Unruhig lief Cynthia in ihrem Hotelzimmer auf und ab. Diese Warterei machte sie verrückt. Sie war es nicht gewohnt, untätig herumzusitzen, und Mason hatte sich seit Stunden nicht blicken lassen. Ob man ihn am Ende vielleicht verhaftet hatte? Der Gedanke verstärkte ihre Unruhe zusehends. Sie musste ständig daran denken, was er ihr erzählt hatte, nachdem sie vom Flughafen ins Hotel gefahren waren.
Mason hatte einen Zwillingsbruder...
Cynthia war äußerst erstaunt gewesen, das zu hören. Besonders aber überraschte sie die Tatsache, dass die Brüder, die sich laut Masons Aussage aufs Haar glichen, charakterlich jedoch völlig gegensätzlich waren. Beide hassten einander aus tiefstem Herzen.
Matthew Shelton, so der Name von Masons Zwilling, schien ein abgrundtief böser Mensch zu sein. Verschlagen, heimtückisch und rachsüchtig von Kindesbeinen an. Er hatte Mason skrupellos um sein Erbe und seine Firmenanteile betrogen, und er hatte nicht einmal vor der Frau haltgemacht, die sein Bruder liebte - Danielle Belling.
Mason hatte Cynthia anvertraut, dass er und Danielle damals heiraten wollten. Sein Bruder hatte sie jedoch entführt und sogar versucht sie zu töten, als sie sich weigerte, seine Liebe zu erwidern.
Armer Mason! So lange hatte er glauben müssen, seine große Liebe sei tot!
„Man kann sich leicht in Matt täuschen“, hatte Mason versucht, seinen Bruder zu beschreiben. „Er versteht es meisterhaft, seinen wahren Charakter zu verbergen. Nach außen hin zeigt er sich als freundlicher und loyaler Mensch, aber in Wahrheit ist er ein eiskalter, gerissener Geschäftsmann, der vor nichts zurückschreckt, um seine Ziele zu erreichen. Ich musste damals aus Sunset City fliehen, weil er mir die Entführung und den angeblichen Mord an Danielle so geschickt in die Schuhe geschoben hat, dass ich keine Chance mehr hatte, das Gegenteil zu beweisen. Also tauchte ich erst einmal unter und begann mir im Ausland eine neue Existenz aufzubauen. Das alles ist jetzt Monate her, und die Zeit ist gekommen, Rache zu nehmen. Weiß der Teufel, was Matt Danielle erzählt hat, damit sie ihn heiratet, aber ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um diese Heirat zu verhindern. Dazu brauche ich Ihre Hilfe, Cynthia! Leider stehe ich seit dieser Sache noch immer auf der Fahndungsliste der Kalifornischen Polizei, und solange ich meine Unschuld nicht beweisen kann, muss ich mich verstecken. Sind Sie bereit, mir zu helfen?“
Er hatte sie mit seinen unergründlich dunklen Augen wieder auf diese besondere Art angesehen, die ihr jedes Mal das Blut schneller durch die Adern jagte, wenn ihre Blicke sich begegneten.
„Was wird geschehen, wenn Danielle wieder frei ist?“, hatte sie atemlos gefragt und Mason damit ein bedeutungsvolles Lächeln entlockt. Er legte seine Hand unter ihr Kinn und zwang sie mit sanftem Druck, ihn anzusehen.
„Ich liebe Danielle nicht mehr, wenn es das ist, was Sie interessiert, Cynthia. Es gibt in meinem Leben mittlerweile sehr viel interessantere Frauen als Danielle Belling. Aber ich möchte die Frau, die mir einmal so viel bedeutet hat, davor bewahren, den schlimmsten Fehler ihres Lebens zu begehen, das bin ich ihr schuldig. Also, was ist? Kann ich mit Ihrer Hilfe rechnen?“
Cynthia hatte nur stumm genickt.
„Ja, ich werde Ihnen helfen“, murmelte sie schließlich mit belegter Stimme, hilflos gefangen in seinem Blick. Daraufhin hatte er gelächelt, sich ein wenig vorgebeugt und sie geküsst. Nein, eigentlich war es kein richtiger Kuss gewesen, in Wahrheit hatte er nur sanft ihre Lippen gestreift, sich umgewandt und wortlos das Zimmer verlassen.
Cynthia seufzte.
Da stand sie nun, in einem Hotelzimmer weit weg von Caracas, in einer fremden Stadt, mit einem einfältigen Lächeln auf dem Gesicht, verliebt wie ein Teenager. Joanna Castillos clevere Chefassistentin, die sich über Dinge wie „Fast-Küsse“ und ähnliches immer absolut erhaben gefühlt hatte.
Bis er vor kurzem überraschend in ihr Leben getreten war. Mason Castillo.
Sie erhoffte sich inzwischen mehr von ihrem neuen Boss, als sie momentan zuzugeben bereit war. Viel mehr... Nun, sie würde schon dafür sorgen, dass er sein offensichtliches Interesse an ihr nicht verlor. So schnell konnte ihr keine andere Frau das Wasser reichen!
Aber jetzt galt es erst einmal, der Gerechtigkeit Genüge zu tun und Rache zu nehmen an Masons skrupellosem Zwillingsbruder Matthew. Sie und ihr Boss waren auf dem besten Wege dazu. Der Anfang war bereits getan.
Sie sah zum hundertsten Mal auf die Uhr.
Wo blieb er bloß?
*
Masons Weg führte ihn durch die ganze Stadt. Er besuchte alle Plätze, die er kannte und sah sich überall aufmerksam um. Viel hatte sich während seiner Abwesenheit nicht verändert.
Und das Wichtigste: Bisher hatte ihn niemand wiedererkannt.
In Becky Mayers Café-Shop würde er sich erst einmal einen starken Kaffee genehmigen.
