Die riesige Terrasse war mit unzähligen weißen und roten Rosen geschmückt. Sie waren zu prächtigen Gestecken arrangiert und zierten außerdem in Form von kunstvollen Girlanden das gesamte Geländer. Der Wind verbreitete ihren herrlichen Duft, und die Sonne ließ die zarten Blüten in all ihrer natürlichen Schönheit erstrahlen.
Auf der Terrasse hoch über dem Meer waren mehrere Tische und Stühle aufgestellt worden und alle Plätze waren besetzt.
Danielle, Suki und Marina sahen sich fassungslos um und erblickten ausschließlich bekannte und vertraute Gesichter.
Unmittelbar darauf ertönte ein mehrstimmiger Chor, gefolgt von fröhlichem Gelächter.
„Überraschung!“
Sie waren alle da.
Gordon und Jill Belling kamen auf ihre Tochter zugeeilt und umarmten sie herzlich. Robyn ließ für einen Augenblick Randys Hand los und gesellte sich voller unbändiger Freude zu ihrer Familie.
„Wie seid ihr hergekommen?“, fragte Danielle, noch immer völlig fassungslos.
„Matt hat uns angerufen und uns Flugtickets geschickt. Am Flughafen stand eine Limousine für uns bereit. Und am Hafen von Sunset City hat uns eine wundervolle weiße Yacht mit dem Namen SUNRISE zusammen mit den anderen Gästen hierher auf die Insel gebracht“, verriet ihre Mutter aufgeregt.
Danielle ging sofort ein Licht auf.
„Die SUNRISE also“, wiederholte sie und schüttelte ungläubig den Kopf. „Es ist nicht zu fassen! Dann war das vorhin doch kein Irrtum des Kapitäns!“
Gordon Belling betrachtete seine älteste Tochter mit stolzem Blick.
„Du siehst fantastisch aus, meine Große. Das Klima hier scheint dir gut zu bekommen.“
„Glaub mir, Dad“, lachte Danielle und kniff ihn übermütig in den Arm. „Es ist bestimmt nicht nur das Klima.“
Mister und Misses Yamada erhoben sich nach anfänglichem Zögern, um ihre einzige Tochter zu begrüßen, die noch immer regungslos wie eine Salzsäule an der Eingangstür stand.
„Unsere Tochter“, sagte Mister Yamada feierlich.
„Mutter... Vater…“, stotterte Suki schließlich total überwältigt und schloss die beiden endlich in die Arme.
„Du bist dünn geworden, Suki“, bemängelte Misses Yamada sofort. „Isst du auch genug?“
„Aber sicher! Mehr als genug. Mitch passt gut auf, dass ich keine Mahlzeit auslasse.“
Ihre Eltern wechselten einen bedeutungsvollen Blick miteinander.
„Mitch? Wer ist das?“
„Oh.. ähm...“ Suki überlegte einen Augenblick lang fieberhaft, wie sie ihren Eltern beibringen sollte, dass es sich bei Mitch um ihren zukünftigen Ehemann handelte. Sie wusste genau, dass die Yamadas trotz des tragischen Todes von Sukis Jugendfreund Jin Kiyoshi vor ein paar Monaten noch immer insgeheim erwarteten, sie werde irgendwann nach Tokio zurückkehren und einen jungen Mann aus dem Bekanntenkreis ihrer Familie heiraten.
Kurz entschlossen entschied sie sich für den direkten Weg.
„Mutter... Vater...“, sagte sie und atmete tief durch, um sich selbst Mut zu machen. „Mitch und ich, wir lieben uns und leben zusammen. Wir werden irgendwann in nächster Zeit heiraten.“
„Oh“, entfuhr es ihrer Mutter scheinbar überrascht, während ihr Vater sie nur erwartungsvoll anblickte. „Er ist Pilot bei OCEANIC Airlines, und er ist wirklich nett“, fuhr Suki eilig fort. „Ich... ähm... Ich werde ihn euch vorstellen, sobald er von seinem Flug nach New York zurück ist. Ihr werdet ihn ganz sicher mögen!“
„Nun“ Mister Yamada nickte leicht, ohne jedoch eine Miene zu verziehen. „Darauf sind wir natürlich sehr gespannt, deine Mutter und ich.“
Suki atmete innerlich auf. Das eben war ja problemloser von statten gegangen, als sie sich in ihren kühnsten Träumen erhofft hatte.
