„Zeit für unsere Spielstunde, Mister Castillo!“
Die Schwester trat ins Zimmer und lächelte triumphierend. Sie war groß und kräftig gebaut, mit strengem Vollmondgesicht, beängstigend wogendem Busen unter dem weißen Kittel und einem Blick, der keinen Widerspruch duldete. In der Hand hielt sie eine sehr abschreckend aussehende Spritze. „Bitte das Gesäß frei machen!“
„Es ist unromantisch, wie Sie das sagen, Schätzchen“, beschwerte sich Mason, was ihm lediglich einen missbilligenden Augenaufschlag der Dame einbrachte. Daraufhin legte er sich widerspruchslos aufs Bett und entblößte widerstrebend seine Kehrseite. „Ich hoffe für mich, dass Ihre Hände zärtlicher sind als Ihr Tonfall, Teuerste“, meinte er kleinlaut.
„Darauf können Sie wetten“, grinste die Schwester. „Es gibt in meinem Job nicht viel, was mir wirklich Freude bereitet, aber das hier...“ Sie verabreichte ihm eine großzügige Dosis Vereisungsspray, „Das gehört in jedem Fall dazu!“
Mason unterdrücke mühevoll ein Aufstöhnen, als sich die spitze Kanüle erbarmungslos in seinen Hintern bohrte.
„Sie... sind... unglaublich“, presste er zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor. „Haben Sie heute Abend schon etwas vor?“
„Wieso?“, fragte die Schwester ungerührt. „Können Sie mit dem Nachschlag nicht bis morgen warten?“
„Nur, wenn es unbedingt sein muss.“ Mason zog seine Hose über sein misshandeltes Hinterteil und drehte sich wieder um. „Aber es fällt mir wirklich schwer.“
Wider Willen musste die strenge Schwester lachen.
„Sie sind einer von der unverwüstlichen Sorte, wie? Okay“ Sie zog die Schutzhandschuhe aus, nahm das Tablett mit der Spritze und zwinkerte ihm schelmisch zu. „Dann überbringe ich Ihnen hiermit die gute Nachricht des Tages.“
„Also doch Zeit für ein Date?“
„Bedaure. Sie haben bereits eins.“ Sie freute sich diebisch über sein erstauntes Gesicht und deutete mit einer Kopfbewegung auf die Tür. „Ihr Date hat wundervolle blaue Augen und wartet draußen auf dem Gang.“
Grinsend wandte sie sich um und watschelte geschäftig hinaus.
„Sie können jetzt hineingehen, meine Liebe“, hörte er sie kurz darauf draußen auf dem Flur belustigt sagen. „Mister Castillo braucht dringend ein paar tröstende Worte, nachdem ich mit ihm fertig bin!“
Erwartungsvoll schaute er auf die Tür, die sich Sekunden später öffnete.
Der dumpfe Schmerz in seiner Hinterfront war in dem Augenblick vergessen, als er sah, wer seine Besucherin war.
„Marina!“
„Was hat sie mit dir gemacht?“, fragte sie unsicher und deutete nach draußen. Mason lachte.
„Sie hat mir eine Kanüle in meine Kehrseite gerammt, die einen Elefanten betäubt hätte.“
Marina unterdrückte ein Lachen.
„Endlich eine Frau, die mit dir fertig wird.“
„Ist das ein Wunder?“, erwiderte er mit einem schiefen Grinsen. „Eine Frau von dieser Statur, noch dazu bewaffnet!“
Sie standen sich gegenüber und musterten einander etwas befangen.
„Wie... geht es dir nach dem... Sturz?“, brach Marina schließlich das peinliche Schweigen.
„Vielleicht hätte ich eher stürzen sollen, damit mir alles wieder einfällt“, erwiderte Mason lächelnd.
„Du weißt es?“
Er nickte bedeutungsvoll, und sie senkte daraufhin schuldbewusst den Kopf.
„Es tut mir leid.“
„Nein, du musst dich nicht entschuldigen. Ich habe dir Angst gemacht. Das wird nicht wieder vorkommen, Marina, das verspreche ich dir. Du sollst, wenn wir uns sehen, nie wieder Angst vor mir haben.“
„Was macht dich so sicher, dass ich dich wiedersehen will?“
„Keine Ahnung“, gestand er und hob lächelnd die Schultern. „Ich hoffe einfach, dass es so ist.“
Unsicher wich Marina seinem Blick aus.
„Ich hatte keine Ruhe und fühlte mich so schuldig an dem, was passiert ist. Deswegen bin ich noch einmal hergekommen. Ich wollte wissen, ob alles in Ordnung ist mit dir.“
„Mach dir keine Gedanken“, sagte er. „Wie gesagt, du hast mir indirekt sogar einen Gefallen getan. Ich habe mein Gedächtnis wieder.“
Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück und musterte ihn argwöhnisch. „Und wie fühlst du dich jetzt, nachdem du dich an alles erinnern kannst?“
„Mies“, erwiderte Mason niedergeschlagen. „Absolut mies. Ich habe keine Ahnung, was mich bewogen hat, all diese Dinge zu tun, die mich jetzt nicht mehr zur Ruhe kommen lassen. Ich war ein durch und durch schlechter Mensch.“
„Nein, das ist nicht wahr“, widersprach Marina heftig. „Es gab Zeiten, da konntest du durchaus liebenswert sein.“
Mason musterte sie erstaunt.
„Erzähl mir mehr davon!“
Marina errötete wie ein Schulmädchen und biss sich nervös auf die Lippen.
„Ich muss wieder los“, sagte sie hastig.
„Warte!“, rief Mason spontan. „Ich begleite dich.“
„Darfst du denn das Zimmer verlassen?“
„Ich denke schon.“
„Ist dir noch schwindlig?“
„Ein wenig“, gestand er. „Ist es okay, wenn ich deinen Arm nehme?“
Etwas unsicher nickte Marina. Mason hakte sich bei ihr unter und sie gingen den Flur entlang zum Lift.
„Ich würde gern ein wenig unten im Park sitzen, mit dir.“
„Ich weiß nicht“, zögerte sie. Mason suchte ihren Blick und hielt ihn fest.
