verstehen?“, erwiderte Mitch zerknirscht. Er zog einen zusammengefalteten Briefumschlag aus der Hosentasche und reichte ihn seinem Freund. „Das soll ich dir von ihr geben.“
Matt starrte einen Augenblick lang auf den Umschlag und riss ihn dann erwartungsvoll auf, in der Hoffnung, ein paar Zeilen von Danielle zu finden und vielleicht zu erfahren, was sie bewogen hatte, ihn heute zu versetzen. Stattdessen purzelte ihm der Verlobungsring entgegen. Er blickte verständnislos auf den Ring und dann in Mitchs verschlossenes Gesicht.
„Was soll denn das? Kannst du mir vielleicht erklären, warum...“
„Das fragst du noch?“, unterbrach ihn sein Freund ungehalten. „Du hast es tatsächlich geschafft, dass sie regelrecht von hier geflohen ist.“
„Ohne noch einmal mit mir zu reden? Aber... verdammt nochmal, ich liebe sie doch!“
Mitch schnaufte höhnisch.
„Du hast eine äußerst merkwürdige Art, das auszudrücken.”
„Wie meinst du das?“
„Komm schon, Matt, das weißt du sehr gut. Und nun entschuldige mich, ich habe zu tun.“
„Warte mal... Mitch! Was wolltest du eben damit sagen? Was ist hier los?“
Er erntete lediglich einen eisigen Blick.
„Tut mir leid, ich musste Danielle versprechen, nicht mit dir über diese Sache zu diskutieren, so gerne ich das auch tun würde. Aber sie hat mein Wort. Und im Gegensatz zu dir halte mich an das, was ich verspreche. Also verschwinde jetzt besser!“
´Er hat erfahren, dass Maria ein Kind von mir erwartet...´, deutete Matt das abweisende Verhalten von Mitch ihm gegenüber. ´Genauso wie Danielle und alle anderen. Nur ich Trottel wusste bis vor einer Stunde nichts davon!´
„Wo finde ich sie?“, fragte er mit belegter Stimme.
„Das wirst du von mir nicht erfahren, gib dir keine Mühe. Und selbst, wenn ich wollte, ich weiß es nicht. Sie hat ihre Sachen gepackt und ein Taxi genommen.“ Mitch musterte ihn anklagend. „Sie ist weg, Matthew, und das ist allein deine Schuld!“
„Mitch, es ist nicht so wie es scheint! Du kennst mich, du bist mein bester Freund!“
„Ich dachte, ich kenne dich. Inzwischen bin ich mir da nicht mehr so sicher. Vielleicht bist du deinem verstorbenen Bruder ähnlicher, als wir alle glaubten.“
*
Das Freeman-Anwesen nördlich von Los Angeles konnte man als schlichtweg gigantisch bezeichnen. Es lag sehr abgelegen, eingebettet zwischen den ersten Ausläufern der Santa Monica Mountains, und war für die Öffentlichkeit so gut wie unzugänglich.
Der herrliche Ausblick ließ Danielle ihre Sorgen für ein paar kurze Augenblicke vergessen. Staunend blickte sie aus dem Fenster des Helikopters, der über dem riesigen Anwesen kreiste, um dann auf dem eigens für ihn vorgesehenen Landeplatz ein paar hundert Meter hinter dem Haupthaus sanft aufzusetzen.
Nachdem sie ausgestiegen waren, führte Roger die Gäste zu einer schwarzglänzenden Limousine, die am Rande des Landeplatzes wartete. Beeindruckt ließen sich John und Danielle in die weichen Lederpolster fallen. Roger Miles nahm ihnen gegenüber Platz. Freemans Anwalt und Vertrauter bemerkte die staunenden Blicke seiner Gäste und lächelte still. Wer zum ersten Mal hier zu Besuch kam, war für gewöhnlich überwältigt von dem Anwesen und diesem herrlichen Stück Natur zwischen der Küste und den zunächst noch sanft ansteigenden Bergen.
Das riesige Portal, verziert mit den vergoldeten Initialen „GF“ öffnete sich, von mehreren Kameras überwacht, nur den hier ansässigen Personen sowie geladenen und angemeldeten Gästen.
Eine von dicken Palmen eingesäumte Allee führte zum Haupthaus, welches in einer herrlichen Parkanlage mitten im Grünen lag.
Das Haus selbst war eine prächtige, schneeweiße Villa, die trotz ihrer beachtlichen Größe weder protzig noch übertrieben pompös wirkte, sondern sich nahezu perfekt ins Landschaftsbild einfügte.