Vielleicht würde der gegen seine Kopfschmerzen helfen, die ihn in der letzten Zeit des Öfteren quälten. Er wählte einen Platz am Fenster, von wo aus er alles gut überblicken konnte und gab bei der diensthabenden Kellnerin seine Bestellung auf. Das kleine Lokal war um die Nachmittagszeit gut besucht. Ein paar von den Gästen kannte er flüchtig vom Sehen.
Und dann erschien Becky.
Mason nippte an seinem Kaffee und ließ sie nicht aus den Augen. Der Besuch bei ihr war für ihn so eine Art Generalprobe. Würde sie ihn trotz seiner Verkleidung wiedererkennen? Als sie endlich in seine Richtung sah, hob er die Hand. Mit ihrem Notizblock kam sie an seinen Tisch.
„Sie haben einen Wunsch, Sir?“
„Ich nehme an, dass Sie sich hier in der Stadt gut auskennen, Ma`m, und würde Sie gern etwas fragen.“
Mit einem gewinnenden Lächeln auf den Lippen nickte Becky.
„Natürlich. Ich bin hier geboren, und wenn Sie Fragen zu Sunset City haben, ganz gleich, welcher Art, dann sind Sie bei mir genau richtig.“
Mason forschte in ihrem Blick, konnte jedoch kein Zeichen des Wiedererkennens entdecken. Das war gut. Charmant erwiderte er ihr Lächeln.
„Ich habe vor, ein paar Tage Urlaub in diesem zauberhaften Ort zu verbringen und würde gerne wissen, wo man sich hier einen netten Abend machen kann. Ein paar Leute kennenlernen, vielleicht ein wenig Musik und einen Drink. Gibt es in der Nähe so etwas wie einen Pub oder eine Bar?“
„Aber ja, da kann ich Ihnen das OCEANS empfehlen, Sir. Das ist die derzeit beliebteste Bar in der Stadt. Dort treffen Sie Leute jeden Alters, und Musik gibt es auch. Das wird Ihnen sicher gefallen.“
„Und wo finde ich dieses OCEANS?“
„Das ist ganz einfach. Gehen Sie die Ocean Avenue bis zum Ende, dort kommen Sie an ein Gebäude aus roten Backsteinen. Es erinnert von außen ein wenig an eine alte Fabrik, aber keine Sorge, innen ist die Bar modern und wirklich schön. Sie wird von jungen Leuten geführt, die sie vor nicht allzu langer Zeit erst neu renoviert haben.“
„Das klingt interessant“, nickte Mason und erhob sich. Er reichte Becky einen Geldschein und winkte lächelnd ab, als sie ihm das Wechselgeld herausgeben wollte. „Vielen Dank für den Kaffee. Er war wirklich gut. Wir sehen uns bestimmt in den nächsten Tagen noch.“
Zufrieden verließ er den Café-Shop.
Man sagte Becky eine gute Menschenkenntnis und ein untrügliches Gespür für alle möglichen Dinge nach. Wenn sie ihn in seiner Maskerade nicht erkannt hatte, dann dürfte er in diesem Aufzug hier weitestgehend sicher sein.
Er schloss für einen Moment die Augen und rieb sich die Stirn. Der Kopfschmerz war zwar nicht mehr ganz so heftig, doch diese verdammten Kontaktlinsen waren ihm ungewohnt und drückten. Aber egal, so lange würde er sie sowieso nicht tragen müssen, genauso wie diese lästige Perücke und den Bart. Bald würde er wieder ganz der Alte sein - Mister Mason Shelton.
Becky sah dem Fremden nach, als er das Lokal verließ.
Irgendetwas an ihm kam ihr bekannt und auf geheimnisvolle Weise sogar vertraut vor. Aber was?
Waren es seine braunen Augen, seine ruhige, wohltönende Stimme oder die Art, wie er sich bewegte? Vielleicht nur eine zufällige Ähnlichkeit?
Aber mit wem?
Während sie noch dastand und grübelte, war der fremde Besucher längst aus ihrem Blickfeld verschwunden.
*
Matt saß auf der Veranda seines Hauses und blickte hinaus aufs Meer. Die Sonne stand bereits ziemlich tief und kündigte mit ihren letzten wärmenden Strahlen den beginnenden Abend an. Ein Abend, auf den er sich besonders freute. Dieser Abend sollte nur ihm und Danielle gehören. Heute auf der Party im OCEANS wollten sie allen verkünden, dass sie beide ihren Lebensweg in Zukunft gemeinsam gehen würden, zuerst als Verlobte und in nicht allzu langer Zeit als Mann und Frau.
Er schloss lächelnd die Augen, lehnte sich entspannt zurück und ließ noch einmal die letzten Wochen Revue passieren. Diese vielen unvergleichlich schönen Augenblicke, die ihm Danielle seit ihrer ersten Begegnung hoch über den Wolken geschenkt hatte.
Er sah in Gedanken ganz deutlich vor sich, wie sie damals im Flugzeug die Passagiere begrüßt hatte und ihre Blicke sich zum ersten Mal begegnet waren. Es war wie Magie gewesen, die sich noch verstärkte, als sie wenig später gemeinsam im Cockpit gestanden und diesen unvergleichlich faszinierenden Sonnenuntergang erlebt hatten. Ja, er hatte sofort ganz deutlich gespürt, dass diese junge Frau Gefühle in ihm weckte, die er längst verloren glaubte.
Und dann das unverhoffte Wiedersehen in Sunset City. Er war seinem Freund Mitch heute noch zutiefst dankbar, dass er ein wenig Schicksal gespielt hatte. Als er damals an Mitchs Haustür anklopfte und Danielle ihm öffnete, da hatte er in ihren Augen all das gesehen, was er in diesem Moment selbst fühlte: freudige Überraschung, tiefe Zuneigung und ein unbändiges Glücksgefühl, einander wiedergefunden zu haben.
An diesem Abend hatte er sie zum ersten Mal geküsst.