„Es würde mir sehr viel bedeuten.“
Vor ihnen öffneten sich die Türen zum Lift.
„Okay“, stimmte sie kurz entschlossen zu und trat schnell hinein. „Aber nur ein paar Minuten.“
Mason lächelte zufrieden.
„Das ist mehr, als ich mir erhofft hatte!“
*
Matt glaubte sich verhört zu haben.
„Was hast du da eben gesagt?“, fragte er Cynthia in gefährlich leisem Tonfall. „Würdest du das bitte noch einmal wiederholen?“
Cynthia sah das Funkeln in seinen Augen und schluckte nervös.
„Du... du hast Joanna umgebracht!“
„Wer sagt das?“
„Der Gerichtsmediziner!“
Matt überlegte angestrengt. Er hatte sich mit Mason zwar über Joannas tödlichen Autounfall unterhalten, aber was war, wenn sein Bruder ihm nicht ganz die Wahrheit gesagt hatte? Was hatte Cynthia gegen ihn in der Hand?
Er versuchte es mit einem simplen Bluff.
„Soweit ich weiß, ist Joannas Leiche niemals obduziert worden“, sagte er mit fester Stimme. „Zumindest hätte man mich als ihren Ehemann davon in Kenntnis setzen müssen!“
Cynthias Hand hielt den geheimnisvollen Briefumschlag krampfhaft fest.
„Wie dem auch sei, hier sind die Beweise. Schwarz auf weiß!“
„Wofür? Dass sie sich sinnlos betrunken hat und danach mit dem Auto gegen den nächsten Baum geknallt ist?“
„Dass du ihr etwas in den Drink geschüttet hast, bevor sie in den Wagen stieg!“, rief Cynthia und knallte den Umschlag auf den Tisch. „Hier, lies selbst! Du kannst es danach zerreißen, es ist nur eine Kopie. Das Original liegt im Safe!“
Matt nahm den Umschlag und öffnete ihn. Ein Blick auf das in spanischer Sprache geschriebene Schriftstück zeigte ihm, dass Cynthia anscheinend einflussreichere Freunde in Caracas besaß, als Mason vermutet hatte. Wen auch immer sie dazu gebracht hatte, dieses Dokument auszustellen, es trug tatsächlich den Stempel der Gerichtsmedizin und der Staatsanwaltschaft. Echt oder gefälscht, dagegen konnte er hier in Venezuela nicht an.
Oder vielleicht doch?
„Okay, du lässt mir leider keine andere Wahl. Dann muss ich wohl das Gegenteil beweisen“, sagte er einer plötzlichen Eingebung folgend mit selbstsicherem Lächeln und ging zur Tür.
„Was? Wie willst du das anstellen?“, fragte Cynthia sichtlich nervös.
„Na wie schon.“ Er hob scheinbar selbstgefällig die Schultern. „Ich lasse mich von Daliah mit dem Büro des zuständigen Staatsanwaltes verbinden und fordere zunächst alle Obduktionsunterlagen ein. Danach veranlasse ich eine Exhumierung, um zu beweisen, dass deine Anschuldigungen falsch sind.“
Cynthia wurde blass wie die Wand.
„Um Gottes Willen - Nein!“, entfuhr es ihr. Erstaunt wandte Matt sich um.
„Was ist los, meine Liebe? Geht es dir nicht gut?“
„Hast du denn gar kein Gewissen?“, flüsterte Cynthia entsetzt. „Joanna war streng gläubig! Es wäre der größte Frevel, ihren Leichnam in der heiligen Ruhe zu stören!“
„Aber eine Obduktion vor ihrer Beisetzung war okay?“ Er schüttelte grinsend den Kopf. „Schätzchen, du bist eine verdammt schlechte Lügnerin.“
Seine waghalsige Rechnung ging auf, und gleichzeitig wurde ihm mit Erleichterung klar, dass Mason ihn nicht belogen hatte.
Cynthia kapitulierte.
„Geh zum Teufel!“, zischte sie wütend.
Sie tat ihm fast leid, wie sie dastand und ihn mit ihren Blicken durchbohrte.
„Das war eine kurze Ehe“, sagte er ruhig und versuchte sich sein Mitleid nicht anmerken zu lassen. „Hoffen wir, dass die Scheidung genauso kurz und schmerzlos über die Bühne geht.“
„Was willst du?“, fragte sie tonlos.
„Nun, wir wissen schließlich beide, dass unsere Ehe weder im Himmel noch sonst irgendwo geschlossen wurde. Sie entstand in deiner Fantasie, weil du dir die Firma unter den Nagel reißen wolltest.“
„Das ist deine Version, du Bastard!“
Matt trat näher und blieb dicht vor dem Schreibtisch stehen.
„Cynthia, sei vernünftig! Was willst du mit mir als deinem Ehemann? Das würde nicht funktionieren. Ich liebe dich nicht, und das weißt du auch. Dein Leben wäre die Hölle.“
„Ich werde die Firma nicht aufgeben“, beharrte sie eisern.
„Das brauchst du auch nicht“, erwiderte er zu ihrem Erstaunen. „Ich hatte nie wirklich Interesse an der CASTILLO COPORATION. Du kannst sie haben.“
Cynthia riss fassungslos die Augen auf.
„Was?“
„Du hast richtig verstanden“, nickte Matt. „Ich werde zurück in die Staaten gehen und überlasse dir die Firma. Allerdings zu meinen Konditionen.“
Misstrauisch starrte sie ihn an.
„Du willst, dass ich dich auszahle?“
„Natürlich. Aber freu dich nicht zu früh, denn ich weiß, was die Firma wert ist. Ich will die Hälfte.“
„Niemals!“
„Okay.“ Mit einem überlegenen Lächeln verschränkte er die Arme vor der Brust. „Dann eben anders. Diese Variante dauert zwar etwas länger, hat aber das gleiche Ergebnis.“
„Was meinst du?“, fragte sie unsicher.
„Du hast alle Welt glauben lassen, wir beide wären rechtskräftig verheiratet. Nun gut, dann werde ich mich eben jetzt rechtskräftig von dir scheiden lassen. Und da zwischen uns kein Ehevertrag besteht, kannst du dir ja ausrechnen, wieviel mir von unserem gemeinsamen Vermögen zusteht.“
Cynthia stöhnte auf.