George Freeman schien nicht nur unermesslich reich zu sein, er besaß über dies auch einen exzellenten Geschmack, den er von den besten Architekten des Landes umsetzen ließ.
Während der Chauffeur noch eine Ehrenrunde um das blumenumsäumte Rondell vor der Villa drehte, bemerkte Roger erleichtert, dass Danielles bleiche Wangen inzwischen wieder etwas Farbe bekommen hatten. Als er sie vorhin in Sunset City begrüßt hatte, war er erschrocken gewesen. Ein Blick auf ihr blasses Gesicht und die vom Weinen noch immer leicht geschwollenen Augen hatte genügt und er wusste, dass etwas nicht stimmte.
Als sie ihm dann während des Fluges erzählte, was geschehen war, hatte er einen Moment lang überlegt, ob man den Besuch bei George Freeman in Anbetracht der Umstände vielleicht besser verschieben sollte.
„Seine Krankheit ist weitaus schlimmer, als er jemals zugeben würde“, hatte er seinen Gästen erklärt. „Die kleinste Aufregung könnte ihn umbringen. Sein krankes Herz macht ihm große Probleme.“
„Was ist mit einem Spenderherz?“, hatte John gefragt. „Steht Ihr Boss nicht auf der Warteliste für eine Organspende?“
„Oh doch, schon eine ganze Weile. Er hätte auch schon eines bekommen können, damals, kurz nachdem seine Frau diesen mysteriösen tödlichen Unfall hatte. Aber da gab es einen jungen Mann, gerade mal zwanzig, auf den das Organ auch gepasst hat. Er wäre laut Warteliste noch gar nicht mit dran gewesen, aber George meinte, der Junge hätte sein Leben noch vor sich und trat in letzter Minute von der Transplantation zurück.“
„Alle Achtung“, hatte John beeindruckt gesagt und Roger hatte nur nachdenklich genickt.
„Ja, so ist er. Er denkt immer zuerst an die, die ihm wichtig sind.“
Während dieses Gespräches arbeitete Rogers Verstand auf Hochtouren. Er fühlte sich verantwortlich für das Wohlergehen und die Gesundheit seines Arbeitgebers und besten Freundes. Allein die Tatsache, dass Danielle ohne ihren Verlobten angereist war, bereitete ihm erhebliches Kopfzerbrechen. Er wusste, wie sehr Freeman Danielle Belling seit jenem Flug von Tokio nach LA verehrte. Er würde die Tatsache, dass sie unglücklich war, nicht ohne eine gewisse innere Aufregung hinnehmen.
Aber wie sollte sie den wahren Grund für das Fernbleiben ihres Verlobten verschweigen? Freeman würde sofort bemerken, dass hier etwas nicht stimmte. Sein schlechter Gesundheitszustand hatte nicht das Mindeste an seinem Verstand und seiner Menschenkenntnis geändert.
Als Danielle Roger schließlich bat, auf dem Gelände der Centinela-Klinik am LA-Airport zwischenzulanden, um John O`Malley abzusetzen, kam dem Anwalt plötzlich eine Idee.
Zugegeben, seine beiden Passagiere waren ziemlich überrascht gewesen, als er ihnen seinen Vorschlag unterbreitete. Es war letztendlich John O`Malley, der Danielle dazu überredete, George Freemans Gesundheit zuliebe darauf einzugehen. Sie selbst hatte es unglaubliche Überwindung gekostet, und fast sah es so aus, als wolle sie lieber umkehren, aber als John sie vorsichtig daran erinnerte, dass sie nicht nach Sunset City zurückkönne, ohne Matt zu begegnen, war sie schließlich unter Tränen mit dem ungewöhnlichen Vorhaben einverstanden gewesen.
Der Zwischenstopp in LA hatte sich damit erledigt.
Die Limousine hielt vor dem Eingang der Villa.
Ein Angestellter des Hauses eilte dienstbeflissen herbei und öffnete die Wagentür. Langsam und sichtlich beeindruckt stiegen Danielle und John aus.
„Meine Güte!“ Das war alles, was Danielle hervorbrachte. Sie fühlte sich plötzlich angesichts dieses gigantischen Anwesens furchtbar klein und unbedeutend. Ihre Knie begannen zu zittern, und sie griff unbewusst Halt suchend nach Johns Arm. Er bemerkte ihre Unsicherheit und legte schützend seinen Arm um ihre Schultern.
„Ganz ruhig, das kriegen wir schon irgendwie hin“, raunte er ihr zu und erntete einen zweifelnden Blick aus ihren braunen Augen.
