Drei Monate waren vergangen, seitdem Dean und Caroline das OCEANS wieder übernommen hatten, Mason aus der Klinik entlassen, Edward inhaftiert und George Freeman beerdigt worden war.
Der Tag begann wie jeder andere in Sunset City.
Die Sonne ging als purpurfarbener Feuerball hinter den Bergen auf und verwandelte das Meer in eine schier unendliche, mit gleißenden Silbersplittern durchwirkte, funkelnde Landschaft, die bis zum fernen Horizont reichte, wo sie mit dem strahlend blauen Himmel verschmolz. Der Santa Ana Wind wehte um diese Tageszeit noch angenehm kühl und schickte eine frische Brise würziger Seeluft vom Ozean übers Land. Der Strand war fast menschenleer, nur ein paar einzelne Strandläufer nutzten den heranbrechenden Tag zum Joggen. Ein Jeep der Lifeguards fuhr Patrouille und hinterließ eine kilometerlange Reifenspur in dem noch nachtfeuchten Sand. Die morgendliche Stille des jungen Tages wurde ab und zu von den Schreien einzelner Möwen unterbrochen, die auf der Suche nach Nahrung schwungvoll über dem Wasser kreisten und sich wie spielerisch vom Wind treiben ließen.
Sobald die Sonne jedoch höher stieg und an Kraft gewann, würde sich das friedvolle Bild allmählich ändern. Jede Menge Badegäste würden sich dann am Strand tummeln, bunte Sonnenschirme wären überall zwischen den kleinen Rettungstürmchen zu sehen und im Wind flattern, zwischen den rastlosen Wellen würden Surfer und Badegäste wie bunte Glanzpunkte inmitten einer Glitzerwelt auftauchen und sekundenlang wieder verschwinden.
Lachen, fröhliches Kindergeschrei und der unverwechselbare Duft von Salzwasser und Sonnenöl würde sich mit der flirrenden Hitze und dem Dunst des Tages zu dem vermischen, was das typisch kalifornische Flair hier an der Küste ausmachte.
Danielle blieb stehen und atmete tief durch. Sie liebte es nach wie vor, den Morgen mit einem Strandlauf zu beginnen und die angenehme Kühle zu genießen. Eine Hand schützend über die Augen haltend sah sie blinzelnd hinaus aufs Meer.
„Der schönste Platz der Welt“, sagte sie leise und lächelte nachdenklich. War der Ort, den man sich mit seiner großen Liebe teilte, und den man sein Zuhause nannte, nicht ohnehin immer der schönste Platz der Welt?
Als sie heute früh aufgewacht war, hatte sie enttäuscht festgestellt, dass Matt nicht wie sonst neben ihr lag und schlief. Er war gestern mit Mason nach San Francisco geflogen, um sich dort mit Geschäftsfreunden zu treffen. Es ging wohl um irgendwelche Lizenzen für das neue Gesundheitszentrum, das Matts Firma bauen wollte.
Seine Firma - SHELTON ENTERPRISES. Der Name Hamilton war nach Edwards Ausstieg endgültig aus dem Firmennamen gestrichen worden. Die Firma lief nun auf Matts Namen, er war der Boss und zugleich auch der Hauptaktionär.
Genau genommen war das Unternehmen nun zu einem gewissen Teil sogar auch ihre Firma. Immerhin besaß sie dank George seit kurzem einen nicht geringen Anteil an Stimmrechten. Trotzdem überließ sie es Matt, sich um alles zu kümmern. Sie hatte bisher nie mit der Immobilienbranche zu tun gehabt und würde sich auch in Zukunft nicht einmischen, sondern auf ihren eigenen Wunsch hin nur ein stiller Teilhaber sein. Ihr Medizinstudium und die Arbeit in der Klinik nahmen sie voll und ganz in Anspruch.
Außerdem hatte Matt ja noch Mason an seiner Seite.