„Wie seid ihr eigentlich hier hergekommen?“, fragte sie, einer plötzlichen Eingebung folgend. „Ich meine, so ganz ohne mein Wissen?“
„Mister Shelton rief uns an und sagte, er würde gern die Familien seiner Freunde zu einer kleinen Party hier auf die Insel einladen, damit sich alle wiedersehen beziehungsweise kennenlernen. Er hat uns großzügiger Weise sogar Flugtickets geschickt.“
„Matt hat also alle eingeladen?“ Nachdenklich sah sich Suki um, doch ihr Vater riss sie umgehend wieder aus ihren Gedanken.
„Nun komm und setz dich zu uns, wir haben uns eine Menge zu erzählen.“
Erstaunt und noch immer ziemlich irritiert folgte Suki ihren Eltern zu deren Tisch.
Marina ließ Evitas Arm nur zögernd los und legte für einen Augenblick schützend die Hände auf ihren Bauch, als Stefano und Claudia auf sie zukamen, um sie zur Begrüßung zu umarmen.
„Was um alles in der Welt tut ihr denn hier?“
„Matt hat uns auf seine Insel eingeladen“, erwiderte Stefano und zwinkerte seiner Schwester vertraulich zu. „Ich persönlich halte das für eine nette Geste, vor allem, weil man dich in der letzten Zeit kaum noch zu Gesicht bekommt.“
„Ich hatte viel zu tun“, versuchte sich Marina zu rechtfertigen.
Stefano lachte.
„Ja klar, du hast einen neuen Job. Ich glaube, er heißt... Mason.“
Marina konnte nicht verhindern, dass ihr augenblicklich das Blut in die Wangen schoss. „Nun, wie dem auch sei“, lenkte ihr Bruder rasch vom Thema ab und trat beiseite, um einem weiteren Gast Gelegenheit zu geben, die werdende Mutter zu begrüßen. „Sieh nur, wer heute extra hierher gereist ist, um dich zu sehen!“
Marinas Lippen öffneten sich zu einem Freudenschrei.
„Manuel!“
Er trug die dunkle Kleidung und den weißen Kragen eines Priesters und grinste zufrieden über die gelungene Überraschung. Mit einem herzlichen Lachen breitete er die Arme aus, und sie stürzte sich ohne zu zögern hinein.
„Hallo Schwesterchen!“ Vorsichtig legte er eine Hand auf ihren Babybauch. „Du hast aber ganz schön zugelegt, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.“
„Und du?“ Sie betrachtete ihren Bruder prüfend. „Was ist mit dir?“
„Ich bin da, wo ich immer sein wollte. Auf dem richtigen Weg.“
„Die Kirche hat dir Absolution erteilt?“
„Das hat sie. Ich bin zu Hause.“
Eine dunkel gekleidete, ältere Frau hatte sich bisher diskret im Hintergrund gehalten. Still saß sie an ihrem Tisch und beobachtete das Geschehen. Schließlich stand sie zögernd auf und ging langsam hinüber zu Marina, Stefano und Claudia, die sich um Manuel versammelt hatten.
Erstaunt blickte Marina auf, als sie sah, wer sich ihnen näherte.
„Mama!“
Stefano trat einen Schritt vor und legte Dolores seinen Arm um die schmalen Schultern. Mit sanftem Druck zog er sie in den kleinen privaten Familienkreis.
„Es hat mich einige Überredungskunst gekostet, damit sie einwilligte, Matts Einladung zu folgen“, erklärte er lächelnd.
Dolores räusperte sich verlegen. Ihr Blick blieb an ihrem jüngsten Sohn haften.