„Matt? Hallo, bist du da? Ich muss dich unbedingt sprechen!“
Annis Stimme vom Nachbarbalkon war wie eine kalte Dusche, die ihn abrupt aus seinen romantischen Erinnerungen holte.
„Anni...“ Er richtete sich seufzend auf und versuchte nicht allzu unfreundlich dreinzublicken, als sie kurzerhand über die halbhohe Brüstung stieg und sich wie selbstverständlich neben ihm in den Korbsessel fallen ließ.
„Gar nicht so einfach, dich zwischendurch mal zu Hause anzutreffen“, meinte sie und streckte ihre langen, sonnengebräunten Beine aus. Da wo der Gips gesessen hatte, war die Haut noch deutlich blasser, was aussah, als würde sie eine Socke tragen.
„Wie geht es deinem Fuß?“, fragte Matt und grinste. „Ich bin sicher, deine Physiotherapeutin wäre entsetzt, wenn sie wüsste, dass du bereits wieder über Balkonbrüstungen steigst.“
Anni verdrehte die Augen.
„Wenn es nach ihr ginge, würde ich noch immer wie ein Kleinkind herumwatscheln.“
„Sie weiß am besten, was gut für dich ist“, gab er zu bedenken.
„Du machst wohl Scherze“, lachte sie verächtlich. „Woher soll dieses Lämmchen wissen, was gut für mich ist?“ Theatralisch aufseufzend verzog sie das Gesicht. „Aber ehrlich gesagt weiß ich das momentan selbst nicht so genau.“
„Und was hast du so Wichtiges auf dem Herzen?“
„Ich wollte dich fragen, ob du Danielle heute zu Hause lassen und mich an ihrer Stelle mit zu deiner Verlobungsparty ins OCEANS nehmen könntest“, platzte sie heraus und fing erneut an zu lachen, als sie sein verdutztes Gesicht sah. „Entspann dich, Matt“, rief sie und legte ihm versöhnlich ihre Hand auf den Arm. „Das war nur ein Scherz! Wenn du dieses Landei aus Oklahoma unbedingt heiraten willst, nur zu. Ich werde dir nicht mehr im Weg stehen.“
Er musterte sie erstaunt.
„Woher dieser plötzliche Sinneswandel? Du findest dich damit ab, dass ich Danielle heiraten werde?“
Sie hob scheinbar gleichmütig die Schultern.
„Na klar. Schließlich hätte es weitaus schlimmer kommen können. Solange du die kleine Danielle liebst und nicht deine verlogene Ex-Frau, soll es mir recht sein.“
„Na dann ist es ja gut.“ Matt lehnte sich wieder zurück. „Aber ich wette, das war noch nicht alles, weswegen du mich unbedingt sprechen wolltest! Was hast du nun wirklich auf dem Herzen?“
Anni rutschte leicht unbehaglich in ihrem Korbsessel hin und her und begann nervös an ihrer Unterlippe zu nagen.
„Tja also... Eigentlich bin ich geschäftlich hier.“
„So?“ Matt konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was Anni, die so gut wie gar nichts den Firmenangelegenheiten verstand, mit ihm zu bereden hatte. „Willst du dich bei mir über Edward beschweren?“
„Nein, es geht nicht um Edward. Es geht um... mich. Ich befinde mich... Nun, sagen wir mal, in einer etwas prekären finanziellen Lage.“
Matt grinste.
„Was bei deinem Lebensstil ehrlich gesagt kein Wunder ist. Immerhin hat dein Vater dir kein allzu großes Vermögen hinterlassen.“
Anni schnaufte verächtlich.
„Dad hat mir überhaupt kein Vermögen hinterlassen. Weiß der Teufel, in welcher zweifelhaften Gesellschaft er sein Geld durchgebracht hat, falls er überhaupt noch welches besaß. Aber zumindest hat er zu Lebzeiten alle meine anfallenden Rechnungen bezahlt.“
„Tja, die Firma wirft momentan durch die Investitionen ins Ferienprojekt auch keinen nennenswerten Profit ab“, spann Matt den Faden weiter. „Und nun bist du pleite, stimmt’s?“
„Ja.“ Anni atmete tief durch. „Genauso ist es. Und darum bin ich hier.“
„Okay.“ Matt lächelte. „Ich kann dir gerne etwas leihen. Aber du solltest vielleicht versuchen, dir eine Arbeit zu suchen, wenigstens so lange, bis das Ferienzentrum fertig gestellt ist und wir damit Gewinn erzielen.“
„Ich will mir kein Geld von dir leihen, Matt“, erwiderte Anni. „Ich will dir etwas verkaufen, falls du interessiert bist.“
„Du willst... was?“ Er hob erstaunt die Augenbrauen und musste plötzlich lachen. „Vielen Dank, Anni, aber ich brauche deinen Schmuck nicht, und auch keinen Gebrauchtwagen.“
Sie lehnte sich zurück und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust.
„Und wie wäre es stattdessen mit meinen Anteilen an der HSE?“
*
Danielle und Suki waren unterwegs, um die letzten Besorgungen für die abendliche Party im OCEANS zu erledigen. Die beiden lachten und waren bester Laune, als sie an jener kleinen Boutique vorbeikamen, in der Danielle damals Marina zum ersten Mal begegnet war. Neugierig blieb Suki vor dem Schaufenster stehen, da sie in den Auslagen etwas Interessantes entdeckt hatte.
„Oh, Augenblick, das da hinten ist aber hübsch“, rief sie begeistert. „Das muss ich mir unbedingt genauer ansehen. Kommst du mit?“
In diesem Augenblick klingelte Danielles Handy.
„Geh schon vor, ich bin gleich da“, erwiderte sie und suchte in ihrer Tasche nach dem Telefon.
„Hallo?“
„Spreche ich mit Danielle Belling?“
„Ja, wer ist denn dort?“
„Hier spricht Roger Miles. Erinnern Sie sich an mich, Miss Belling?“
Danielle überlegte keinen Augenblick.