„Ich weiß nicht, ob das alles richtig ist, John.“
Im selben Moment öffnete sich die Tür, und George Freeman trat heraus.
Strahlend eilte er auf seine Gäste zu.
Danielle erschrak ein wenig, als sie ihn sah. Was war nur geschehen? Die wenigen Wochen, seit sie ihn auf dem Flug von Tokio nach LA im Flugzeug kennengelernt hatte, hatten ihn verändert. Er war auffallend gealtert und hatte beängstigend abgenommen. Nur seinen gütigen Augen waren noch immer dieselben.
„Willkommen in meinem bescheidenen Haus, meine Liebe“, rief er etwas schweratmig und schloss Danielle lachend in die Arme, gerade so, als ob sie sich bereits seit Jahren kannten. „Sie können sich nicht vorstellen, wie ich mich freue, dass Sie meine Einladung angenommen haben! Endlich darf ich mich bei meiner Lebensretterin ein wenig revanchieren.“
„George“, erwiderte Danielle lächelnd. „Sie haben sich doch bereits revanchiert, und zwar mehr, als jemals nötig gewesen wäre!“
„Ach papperlapapp, das war doch überhaupt nichts“, wehrte er sofort ab und wandte sich an John. „Sie sind also der beneidenswerte, junge Mann, dem Danielles Herz gehört“, meinte er und betrachtete ihn mit einem wohlwollenden Blick, bevor er auch ihm kräftig die Hand schüttelte. „Ich hoffe, Sie wissen, was Sie für ein Glück haben, Mister...“
Danielle holte tief Luft. Sie hasste es zu lügen, und die folgenden Worte kosteten sie ihre ganze Überwindung, aber ein Blick in George Freemans von der schweren Krankheit gezeichnetes Gesicht sagte ihr nur allzu deutlich, dass diese Notlüge berechtigt war.
„George, darf ich Ihnen meinen Verlobten John O`Malley vorstellen?“
*
Von irgendeinem unbekannten Geräusch schreckte Stefano hoch. Einen Augenblick lang wusste er nicht, wo er sich befand, doch dann sah er Claudias blasses Gesicht, umrahmt von einer Flut schwarz glänzenden Haares, vor sich in den Kissen, und er griff erneut nach der schmalen Hand, die reglos auf der Bettdecke lag.
Die Tür öffnete sich fast lautlos, und eine der Schwestern huschte ins Zimmer.
Stefano warf ihr einen verzweifelten Blick zu.
„Warum wacht sie nicht endlich auf?“, fragte er verunsichert.
Die Schwester lächelte beruhigend.
„Sie müssen Geduld haben, Mr. Cortez. Dr. Mendes hat ihr ein starkes Beruhigungsmittel gespritzt. Er meint, sie braucht diese Zeit, denn während sie schläft, erholt sich ihr Körper. Sie war nach dem Einsturz eine Weile bewusstlos und fast ohne Sauerstoff, bevor man sie fand.“
Nachdem sie Claudias Vitalwerte überprüft und ordnungsgemäß in der Krankenakte vermerkt hatte, wandte sie sich noch einmal zu Stefano um.
„Es sieht bisher alles gut aus. Sie ist jung und hat ein gutes Immunsystem. Ihre Werte sind den Umständen entsprechend normal. Sie wird es schaffen. Und Sie sollten vielleicht erst einmal nach Hause gehen und sich etwas Schlaf gönnen.“
„Nein“, wehrte Stefano entschieden ab. „Ich bleibe hier. Vermutlich hat sie dort unten Todesängste ausgestanden, und ich will nicht, dass sie allein ist, wenn sie erwacht.“
*
Er hatte alles versucht...
Unzählige Male hatte er die Nummer ihres Handys gewählt.
Es meldete sich nur die unpersönliche Ansage der Mailbox.
Er hatte alle Flughäfen in der Umgebung angerufen.
Eine Danielle Belling stand auf keiner Passagierliste.
Er war sogar noch einmal zu Mitchs Haus zurückgegangen. Mitch selbst war nicht da, aber Randy hatte sich nicht weniger abweisend verhalten, und als es ihm endlich gelungen war, bis zu Robyn vorzudringen, war das auch nicht sehr hilfreich gewesen.
Danielles Schwester schäumte vor Wut, und ihre Worte waren eher eine kalte Dusche als eine Hilfe für ihn gewesen.
Matt fühlte sich momentan hilflos wie selten zuvor. Die Frau, die er liebte, hatte ihn verlassen, und es schien ihm, als sei auf einen Schlag alles Schöne in seinem Leben einfach mit Danielle verschwunden…
*
George schüttelte John freundschaftlich die Hand.