Seitdem dieser in der Firma mitarbeitete, hatte er sich als echte Hilfe erwiesen. Er nahm seinen Posten als Sicherheitschef sehr ernst und versuchte nebenbei alles zu lernen, was man über eine Firma wie die SE wissen musste. Zudem schien es, als würde er nach und nach das Vertrauen seines Bruders gewinnen. Matt bezog ihn in verschiedene interne Firmen-Entscheidungen mit ein und legte dabei zunehmend großen Wert auf seine Meinung.
Danielle war froh darüber, dass die Brüder einander allmählich näherkamen, und sie war auch nicht sonderlich erstaunt gewesen, als Matt Mason gebeten hatte, ihn auf der Geschäftsreise nach San Francisco zu begleiten.
Mason schien nach seiner Operation ein völlig anderer Mensch geworden zu sein. Die Tatsache, dass er seine Arbeit bei der SE gewissenhaft und umsichtig erledigte, sprach für sich. Matt hatte, was ihn betraf, ein zunehmend gutes Gefühl.
Aber auch Masons Verhältnis zu Marina war ein völlig anders als früher. Seitdem er bei ihr eingezogen war und sie ihm gestanden hatte, dass er der Vater ihres Babys sei, trug er sie förmlich auf Händen. Ständig war er besorgt um ihr Wohlergehen und das des ungeborenen Kindes. Er freute sich auf das Baby und war bereits auf der Suche nach einem geeigneten Strandhaus, um ausreichend Platz für die kleine Familie zu schaffen.
Marina selbst wirkte zum ersten Mal, seitdem Danielle sie kannte, richtig glücklich. Und trotz allem, was in der Vergangenheit geschehen war, wünschte ihr Danielle von Herzen, dass dieses Glück von Dauer sein möge.
Sie waren in den vergangenen Wochen fast so etwas wie Freundinnen geworden. Während sich Matt und Mason fieberhaft mit der Planung des Projektes rund um den Bau des Gesundheitszentrums beschäftigten und mitunter sogar bei ihren gelegentlichen abendlichen Treffen in Matts Haus oder im OCEANS kein anderes Thema fanden, hatten die beiden Frauen oft Gelegenheit, sich miteinander zu unterhalten und besser kennenzulernen. Danielle wusste, dass Marina noch immer viel für Mason empfand, aber sie spürte auch, dass die junge Frau ihre Gefühle ihm gegenüber zum Teil zurückhielt, aus Furcht, wieder enttäuscht zu werden.
Nun, bisher machte Mason nicht den Eindruck, als habe er die Absicht, irgendjemanden zu enttäuschen. Im Gegenteil. Trotzdem wog die Vergangenheit noch immer schwer. Es galt, vorsichtig abzuwarten und das Beste zu hoffen.
Danielle sah auf die Uhr.
Zeit, nach Hause zu gehen, sich zu duschen und umzuziehen.
Dieser Sonntag gehörte ihr, Suki und Marina. Die drei Frauen wollten am Mittag nach Paradise Island fahren, nachdem Evita sie angerufen und in Matts Auftrag eingeladen hatte.
„Mister Matthew hat gesagt, ich soll dafür sorgen, dass Sie eine schöne Zeit haben, bis er und Mister Mason wieder zurück sind“, hatte sie Danielle gestern Abend am Telefon gesagt. „Er meinte, Sie sollen Misses Cortez und Dr. Yamada mitbringen. Er hat eine kleine Überraschung für Sie arrangiert. Es ist bereits alles vorbereitet, bitte sagen Sie nicht nein, Danielle!“
„Wie könnte ich“, hatte Danielle lachend geantwortet. „Sie wissen doch ganz genau, dass ich Ihnen keine Bitte abschlagen kann.“
Gegen Mittag würde Vincent sie mit dem Boot abholen.
Der Tag passte ausgezeichnet, denn auch Suki hatte heute frei und war allein. Mitch befand sich nach eigener Aussage auf einem Inlandsflug nach New York und würde voraussichtlich erst am Abend zurückkommen.
