Edward schrak aus seinen Gedanken, als es kurz darauf an seine Bürotür klopfte. Elisabeth steckte vorsichtig den Kopf durch den Türspalt.
„Mister Hamilton? Annabel Parker ist hier.“
„Lassen Sie gut sein, Lizzy, ich kenne den Weg und bin gut in der Lage, eine Türklinke selbst herunterzudrücken“, fiel ihr Anni ungeduldig ins Wort und schob die empört schnaufende Sekretärin achtlos beiseite. Ohne anzuklopfen fegte sie in Edwards Büro und baute sich vor seinem Schreibtisch auf.
„Da bin ich. Was willst du?“
Edward lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. Er hatte sich beruhigt und seine Pläne bezüglich Anni gut durchkalkuliert. Er würde sie schon loswerden.
„Ich möchte mit dir reden, Anni“, sagte er so freundlich wie möglich. „Setz dich bitte.“
„Solange du dieses verschlagene Grinsen im Gesicht hast, bleibe ich lieber stehen“, erwiderte sie misstrauisch und beugte sich vor, wobei sie sich am Schreibtischrand abstützte. „Also... raus damit: Was willst du von mir?“
„Deine Firmen-Anteile.“
Anni starrte ihn mit offenem Mund an.
„Meine Anteile?“
„Ganz genau, und zwar jeden einzelnen, den du von deinem Daddy geschenkt bekommen hast.“
„Niemals!“ Anni trat einen Schritt zurück. „Das ist mein Erbe!“
Edward lachte geringschätzig.
„Tja, meine liebe Anni, der Haken an der Sache ist nur, dass dieses Erbe momentan nicht viel an finanziellem Gewinn für dich abwirft. Genauer gesagt... gar keinen. Du bist nämlich pleite, mein Mädchen, und das weißt du auch.“
Anni verfärbte sich und schnappte nach Luft.
„Das geht dich verdammt noch mal überhaupt nichts an!“, fauchte sie grimmig.
„Natürlich nicht“, erwiderte er gespielt gleichmütig. „Ich wollte dir nur einen Gefallen tun und dich finanziell ein wenig absichern, so wie es Wes sicher gewollt hätte.“
„Lass gefälligst meinen Vater aus dem Spiel!“
Edward hob ergeben die Hände, doch das Grinsen blieb.
„Okay, beruhige dich. Wie gesagt, ich biete dir hier und jetzt die Möglichkeit, deine Stimmanteile und Aktien an der HSE zu einem wirklich guten Preis an mich zu verkaufen. Dann hättest du genug Geld, um auch weiterhin den Lebensstil zu führen, den du nun mal gewohnt bist.“
Anni blickte ihn finster an.
„Wo ist der Haken?“
„Was denn für ein Haken? Ich bin einfach nur ein Menschenfreund, und ich fühle mich meinem Freund Wes verpflichtet, dafür zu sorgen, dass es seiner Tochter gut geht.“
Anni sog hörbar die Luft ein.
„Ha! Das ich nicht lache.“
Edwards Lächeln verschwand. Herausfordernd funkelte er Anni an.
„Also... Was ist nun?“
„Lass dein Geld stecken, du Menschenfreund! Und wenn die Hölle einfriert und ich in der Armenküche von Sunset City zu Mittag essen muss...“ Sie holte tief Luft und streckte trotzig das Kinn vor. „Von dir nehme ich nicht einen müden Cent. Und meine Anteile behalte ich.“
*
„Er will... was?“
Cloe schüttelte ungläubig den Kopf. Sie saß gerade im Whirlpool, als Anni zu Hause ankam und ihrer Tante sofort haarklein von ihrem jüngsten Gespräch mit Edward berichtete.
„Hör mal, Schätzchen, du hast dich doch nicht etwa darauf eingelassen?“
„Bin ich blöd, Tante Cloe?“ Empört schüttelte Anni die rote Lockenpracht und ließ sich in den Korbsessel neben dem Pool fallen. „Edward hat, solange er lebt, noch niemandem ein Freundschaftsangebot gemacht. Weshalb sollte er damit ausgerechnet bei mir damit anfangen?“
„Wieviel hat er dir denn geboten?“, fragte Cloe neugierig.
Anni hob die Schultern.
„Keine Ahnung, soweit habe ich es gar nicht kommen lassen. Er kriegt die Anteile nicht und damit basta!“
Cloe verzog bedenklich die Mundwinkel.
„Langsam, Kindchen. Du kennst unsere finanzielle Lage, oder?“
Anni schaute sie fragend an.