„Manuel… ich bin eigentlich nur mitgekommen, weil Stefano sagte, dass du auch hier sein würdest.“
„Hallo Mutter“, erwiderte der junge Priester und zögerte kurz, bevor er auf sie zutrat und sie umarmte. „Ich freue mich, dich zu sehen.“
„Ich freue mich auch, mein Junge.“ erwiderte sie mit zitternder Stimme. Wenige Augenblicke später löste sie sich aus seinen Armen und straffte mit einem Seufzer der Erleichterung die Schultern, während sie ihre drei erwachsenen Kinder und auch Claudia nacheinander mit ernstem Gesicht ansah. „Ich bin wirklich froh, mit euch allen zusammen hier zu sein.“
Luke, Dean und Caroline saßen gemeinsam an einem der Tische und beobachteten begeistert die Begrüßung.
Caroline bedauerte ein wenig, dass ihre Mutter die Einladung abgelehnt und nicht mit auf die Insel gekommen war. Aber Sophia war noch nicht soweit, sich der Öffentlichkeit zu stellen und Freunde zu treffen. Sie hatte sich ein kleines Strandhaus am Rande der Stadt gemietet und lebte seit Edwards Inhaftierung ziemlich zurückgezogen. Allerdings lag das Häuschen nur ein paar Minuten von dem Grundstück entfernt, auf dem Dean für sich und Caroline ein Haus bauen ließ. Mutter und Tochter trafen sich öfter, und ihr Verhältnis hatte sich merklich entspannt. Trotzdem hatte Caroline sich bisher noch nicht dazu überwinden können, ihren Vater im Gefängnis zu besuchen.
Irgendwann, so hatte sie ihrer Mutter versprochen, würde sie diese auf einem ihrer regelmäßigen Besuche begleiten, und vielleicht würde sie Edward, wenn genug Zeit vergangen war, sogar verzeihen können, was er getan hatte.
Am Nebentisch hielt John O`Malley Kates Hand und lächelte still vor sich hin. Als er ihren fragenden Blick bemerkte, zwinkerte er ihr beruhigend zu.
Seit zwei Monaten hatten sie ihre Wohnungen in Venice aufgegeben und wohnten gemeinsam auf George Freemans riesigem Anwesen in den Santa Monica Mountains. Kate konnte sich an all den Luxus anfangs nur schwer gewöhnen. Sie war, genau wie John, in einfachen Verhältnissen aufgewachsen und hatte sich stets alle Dinge in ihrem Leben hart erarbeiten müssen. Nun war plötzlich alles anders, und man behandelte sie wie eine Königin. Das machte sie unsicher. John war es leichter gefallen, sich an die neuen Lebensumstände zu gewöhnen, aber er half ihr, wo immer er konnte und versuchte so viel Zeit wie möglich mit ihr gemeinsam zu verbringen.
John und Kate teilten sich den Tisch mit Roger Miles und Michael Donovan, der heute in Begleitung seiner Frau Hannah hergekommen war.
Cloe, die neben ihrer Nichte Annabel, deren Verlobten Alex und ihrem derzeitigen Lebensgefährten Ronald Austin saß, wischte sich verstohlen mit einem Spitzentaschentuch die Augen.
„Haaach Kinder, ist das schön!“, schniefte sie verzückt.
„Halt deine Tränenflut noch etwas zurück, Tante Cloe“, flüsterte Anni und grinste. „Das Beste kommt ja erst!“
*
„Na toll“, murmelte die blonde Dame, nachdem ihr nun auch der Kapitän der „SUNRISE“ eine deutliche Abfuhr erteilt hatte. Resigniert hob sie die Schultern und wandte sich an den gut aussehenden Fremden an ihrer Seite.
„Und was nun? Sie haben nicht zufällig eine Schwimmweste dabei?“
„Was wollen Sie eigentlich auf Paradise Island?“, fragte er interessiert.