Trotz ihrer anfänglichen Zweifel hatte sich Suki gut mit der neuen Situation angefreundet und platzte jedes Mal fast vor Stolz, wenn ihr Flugkapitän sie ab und zu nach Dienstschluss in seiner schmucken Uniform von der Klinik abholte. Nur vom Heiraten hatten sie bisher nicht wieder gesprochen, und obwohl Danielle wusste, dass ihre Freundin sich nichts mehr wünschte, als endlich Misses Suki Capwell zu werden, so konnte sie ihr doch in diesem Fall nicht helfen. Das war eine Sache allein zwischen den beiden. Sie zweifelte nicht im Geringsten daran, dass Mitch irgendwann zu seinem Wort stehen würde. Aber wann?
Danielle atmete tief durch und straffte die Schultern.
„Auf geht’s“, sagte sie zu sich selbst. „Ab nach Hause!“
Als sie weiterlaufen wollte, fiel ihr Blick auf ein kleines Stück blaues Strandglas, das, von der Morgensonne angestrahlt, funkelnd vor ihr im Sand lag. Sie hob es auf und betrachtete es interessiert.
Unter den Anwohnern galt Strandglas dieser Art als Glücksbringer. Das lag wohl daran, dass man es nur sehr selten fand. Schon gar nicht, wenn man gezielt danach suchte.
Danielle lächelte.
Es war genau wie mit dem Glück im Leben. Das begegnete einem auch meistens dann, wenn man es am wenigsten erwartete.
Sie drehte das Strandglas zwischen den Fingern. Es hatte eine fast ovale Form und wirkte zart und doch unzerbrechlich. Das Licht der Morgensonne brach sich darin auf zauberhafte Weise und gab das zarte Blau in unendlich vielen Farbnuancen wieder.
„Willst du mein Glücksbringer sein?“, fragte sie lachend. „Dann sollte ich dir vielleicht sagen, dass ich mein Glück bereits gefunden habe. Aber wer weiß, vielleicht wird dieser Tag heute ja ein ganz Besonderer.“
*
Während der Fremde aus dem Flugzeug stieg, atmete er tief durch und blickte sich interessiert um.
Das war also Kalifornien.
Zum ersten Mal in seinem Leben betrat er amerikanischen Boden, und er hoffte, er würde es nicht bereuen.
Er war breitschultrig, von auffallend großer, schlanker Gestalt und trug zu einem blütenweißen Hemd einen dunklen, maßgeschneiderten Anzug, wodurch er sich vom Durchschnitt der eher leger gekleideten Reisenden deutlich abhob. Sein gaumeliertes Haar war modisch kurz geschnitten und seine nachtblauen Augen verliehen seinem strengen, fast aristokratisch wirkenden Gesicht etwas Geheimnisvolles. Er mochte wohl bereits Ende Fünfzig sein, doch sein tadelloses Aussehen und sein selbstsicheres Auftreten bewirkten, dass viele der vorübergehenden Passanten, besonders die weiblichen unter ihnen, sich interessiert nach ihm umschauten.
War er Filmschauspieler oder vielleicht ein bekannter Diplomat?
Er passierte den Zoll, legte Pass und Zollerklärung vor. Auf die Frage des Beamten nach dem Grund seiner Einreise antwortete er lächelnd:
„Ich komme als Tourist. Ich hoffe, ich werde hier willkommen sein.“
*
Pünktlich um zwölf Uhr wartete Vincent mit dem kleinen weißen Schnellboot im Yachthafen.
Während Suki darauf bestand, das Gepäck zu übernehmen, half Danielle Marina an Bord. Die werdende Mutter trug ein helles Umstandskleid aus weicher Baumwolle, das ihren bereits deutlich gewölbten Leib sanft umspielte. Trotz ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft bewegte sie sich noch immer recht leichtfüßig und lachte, als Vincent helfend hinzusprang.
„Ich komme mir vor wie eine Tonne“, scherzte sie und setzte sich, weil das Boot stark schwankte. „Und irgendwie behandeln mich zur Zeit auch alle so, als würde ich gleich umfallen und davonrollen.“
„Genieße die Fürsorge, sie gehört zu den Privilegien schwangerer Frauen“, gab Suki trocken zurück und zwinkerte ihr zu.