„Aber natürlich! Sie sind Mister Freemans Anwalt!“ Ihre Miene verdüsterte sich bei dem Gedanken daran, wie krank der ältere Herr gewesen war. „Wie geht es ihm?“
„Es geht ihm den Umständen entsprechend gut, und jetzt, da er nicht mehr in Gefahr ist, möchte er Sie gerne wiedersehen und von Ihnen persönlich hören, wie es Ihnen in der Zwischenzeit ergangen ist.“
„Er muss keine Angst mehr um sein Leben haben, Mister Miles?“
„Nun ja.“ Der Anwalt räusperte sich diskret „Zumindest nicht in Bezug auf diese Leute, die ihn bedrohten. Diese Sache ist ausgestanden.“
„Das sind ja hervorragende Nachrichten, Sir“, rief Danielle erleichtert. „Dann darf ich Mister Freeman vielleicht endlich persönlich anrufen?“
„Das wird nicht nötig sein. Er hat mich beauftragt, Sie nach Los Angeles einzuladen.“
„Er lädt mich ein?“
„Ja, wenn Sie nichts dagegen haben?“
„Aber nein, im Gegenteil! Ich würde mich wirklich sehr freuen, ihn wiederzusehen und ihm endlich persönlich für sein großzügiges Geschenk zu danken.“ Sie konnte in Gedanken förmlich sehen, wie Roger Miles lächelte.
„Konnten Sie denn das Geld schon verwenden?“
Danielle dachte an Matt und ihre Zukunft mit ihm und lächelte nun ebenfalls.
„Nein, ich bin noch unschlüssig, was das Medizinstudium betrifft. Momentan bin ich mit meinem Leben so zufrieden wie noch nie, und ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich überhaupt noch studieren möchte.“
„Klingt so, als hätten Sie das große Los gezogen.“
„Oh ja, das könnte man so sagen, Mister Miles. Ich habe den Mann meines Lebens kennengelernt und möchte ihn keine Sekunde mehr missen.“
„Das kann ich gut verstehen. Aber ich hoffe, Sie nehmen Mister Freemans Einladung trotzdem an?“
„Natürlich, sehr gerne. Ich freue mich sehr darauf, ihn wiederzusehen.“
„Gut. Passt Ihnen morgen Nachmittag?“
„Ja, morgen passt mir gut. Geben Sie mir die Adresse?“
„Das ist nicht nötig. Mister Freeman schickt Ihnen seinen Helikopter. Sagen wir, so gegen sechzehn Uhr auf dem zentralen Landeplatz von Sunset City.“
„Wow!“
Roger Miles lachte.
„Ich vermute, das war eine Zustimmung?“
„Ja, ja natürlich!“
„Ach, Miss Belling...“
„Ja?”
„Bitte bringen Sie den geheimnisvollen Mann Ihres Herzens doch einfach mit. Ich bin sicher, Mister Freeman würde sich freuen, ihn persönlich kennenzulernen.“
Als das Gespräch beendet war, atmete Danielle erst einmal tief durch.
George Freeman. Über den ganzen ereignisreichen Wochen, die hinter ihr lagen, hatte sie ihn völlig vergessen. Ihn, das geplante Studium, ja sogar die beträchtliche Geldsumme, die er ihr geschenkt hatte, und die immer noch unangetastet in einem Schließfach auf der Bank deponiert war. Sie hatte noch nicht einmal Matt etwas davon erzählt, es war einfach bisher nie die Gelegenheit gewesen. Er würde nicht schlecht staunen, wenn er erfuhr, was für angenehme Konsequenzen der dramatische Zwischenfall im Flugzeug damals nach sich gezogen hatte. Aber er würde den alten Herrn mögen, genau wie sie, dessen war sie sich sicher.
Sie steckte ihr Handy zurück in die Tasche und wollte Suki in die Boutique folgen. Als sie sich spontan umdrehte, wäre sie beinahe mit einem unbekannten Mann zusammengestoßen.
„Entschuldigung“, murmelte sie erschrocken und blickte einen Bruchteil von Sekunden in zwei braune Augen, die ihr vage bekannt vorkamen. Aber nein, ihr Gefühl musste sie täuschen, diesem Mann war sie noch nie vorher begegnet.
Sie nickte ihm flüchtig zu, bevor sie sich an dem Unbekannten vorbei schob und eilig in dem kleinen Geschäft verschwand.
Mason blieb lächelnd stehen.
„Seine“ Danielle... So bezaubernd und faszinierend wie damals, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Und genauso unerreichbar.
Er hatte sie sofort erkannt, als sie mit dieser Ärztin die Mainstreet entlang bummelte. Seitdem beobachtete er sie. Als sie telefonierte, hatte er sich langsam der Stelle genähert, an der sie stehengeblieben war. Er tat so, als würde er interessiert die Schaufensterauslagen betrachten, doch ihm entging keine Bewegung von ihr. Zwar konnte er nur Bruchstücke dessen verstehen, was sie sagte, doch er hörte ihre Stimme und ihr Lachen, und zu seiner eigenen Überraschung spürte er plötzlich ein unbändiges Gefühl der Erleichterung darüber, dass sie am Leben war.
Während er dastand und Danielle beobachtete, begann noch etwas Anderes, Altbekanntes von ihm Besitz zu ergreifen: der brennende Hass auf seinen Bruder, denn ihn liebte diese wundervolle Frau, und Mason schwor sich erneut, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um sie ihm wegzunehmen.
Und diesmal für immer...
*
Matt glaubte sich verhört zu haben.
„Du willst deine Anteile verkaufen?“, fragte er und zog ungläubig die Stirn in Falten. „Anni, das ist das Erbe deines Vaters!“
„Tolles Erbe. Wie soll ich von diesen blöden Anteilen leben, wenn ich nicht einmal mein Essen und meine Miete davon bezahlen kann! Von meiner Handyrechnung ganz zu schweigen.“ Mit einer wegwerfenden Handbewegung lehnte sie sich zurück und zog eine Schnute. „Nein, ich pfeife auf die Anteile an der HSE. Du kannst sie haben.“
Matt musste an sein letztes Gespräch mit seinem langjährigen Geschäftspartner denken und schüttelte lachend den Kopf.