„Unmöglich! Ich kann jetzt nicht so viel Geld locker machen!“
„Wie ich gehört habe, hast du einen recht guten Firmenverwalter. Vielleicht kann er dir helfen.“ Er sah ihren erstaunten Blick und lachte. „Er könnte sich mit seinem Geld beispielsweise in die Firma einkaufen, als dein Teilhaber. Ich wette, er ist einverstanden. Deine einzige Bedingung könnte lauten, dass er seinen Anteil sofort an dich zahlt. Du brauchst dann seinen Scheck nur an mich weiterzureichen.“
„Wie kommst du darauf?“, fragte Cynthia verblüfft. „Und was weißt du über meinen Firmenverwalter?“
Matt lächelte.
„Nicht nur du hast deine Informanten, meine Liebe.“
Cynthias Augen verengten sich argwöhnisch.
„Was hast du vor, Mason?“
Matt setzte sich ihr gegenüber, lehnte sich entspannt zurück und blickte sie selbstsicher an.
„Edward Hamilton ist mit einem Großteil der Firmengelder der HSE aus Sunset City abgehauen und hat meinen Bruder auf einem enormen Schuldenberg sitzen gelassen. Ich hole mir dieses Geld. Auf meine Art.“ Er lächelte so teuflisch, wie es Mason in diesem Augenblick nicht besser gekonnt hätte. „Und weißt du, was ich damit machen werde?“
Cynthia brauchte nicht lange zu überlegen.
„Du verwendest es gegen deinen Bruder.“
„Kluges Mädchen!“, grinste er. „Wenn ich danach mit ihm fertig bin, wird es Matt Shelton und eine Firma namens HAMILTON & SHELTON ENTERPRISES nicht mehr geben!“
„Du bist besessen vor Hass, ist dir das klar?“
„Und wenn schon. Ich weiß, was ich will.“ Er beugte sich vor und sah ihr eindringlich in die Augen. „Also... Was ist?“
Cynthia überlegte angestrengt.
„So schnell geht das nicht“, versuchte sie einzuwenden, doch Matt verzog keine Miene. Er musste so bald wie möglich an Edward herankommen, um Caroline zu helfen. Und wenn er dabei noch das Geld erpokern konnte, das Edward ihm und der Firma gestohlen hatte, dann sollte ihm das nur recht sein.
„Du hast bis heute Abend Zeit, um alles zu arrangieren. Dann treffe ich dich und deinen neuen Verwaltungschef mit den entsprechenden Papieren um Punkt zwanzig Uhr in der Lobby des PLAZA- Hotels“, erklärte er ungerührt. „Mein Rückflug ist für morgen früh gebucht. Bis dahin will ich alles geklärt haben, oder wir regeln die Angelegenheit über das Büro des Staatsanwaltes. Das allerdings dürfte dann das Ende deiner Karriere bedeuten, noch bevor sie richtig begonnen hat. Und nun hätte ich gerne das Original dieses eigenartigen Obduktionsbefundes, das du angeblich im Safe aufbewahrst.“
Cynthia spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg.
„Du bist ein Scheusal, Mason!“, fuhr sie ihn an. Widerwillig ging sie zum Safe, öffnete ihn und nahm ein Dokument heraus, welches sie ihm mit einem wütenden Blick reichte. Unbeeindruckt nahm er es, warf einen kurzen Blick darauf und steckte es zufrieden ein. Dann stand er auf und ging zur Tür.
„Zwanzig Uhr im PLAZA. Ich bitte um Pünktlichkeit.“
Matt durchquerte das Vorzimmer, warf Daliah einen Luftkuss zu und verschwand im Lift. Als sich die Türen hinter ihm schlossen, verschwand das selbstgefällige Lächeln aus seinem Gesicht. Er hasste sich für das, was er eben im Namen seines Bruders getan hatte. Und er verabscheute die Art, wie er Cynthia behandelt hatte. Sie war intelligent und unter gewissen Umständen sicher auch absolut loyal, sonst hätte sie Mason nicht so bedingungslos bei seinen Plänen geholfen. Und sie hatte ihn allem Anschein nach wirklich geliebt. Mit einer Frau wie ihr an seiner Seite hätte sein Bruder ein schönes und sorgenfreies Leben haben können. Leider war der alte Mason nicht dafür geschaffen gewesen. Und welche Ziele der neue Mason in Zukunft verfolgen würde, dazu ließ sich derzeit noch nichts sagen.
Nein, Cynthia hatte eigentlich nicht verdient, so eiskalt abserviert zu werden, doch das war seine einzige Chance, so schnell wie möglich an Edward und zugleich an das Geld, dass dieser veruntreut hatte, heranzukommen. Schließlich ging es hier um Carolines Leben.
Er hatte gar nicht anders handeln können.
*
Als Matt das Gebäude verließ, bog Mitch soeben mit dem roten Lexus auf den Parkplatz ein. Mit einem siegessicheren Grinsen stoppte er genau vor Matts Füßen und deutete auf den Beifahrersitz.
„Spring rein und erzähl, wie es gelaufen ist.“
Matt tat ihm den Gefallen, während Mitch den Wagen zurück auf den Highway in Richtung Zentrum lenkte.
„Wow“, kommentierte er den Bericht seines Freundes anerkennend. „Ich bin sicher, das hätte Mason nicht besser gekonnt.“
„Ach, hör schon auf“, knurrte Matt unwillig. „Ich bin nicht unbedingt stolz auf das, was ich getan habe. Aber hier geht es einzig und allein um Caroline. Und deshalb muss ich so schnell wie möglich an Edward herankommen!“
„Schon kapiert“, erwiderte Mitch.
In diesem Moment bemerkte Matt, dass sie bereits am PLAZA- Hotel vorbeigefahren waren.
„Hey, wohin fährst du?“, fragte er erstaunt.
Mitch grinste siegessicher.