„Ich freue mich wirklich sehr, Sie endlich persönlich kennenzulernen, Mister O`Malley!“
„Ganz meinerseits“, erwiderte John höflich lächelnd. „Vielen Dank für die Einladung, Mister Freeman. Und bitte nennen Sie mich John.“
George lächelte wohlwollend.
„Sehr gern, John. Ich finde, ohne förmliche Anrede lernt man sich irgendwie viel leichter kennen. Zumindest unter Menschen, die einander sympathisch sind. Also, ich bin George.“ Er wandte sich an Roger. „Danke alter Junge, dass du meine Gäste hergebracht hast. Auch wenn du glaubst, jede Aufregung könnte meine letzte sein.“ Er schnaufte, und Danielle fiel erneut seine Kurzatmigkeit auf.
„Ich glaube, Mister Miles meint es nicht böse, wenn er versucht, allen Stress so gut es geht von Ihnen fernzuhalten. Er sorgt sich einfach um Sie.“
Roger nickte bestätigend.
„Genau das beabsichtige ich, aber er ist so stur wie ein Esel und hat eine diebische Freude daran, meine gut gemeinten Ratschläge allesamt zu ignorieren.“
Lachend klopfte ihm George auf die Schulter.
„Roger ist eine Seele von Mensch, und seit einer gefühlten Ewigkeit mein bester Freund. Ohne ihn wäre ich gesundheitlich ein Wrack und geschäftlich mit Sicherheit längst bankrott. Aber ab und zu übertreibt er es mit seiner Fürsorge ein bisschen. Deshalb will ich heute nichts von meiner Krankheit hören.“ Er zwinkerte Danielle und John verschmitzt zu. „Und nun kommt erst einmal ins Haus. Meine Haushälterin ist schon ganz aufgeregt, weil wir endlich einmal wieder Gäste haben. Sie hat bereits den Tisch gedeckt und der Köchin ständig auf die Finger geschaut!“
Erwartungsvoll betraten sie das Haus. Wenn die Villa schon von außen an einen Palast erinnerte, wie würde sie dann erst von innen aussehen?
Während sie in die geschmackvoll mit antiken Möbeln bestückte große Diele traten, wechselten John und Danielle einen kurzen, aber bedeutungsvollen Blick in stillem Einvernehmen, denn beide fühlten sich in ihrer soeben erfundenen Beziehung äußerst unwohl.
Danielle wünschte sich von Herzen, sie hätte die Einladung in letzter Minute noch abgesagt, anstatt hier mit einem falschen Verlobten anzutreten, während der Schmerz um ihre echte Liebe sie fast umbrachte.
Aber nun war es zu spät für einen Rückzieher. Sie würde mit Johns Hilfe diesen Abend irgendwie überstehen und danach versuchen, ein neues Leben zu beginnen. Ein unvorstellbares Leben. Allein, ohne Matt...
Nach einem ausgiebigen Dinner, bei dem sich Danielle und John vorgekommen waren wie auf einem Präsidentenempfang, saßen sie gemeinsam mit George und Roger bei einem Glas Wein auf der großzügig angelegten Terrasse zwischen Palmen, betörend duftenden weißen Rosenbäumchen, Jasmin und in voller Blüte stehendem Oleander. Von hier aus bot sich den Besuchern ein atemberaubendes Panorama von den Santa Monica Mountains hinab auf den Pazifik, in dessen endlos scheinenden Weiten sich die letzten Strahlen der warmen Nachmittagssonne spiegelten.
„Ihre Frau muss dieses Haus sehr geliebt haben“, schwärmte Danielle beeindruckt und spürte erleichtert, dass der Wein eine äußerst beruhigende Wirkung auf ihre überreizten Sinne ausübte.
„Oh ja, meine Frau hat gern hier draußen gesessen“, erwiderte George mit einem etwas melancholischen Lächeln. „Besonders morgens, wenn die Sonne aufging. Sie war eine notorische Frühaufsteherin und liebte die Natur, den besonderen Duft des erwachenden Tages und das morgendliche Gezwitscher der Vögel. Obwohl wir einen sehr guten Gärtner haben, arbeitete sie ab und zu gern selbst im Garten. Sie meinte, das täte ihr gut, wenn sie mal wieder zu viel geschäftlich unterwegs gewesen war.“
Danielle musste unwillkürlich an Paradise Island denken und daran, wie sie Evita dort bei der Gartenarbeit geholfen hatte. Paradise Island, die traumhafte Insel, wo Matt ihr an jenem romantischen Abend den Heiratsantrag gemacht hatte. Ihr Magen zog sich in Erinnerung daran schmerzhaft zusammen. War das wirklich erst so kurze Zeit her?