„So verlockend der Gedanke auch ist, Edwards Gesicht zu sehen, wenn ich plötzlich die Stimmenmehrheit in der Firma hätte... Nein Anni, ich kann dir deine Anteile nicht abkaufen.“
„Kannst du nicht oder willst du nicht?“
„Beides.“
Er stand auf und lehnte sich an die Brüstung der Veranda.
„Edward würde nie zulassen, dass ich alle Entscheidungen allein treffe. Also würde es pausenlos Ärger zwischen uns geben, und das ist so ziemlich das Letzte, was ich gebrauchen kann. So wie es jetzt ist, so finde ich es gut. Drei gleichberechtigte Partner, die über jede wichtige Angelegenheit gemeinsam abstimmen. Außerdem habe ich erst kürzlich sehr viel Geld in ein privates Projekt gesteckt, so dass ich mir momentan sowieso nicht leisten könnte, dir einen angemessenen Preis für deine Anteile zu zahlen.“ Er sah ihr betroffenes Gesicht und lächelte. „Allerdings kann ich dir gerne etwas leihen, wenigstens so lange, bis die Firma wieder Gewinn abwirft.“
„Verdammt!“ Anni sprang auf, ballte die Fäuste und begann, auf der Veranda auf und ab zu laufen. „Damit du es weißt, dein werter Geschäftspartner denkt nicht mal halb so nobel wie du! Er hätte meine Stimmanteile sofort gekauft! Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken! Aber dieser Bastard bekommt sie nicht! Niemals!“ Sie blieb stehen und funkelte Matt wütend an. „Aber von dir hätte ich mehr Verständnis erwartet! Du sagst immer, dass ich auf dich zählen kann, wenn ich Probleme habe. Und bei der ersten Gelegenheit, das zu beweisen, lässt du mich hängen!“
„Anni, ich habe dir doch eben angeboten...“
„Ach vergiss es“, fauchte sie. „Du willst mir Geld leihen? Darauf kann ich verzichten! Ich will keine Almosen, nicht einmal von dir. Ich werde mir jemanden suchen, der mir wirklich hilft!“
Um sich einen schnellen und halbwegs damenhaften Abgang zu gewährleisten, stieg sie diesmal nicht über die Brüstung, sondern drehte sich auf dem Absatz herum und marschierte hoch erhobenen Hauptes durch Matts Wohnzimmer nach draußen.
Kopfschüttelnd sah er ihr nach und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Anni mit ihrem Dickkopf und ihrem unbändigen Temperament. Eine äußerst explosive Kombination!
Nun, er war sicher, bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit noch einmal in Ruhe mit ihr über die Sache reden zu können. Spätestens dann, wenn man ihr Handy gesperrt und ihr den Strom abgestellt hatte.
Nachdem Matt die Veranda ebenfalls verlassen hatte, löste sich unauffällig eine Gestalt aus dem Schatten der Mauer neben dem Haus und verschwand blitzschnell zwischen den die Strandhäuser seitlich einrahmenden Büschen.
*
„Du musst es ihm endlich sagen!“
Ungehalten sprang Madame Dolores auf und begann nervös im Zimmer auf und ab zu gehen. „Er hat ein Recht zu erfahren, dass er Vater wird! Oder willst du am Ende das Kind allein großziehen? Marina!“ Sie blieb vor ihr stehen und packte sie an den Schultern, als wolle sie ihre Tochter dadurch wachrütteln, während sie ihr eindringlich in die Augen sah. „Du liebst ihn doch, und wenn er erfährt, dass du ein Baby von ihm erwartest, dann wird er die andere Frau vergessen und zu dir zurückkehren!“
„Nein das wird er nicht.“ Marina vermochte dem Blick ihrer Mutter nicht Stand zu halten und verdrehte genervt die Augen, während sie sich unwillig deren Griff entzog und ans Fenster trat. „Hör endlich auf damit!“
Sie starrte hinaus in den Sonnenuntergang und wünschte sich plötzlich ganz weit weg, irgendwohin, wo sie niemand finden konnte, und wo sie mit ihrem Schmerz allein war. Hätte sie bloß nichts von dem Baby gesagt!
War es eine Art Vorsehung gewesen, dass ihre Mutter vor ein paar Stunden zufällig bei den Felsen aufgetaucht war und sie mit ihrem Rufen aus den trüben Gedanken herausgeholt hatte.
Marina vermochte im Nachhinein nicht mehr genau zu sagen, was passiert wäre, wenn sie noch länger allein dort oben gestanden hätte. Sie wusste nur, dass sie niemanden sehen wollte, seitdem Anni ihr mit triumphierendem Lächeln verkündet hatte, dass Matt diese Danielle Belling heiraten würde...
Deshalb hatte sie vermutlich, ohne sich dessen bewusst zu sein, diesen Platz aufgesucht, der einmal vor langer Zeit Matts und ihr gemeinsamer Lieblingsplatz gewesen war.
Wie im Trance hatte sie dagestanden und auf die tosende Brandung unter sich gestarrt, auf die Wellen, die an den scharfen Felsen aufschlugen und schäumend zerschellten. Noch nie zuvor hatte sie solch eine angsteinflößende Leere in sich gespürt, während sie dort oben stand und ihr das Leben plötzlich absolut sinnlos vorkam.
Sie fand sich schließlich weinend in den Armen ihrer Mutter wieder, die sie vom Strand erblickt hatte und schweratmend hinaufgeeilt kam, um das Schlimmste zu verhindern. Und in diesen schwachen Minuten der Verzweiflung hatte Marina ihrem Herzen Luft gemacht und sich ihren Schmerz von der Seele geredet. Nur das letzte, dunkelste Geheimnis behielt sie für sich. Es war nicht Matts Kind, das sie in sich trug, sondern Masons.