„Du wolltest doch wissen, wo Edward zu finden ist. Ich bringe dich zu ihm.“
„Woher weißt du...“
„Von Sophia. Als sie vorhin die Firma verließ, bin ich ihr gefolgt.“
Mitch bog vom Highway ab und fuhr eine Anhöhe hinauf, mitten hinein in einen Hotelkomplex der feinsten Sorte. Die schneeweißen Fassaden dreier supermoderner Gebäude einer gepflegten Anlage leuchteten zwischen saftig grünen Palmen und Zypressen hervor. Von hier aus bot sich den Bewohnern ein bezaubernder Blick auf Strand und Meer.
„Hier drin hat der feine Mister Hamilton seine Zelte aufgeschlagen. Er bewohnt mit seiner Gattin eine noble Penthouse-Suite“, berichtete Mitch, nachdem er den Motor abgestellt hatte. „Komm, wir sehen uns ein wenig um.“
„Warte.“ Matt hielt ihn zurück, als er aussteigen wollte. „Es wäre nicht gut, wenn man uns jetzt schon hier sieht. Erst nachdem ich mich heute Abend mit Edward und Cynthia im PLAZA getroffen und den Scheck von Edward erhalten habe, werden wir ihn besuchen und ihm von Caroline erzählen. Dann kann er nicht mehr zurück.“
Mitch überlegte einen Moment und verzog sein Gesicht zu einem zufriedenen Grinsen.
„Du schlägst damit zwei Fliegen mit einer Klappe!“
Matt nickte.
„Edward ist viel zu machthungrig, um Cynthias Angebot abzulehnen. Er wird garantiert auf ihren Vorschlag eingehen und sich als ihr Teilhaber in die Firma einkaufen. Bevor er merkt, wem er sein Geld wirklich gegeben hat, ist es zu spät.“
„Du bekommst das Geld zurück, das Edward der Firma gestohlen hat, und erfüllst gleichzeitig die Bedingungen der Entführer“, nickte Mitch anerkennend. „Wirklich clever!“
Matt lächelte zuversichtlich.
„Sobald Edward hört, was mit Caroline geschehen ist, wird er uns ohne zu zögern begleiten, davon bin ich überzeugt. Wenn alles gut geht, ist Cary spätestens morgen Abend wieder frei.“
Mitch nickte.
„Hoffentlich hast du Recht!“
*
Direktflug nach Los Angeles, 12 Stunden später
Die drei Männer hatten während des dreistündigen Fluges kaum ein Wort miteinander gewechselt.
Edward hockte auf dem Fensterplatz gegenüber Matt und Mitch, verweigerte das Essen und starrte die ganze Zeit über durch das Bordfenster hinaus in die undurchdringlich schwarze Nacht. Nur einen doppelten Whisky hatte er sich bestellt und ihn, kaum dass er das Glas in den Händen hielt, so gierig hinuntergestürzt, als könne er damit alle seine Probleme wegspülen.
„Was passiert, wenn wir in Los Angeles landen?“, fragte er irgendwann kurz vor der Landung.
„Wir fahren nach Sunset City und warten, bis die Entführer sich melden“, erwiderte Matt und sah auf seine Uhr. „Das dürfte in etwa vier bis fünf Stunden der Fall sein.“
Überrascht blickte Edward auf.
„Woher willst du das so genau wissen?“
„Um diese Zeit läuft das Ultimatum ab, dass man mir gestellt hat.“
Außer einem kurzen Nicken zeigte Edward zunächst keine Gefühlsregung.
„Okay“, sagte er nach kurzem Zögern und verzog das Gesicht zu einem bitteren Lächeln. „Dann hoffe ich, dass Caroline wohlbehalten zu Hause ist, wenn ihre Mutter mit dem nächsten Nachtflug ankommt.“
Sophia war natürlich außer sich vor Sorge gewesen und hatte Edward mit den schlimmsten Vorwürfen überschüttet. Er selbst zog es vor, sich zu den Anschuldigungen in Schweigen zu hüllen. Er wusste genau, wer Caroline entführt hatte, und er wusste auch, dass mit diesen Leuten nicht zu spaßen war. Er hatte sich auf etwas eingelassen, dass ihm über den Kopf gewachsen war. Seine Flucht aus Sunset City kam ihm da gerade recht. Wie hätte er ahnen können, dass die Quittung dafür an Caroline gehen würde!
Er stöhnte innerlich auf. Natürlich hätte er es besser wissen müssen: Diese Leute hatten in ihrer korrupten und verbrecherischen Welt einen Ruf zu wahren und ließen nie eine Rechnung offen!
Genau wie sein ehemaliger Geschäftspartner, den er, wie er leider zugeben musste, einmal mehr gnadenlos unterschätzt hatte.
Edward nickte still vor sich hin. Matt war all die Jahre sein Schüler gewesen, ein äußerst gelehriger Schüler, wie sich nun herausstellte. Er konnte seinem Mentor schon lange das Wasser reichen, und er hatte sich darüber hinaus auf äußerst clevere Art und Weise zurückgeholt, was Edward ihm beziehungsweise der Firma gestohlen hatte. Seine Rolle als Mason Shelton hatte er derart perfekt gespielt, dass nicht einmal Edward selbst den Schwindel sofort erkannt hatte. Umso verblüffter war er gewesen, als Matt schließlich, nachdem er den Scheck in den Händen hielt, das Geheimnis lüftete.
Die Tatsache, dass er nun einmal selbst betrogen worden war, schmerzte Edward nicht halb so sehr wie der Gedanke, seine Tochter in den Händen dieser Verbrecher zu wissen.
Er dachte an Sophia, sah sie in Gedanken noch immer vor sich, wie schockiert sie auf die Nachricht von Carolines Entführung reagiert hatte. So konnte nur eine Mutter fühlen. Sophia war von Anfang an nicht glücklich darüber gewesen, Sunset City auf unbestimmte Zeit, vielleicht sogar für immer, zu verlassen und alles zurücklassen zu müssen, was ihr lieb und teuer war, einschließlich ihrer erwachsenen Kinder. Das hatte Edward genau gewusst. Dennoch war sie ihm gefolgt.
In Caracas waren sie sich beide wieder nähergekommen und hatten nach all den endlosen und zermürbenden Ehe-Zwistigkeiten endlich neu zueinander gefunden. Nach und nach wurde ihm klar, wie sehr seine Frau ihn trotz aller Differenzen immer geliebt hatte.