Neben ihnen war vor ein paar Minuten eine kleine weiße Yacht vor Anker gegangen.
„SUNRISE“ las Danielle und erkannte das Boot, mit dem sie und Matt damals ihren ersten romantischen Ausflug unternommen hatten. Die Erinnerung daran veranlasste sie zu einem strahlenden Lächeln.
„Wo kommt ihr her?“, rief sie interessiert hinauf, nachdem die Motoren abgestellt wurden..
„Paradise Island“, erwiderte der Kapitän, der an der Reling stand, freundlich.
„Was?“ Danielle glaubte sich verhört zu haben, doch bevor sie erneut nachfragen konnte, mischte sich Vincent verärgert ein.
„Unsinn! Paradise Island ist eine Privatinsel, da verkehren keine Passagierschiffe!“
Keine der drei anwesenden Damen bemerkte, wie er hinter ihnen die Augen verdrehte und dem Kapitän eigenartige Zeichen gab. Der schien jedoch sofort zu verstehen und hob entschuldigend die Schultern.
„Tut mir leid, hab`s verwechselt. Ich kann mir die Namen dieser kleinen Inseln so schlecht merken. Ich glaube, Pasadena Island war der Name.“
„Stimmt, die liegt nicht weit von Paradise Island“, nickte Danielle und lachte über Vincent, der hinter ihr ärgerlich grummelte: „Das fehlte noch, so ein Passagierdampfer vor unserer Insel!“
„Das ist doch kein Dampfer, Vincent, sondern eine ziemlich noble Yacht!“
„Egal, die sind doch alle gleich. Groß, laut und vollgestopft mit Touristen“, winkte er ab und löste die Leinen.
„Diese hier nicht“, widersprach Suki und begutachtete die SUNRISE neugierig, während Vincent das Boot startete. „Außer der Mannschaft ist niemand zu sehen.“
„Vermutlich haben sie die Touristen auf der Insel gelassen und holen sie abends wieder ab“, brüllte Vincent gegen den Wind und vollführte eine gewagte Kurve. „Festhalten meine Damen! Es geht los!“
Danielle freute sich auf das Wiedersehen mit Evita und den Tag auf der Insel. Sonst war sie immer nur mit Matt hier gewesen, aber heute brachte sie zum ersten Mal ihre Freunde mit.
Es würde ein schöner Tag werden, soviel war sicher. Irgendwann in naher Zukunft musste sie unbedingt ihre Eltern hierher einladen und ihnen Paradise Island zeigen. Sie würden begeistert sein. Sobald Roger Miles Georges Immobilien in Europa verkauft hatte, würde Danielle einen Teil des geerbten Geldes nach Oklahoma schicken. Dann konnten Mum und Dad sich endlich ein paar Angestellte für die Ranch leisten und erst einmal richtig Urlaub machen.
Urlaub in Kalifornien...
Sie hatten sich so lange nicht gesehen!
Gedankenverloren blickte sie auf die Insel, die am Horizont bereits zu sehen war.
„Ist sie das?“, fragte Suki atemlos.
Danielle nickte.
„Ja, das ist Paradise Island.“
„Wie im Märchen!“, entfuhr es Marina, als sie näher kamen. „Eine Insel mit einer weißen Traumvilla oben drauf. Matt kann wirklich sehr romantisch sein.“
Danielle lächelte.
„Oh ja, das kann er. Er versteht es, mich immer wieder aufs Neue zu überraschen.“
Vincent drehte sich kurz zu ihr um und sah sie für einen Augenblick verschmitzt lächelnd an.
„Was ist?“, fragte sie.
„Ach nichts“, erwiderte er ausweichend. „Ich musste nur eben daran denken, wie begeistert Sie waren, als Mister Matthew Sie zum ersten Mal hierher mitgebracht hat.“
„Ja, das ist wahr“, lächelte Danielle versonnen. „Das Ganze war wie ein Traum! Hier auf der Insel hat er mich gefragt, ob ich seine Frau werden will.“
„Wow“, entfuhr es Suki. „Wirklich romantisch. Und wann wird denn nun geheiratet?“
„Tja, darüber sollten wir bei Gelegenheit mal mit Matt und Mitch reden. Irgendwie war in der letzten Zeit ständig etwas los, so dass wir das Thema gar nicht mehr erwähnt haben.“
„Ja, leider“, bestätigte Suki.