Aber Mason war tot.
Sie war froh, dass ihre Mutter nicht die ganze Wahrheit kannte. Diese Wahrheit musste sie für immer und ewig tief in ihrem Herzen verschließen! Niemand durfte sie jemals erfahren!
Die beiden Frauen sahen erschrocken auf, als sich draußen ein Schlüssel im Türschloss drehte. Sekunden später betrat Stefano das gemütliche Wohnzimmer und sah erstaunt von einer zur anderen.
„Ist etwas passiert?“
„Nein“, beeilte Marina sich zu sagen. „Wir haben uns nur unterhalten.“
„Ah ja.“ Stefano nickte. Er kannte diese Art Unterhaltung mit seiner Mutter, die meist in einen Streit ausuferte. Und er kannte diesen Blick von ihr, wenn jemand nicht derselben Meinung war wie sie. Wenn das der Fall war, suchte man möglichst schnell das Weite.
„Ist das Abendessen schon fertig?“, fragte er gespielt fröhlich. „Ich habe einen Riesenhunger.“
„Ich mache sofort etwas zurecht“, erbot sich Marina und eilte hinaus, sichtlich erleichtert, der angespannten Situation entrinnen zu können.
Stefano wollte seiner Schwester in die Küche folgen, um ihr zu helfen, doch Dolores` gebieterische Stimme hielt ihn zurück.
„Warte!“
Ihre Finger spielten nervös mit dem Amulett, das an einer zarten Goldkette um ihren Hals hing, und in dem sie die Bilder ihrer drei Kinder aufbewahrte. Ihre dunklen Augen, umrandet von vielen kleinen Fältchen, musterten ihn durchdringend.
„Hast du etwas von Manuel gehört?“
Stefano schüttelte den Kopf.
„Ich weiß nur, dass er gestern mit Claudia weggefahren ist. Vielleicht kommt er zur Vernunft und die beiden versöhnen sich wieder.“
Obwohl er seinem Bruder das Beste wünschte, bereitete ihm dieser Gedanke erhebliches Unbehagen. Er hatte Claudia nicht wiedergesehen, seit er sie im Hotel besucht und ihr alles erzählt hatte, was damals zwischen Manuel und seiner Familie geschehen war. Vermutlich war sie ihm bewusst aus dem Weg gegangen und vergrub sich stattdessen in ihrer Arbeit. Sie und Alex hatten in den letzten zwei Tagen von morgens bis abends an den Höhlen gearbeitet. Heute war noch ein weiterer Helfer dazugekommen, den sie aus LA angefordert hatten. Bald würde der Auftrag erledigt sein. Und dann?
Stefano mochte nicht daran denken, dass Claudia von hier fortgehen würde. Aber ohne Manuel hielt sie nichts mehr hier...
Er schluckte und legte den Arm um Dolores` Schultern. Erstaunt stellte er fest, dass seine Mutter zitterte.
„Er wird sich sicher melden, Mama“, sagte er beruhigend. „Manuel ist erwachsen, er geht seinen eigenen Weg. Das tut er schon seit Jahren. Wir werden ihn diesmal nicht aufhalten.“
Madame Dolores nickte seufzend. Stefano hatte Recht. Für Manuel konnte sie im Moment wirklich nichts tun. Aber sie würde stattdessen dafür sorgen, dass wenigstens ihre Tochter wieder glücklich wurde.
Jetzt gleich, sofort!
Sie straffte die Schultern und griff entschlossen nach ihrer Jacke, die im Flur hing.
„Esst allein zu Abend“, sagte sie mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete. „Ich habe noch etwas Dringendes zu erledigen.“
*
Auf Umwegen gelangte Mason zurück zum Hotel. Er betrat sein Zimmer und nahm als Erstes die lästige Perücke ab. Hinter seiner Stirn machte sich wieder ein dumpfer, zermürbender Kopfschmerz breit. Er versuchte ihn zu ignorieren, ließ sich aufatmend in den Sessel fallen und streckte die Beine aus. Sunset City hatte ihn wieder!
Er war mehr als zufrieden mit seinem Ausflug. Niemand hatte ihn erkannt, selbst Becky Mayers nicht. Er war Danielle begegnet, hatte so dicht neben ihr gestanden, dass er sogar den zarten Duft ihres Parfüms wahrzunehmen glaubte. Und er hatte etwas durchaus Wichtiges erfahren, vorhin unter Matts Veranda... Anni wollte ihre Anteile loswerden. Wenn das kein Zufall war!
Außerdem interessierte ihn natürlich brennend, was das für eine geheimnisvolle private Investition sein könnte, von der sein Bruder gesprochen hatte. Irgendein Projekt, das interessant genug wäre, um ihm zusätzlich damit zu schaden?
Das Klopfen an der Hotelzimmertür riss ihn aus seinen Gedanken.
„Mason, sind Sie da?“
Er stand auf und öffnete. Cynthia stand draußen und mit einer einladenden Handbewegung bat er sie wortlos herein. Etwas zögernd ging sie an ihm vorbei ins Zimmer.
„Ich habe mir Sorgen um Sie gemacht.“
Mason betrachtete sie einen Augenblick lang wohlgefällig. Sie sah phantastisch aus in ihrer champagnerfarbenen, enganliegenden Bluse und dem kurzen, nachtblauen Kostümrock. Beides brachte ihre tadellose Figur hervorragend zur Geltung und weckte Ideen in ihm, die er sich eigentlich für später aufzuheben gedachte. Er trat ganz dicht an sie heran und sah ihr in die Augen.