Wehmütig lehnte sie sich zurück und überließ sich ein paar Sekunden der Erinnerung daran. John schien ihre Traurigkeit zu spüren, denn er legte sanft seine Hand auf ihren Arm.
George bemerkte es und quittierte diese liebevolle Geste mit einem Lächeln.
„Ihr zwei seid ein schönes Paar“, sagte er zufrieden. „Was machen Sie eigentlich beruflich, John?“
„Ich bin Arzt und arbeite in der Notaufnahme des Centinela Hospitals am LA Airport.“
„In Los Angeles?“, wunderte sich George. „Ich hatte angenommen, Sie arbeiten in Sunset City.“
„Ich war nur vorübergehend als Vertretung im Huntington Memorial eingesetzt, weil dort Personalmangel herrschte“, erklärte John.
„Sie haben also Ihr Herz an einen Arzt verschenkt.“ George nickte Danielle lächelnd zu. „Dann sollten Sie recht bald mit Ihrem Studium beginnen, damit sie Ihrem Verlobten in nichts nachstehen!“
„Ich weiß noch nicht“, erwiderte Danielle etwas zögernd. „Jetzt, wo John wieder hier in LA arbeitet, hätte ich zwar die Möglichkeit, Ihr großzügiges Geschenk einzusetzen um mir meinen Traum zu erfüllen, aber ich denke, ich werde mir zunächst erst einmal einen Job als Krankenschwester suchen. Ich bin nämlich inzwischen ein wenig aus der Übung“, ergänzte sie schnell, als sie Johns erstaunten Blick bemerkte.
George nickte verständnisvoll.
„Benutzen Sie das Geld, wozu Sie möchten, Danielle, es gehört Ihnen. Selbst wenn Sie irgendwann Ihre Berufung woanders sehen sollten.“ Er wandte sich wieder an John. „Dann werden Sie beide wohl fortan in LA wohnen?“
„Ich habe eine kleine Mietwohnung in Venice“, nickte John. „Sie reicht erst einmal für uns beide, bis wir etwas Größeres finden.“
George nickte versonnen.
„Verliebte brauchen nicht viel Platz. Je enger zusammen, desto besser.“ Er überlegte kurz. „Allerdings, wenn ich es recht bedenke... Roger, was ist eigentlich mit dem kleinen Gartenhaus hinter dem Südflügel? Die beiden könnten sofort dort einziehen!“
„Nein!“, riefen John und Danielle gleichzeitig und sahen einander fast erschrocken an, bevor Roger Miles irgendwie reagieren konnte. John fasste sich als Erster.
„N...nein danke, George, das ist wirklich großzügig von Ihnen, und ich hoffe, Sie verstehen das nicht falsch, aber ich möchte doch lieber aus eigener Kraft für uns ein Zuhause schaffen. So bin ich nun mal erzogen worden, und dazu stehe ich auch.“
George nickte anerkennend.
„Dieser Charakterzug ehrt Sie wirklich sehr. Ihre Eltern müssen sehr stolz auf Sie sein.“
„Meine Mutter“, verbesserte John. „Sie hat mich allein aufgezogen. Ich habe ihr sehr viel zu verdanken, und deshalb habe ich mir geschworen, sie auch nach ihrem Tod niemals zu enttäuschen.“
„O`Malley“, sinnierte George Freeman nachdenklich. „Das ist ein irischer Name. Haben Sie irische Vorfahren?“
„Meine Mutter war Irin“, erwiderte der junge Arzt und bemerkte, dass Georges sein Gesicht sehr aufmerksam zu mustern schien. „Sie stammte aus dem Süden.“
Der alte Mann lächelte.
„Irland… Ich liebe diese Insel. Besonders den Süden. Die Menschen dort sind außergewöhnlich liebenswert.“
„Oh ja“, bestätigte John. „Das sind sie.“
„Waren Sie schon einmal dort?“, fragte Danielle interessiert.
George nickte mit einem etwas wehmütig anmutenden Lächeln.
„Oh ja, ich war mehr als nur einmal dort. Ich habe damals die große Liebe meines Lebens auf dieser außergewöhnlichen Insel gefunden und leider bald darauf wieder verloren.“
„Das tut mir leid“, bedauerte Danielle aufrichtig.
George lehnte sich einen Augenblick lang mit einem melancholischen Lächeln auf den Lippen zurück.
„Shannon war eine wundervolle Frau.“ Bevor er jedoch in Erinnerungen versinken konnte, räusperte sich Roger auffällig und wandte sich an John, der das Gespräch aufmerksam verfolgt hatte.