Als sie sich vor ein paar Stunden in der Penthouse-Suite verabschiedet hatten, und sie versprach, ihm mit dem nächsten Flug zu folgen, konnte sie nicht ahnen, dass dies sehr wahrscheinlich ein Abschied für immer war.
Er würde sterben, dessen war er sich sicher. Als Strafe für den Verrat, den er begangen hatte. Aber er verspürte eigenartigerweise keine Angst vor dem Tod. Nein, das einzige, was ihm momentan wichtig erschien, war das Leben seiner Tochter. Wenn er dafür sorgen konnte, dass ihr nichts geschah, dann wollte er alles andere auf sich nehmen.
„Kümmerst du dich um meine Familie, wenn mir etwas zustoßen sollte?“, fragte er Matt ganz unvermittelt. Dieser warf ihm einen erstaunten Blick zu.
„Rechnest du damit, dass dir etwas zustößt?“, stellte er schließlich die Gegenfrage.
Edward hob scheinbar gleichmütig die Schultern.
„Ich gehe davon aus.“
„Was macht dich so sicher? Was, zum Teufel, hast du getan?“, fragte Matt und musterte seinen ehemaligen Freund und Mentor eindringlich.
„Ich habe einen Fehler gemacht und mich aus Gründen, die ich heute selbst nicht mehr nachvollziehen kann, mit den falschen Leuten eingelassen“, erwiderte dieser vage. „Mehr kann ich dir nicht sagen. Zu deiner eigenen Sicherheit.“
Matt schüttelte verständnislos den Kopf.
„Es war doch alles okay“, meinte er. „Wir hätten unsere Projekte auch ohne irgendwelche krummen Geschäfte umgesetzt!“
Edward lachte bitter.
„Du hast ja keine Ahnung.“
„Waren private Probleme der Grund, Edward?“, bohrte Matt weiter. „Hast du dich mit der Villa verspekuliert? Du warst überzeugt davon, die Versicherung würde alles zahlen. Aber wenn ich mir überlege, dass das neue Haus fast doppelt so groß ist wie das alte...“
„Lass es gut sein, Matt“, unterbrach ihn Edward abweisend. „Ich möchte nicht darüber reden.“
„Wie du willst.“ Matt atmete tief durch und lehnte sich mit versteinerter Miene wieder zurück. „Dann trag die Konsequenzen eben allein.“
Während die Boeing zum Landeanflug auf LA ansetzte, hüllten sich die Männer erneut in eisiges Schweigen.
*
„Sie hat… was getan?“ brüllte Edward und rannte aufgebracht in Matts Wohnzimmer auf und ab. Er hatte soeben erfahren, dass Caroline die neue Villa der Hamilton an Ronald Austin verkauft hatte. „Ja aber, das ist doch...“
„Reg dich ab, Edward“, erwiderte Matt gleichmütig. Er saß lässig im Sessel und nippte an einem Eiswasser. „Was hätte sie denn tun sollen? Sie und Dean haben wegen dir ihre Existenz verloren!“
„Existenz?“ Er schnaubte verächtlich. „Sollte diese schäbige Bar etwa die Grundlage für Carolines weiteres Leben sein?“
„Ach komm schon, hör auf mit dem Gelaber.“ Matt stellte das Glas auf den Tisch und sah den Mann, dem er lange Zeit vertraut hatte, vorwurfsvoll an. „Es hat dir nicht gepasst, dass Caroline ihren eigenen Weg gehen wollte. Immerzu hast du dich in ihr Leben eingemischt, aber diesmal hast du dich wirklich selbst übertroffen. Dean hat dir vertraut und dich aus dem Gefängnis geholt. Der Dank dafür war, dass du ihn durch deine Flucht um das OCEANS gebracht und obendrein die beiden noch zur Scheidung gezwungen hast!“
Er machte eine Pause und nickte dann zufrieden. „Ich finde, Caroline hat ganz richtig reagiert. Sie hat wohl einiges von dir gelernt, nur mit dem Unterschied, dass sie dabei ehrlich geblieben ist. Und wenn die Sache hier vorüber ist, werden sie und Dean wieder heiraten, ob es dir passt oder nicht.“
„Nein, es passt mir ganz und gar nicht“, knurrte Edward aufgebracht und griff nach seinem Handy. „Verkauft einfach die Villa! Und dann ausgerechnet an diesen Austin! Ich muss Andrew anrufen! Das wird ein juristisches Nachspiel haben!“
„Leg gefälligst das Ding weg“, befahl Matt in eisigem Ton. „Du wirst niemanden anrufen, solange die Sache mit Caroline nicht geklärt ist.“
„Was soll die ganze Aufregung eigentlich?“, mischte sich Mitch ein, der an der offenen Verandatür stand und die ganze Zeit über geschwiegen hatte. „Wir warten hier darauf, dass sich die Entführer endlich melden und hoffen, dass Cary nichts geschieht, und du hast nichts Besseres zu tun, als dich darüber aufzuregen, auf welche Art sie versucht hat, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen, nachdem sich ihre Eltern ohne Abschied bei Nacht und Nebel aus dem Staub gemacht haben! Du bist wirklich unglaublich!“
In diesem Augenblick ließ ein unerwartetes Geräusch die Männer zusammenfahren. Allerdings war es nicht das ersehnte Klingeln von Matts Handy. Es läutete an der Tür.
„Wer kann das sein?“, flüsterte Mitch. „Erwartest du jemanden?“
Matt schüttelte den Kopf.
„Danielle ist in der Klinik.“ Er stand auf um nachzusehen, während sich Edward eilig im angrenzenden Badezimmer versteckte.
Draußen stand Anni.
„Na endlich!“, schnaufte sie und drängte sich ungeduldig an Matt vorbei in die Wohnung. „Weißt du eigentlich, wie lange ich schon versuche, dich zu erreichen?“
„Anni, es ist jetzt wirklich etwas ungünstig“, entgegnete er und bemühte sich, seiner Stimme einen einigermaßen freundlichen Ton zu geben, während er ihr notgedrungen nachfolgte.