„Autsch!“
Erschrocken drehten sich Suki und Danielle herum. Marina saß auf ihrer Bank und hielt beide Hände auf ihren runden Bauch.
„Entschuldigung“, lachte sie, als sie die erschrockenen Gesichter ihrer Freundinnen sah. „Aber das Baby hat mich eben mächtig getreten. Die Schaukelei scheint ihm so gut zu gefallen, dass es Purzelbäume schlägt!“
*
Der Fremde trat aus der Flughafenhalle und sah sich suchend um. Nicht weit entfernt entdeckte er in dem bunten Gewimmel der Passanten einen Flughafen-Taxistand. Die kleine Reisetasche, sein einziges Gepäckstück, fest in der Hand, eilte er auf ein freies Taxi zu.
„Wo soll es denn hingehen?“, fragte der Taxifahrer, kaum dass der Mann im Fond des Wagens saß.
„Zum Yachthafen von Sunset City“, erwiderte der Fremde und blickte aufmerksam aus dem Fenster, als sich das Taxi in Bewegung setzte.
„Sunset City, ja?“, fragte der Fahrer noch einmal nach. „Das wird Sie aber eine hübsche Stange Geld kosten, Mister. Da wären Sie mit dem Transfer-Bus billiger weggekommen.“
„Kein Problem“, lächelte sein Fahrgast. „Meine Maschine hatte Verspätung, und ich habe es ziemlich eilig. Wie lange werden wir ungefähr brauchen?“
Der Fahrer hob vage die Schultern, während er sich zügig in den fließenden Verkehr, der den ganzen Tag über rings um den Airport herrschte, einordnete.
„Ich denke, wenn wir gut durchkommen, sind wir in ungefähr einer halben Stunde dort.“
„Fein“, erwiderte der Fremde und lehnte sich sichtlich entspannt zurück. „Dann komme ich ja vielleicht gerade noch rechtzeitig zu meinem Termin.“
*
Danielle konnte es nicht erklären, aber plötzlich überkam sie ein Gefühl der inneren Unruhe. Je näher sie der Insel kamen, desto stärker wurde es. Irgendetwas war heute anders.
Lag es wirklich nur daran, dass Matt nicht an ihrer Seite war?
Sie kramte in ihrer Tasche und holte das Strandglas heraus, das sie heute Morgen gefunden hatte.
„Was bringt mir dieser Tag?“, fragte sie in Gedanken und betrachtete das geheimnisvoll blau schimmernde funkelnde Glas in ihrer Hand, bevor sie es wieder in der Tasche verschwinden ließ.
Als sie aufsah, stellte sie fest, dass Vincent nicht wie sonst den Hauptbootssteg ansteuerte, sondern abdrehte, um auf der Rückseite anzulegen.
„Warum fahren wir die Insel nicht direkt an?“, fragte sie erstaunt.
„Ich muss am Bootssteg erst etwas reparieren“, erwiderte Vincent ausweichend und starrte nach vorn.
„Oh, na dann.“ Gegen dieses Argument gab es nichts einzuwenden.
Nachdem Vincent den drei Frauen an Land geholfen hatte, verankerte er das Boot und holte das Gepäck.
Auf dem Wirtschaftsweg kam ihnen mit wogenden Röcken und strahlendem Lächeln Evita entgegengeeilt.
„Das sind Sie ja endlich!“, rief sie und umarmte Danielle mit einer Herzlichkeit, die geradezu ansteckend wirkte.
„Evita, darf ich Ihnen meine Freundinnen vorstellen: Suki Yamada...“
„Dr. Yamada! Herzlich willkommen auf Paradise Island!“
Suki hob abwehrend die Hände.