„Ihre Mutter lebt nicht mehr?“
„Sie starb vor zwei Jahren an Krebs, und obwohl ich damals bereits meinen Abschluss in Medizin hatte, konnte ich nichts mehr für sie tun.“
„Das ist in der Tat hart“ meinte George und blickte John einen Augenblick lang nachdenklich an. Er konnte es nicht erklären, doch irgendetwas in den Gesichtszügen des jungen Mannes schien ihm irgendwie vertraut.
´Unmöglich´, verwarf er den Gedanken sofort wieder, schließlich hatte er John O`Malley noch nie vorher gesehen. Vielleicht nur eine zufällige Ähnlichkeit.
„Sie haben einen wunderbaren Beruf gewählt, John. Helfen zu können, ist eine Berufung. Aber man muss auch akzeptieren, wenn es für einen Menschen an der Zeit ist zu gehen. Das Schicksal ist unberechenbar, und der Tod macht keine Kompromisse.“
Er lächelte und nickte den jungen Leuten aufmunternd zu, während er sein Glas hob. „Aber nun beiseite mit den trüben Gedanken! Damals im Flieger haben wir beide dem Schicksal die Stirn geboten, Danielle, sonst säßen wir heute nicht hier. Trinken wir auf die Gesundheit und die Zeit, die uns bleibt! Ihr beide habt ja das Leben noch vor euch, also genießt jeden einzelnen Tag!“
Sie stießen miteinander an, und George nickte John aufmunternd zu. „Mein Vorschlag mit dem Gartenhäuschen steht. Nur für den Fall, dass Sie es sich doch noch anders überlegen. Sie sind mir jederzeit willkommen.“
„Vielen Dank, George.“ John leerte sein Glas und blickte Danielle vielsagend an. „Es wird Zeit, Liebling. Wir sollten langsam aufbrechen.“
Sie reagierte sofort.
„Ja, du hast Recht.“ Während sie sich rasch erhob, reichte sie George lächelnd die Hand. „Danke für die nette Einladung. Es war wirklich schön, Sie wiederzusehen!“
George nickte.
„Ja, das ist wahr. Ich habe mich ebenfalls gefreut, dass Sie heute Zeit für einen alten Mann wie mich gefunden haben, Danielle, und noch dazu in so netter Begleitung. Es beruhigt mich zu wissen, dass Sie in guten Händen sind.“
Danielle schluckte und griff hilfesuchend nach Johns Arm, während Roger und George die jungen Leute hinausbegleiteten.
„Die Limousine wird Sie nach Hause fahren.“
George umarmte Danielle herzlich und reichte John zum Abschied die Hand.
„Ich wünsche Ihnen beiden alles Gute und ich hoffe, wir sehen uns recht bald wieder, jetzt, wo Sie hier in LA leben! Wie gesagt, Sie sind mir jederzeit willkommen! Ein Anruf genügt und ich schicke Ihnen meinen Fahrer.“
*
Auf der Fahrt zurück nach Venice schwiegen sie beide. John blickte mehrmals verstohlen zu Danielle hinüber und sah, wie sie vergeblich versuchte, die Tränen zu verbergen, die ihr immer wieder über die Wangen liefen. Schließlich griff er nach ihrer Hand.
„Nicht weinen“, sagte er leise. „Glaub mir, der Schmerz vergeht irgendwann. Morgen frage ich bei uns in der Klinik nach, ob sie noch Schwestern brauchen. Vielleicht kannst du dort anfangen.“
Sie nickte dankbar. Er überlegte einen Augenblick, dann schmunzelte er.
„Hey, meine Besuchercouch ist für den Anfang gar nicht so übel! Du wirst dich wie zu Hause fühlen!“
´Zu Hause´, dachte Danielle voller Wehmut. ´Wo ist das?´
Sie fuhren ein Stück an der Küste entlang, als John auffiel, dass Danielle immer wieder sehnsüchtig über die Strandpromenade hinaus zum Horizont blickte, wo die Sonne gerade wie ein glutroter Feuerball im Meer versank. Kurzentschlossen bat er den Fahrer anzuhalten.
„Was hast du vor?“, fragte sie verwirrt, doch er lächelte nur.
„Bis zu meiner Wohnung ist es nicht mehr weit, wir werden den Rest des Weges zu Fuß gehen“, erklärte er und half ihr aus dem Wagen. „Der Fahrer hat die Adresse und kann unser Gepäck im Hausflur abstellen. Komm schon, die frische Luft wird dir guttun.“
Schweigend gingen sie die Promenade entlang.