„Das gleiche könnte ich Sie auch fragen“, gab sie schlagfertig zurück und blinzelte gegen das gleißende Licht der Mittagssonne, als sie plötzlich Motorengeräusche vernahm, die sich schnell näherten. „Hey, sehen Sie... Da kommt ein Boot.“
„Vergessen Sie es“, warnte der Mann, als er sah, wie die Dame trotz ihrer hochhackigen Pumps beherzt über den glitschigen Bootssteg lief und dabei dem ankommenden Schnellboot energisch winkte. „Sie werden nur die gleiche unhöfliche Antwort bekommen wie eben.“
„Na wenn schon! Ich versuche es wenigstens“, erwiderte sie gleichmütig und wäre auf den feuchten Planken fast ausgerutscht, hätte ihr unbekannter Begleiter, der ihr eilig gefolgt war, sie nicht in letzter Sekunde aufgefangen.
„Hoppla!“
Er hielt sie fest umschlungen und stellte sie vorsichtig wieder auf ihre Füße. Einen winzigen Augenblick lang waren sie einander unerwartet nah und ließen zu, dass ihre Blicke förmlich miteinander verschmolzen.
„Danke“, murmelte sie schließlich sichtlich irritiert und glättete verlegen ihr Kostüm.
„Keine Ursache“, gab er mit etwas belegter Stimme zurück und rang sich ein Lächeln ab, während er sie nur widerwillig losließ und ihr stattdessen kurz entschlossen seine Hand entgegenstreckte. „Ich denke, nachdem ich nun glücklicherweise verhindern konnte, dass Sie an diesem schönen Tag als Fischfutter enden, wäre es an der Zeit, dass wir einander vorstellen: Mein Name ist Jonathan Shelton, und meine beiden Söhne heiraten heute auf Paradise Island.“
Die Dame starrte ihn an, als hätte er eben arabisch gesprochen.
„Na so was...“, entfuhr es ihr, dann jedoch schien sie sich gerade noch rechtzeitig an ihre guten Manieren zu erinnern. Sie straffte die Schultern und reichte ihm die Hand.
„Freut mich sehr, Sie kennenzulernen, Mister Shelton. Ich bin Grace Capwell, und mein Sohn heiratet heute ebenfalls auf Paradise Island!“
Der Bootsführer des kleinen Schnellbootes hatte inzwischen angelegt und den Motor abgestellt. Scheinbar amüsiert betrachtete er die beiden Leute auf dem Steg vor sich und räusperte sich dann laut und vernehmlich.
„Und wo wir gerade dabei sind, uns miteinander bekannt zu machen: Mein Name ist Vincent, und ich komme direkt von Paradise Island. Wenn Sie beide damit fertig sind sich gegenseitig anzustarren, als würden Sie jeden Augenblick in Ohnmacht fallen, dann würde ich Sie gerne so schnell wie möglich zur Insel hinüberbringen, sonst heiraten Ihre Söhne am Ende noch ohne Sie!“
*
„Darf ich einen Augenblick um eure Aufmerksamkeit bitten?“
Danielle fuhr erstaunt herum, als sie plötzlich hinter sich Matts Stimme hörte.
Er stand lächelnd an der Terrassentür, im weißen Hemd und einem nachblauen Anzug, der hervorragend zu seinen dunklen Augen passte. In der Brusttasche des Jacketts steckte eine weiße Rose. Er sah fantastisch aus, und sein Blick galt nur der einen, die völlig überrascht mitten in der Bewegung innehielt und ihn anstarrte, als sähe sie einen Geist. Aus ihrem lässig hochgesteckten langen braunen Haar hatten sich einige Locken gelöst, und ihre roten Lippen waren vor Erstaunen leicht geöffnet, während der Wind verführerisch mit ihrem bunten Sommerkleid spielte.
Matt fand sie in diesem Augenblick schöner als je zuvor und schwor sich insgeheim, dieses Bild von ihr für alle Ewigkeit in seinem Herzen zu bewahren.