„Oh bitte, nennen Sie mich einfach Suki.“
„Und ich bin Evita, der heilige Drache, der die Insel bewacht, würde mein Mann jetzt sagen!“
Sie lachten alle vier übermütig.
Evita drehte sich zu Marina um und musterte sie neugierig.
„Und wer ist diese junge Dame?“
„Marina Cortez- Shelton.“
„Shelton?“, wiederholte Evita und zog erstaunt die Augenbrauen in die Höhe.
Danielle lachte.
„Marina ist Matts Exfrau.“
„Ah ja. Die junge Frau, die ein Baby bekommt und jetzt mit Mister Matthews Bruder zusammen lebt“, erinnerte sich Evita an gewisse Informationen.
Marina errötete verlegen, doch die Haushälterin schüttelte ihr freundlich die Hand und wies lächelnd auf ihren gewölbten Bauch. „Ich hoffe, dem Bambino ist die Überfahrt gut bekommen!“
„Es hat ziemlich gestrampelt“, erwiderte Marina, erleichtert über die nette Begrüßung. Evita machte eine einladende Handbewegung, während sie Marinas Arm nahm.
„Na dann wollen wir schnell dafür sorgen , dass Sie und das Baby ein wenig entspannen können. Kommen Sie, ich bringe Sie hinauf auf die Terrasse, dort habe ich etwas zur Erfrischung bereitgestellt. Außerdem wartet oben eine kleine Überraschung auf Sie, meine Damen.“
„Überraschung?“ Suki schaute sich fragend nach Danielle um, doch die hob ebenfalls nur die Schultern.
„Was haben Sie sich denn Schönes für uns ausgedacht, Evita?“, fragte sie neugierig. Evita zwinkerte ihr mit einem geheimnisvollen Lächeln zu.
„Abwarten. Aber ich bin sicher, es wird Ihnen gefallen!“
*
„So Mister, da sind wir“, sagte der Taxifahrer und stoppte den Wagen am Eingang zum Yachthafen. „Ich hoffe, Sie finden ein Boot, dass Sie zu Ihrer Insel bringt.“
Sein Fahrgast nickte.
„Wir werden sehen.“
Der Fahrer nannte seinen Preis und grinste zufrieden über das großzügige Trinkgeld, dass der Mann ihm reichte.
„Einen schönen Tag noch, Mister!“, rief er gutgelaunt und fuhr davon.
Der Fremde verharrte einen Augenblick und sah sich interessiert um. Der Yachthafen von Sunset City erwies sich als ziemlich groß. Viel größer, als er ihn sich vorgestellt hatte. Wo sollte er hier nach einem Boot fragen?
„Halten Sie sich links, dort wo die kleineren Yachten und Boote liegen“, hatte der Taxifahrer ihm geraten. „Wenn Sie Glück haben, finden Sie am Ende des Bootssteges einige Taxiboote.“
Der Mann lockerte seine bislang perfekt sitzende Krawatte und entschloss sich schließlich angesichts der zunehmenden Hitze, sie vorerst ganz abzulegen. Sorgsam stopfte er sie in seine Reisetasche und öffnete aufatmend den obersten Knopf seines Hemdes.
„Na dann los“, sagte er zu sich selbst und marschierte energisch in Richtung Bootssteg.
Er war noch nicht allzu weit gelaufen, als ihm eine äußerst lebhafte Blondine auffiel, die lautstark mit einem der Bootsführer diskutierte. Sie hatte einen Koffer dabei und über ihrer Schulter hing eine teuer aussehende Kamera. Ihre hellblonden Haare waren zu einem schulterlangen Bob geschnitten. Sie trug ein smaragdgrünes, perfekt sitzendes Kostüm, das ihre schlanke Figur betonte und dessen modische Rocklänge ihre wohlgeformten Beine sehr vorteilhaft zur Geltung brachte. Dennoch wurde er das Gefühl nicht los, dass dies nicht die Kleidung war, die sie sonst üblicherweise zu tragen pflegte, denn dieses Outfit widersprach irgendwie der Art, wie sie sich darin bewegte. Vielleicht waren es auch die hochhackigen Pumps, die sie in ihrer Bewegung einschränkten, und die, wie er lächelnd feststellte, genauso wenig in diese Umgebung passten, wie der elegante Anzug, den er selbst trug.