Plötzlich blieb Danielle stehen und sah John O`Malley unschlüssig an.
„Du hast heute so viel für mich getan“, sagte sie leise. „Dafür möchte ich dir danken.“
Erstaunt hob er die Augenbrauen.
„Ich wüsste wirklich nicht, was ich Großartiges geleistet hätte!“
„Ohne deine Hilfe hätte ich diesen furchtbaren Tag nicht überstanden. Du bist hier, an meiner Seite, du hast mir zugehört, hast dieses dumme Spiel mitgespielt, und ich darf auf deiner Couch übernachten. Und das alles, obwohl wir uns kaum kennen. Das ist mehr als genug, John.“
Er lächelte und die untergehende Sonne spiegelte sich in seinen Augen.
„Wenn ich dich ansehe, habe ich das Gefühl, wir kennen uns schon ewig“, sagte er leise und atmete dann tief durch. „Und deshalb bin ich ziemlich sicher, dass du jetzt bestimmt gern einen Augenblick lang allein wärst.“ Er deutete auf eine leere Parkbank ein paar Meter entfernt. „Lass dir Zeit, Danielle, ich werde hier auf dich warten.“
Sie nickte ihm dankbar zu, wandte sich um und trat dicht an das Geländer, das Dünen und Meer von der Promenade trennte. Mit sehnsuchtsvollen Augen blickte sie hinaus auf das Farbenspiel der untergehenden Sonne. Zugegeben, dieses Naturschauspiel war einmalig schön, auch hier in LA. Aber es war nicht mehr dasselbe wie in Sunset City.
Etwas Entscheidendes fehlte... Matt.
*
Zur selben Zeit stand Matt vor seinem Haus unten am Strand und starrte genau wie Danielle hinaus in den Sonnenuntergang. Aber auch er nahm das Naturschauspiel gar nicht richtig wahr. Seine Gedanken waren bei ihr...
„Wo bist du, Danielle?“, fragte er zum tausendsten Mal an diesem Abend in das Rauschen des Meeres, und der sanfte Santa Ana Wind trug seine Worte ungehört wie Schall und Rauch mit sich fort. „Warum bist du einfach weggelaufen, ohne mir die Chance zu geben, mit dir über alles zu reden?“
Irgendwie passte das nicht zu ihr. Die Danielle, die er kannte, hätte ihn wenigstens zur Rede gestellt. Okay, sie war damals auch davongelaufen, als er ihr von seiner Nacht mit Marina erzählte, aber wäre Mason nicht gewesen...
Mason!
´Aber nein, diesmal kann ich meinem Bruder keine Schuld geben´, dachte er bitter. ´Das, was geschehen ist, habe ich ganz alleine mir und meiner Dummheit zu verdanken!´
Er dachte an sein Gespräch mit Robyn und ihre wütenden Worte klangen ihm noch deutlich im Ohr:
„Du bist schuld daran, dass meine Schwester die Stadt verlassen hat, und dass keiner, nicht einmal ich, jetzt weiß, wo sie ist! Du verdammter Mistkerl, gestern verlobst du dich mit ihr und schwörst ihr ewige Treue, und heute lässt du sie eiskalt fallen!“
„Was soll das, Sara! Ich hab sie doch nicht fallen lassen, ich konnte noch nicht einmal...“, hatte er versucht, sich zu verteidigen, doch sie ließ ihn überhaupt nicht zu Wort kommen.
„Ich habe dich für einen anständigen, vertrauenswürdigen Mann gehalten! Ich fand dich absolut toll und habe Danielle glühend um dich beneidet. Jemanden wie dich kennenzulernen war mein größter Wunsch! Jetzt bin ich froh, dass sich dieser Wunsch nicht erfüllt hat! Verschwinde bloß von hier, Matt, und lass uns in Ruhe.“ Sie wollte die Tür bereits zuschlagen, als ihr noch etwas einfiel. „Und wage es bloß nicht, unsere Eltern in Crawford anzurufen! Sie ist nicht dort, und ich werde die größte Mühe haben, meiner Mum etwas vorzulügen, um sie nicht unnötig zu beunruhigen, bevor sich Danielle nicht bei mir gemeldet hat!“
Nun stand er hier, starrte auf die glitzernden Wellen, fühlte sich schuldig und wusste nicht, wohin die Liebe seines Lebens verschwunden war. Ihre gemeinsamen Freunde schwiegen und wandten sich von ihm ab. Marina erwartete ein Kind und eine Antwort von ihm.
Und sein Herz lag schwer wie Blei in seiner Brust.