„Wieso bist du hier?“, fragte sie und befürchtete noch immer, das alles nur zu träumen. „Was ist mit deinem Meeting in San Francisco?“
„Ich hoffe, du verzeihst mir diese kleine Notlüge. Ich wollte dich überraschen“, erwiderte er mit einem Grinsen und deutete auf Mason und Mitch, die hinter ihm auf die Terrasse traten. „Besser gesagt... Wir wollten euch überraschen!“
Auch Mason und Mitch waren, genau wie Matt, feierlich und sehr elegant gekleidet. Mason trug, wie sein Zwillingsbruder, einen dunklen Anzug, was die verblüffende Ähnlichkeit zwischen den beiden noch mehr unterstrich als sonst. Der einzige Unterschied zu Matt schien die rote Rose zu sein, die er sich angesteckt hatte.
Mitchs schwarzer Anzug saß tadellos und bildete einen wirkungsvollen Kontrast zu seinem blonden Haar.
Die drei Männer sahen aus wie Models aus einem Hochglanzmagazin.
Danielle hatte Mühe, sich zu fassen.
„Matt… du bist hier... unsere Eltern sind hier... und alle unsere Freunde... Ich finde, das ist mehr als nur eine Überraschung!“
Er trat auf sie zu und griff zärtlich nach ihren Händen.
„Es gibt einen guten Grund für all das. Erinnerst du dich, vor nicht allzu langer Zeit habe ich dich hier auf unserer Insel gefragt, ob du meine Frau werden willst.“
Danielle schluckte und nickte.
„Als ob ich das vergessen könnte“, erwiderte sie leise.
Er sah lächelnd in ihre Augen.
„Damals waren wir beide allein auf Paradise Island. Heute sind alle unsere Verwandten und Freunde hier. Und nun frage ich dich noch einmal, Danielle:
Willst du mich heiraten? Bei Sonnenuntergang... Hier und heute?“
Augenblicklich trat Ruhe ein. Alle Augen richteten sich gespannt auf Danielle.
Wie vom Donner gerührt stand sie da.
„Was?“
Matt erwiderte nichts, sondern betrachtete sie mit einem abwartenden Lächeln.
„Ich... habe gar kein Hochzeitskleid“, stammelte sie schließlich völlig fassungslos. „Und meine Frisur ist eine Katastrophe!“
Ein Blick in sein Gesicht ließ sie jedoch verstummen.
´Er liebt mich...´, schoss es ihr durch den Kopf. ´Er hat das alles hier arrangiert, weil er mich liebt und für immer mit mir zusammen sein will!´
Was zählten da solche „Kleinigkeiten“ wie ein fehlendes Kleid oder eine schlecht sitzende Frisur?
„Ach, was soll`s“, platzte sie lachend heraus. „Kleid hin oder her. Natürlich will ich dich heiraten, Matthew Shelton! Nichts lieber als das! Hier und heute!“
Alle Anwesenden lachten und klatschten begeistert in die Hände, während Matt seine zukünftige Frau in die Arme nahm und sie zärtlich küsste.
„Hey“, rief Mitch und grinste. „Geküsst wird erst nach der Hochzeit!“
Matt löste sich nur ungern von Danielle und drehte sich schließlich lachend zu seinem Freund um.
„Wann genau meinst du? Nach meiner oder deiner?“
Suki glaubte sich verhört zu haben.
„Was hat er eben gesagt?“, fragte sie unsicher und erhob sich mit wackeligen Knien von ihrem Platz.
Mitch trat mit einem geradezu entwaffnenden Lächeln an den Tisch. Suki besann sich rasch und schickte sich an, ihren Eltern den vermeintlich fremden jungen Mann vorstellen.
„Mutter, Vater, das ist Mitch Capwell, mein…“
„…zukünftiger Ehemann“, fiel ihr Mitch ins Wort und zwinkerte Mister Yamada verschwörerisch zu. Suki glaubte nicht richtig zu sehen, als ihr Vater darauf mit einem wohlwollenden Nicken reagierte.
„Wir haben den jungen Mann kurz nach unserer Ankunft bereits kennengelernt“, erklärte Mister Yamada betont freundlich. „Und er hat standesgemäß bei uns um deine Hand angehalten.“
Suki glaubte sich verhört zu haben.