Trotz allem aber musste er sich eingestehen, das, wenn die Dame von vorn nur halb so gut aussah wie von hinten, sich das Hinsehen auf jeden Fall lohnte.
„Hören Sie, ich will das Boot nicht kaufen, nur mieten, combrende?“, hörte er sie sagen, als er langsam näher trat. „Es wird doch wohl möglich sein, dass Sie Ihre Siesta für eine halbe Stunde unterbrechen und mich zu dieser Insel fahren!“
Der Kapitän des kleinen Schnellbootes schüttelte entschieden den Kopf.
„Das ist eine Privatinsel, Ma`m, und ohne Erlaubnis des Besitzers darf ich dort nicht anlegen.“
„Sie brauchen ja auch nicht anzulegen, sie sollen mich doch nur absetzen, verdammt!“
„Tut mir Leid, Ma`m, es bleibt dabei. Ich fahre nirgendwohin.“
Mit einer zutiefst verzweifelt wirkenden Geste fuhr sie sich durch ihr blondes Haar und wandte sich aufstöhnend ab.
Jetzt, da der Fremde ungefähr auf gleicher Höhe mit der Dame stand, konnte er endlich ihr Gesicht sehen.
Sie hatte beeindruckend blaue Augen, die momentan allerdings vor verhaltener Wut blitzten. Das jedoch tat ihrer Attraktivität keinen Abbruch, ganz im Gegenteil. Sie mochte nur unwesentlich jünger sein als er selbst, und gerade deshalb überraschten ihn ihre jugendhaft anmutenden, ebenmäßig zarten Züge. Er überlegte für ein paar Sekunden fieberhaft, wo er dieses bemerkenswerte Gesicht schon einmal gesehen haben könnte. Irgendwie kam die Dame ihm bekannt vor. Film, Fernsehen, Presse?
„Kann ich Ihnen vielleicht helfen?“, sprach er sie charmant an.
Sie verhielt mitten in ihrer Bewegung und musterte ihn erstaunt von Kopf bis Fuß.
„Sie sehen nicht so aus, als hätten Sie in Ihrer Reisetasche ein Boot, dass mich auf diese verflixte Insel bringt“, erwiderte sie schließlich seufzend. „Eigentlich sehen Sie überhaupt nicht so aus, als hätten Sie vor, mit einem Boot irgendwohin zu reisen.“
Er konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.
„Vielen Dank, Lady! Das Kompliment kann ich guten Gewissens zurückgeben.“
„Keiner hier will dieses Paradise Island ansteuern“, stöhnte sie, ohne auf seine Bemerkung einzugehen und hob erneut verzweifelt die Hände. „Ist die Insel verhext oder was?“
„Sie wollen nach Paradise Island?“, fragte er überrascht. „Dann haben wir beide das gleiche Ziel!“
„Was Sie nicht sagen.“ Noch einmal taxierte sie ihn von oben bis unten. „Na toll, dann sind wir immerhin bereits zwei total overdresste Typen, die hier festsitzen. Und nun?“
Lächelnd hob er die Schultern.
„Ich fürchte, wir werden auf das nächste Boot warten müssen.“
Die blonde Dame schüttelte energisch den Kopf.
„Hier liegen hunderte Boote, da wird es doch wohl möglich sein…“ Kurzentschlossen machte sie auf dem Absatz kehrt und stöckelte ans andere Ende des Bootsteges zur SUNRISE, die dort vor Anker lag.
Neugierig lächelnd folgte ihr der Fremde.
„Hallo, sind Sie der Käpt’n von diesem Kahn?“, versuchte sie voller Tatendrang ihr Glück bei einem Mann im schmucken weißen Uniformhemd, der sich auf dem Landungssteg gerade mit einem Kollegen unterhielt.
Der Mann betrachtete sie einen Augenblick erstaunt und nickte dann lächelnd.