„Ist mir egal“, erwiderte sie ungerührt und nickte Mitch flüchtig zu. „Ich muss etwas Wichtiges mit dir besprechen!“
„Kann das nicht bis morgen warten?“
„Nein, kann es nicht. Dean und Caroline brauchen deine Hilfe!“
Erstaunt zog Matt die Stirn in Falten. Wusste Anni etwa von der Entführung?
„Wie meinst du das?“, fragte er vorsichtig.
„Ich habe mit Dean gesprochen. Er steckt in Schwierigkeiten! Es geht um das OCEANS.“
Matt war sich bewusst, dass Edward hinter der Badezimmertür lauschte und packte Anni unsanft am Arm.
„Komm mit, wir besprechen das unter vier Augen draußen auf der Veranda!“
„Ja aber...“, protestierte Anni, als er sie einfach mit sich fortzog. „Mitch kann das ruhig hören!“
„Mitch hat anderes zu tun. Wir erwarten einen wichtigen geschäftlichen Anruf“, erwiderte Matt ungerührt und schob sie durch die offene Verandatür.
„Ich bin gleich zurück“, rief er Mitch zu.
Der nickte und setzte sich in den Sessel. Er sah, wie Matt und Anni draußen miteinander diskutierten und hoffte insgeheim, sie möge rechtzeitig wieder verschwinden, bevor das Telefon klingelte.
Zum Glück dauerte die Unterredung nicht allzu lange.
„Okay, Anni, wir machen das genauso, wie wir es eben besprochen haben“, sagte Matt, als er mit ihr zusammen nach ein paar Minuten das Wohnzimmer wieder betrat. „Aber nun entschuldige mich, ich habe mit Mitch wichtige Dinge zu klären.“
„Ja, das habe ich bereits mitbekommen“, erwiderte sie schnippisch. „Ihr habt ziemlich lautstark miteinander diskutiert. Man hat euch bis in den Hausflur gehört.“
Matt öffnete die Tür.
„Wir sehen uns, Anni.“
„Ist ja gut, ich bin schon weg“, grummelte sie und drehte sich auf der Schwelle noch einmal um. „Halte mich bitte nicht für verrückt, Matt“, sagte sie und sah ihn aufmerksam an. „Aber wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, ich hätte vorhin die Stimme von Edward Hamilton gehört.“
Matt zog erstaunt die Augenbrauen hoch.
„Hier?“
Sie nickte.
„Ja, allerdings.“
„Anni“, lächelte er so geduldig wie möglich. „Glaub mir, nichts würde ich mir mehr wünschen, als diesen Bastard noch einmal in die Finger zu bekommen!“
Als Anni endlich weg war, atmeten Matt und Mitch sichtlich auf.
„Das war knapp.“
Kurz darauf trat Edward aus dem Badezimmer und zerrte ungeduldig an seiner Krawatte.
„Dieses Miststück“, knurrte er ungehalten. „Ihre Nase müsste dreimal so lang sein, so wie sie ständig in anderer Leute Angelegenheiten herumschnüffelt.“ Er warf Matt einen vorwurfsvollen Blick zu. „Und du... nenn mich gefälligst nicht noch mal einen Bastard!“
„Bist du jetzt fertig?“, gab Matt ungerührt zurück und setzte sich wieder.
Widerwillig folgte Edward seinem Beispiel. Nachdenklich zog er die Stirn in Falten.
„Was meinte Anni damit, als sie sagte, dass Dean und Caroline deine Hilfe brauchen?“
Matt suchte gerade nach einer passenden Ausrede, als sein Handy zu läuten begann...
*
Claudia trat an Stefano heran und legte ihm liebevoll die Hände auf die Schultern. Er war gerade nach Hause gekommen, als er einen Anruf von seiner Dienststelle erhielt. Es musste etwas äußerst Wichtiges sein, denn er hatte sich danach in Windeseile wieder umgezogen und griff nach seiner Dienstwaffe. Claudia beobachtete sein Treiben beunruhigt.
„Musst du zu einem Einsatz?“, fragte sie neugierig.
Stefano nickte.
„Ja, aber ich bin bald zurück.“
„Was ist das für ein Einsatz?“
„Du weißt doch, das darf ich dir nicht sagen.“
„Ist es gefährlich?“
Er drehte sich um und nahm sie in die Arme.
„Ich passe schon auf mich auf.“
„Trotzdem mache ich mir Sorgen.“
Obwohl er in Eile war, nahm er sich die Zeit, sie zu küssen.
Seitdem sie aus dem Urlaub zurück waren, wohnte Claudia nicht nur bei ihm, sie teilten auch das Schlafzimmer miteinander.
Seine Mutter schien sich endlich damit abgefunden zu haben, dass Claudia trotz ihrer Scheidung von Antonio weiterhin zur Familie gehörte. Sie verhielt sich zwar nach wie vor distanziert, aber immerhin schien sie die Entscheidung ihres ältesten Sohnes zu akzeptieren. Sie hatte bisher weder versucht, sich einzumischen, noch ihm Claudia auszureden. Er vermutete, dass er das dem Einfluss seiner Schwester zu verdanken hatte. Sie musste wohl ein paar klärende Worte mit Dolores gesprochen haben.
Marina selbst kam ihm auch irgendwie verändert vor. Nicht nur, dass sie ihre Schwangerschaft ab jetzt nicht länger verbergen konnte, sie hatte auch, wenn sie sich unbeobachtet fühlte, so einen eigenartigen Glanz in den Augen.
Irgendetwas musste während seiner Abwesenheit passiert sein. Als er sie danach fragte, lächelte sie nur und schwieg sich aus. Allerdings hatte ihm jemand gesteckt, dass sie des Öfteren nach LA fuhr. Vielleicht ein neuer Freund? Egal, Hauptsache, sie war wieder glücklich. So wie er und Claudia.