„Er hat… was?“
Mitch lachte und legte seine Hände auf ihre Schultern.
„Wir wollten doch mit Matt und Danielle gemeinsam heiraten, erinnerst du dich?“
Sie konnte nur stumm nicken.
„Möchtest du das immer noch?“
Noch immer kam kein Ton über Sukis Lippen. Die ganze Zeit über hatte sie sich heimlich Gedanken darüber gemacht, ob Mitch wohl irgendwann endlich zu seinem Heiratsversprechen stehen würde, und wie ihre Eltern auf die Tatsache reagieren mögen, dass sie sich ausgerechnet einen Amerikaner als Ehemann auserkoren hatte. Und nun das!
Mit einem Jubelschrei fiel sie Mitch um den Hals. In diesem Augenblick interessierte sie nichts Anderes mehr, nicht einmal die bange Frage, was ihre Eltern wohl von diesem unkonventionellen Freudenausbruch halten mögen.
„Ja, ja, ja! Natürlich möchte ich das!“ Atemlos sah sie ihn an und lachte übermütig. „Du verrückter Kerl! Ich hatte schon befürchtet, du würdest mich nie wieder fragen!“
„Ich habe nur auf die passende Gelegenheit gewartet“, rechtfertigte er sich grinsend. „Okay, dann heiraten wir also! Hier und heute!“
Ganz gegen ihre sonstigen Gewohnheiten jauchzte Suki übermütig und küsste ihren zukünftigen Ehemann.
Die etwas zurückhaltenden Yamadas wechselten einen bedeutungsvollen Blick miteinander.
„Unsere Tochter hat sich verändert, seitdem sie hier in Amerika lebt“, stellte Mister Yamada mit unbewegtem Gesicht fest. „Ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob ich das gut finde.“
Zu seiner Überraschung lächelte Misses Yamada.
„Sie ist einfach nur glücklich. Du hast dich in deiner Jugend ähnlich verhalten. Als du mich umworben hast, gab es für dich auch keine Grenzen. Du warst genau wie sie!“
Mister Yamada maß seine Frau zunächst mit einem schockierten Blick, dann jedoch verzog sich sein Mund zu einem breiten Lächeln.
„Du hast ja Recht. Wie immer.“
Während die Anwesenden den beiden zukünftigen Brautpaaren zujubelten, war Mason unbemerkt an Marinas Seite getreten.
„Geht es dir gut?“, fragte er besorgt. „Dir und unserem Baby?“
„Ja“, erwiderte sie mit einem zaghaften Lächeln. „Es geht uns beiden gut. Ich bin nur total überrascht.“
„Schockiert, weil Matt heiratet?“, forschte er vorsichtig.
„Nein.“ Marinas blaue Augen suchten seinen Blick. „Matt ist ein Teil meiner Vergangenheit und inzwischen ein guter Freund. Ich freue mich für ihn und Danielle.“
„Ist das wahr?“
„Ja, Mason. Meine Gefühle für Matt sind schon lange Zeit nicht mehr dieselben wie früher.“
„Beweise es!“
„Was?“ Marina glaubte sich verhört zu haben. „Wie stellst du dir das vor?“
„Heirate mich. Genau wie Matt und Danielle, Mitch und Suki. Hier und heute!“
„Nein... das kann ich nicht.“
„Warum nicht? Du bekommst ein Kind, unser Kind! Die letzten Wochen haben doch deutlich genug gezeigt, dass wir zusammengehören.“
„Aber... heiraten? Also, ich weiß nicht...“
„Vertrau mir“, bat er eindringlich. „Ich werde dir nie wieder wehtun. Ich liebe dich, Marina!“
Sie sah ihn an, und er konnte erkennen, wie sie mit sich kämpfte. Liebe, Vertrauen, Vernunft, Gefühl. All das wirbelte wild in ihrem Kopf durcheinander. Er beugte sich vor und umfasste sanft ihre Schultern.