„Ja, Ma`m, der bin ich. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“
Die Dame wies auf sich und den Mann im Anzug, der abwartend stehengeblieben war und die Szene amüsiert beobachtete.
„Ich biete Ihnen den doppelten Fahrpreis, wenn Sie uns beide sofort nach Paradise Island bringen.“
Der Kapitän hob bedauernd die Schultern.
„Tut mir wirklich leid, Lady, aber ich habe meinen vorgegebenen Fahrplan. Außerdem darf ich an einer Privatinsel ohne Genehmigung gar nicht anlegen.“
„Nicht einmal für den doppelten Preis?“
„Nicht einmal dafür.“
„Zum Teufel nochmal, das kann doch nicht wahr sein! Wieso sind diese Seeleute alle so stur?“, fluchte die Dame wenig damenhaft, was ihr ein weiteres amüsiertes Grinsen ihres Begleiters einbrachte. „Soll ich vielleicht auf diese verdammte Insel schwimmen?“
„Keine Ahnung, Ma`m“, erwiderte der Kapitän ungerührt. „Von mir aus lassen Sie sich Flügel wachsen. Ich fahre Paradise Island jedenfalls heute nicht mehr an.“
*
Während sie die Stufen hinauf zur Villa gingen, war es Danielle, als hätte sie von der Terrasse oben Stimmen gehört.
„Ist jemand hier, Evita?“, fragte sie erstaunt. „Haben Sie Gäste?“
„Nur ein paar Bekannte von mir“, erwiderte die Haushälterin gleichmütig, ohne sich umzusehen. „Ich werde Sie Ihnen sofort vorstellen, wenn wir oben sind.“
Bekannte? Von Evita?
Danielle zog verwundert die Augenbrauen hoch. Hatte Evita selbst ihr nicht letztens erst erzählt, hier käme ohne Matts ausdrückliche Erlaubnis nie jemand zu Besuch?
Endlich waren sie oben und atmeten tief durch.
„Was für ein wundervoller Ausblick!“, schwärmte Marina, als sie sich nach dem für sie doch schon recht beschwerlichen Aufstieg schweratmend umschaute und das Meer zu ihren Füßen liegen sah. „Einfach traumhaft!“
„Es ist, als sei man irgendwo zwischen Himmel und Erde“, nickte Suki und wandte sich an Danielle. „Hast du nicht gesagt, Matt hat dir hier oben einen Antrag gemacht?“
„Ja, gleich nebenan auf der Terrasse der Villa. Warum fragst du?“
„Nun...“ Suki verdrehte schwärmerisch die Augen. „Weil ich mir keinen schöneren Ort für eine Hochzeit vorstellen könnte, Danielle. Wenn ihr irgendwann heiratet, dann solltet ihr das genau hier auf Paradise Island tun.“
Danielle lächelte nachdenklich, dann nickte sie.
„Ja, du hast Recht, Suki. Das wäre fantastisch!“
Evita hatte alles gehört und bekam sofort glänzende Augen. Sie putzte sich geräuschvoll die Nase und schniefte noch einmal kurz, bevor sie sich mit einem geheimnisvollen Lächeln vor der Terrassentür aufbaute.
„So meine Damen, dann folgen Sie mir jetzt bitte. Wir haben Gäste!“
Schwungvoll öffnete sie die breite Tür zur Terrasse.
Es war ein Traum...
Es konnte nur ein Traum sein…
Oder nicht?
Im ersten Augenblick war Danielle überzeugt davon, dass sie nur träumte oder soeben das Opfer einer perfekten Sinnestäuschung geworden war.
Es konnte gar nicht anders sein!
Ihren beiden Begleiterinnen erging es ähnlich.
Suki starrte ungläubig in die Runde und griff haltsuchend nach Danielles Hand.
„Kneif mich mal“, flüsterte sie fassungslos.
Marina ihrerseits klammerte sich hilfesuchend an Evitas Arm. Aus ihrem Gesicht war alle Farbe gewichen.
Das hier, das war doch nicht möglich!
Oder etwa doch???