„Ich muss los“, sagte er und lächelte, als er Claudias besorgten Blick sah. „Du hast einen pflichtbewussten Polizei-Detektiv am Hals, Baby. Gewöhn dich besser daran.“
„Daran werde ich mich nicht so leicht gewöhnen“, erwiderte sie ernst. „Sobald du diese Waffe mitnimmst, fürchte ich, dass du in Gefahr bist.“
„Bin ich nicht, denn ich weiß genau, was ich tue und habe alles unter Kontrolle.“ Er zwinkerte ihr schelmisch zu. „Wenn ich heute Abend nach Hause komme und dich in deinem sexy Negligé vorfinde, könnte sich das allerdings sehr schnell ändern!“
*
Matt lenkte den Dienstwagen der HSE zügig in nördliche Richtung. Die Anweisungen der Entführer waren klar und deutlich gewesen: Keine Polizei, nur er und Edward sollten am vereinbarten Treffpunkt in Olinda Village erscheinen.
Der kleine Ort lag etwa eine halbe Stunde von Sunset City entfernt in Richtung der Chino Hills. Mitch folgte ihnen unauffällig in seinem eigenen Auto. Allerdings hatten er und Matt vereinbart, dass er sich am Treffpunkt nicht blicken lassen würde. Er wollte nur zur Stelle sein, falls irgendetwas schief ging.
Nervös zerrte Edward an seiner Krawatte. Schließlich nahm er sie ab und warf sie achtlos auf den Rücksitz. Geschäftsmäßig gutes Aussehen war bei dieser Aktion völlig egal.
„Ich habe einiges falsch gemacht, fürchte ich“, sagte er plötzlich.
Matt verzog missbilligend das Gesicht.
„Das fällt dir reichlich spät ein.“
„Ja, ich weiß. Ich wollte dir nur sagen, dass es mir leid tut, bevor ich vielleicht keine Gelegenheit mehr dazu habe.“
Matt überlegte einen Augenblick, bevor er antwortete.
„Ich werde dich nicht noch einmal fragen, was du mit diesen Leuten für Differenzen hast“, sagte er ernst. „Aber sollte dir wirklich etwas zustoßen, werde ich für deine Familie da sein, wenn sie mich brauchen.“
Edward atmete erleichtert durch und legte ihm kurz seine Hand auf die Schulter.
„Danke mein Freund!“
„Ich tue das für Caroline“, erwiderte Matt und blickte mit verschlossenem Gesicht geradeaus auf die Straße. Er setzte den Blinker und bog vom Freeway 57 in östliche Richtung auf eine staubige Landstraße ab. „Wir sind gleich da.“
„Und wie geht es weiter?“
„Sie rufen mich wieder an.“
Nachdem Matt kurz darauf weitere Instruktionen der Entführer erhalten hatte, durchquerten sie Olinda Village und gelangten zu einem Waldstück. Matt verlangsamte die Fahrt, nahm sein Handy und wählte Mitchs Nummer.
„Ich bin fast da. Irgendwo muss hier ein kleiner Feldweg einmünden. Den fahren wir bis zum Ende. Bitte warte am Waldrand und folge uns nur, wenn du eine Nachricht von mir bekommst. Ich will Carolines Sicherheit nicht gefährden.“
„In Ordnung“, erwiderte Mitch. „Kannst dich auf mich verlassen.“
„Bis dann, Mitch!“
„Pass auf dich auf, Matt!“
Sie fuhren im Schritt-Tempo den Feldweg entlang, der dann in einen breiteren Waldweg mündete und auf einer Lichtung endete. Kurz bevor Matt die Lichtung erreichte, stoppte er den Wagen.
„Da vorn muss es sein.“
Nervös reckte Edward den Hals.
„Meinst du das Haus dort hinter den Bäumen?“
Matt nickte.
„Der Kerl am Telefon hat gesagt, wir sollen in Sichtweite des Hauses anhalten, und im Wagen auf weitere Anweisungen warten.“ Er drehte sich zu Edward und sah in dessen aschfahl gewordenes Gesicht. „Bist du bereit?“
„Bereit zu sterben?“ Edward presste verbittert die Lippen aufeinander. „Nein, verdammt, das bin ich nicht! Aber für Caroline werde ich alles tun, was man von mir verlangt. Ich hoffe nur, sie lassen mich noch miterleben, wie du sie in Sicherheit bringst!“
Matt nickte angespannt.
„Ich werde tun, was ich kann, verlass dich darauf.“
„Auf dich war immer Verlass“, erwiderte Edward leise. „Im Gegensatz zu mir. Das du das hier für mich tust, ist mehr, als ich verdient habe.“
„Ich habe dir vorhin schon gesagt, ich tue das für Caroline. Allerdings wäre mir wesentlich wohler, wenn ich verstehen könnte, was hier eigentlich abgeht.“
Edward starrte schweigend vor sich hin. Erst als Matt sich anschickte, langsam weiterzufahren, legte er seine Hand aufs Lenkrad.
„Warte eine Sekunde...“
Matt hielt an und musterte ihn fragend.
Er sah die kleinen Schweißperlen, die sich auf Edwards Stirn gebildet hatten, während dieser sich zitternd zurücklehnte. Er hatte Angst... Todesangst.
„Du kannst diese Leute mit der Mafia vergleichen“, begann er zögernd zu berichten. „Sie betreiben Drogenhandel und Geldwäscherei großen Stils zwischen hier und Mexiko und schrecken auch vor Mord nicht zurück. Der Boss des Kartells kam eines Tages auf mich zu und machte mir ein Angebot, dass ich einfach nicht ablehnen konnte. Damals ahnte ich noch nicht, wie weit das Ganze gehen würde, obwohl ich angesichts der gewaltigen Geldsumme, die man mir für meine Mithilfe und mein Schweigen bot, bereits hätte stutzig werden müssen. Aber ich steckte gerade mitten in der Finanzierung der neuen Villa und konnte das Geld gut gebrauchen. Also sagte ich zu. Es lief zunächst eine Zeitlang alles ganz reibungslos, doch dann passierte diese Sache hier in Sunset City. Meine Verhaftung. Wie es danach weiterging, weißt du ja. Durch meine Abwesenheit funktionierte der zu dieser Zeit geplante Deal nicht, und unsere Strategie fiel zusammen wie ein Kartenhaus. Irgendwer muss wohl der Polizei noch den entscheidenden Tipp gegeben haben, denn unmittelbar danach wurden mehrere wichtige Leute, unter ihnen der Neffe meines Auftraggebers, verhaftet. Sie warten in San Francisco auf ihren Prozess. Einigen von ihnen droht bei Verurteilung eine lebenslange Haftstrafe.“ Er wischte sich nervös über die schweißnasse Stirn. „Und was du hier gerade erlebst, ist die Rache des Kartells an dem verräterischen Mitglied, dessen Abwesenheit den Plan hat auffliegen lassen und einige von ihnen ins Gefängnis gebracht hat. Auge um Auge, so lautet die Regel. Nur, dass es für mich keine Haftstrafe vom Kartell geben wird, sondern eher ein Todesurteil.“
Matt schüttelte ungläubig den Kopf.