„Ich liebe es, wenn eine so schöne Frau sich um mich sorgt.“
„Das ist nicht witzig.“ Cynthia schien wirklich verärgert und daher im Augenblick unempfänglich für seine Komplimente zu sein. „Sie wollten bereits vor zwei Stunden zurück sein. Ich habe befürchtet, man hat Sie erkannt, oder verhaftet. Meine Güte, Sie hätten mich wenigstens anrufen können, damit ich nicht unnötig...“
Er unterbrach ihren Redeschwall auf seine eigene Weise, indem er ihre verführerischen Lippen überraschend mit einem Kuss verschloss. Diesmal war es nicht nur eine flüchtige Liebkosung. Er küsste sie intensiv und fordernd, mit einer Begierde, die ihr den Atem raubte. Sie fühlte, wie ihre Knie zu zittern begannen. Ihr ganzer Körper schien sofort auf ihn zu reagieren, als sie sich sehnsüchtig an ihn presste, wie im Trance die Arme um seinen Hals legte, und ihre Fingernägel genüsslich in seinem Haar vergrub, während sie seinen Kuss mit einer derartigen Leidenschaft erwiderte, die sie selbst überraschte. In diesem Augenblick hätte sie alles für ihn getan...
Seine nächste Reaktion kam genauso unerwartet wie die vorangegangene und wirkte wie ein eiskalter Schauer auf das Feuer, das er soeben in Cynthia entfacht hatte. Er schob sie von sich und sah ihr in die Augen, die, eben noch verklärt in einem Strudel wilder Gefühle gefangen, erst langsam wieder in die Realität zurückfinden mussten.
„Das sollten wir unbedingt wiederholen“, meinte er lächelnd. „Bald, Cynthia.“
Sie wankte leicht und konnte nur benommen nicken. Ungeachtet dessen trat Mason zum Fenster, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben.
„Ich muss nachher nochmal weg. Eine äußerst wichtige Sache.“
Cynthia stand noch immer da und rang vergeblich um ihre Fassung.
„Darf ich fragen, was Sie vorhaben?“, stammelte sie und bemühte sich, das Zittern in ihrer Stimme einigermaßen zu unterdrücken.
„Vorhin habe ich zufällig ein interessantes Gespräch zwischen meinem Bruder und seiner Nachbarin belauscht. Er scheint in der letzten Zeit eine größere Investition gemacht zu haben. Ich will wissen, welche. Heute Abend feiert der Bastard seine Verlobung mit Danielle. Ich werde die Zeit nutzen und mich ein wenig in seinem Haus umsehen.“
Cynthia schluckte.
„Soll ich Ihnen dabei helfen?“
Mason drehte sich um und kam wieder auf sie zu. Er umfasste ihre Schultern und sah sie an. Der Blick aus seinen dunklen Augen wirkte nahezu hypnotisierend auf sie.
„Möchten Sie das denn?“
„Deshalb bin ich doch hier.“
Er nickte, ohne jedoch den Blick abzuwenden.
„Das ist gut, sehr gut. Ich hätte da nämlich eine ganz spezielle Aufgabe für Sie, meine Liebe. Ich will, dass Sie Annabel Parker kennenlernen. Sie ist besagte Nachbarin von Matt. Außerdem ist sie die dritte Teilhaberin von HAMILTON & SHELTON ENTERPRISES. Ich werde ein zufälliges Treffen arrangieren, und Sie freunden sich mit ihr an.“
Irritiert zog Cynthia die Augenbrauen zusammen.
„Anfreunden?“
Mason grinste.
„Nun gut, ich muss gestehen, mit Anni kann man sich eigentlich nicht anfreunden. Also etwas anders ausgedrückt: Sie verwickeln die Dame in ein Gespräch, in dessen Verlauf Sie Ihre wahren Absichten durchblicken lassen.“
„Und welche Absichten sind das?“
Mason ließ Cynthia los und blickte kurz auf seine Armbanduhr.
„Darüber sprechen wir später. Ich werde jetzt duschen, ein Aspirin gegen meine Kopfschmerzen nehmen und mich dann auf den Weg zu Matts Haus machen.“
Cynthia wollte etwas erwidern, doch er war bereits an der Tür und hielt sie ihr auf.
„Bis morgen.“
Als sie zögernd an ihm vorbeiging, war ihr deutlich anzumerken, in welchem Zwiespalt der Gefühle sie sich momentan befand.
Ein wissendes Lächeln umspielte Masons Mundwinkel.
„Cynthia? Vielen Dank für Ihre Hilfe. Ich weiß das sehr zu schätzen, und ... Ich werde mich zu gegebener Zeit ganz sicher angemessen bei Ihnen revanchieren.“
*
Edward rauchte der Kopf.
Er saß im Büro über seinen Unterlagen und rechnete zum hundertsten Mal ohne nennenswerten Erfolg. Er konnte es drehen, wie er wollte, er kam nicht aus den roten Zahlen, in die er sich und die Firma durch seine unlauteren Spekulationen hineinmanövriert hatte. Noch hatte Matt davon nichts mitbekommen, aber spätestens, wenn es an der Zeit war, einige Firmen für ihre Arbeiten an der Ferienanlage auszubezahlen, würde es ihm auffallen. Verdammt!
Edward strich sich nervös über die Stirn.
Annis Anteile hätte er liebend gerne gehabt, dafür wäre er sogar bereit gewesen, sein privates Kapital einzusetzen. Aber dieses Früchtchen hatte ihn eiskalt abblitzen lassen, obwohl sie jetzt schon kaum noch einen Cent in der Tasche hatte und mit Sicherheit im nächsten Monat nicht mehr wusste, wovon sie ihre Miete bezahlen sollte. Aber nein, sie saß stolz auf ihren Firmenanteilen bis zum bitteren Ende. Ganz der Vater!