„Komm schon, gib uns dreien eine Chance“, flüsterte er und küsste sie sanft auf die Lippen.
„Autsch!“
Erschrocken hielt er inne.
„Was ist los? War ich das?“
„Nicht du! Das Baby!“, erwiderte sie lachend. „Es hat mir einen kräftigen Tritt versetzt!“
„Hat das etwas zu bedeuten?“
Sie blinzelte ihn verschmitzt an.
„Vielleicht will es mir auf seine Art zu verstehen geben, dass ich mich nicht länger gegen etwas wehren soll, gegen das ich ja doch nicht ankomme.“
Einen Augenblick sah er sie ungläubig an, bevor seine Augen unvermittelt zu strahlen begannen.
„Du meinst...“
„Ja Mason Shelton, ich bin vielleicht verrückt, nach allem, was geschehen ist. Aber wir beide, das Baby und ich, wir werden dir noch eine Chance geben. Hier und heute. Aber vermassle es nicht!“
Er zog sie zärtlich in seine Arme.
„Das werde ich auf keinen Fall. Du kannst mir vertrauen!“
Evita klatschte begeistert in die Hände.
„Dann darf ich die zukünftigen Bräute jetzt bitten, mir zu folgen!“
„Wohin, Evita?“
„Zur Anprobe natürlich! Während ich mich in der Zwischenzeit um das Wohl eurer Gäste kümmern werde, wartet drinnen eine bezaubernde Kollektion von Hochzeitskleidern aus dem Hause AUSTIN CREATIONS auf die drei Damen! Und danach erwartet euch der Hairstylist! Das Ganze wird also noch ein kleines Weilchen dauern. Also... Beeilung, meine Damen! Bis zum Sonnenuntergang sollte jede von euch fertig sein!“
„Das gibt’s doch nicht“, entfuhr es Suki.
Sichtlich überwältigt drückte Danielle Matts Hand.
„Du hast wirklich an alles gedacht!“
Lachend nahmen sie Marina in ihre Mitte und waren schon an der Terrassentür, als sich Suki noch einmal umdrehte.
„Wieso wart ihr drei eigentlich so sicher, dass wir auch wirklich „Ja“ sagen würden?“
„Wir waren überhaupt nicht sicher“, gestand Mitch und tauschte mit Matt und Mason einen vielsagenden Blick.
„Was glaubt ihr, warum wir hier im Dreierpack auftreten?“, grinste Danielles zukünftiger Ehemann, und sein Zwilling ergänzte: „Weil wir auf diese Art nämlich unwiderstehlich sind!“
Manuel Cortez lächelte.
Seine Finger strichen liebevoll über die Tasche, in der sein weißer Talar fein säuberlich zusammengefaltet lag. So wie es aussah, würde er heute als Priester eine ganze Menge Arbeit bekommen.
*
„Ich bin gespannt, wie sie sein wird“, sinnierte Grace Capwell und lehnte sich gemütlich zurück, während Vincent das kleine weiße Schnellboot zielsicher auf Kurs zur Insel hielt. Der spitze Bug ragte aus dem Wasser und schien die dunkle Flut mühelos zu zerteilen, während das Boot rasant von Welle zu Welle ritt.
„Wen meinen Sie?“, fragte Jonathan, der neben ihr Platz genommen hatte, interessiert.
„Meine neue Schwiegertochter natürlich! Mein Sohn sagte mir am Telefon nur, seine zukünftige Frau sei Asiatin, und sie sei wunderschön. Er versprach mir, ich würde begeistert sein.“ Sie lachte. „Bisher hat er mich noch nie belogen!“
„Sie kennen sie also noch gar nicht?“
„Aber woher denn! Ich habe Mitch seit fast einem Jahr nicht gesehen, das ist eine sehr lange Zeit. Da kann so allerhand passieren.“
Jonathan lachte bitter.