„Wie konntest du dich bloß auf so etwas einlassen?“
„Weil ich nicht besser bin als diese Leute“, erwiderte Edward bitter. „Und nun fahr los, ich will Caroline keine Minute länger als nötig in deren Händen lassen!“
Matt wusste darauf nichts zu erwidern.
Langsam setzte sich der Wagen wieder in Bewegung. Als sie nur noch ein paar Bäume von dem Haus trennten, hielt Matt an.
Sekunden später meldete sich sein Handy.
„Steigen Sie beide aus dem Wagen und warten Sie“, lautete die Anweisung. „Sobald wir sehen, dass Sie Mister Hamilton bei sich haben, kommen wir mit seiner Tochter heraus.“
Matt und Edward sahen sich an.
„Sobald Caroline in Sicherheit ist, versuchen wir dich zu holen“, sagte Matt.
Edward nickte mit zusammengepressten Lippen. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt.
„Bringen wir es hinter uns.“ Er gab sich einen Ruck und öffnete die Tür.
Auch Matt stieg aus dem Wagen.
In banger Erwartung sahen sie hinüber zum Hauseingang.
Die Tür öffnete sich langsam, und ein älterer Mann trat heraus.
„Kommen Sie herüber, Hamilton!“, rief er.
„Erst, wenn Sie meine Tochter gehen lassen!“, rief Edward zurück.
„Sie steht hinter mir“, erwiderte der Mann. „Na los, kommen Sie jetzt!“
„Warte, bis du sie sehen kannst“, flüsterte Matt Edward zu. „Das könnte eine Falle sein!“
Dann ging alles blitzschnell...
Plötzlich waren sie nicht mehr allein auf der Lichtung.
Mehrere Polizeieinsatzwagen jagten wie aus dem Nichts über die Lichtung und hielten mit quietschenden Bremsen vor dem Haus.
Ein Dutzend Polizisten des Sondereinsatzkommandos, bis an die Zähne bewaffnet, sprangen gleichzeitig von allen Seiten aus ihren Verstecken und zielten mit ihren Waffen auf den mutmaßlichen Entführer, der an der Tür stand.
„LAPD! Polizei!“
„Keine falsche Bewegung!“
„Waffen runter!“
Weder Matt, noch Edward vermochten hinterher zu sagen, wer den ersten Schuss abgefeuert hatte. Entsetzt beobachteten sie, wie der Mann an der Tür des Hauses voller Panik eine Waffe zog und auf die Polizisten zielte. Die zögerten keine Sekunde und feuerten sofort zurück. Der Mann sank auf die Knie und fiel getroffen vornüber mit dem Gesicht auf die Erde. Regungslos blieb er liegen.
Die Polizisten verloren keine Zeit.
„Zugriff!“, rief der Befehlshaber der Truppe und zeigte nach vorn.
Die Männer stürmten das Haus.
„Caroline!“, schrie Edward außer sich vor Sorge um seine Tochter und rannte über die Wiese auf den Eingang zu. Matt folgte ihm.
„Halt!“ Eine wohlbekannte Stimme hielt sie zurück. „Ihr könnt da nicht rein!“
Hinter einem der Einsatzwagen stand Stefano Cortez. Er hielt seine Dienstwaffe in der Hand. Mit wenigen Schritten war er bei ihnen. „Geht sofort in Deckung und wartet! Die Männer machen das schon. Caroline wird nichts geschehen!“
„Woher wollen Sie das so genau wissen?“, fauchte Edward und versuchte sich loszureißen, weil Stefano ihn am Ärmel gepackt hatte. „So wie die eben herumgeballert haben, ist niemand vor denen sicher!“
„Wieso seid ihr hier?“, fragte Matt atemlos, während sie sich duckten und Edward mit Gewalt zu sich herunterzogen..
„Caroline ist es gelungen uns anzurufen“, erwiderte Stefano und schob die beiden Männer hinter das Einsatzfahrzeug. „Sie wusste, wann das Treffen stattfinden sollte. Wir mussten schnell handeln.“
Aus dem Haus hörte man abermals Schüsse.
„Um Gottes willen!“, schrie Edward, befreite sich blitzschnell aus Stefanos Griff und war nun nicht mehr aufzuhalten. So schnell er konnte, rannte er zur Tür und verschwand im Haus.
„Halt! Mister Hamilton!... Verdammt!“, fluchte Stefano und folgte ihm, ebenso wie Matt.
Im Haus waren schwere Schritte, Gepolter und einzelne Zurufe zu hören, mit denen sich die Polizisten vom SEK untereinander verständigten, während sie die Räume nach den Entführern und der Geisel absuchten.
„Sichert das Gebäude!“
„Hier ist niemand!“
„Sauber…“
„Gesichert!“
„Achtung… Da ist jemand nach hinten raus!“
„Hinterher!“
„Moment mal...Stopp... bleibt zurück!“
„Schnell, holt den Boss!“ Einer der Einsatzkräfte kam durch den Flur gerannt, sah Stefano und hob den Schutzschild seines Helmes.
„Detektiv? Kommen Sie, das sollten Sie sich ansehen!“
Gemeinsam liefen sie durch den Flur und betraten einen abgedunkelten Raum. Matt brauchte einen Augenblick, um sich an die Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Als erstes bemerkte er Edward, der von irgendwoher fast zeitgleich mit ihm das Zimmer betrat. Und dann sahen sie die zusammengekrümmte Gestalt, die wenige Schritte vor ihnen leblos auf dem Boden lag.
Edwards entsetzter Schrei durchschnitt die Stille, die augenblicklich entstanden war.
"Cary.... Neeeeiiiinn!"