`Zur Hölle mit dir und deiner Brut, Wesley Parker!`
Und dann dieses Archäologenteam! Durch die von ihm selbst veranlasste voreilige Sprengung der ersten Höhle und die darauffolgende unerwartete Freilegung eines Verbindungsganges, der bis in die Mainstreet reichte und das OCEANS mit dem Strand verband, verzögerte sich letztendlich alles noch viel mehr. Er wagte gar nicht daran zu denken, was geschehen wäre, wenn diese Leute wüssten, dass es einstmals noch eine vierte Höhle gab!
Wenigstens das hatte er rechtzeitig zu verhindern gewusst. Aber das half ihm auch nicht aus seinen derzeitigen finanziellen Schwierigkeiten.
Wenn er doch nur das OCEANS bekommen hätte! Dann wäre ihm über kurz oder lang ein hundertprozentiger Gewinn sicher gewesen. Aber ausgerechnet seine eigene Tochter musste sich in die Sache einmischen und ihm buchstäblich in den Rücken fallen! In Erinnerung an diesen rabenschwarzen Tag warf er gereizt den Stift auf den Schreibtisch und lehnte sich zurück.
Oh, er war so unsagbar wütend gewesen, als sie ihm mitteilte, dass sie ab sofort mit diesem Dean Lockwood die Bar führen werde. Alle seine Pläne hatte sie damit durchkreuzt, und nicht einmal Sophia konnte etwas dagegen tun, als er seiner Tochter kurzentschlossen die Tür wies. Natürlich tat ihm seine impulsive Entscheidung zwei Minuten später schon wieder leid, aber das würde er niemals zugeben. Er war sich jedoch ziemlich sicher, dass Caroline ohnehin sehr bald die Nase voll haben würde von ihrem neuen Leben als Kellnerin, und wenn sie dann reuevoll vor seiner Tür stand, würde er ihr natürlich hoheitsvoll vergeben und das OCEANS zu seinen Konditionen übernehmen.
Aber das musste bald geschehen! Ihm lief die Zeit davon.
Er starrte auf die Zeichnung, die vor ihm auf dem Tisch lag. Noch zwei Höhlen mussten gesprengt werden.
Das Summen der Wechselsprechanlage holte ihn aus seinen Gedanken.
„Was gibt es, Elisabeth?“
„Mister Franklyn ist hier und möchte Sie dringend sprechen.“
Edward schnaufte. Der hatte ihm gerade noch gefehlt!
„Schicken Sie ihn herein, Elisabeth“, sagte er so freundlich wie möglich und erhob sich kurz, als Alex den Raum betrat und ihm die Hand reichte.
„Edward, entschuldigen Sie bitte die Störung.“
„Setzen Sie sich, Alex. Was führt Sie her? Gibt es Probleme?“
„Das kann man wohl sagen.“ Alex holte einen alten, abgegriffenen Plan aus seiner Westentasche und breitete ihn auf dem Tisch aus. Es war der gleiche offizielle Plan, der auch auf Edwards Schreibtisch lag.
„Wir haben den durch die Sprengung freigelegten Gang zum OCEANS überprüft und festgestellt, dass die Höhlen möglicherweise tief im Felsen miteinander verbunden waren. Im Laufe der Jahre sind die Gänge vermutlich teilweise durch die verschiedensten Einflüsse verschüttet worden, aber trotz allem handelt es sich hier um Schwachstellen im Gestein, die bei einer weiteren Sprengung verheerende Auswirkungen haben könnten.“
„Was wollen Sie damit sagen?“
„Nun, die Natur ist gewaltig und unberechenbar. Wir brauchen noch etwas Zeit, um alles gründlich zu überprüfen. Außerdem müsste ich während unserer Arbeiten die mittlere Höhle provisorisch abstützen, um zu verhindern, dass meine Mitarbeiter sich unnötig einer Gefahr aussetzen.“
Edward horchte auf.
„Wollen Sie damit andeuten, das Ganze könnte jederzeit innerhalb der Felsen zusammenrutschen?“
„Das wäre durchaus möglich.“
Edwards Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Es war ihm nicht anzusehen, was er wirklich dachte, als er schließlich aufblickte und Alex mit ernster Miene eindringlich ansah.
„Wenn das so ist… Ich möchte, dass Sie alles tun, was nötig ist, um einer Gefahr vorzubeugen. Niemand soll unnötig sein Leben aufs Spiel setzen.“ Er erhob sich und bedeutete damit, dass das Gespräch für ihn abgeschlossen war. Lächelnd reichte er Alex die Hand. „Sparen Sie nicht an den nötigen Mitteln. Tun Sie, was getan werden muss, um die Sicherheit zu gewährleisten. Ich stehe voll hinter Ihnen. Und falls es Probleme gibt, so lassen Sie mich das wissen.“
Alex wirkte zwar sichtlich überrascht über dieses schnelle Zugeständnis seines derzeitigen Auftraggebers, aber gleichzeitig war er erleichtert, dass ihm in dieser Hinsicht keine Schwierigkeiten zu drohen schienen.
„In Ordnung Sir“, nickte er und verabschiedete sich. Er war bereits an der Tür, als Edward noch etwas einfiel.
„Wann glauben Sie, könnten Sie frühestens mit den Sicherheitsvorkehrungen beginnen?“, fragte er interessiert.
Alex überlegte kurz.
„Ich werde zuerst das nötige Material von unserer Firma in LA anfordern müssen“, erwiderte er. „Aber ich denke, ab morgen Mittag kann es losgehen. Ich weiß ja, das jeder Tag für Sie zählt.“
Edward nickte.
„So ist es, mein Freund, so ist es...“, murmelte er und grinste breit, als sich die Tür hinter Alex geschlossen hatte. Der junge Mann hatte ihm soeben, ohne es zu ahnen, einen Riesengefallen erwiesen. Wie hatte er vorhin so schön gesagt? Die Natur sei gewaltig und unberechenbar?
Nun, wenn man es geschickt anstellen würde, könnte genau das die Lösung all der Probleme sein, die Edward momentan das Leben schwer machten.
Er griff zum Telefon und wählte eine Nummer, die nur er allein kannte.