„Wem sagen Sie das, Grace.“
„Sie kennen also Ihre beiden Schwiegertöchter auch noch nicht?“
„Nein.“
„Und wann haben Sie Ihre beiden Söhne zum letzten Mal gesehen?“
„Das ist lange her... Viel zu lange.“
„Wo kommen Sie her, Jonathan?“
„Ich lebe in England, etwas nördlich von London, in Cambridge. Früher habe ich bei der Navy gearbeitet, aber inzwischen genieße ich meinen Ruhestand.“
„Warum haben Sie Ihre Söhne nie besucht?“
„Es gibt Dinge, die kann man nur schwer erklären“, erwiderte er nachdenklich. „Die beiden sind Zwillinge, müssen Sie wissen.“
„Sind sie sich ähnlich?“
„Äußerlich gleichen sie einander wie ein Ei dem anderen. Doch in ihrem Wesen sind Matt und Mason grundverschieden. Leider.“ Er atmete tief durch und lächelte dann. „Aber lassen wir das jetzt. Der Tag ist viel zu schön, um über alte Familiengeschichten nachzugrübeln. Genießen wir lieber noch ein wenig die herrliche Landschaft.“
Grace nickte zustimmend.
„Sie haben Recht. Jetzt, wo wir endlich ein Boot haben, dass uns auf diese Insel bringt, verspricht der Tag wirklich noch recht schön zu werden.“
„Darf ich fragen, was Sie beruflich machen?“, erkundigte sich Jonathan interessiert.
„Aber natürlich“, lächelte Grace und klopfte vielsagend auf die Kamera, die sie neben sich abgelegt hatte. „Ich bin Fotografin und arbeite vorwiegend im Ausland. Bildbände, Reportagen, so etwas in der Art. Momentan arbeite ich an einer Polit-Reportage in Südafrika über...“
„Moment mal“, unterbrach Jonathan und starrte sie überrascht an. „Natürlich! Jetzt weiß ich auch, weshalb Sie mir so bekannt vorkommen! Sie sind... die Grace Capwell, die bekannte Fotografin! Sie sind überall mit dabei, wo etwas Wichtiges passiert!“
Grace lachte.
„Na ja, Mitch meint zwar immer, ich hätte ein fast selbstmörderisches Gespür dafür, wo die nächste Bombe hochgehen könnte. Aber glauben Sie mir, so schlimm bin ich gar nicht. Ich gehe das Ganze inzwischen schon sehr viel ruhiger an.“
Jonathan betrachtete sie fasziniert.
„Sie sind fantastisch... Ähm, ich meine natürlich... Ihre Arbeit ist fantastisch!“
Grace grinste geschmeichelt.
„Vielen Dank.“
„Das meine ich ernst. Ich habe schon viele Ihrer Fotoserien gesehen. Sie sind großartig und so lebensnah. Das ist eine besondere Gabe, ein Talent, wie man es nur selten findet.“
„Ach wissen Sie, Jonathan“, erwiderte Grace etwas nachdenklich. „Eine Zeitlang war ich wie besessen von meiner Arbeit und diesem rastlosen Leben. Inzwischen sehne ich mich immer öfter danach, endlich zur Ruhe zu kommen.“ Sie lehnte sich zurück und blinzelte genüsslich in die Sonne. „Kalifornien ist ein herrliches Fleckchen Erde, finden Sie nicht auch?“
Er lächelte.
„Das herauszufinden ist einer der Gründe, weshalb ich hier bin.“
Eine größere Welle kam plötzlich wie aus dem Nichts längsseits auf sie zu und hob das Boot für einen Augenblick hoch. Sekunden später schlug es wieder auf dem schäumenden Wasser auf und sauste mit unverminderter Geschwindigkeit weiter. Erschrocken hielt sich Grace an Jonathans Arm fest.
„Keine Angst“, sagte er und legte spontan den Arm um ihre Schultern. „Ich lasse bestimmt nicht zu, dass Sie ins Wasser fallen!“
„Da vorn können Sie bereits die Insel sehen“, ließ sich Vincent gleich darauf mit lauter Stimme vernehmen. „Das ist Paradise Island.“