*
Mechanisch zog Danielle ihr Handy aus der Tasche. Seitdem sie Sunset City verlassen hatte, war es ausgeschalten. Wie hypnotisiert starrte sie auf die winzigen Tasten.
´Ruf ihn an, nur einmal noch´, drängte eine innere Stimme.
´Wozu? Es ist alles gesagt...´, entgegnete eine andere.
´Bist du wirklich sicher?´
´Natürlich! Warum willst du dich unnötig quälen? Er wird mir dasselbe sagen, wie vor ein paar Stunden. Und es wird wieder furchtbar wehtun...´
´Riskier es! Komm schon, ein letztes Mal.´
„Nein!!!“
In einem Anflug von Wut, Enttäuschung und Schmerz schleuderte sie das Handy auf die blanken Granitsteine zu ihren Füßen. Es zersprang sofort in mehrere Einzelteile. Das metallische Geräusch brachte sie wieder zur Besinnung. Schuldbewusst blickte sie sich um, doch außer John war niemand da, der ihr Beachtung schenkte. Ärgerlich über ihr eigenes unbeherrschtes Verhalten bückte sie sich und stopfte eilig die Überreste des kaputten Handys in ihre Tasche. Nun würde sie wenigstens nicht mehr in Versuchung kommen, ihn anzurufen.
Sie lehnte sich an das Geländer der Strandpromenade und atmete tief durch.
„Ich liebe dich, Matt. Trotz alledem. Ich weiß nicht, ob das jemals vergehen wird“, flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme leise. „Im Augenblick weiß ich nur, dass es mich fast umbringt. Aber wir müssen ab sofort beide unseren eigenen Weg gehen. Du gehst den, den du gewählt hast. Und ich? Ich werde meinen erst wieder finden müssen.“ Ihre Hände umfassten haltsuchend das Geländer, während sie zusah, wie das letzte Stück des Sonnenfeuerballs im Meer versank.
„Morgen beginnt ein neuer Tag. Für dich, für mich... Leb wohl, Matthew Shelton!“
*
Zum gefühlt hundertsten Mal zog Matt sein Handy aus der Hosentasche und blickte auf das leuchtende Display.
Keine Nachricht.
Seine Finger wählten wieder und wieder ihre Nummer, vergeblich. Ihr Handy war aus. Eine unpersönliche Computerstimme teilte ihm jedes Mal mit, dass auch die Mailbox nicht aktiviert sei. Er kannte die Worte bereits auswendig...
In einem ohnmächtigen Anfall von Wut schleuderte er das Handy vor sich in den Sand. Der Schmerz in seiner Brust nahm ihm fast den Atem.
„Komm zurück, Danielle!“
*
Das Klingeln des Telefons riss Sophia aus dem Schlaf. Erschrocken fuhr sie hoch.
Neben ihr lag Edward.
Ein Lächeln zog über ihr Gesicht. Sie konnte sich kaum daran erinnern, wann sie das letzte Mal neben ihm aufgewacht war.
Knurrend drehte er sich und griff nach dem Hörer auf dem Nachttisch.
„Was ist?“
„Ein dringendes Gespräch für Sie, Mr. Hamilton“, ließ sich die Stimme des Sicherheitsdienstes vernehmen. „Soll ich durchstellen?“
„Ja, verdammt... Hallo? Wer auch immer das ist, ich hoffe, Sie haben einen guten Grund, mich um diese Zeit zu stören!“
„Den haben wir allerdings, Mr. Hamilton“, erklang eine sonore Stimme aus dem Hörer. „Wir hatten eine Abmachung getroffen, erinnern Sie sich? Unser Teil dieser Abmachung wurde pünktlich auf die Minute erfüllt. Nun fragen wir uns ernsthaft, wieso Sie das nicht auch tun! Wo bleibt unser Geld? Wir hatten doch einen klaren Deal, Mr. Hamilton! Sie sind überfällig, und das bereits seit mehr als vierundzwanzig Stunden.“
Edward kaute nervös auf seiner Lippe.
„Ja... ja“, erwiderte er hastig mit einem vorsichtigen Seitenblick auf Sophia, die ihn neugierig musterte. „Es ist etwas dazwischengekommen. Ich werde mich gleich morgen früh darum kümmern.“
„Das hoffen wir doch sehr, Mr. Hamilton“, ließ sich die Stimme mit deutlich drohendem Unterton vernehmen. „Ansonsten würden wir uns nämlich leider gezwungen sehen, uns das Geld persönlich bei Ihnen abzuholen.“
Ein kurzes Knacken, dann war die Leitung tot.