„Was willst du damit sagen?“
„Was ich damit sagen will?“ Cloe kletterte völlig ungeniert splitternackt aus dem Pool, hüllte sich in ein flauschiges Duschtuch, setzte sich Anni gegenüber und musterte ihre Nichte eindringlich. „Nun, wir werden in Zukunft unseren Lebensstil etwas einschränken müssen, meine Liebe. Unsere Konten weisen mehr Nullen auf, als die von Bill Gates, nur mit dem Unterschied, dass bei dem noch ein paar andere Zahlen davorstehen. Und wenn du weiterhin in der Mainstreet einkaufen und im Yacht-Club dinieren willst, dann sollten wir uns dringend etwas einfallen lassen.“
„Was ist mit deinem reichen Galan?“, fragte Anni gereizt.
Cloe verdrehte die Augen.
„Welchen meinst du? Derzeit habe ich in dieser Richtung nichts laufen. Tut mir leid, nicht mal ein heißes As im Ärmel. Ledige oder spendierfreudige Millionäre gibt es nun einmal nicht wie Sand am Meer.“
„Ja ja...“ Ungeduldig winkte Anni ab. „Und was machen wir jetzt, Tante Cloe?“
„Keine Ahnung, Schätzchen. Vielleicht sollten wir uns beide einen Job suchen.“
Anni verzog angewidert das Gesicht.
„Etwas Besseres fällt dir nicht ein?“ Sie sprang auf und begann ungeduldig auf der Veranda auf und ab zu laufen „Ich meine, was sollen wir denn für Jobs annehmen? Soll ich als Tellerwäscherin arbeiten? Und du, Tantchen, was kannst du denn schon, außer dir aller paar Monate einen neuen Idioten zu suchen, der deine Rechnungen bezahlt.“
„Ich muss doch bitten!“ Cloe verzog beleidigt das Gesicht. „Das waren alles sehr nette und vornehme Gentlemen.“
„Aber geheiratet hast du immer die Falschen.“
„Ich habe aber wenigstens versucht, mein Leben in die richtigen Bahnen zu lenken, ganz im Gegensatz zu dir. Du jagst seit Jahren einem Mann hinterher, der dich gar nicht will.“ Sie stutzte kurz, dann erhellte ein strahlendes Lächeln ihr immer noch sehr hübsches, lebhaftes Gesicht. „Moment mal... Ich hab` s!“
„Was denn, Tante Cloe?“, fragte Anni hoffnungsvoll.
„Matthew Shelton! Er ist die Lösung für unsere Probleme.“
„Matt? Ja aber...“
Cloe sprang so hastig auf, dass sie beinahe ihr Handtuch verloren hätte.
„Du willst nicht, dass Edward deine Anteile bekommt? Dann verkauf sie einfach an jemand anderes! Verkauf sie an seinen Geschäftspartner, an Matt!“
*
Claudias große, dunkle Augen sahen Stefano unverwandt an.
„Nun erzähl schon, was genau ist damals zwischen dir, deiner Mutter und Manuel geschehen?“
Stefano atmete tief durch. Es war ihm deutlich anzusehen, wie schwer es ihm fiel, mit ihr über die Vergangenheit zu sprechen.
„Meine Mutter hat sich den geheimnisvollen dunklen Mächten verschrieben, weil sie von jeher mit der Kirche auf Kriegsfuß steht. Viele Jahre ließ sie uns in dem Glauben, unser Vater sei tot, bis wir durch einen Zufall erfuhren, dass er sie in Wahrheit einst verlassen hatte. Er hatte sie und ihre drei kleinen Kinder geopfert, um das Leben zu führen, das er für seine Bestimmung hielt. Er widmete sich der Kirche und leitete als Priester lange Jahre eine kleine Kapelle in Mexiko. Vor drei Jahren starb er, ohne sich jemals wieder bei uns gemeldet zu haben. Das war ungefähr zu der Zeit, als Manuel ins Priesterseminar aufgenommen werden sollte. Mutter gefiel es nicht, dass Manuel sein Leben der Kirche weihen wollte, es erinnerte sie zu sehr daran, was ihr Mann ihr angetan hatte. „Gott hat mir den Mann genommen, meinen Sohn wird er nicht bekommen!“, pflegte sie verbittert zu sagen, wenn wir mit ihr darüber sprechen wollten.
Kurz nachdem uns Vater verlassen hatte, hatte sie angefangen, sich mit spirituellen Dingen zu beschäftigen. Irgendwann merkte sie wohl, dass vieles von dem, was sie vorhersagte, auch wirklich eintraf. Daraufhin redete sie sich ein, hellseherische Fähigkeiten zu besitzen, mit denen sie der Macht Gottes trotzen könne. Sie richtete sich ihr kleines Atelier ein und begann, die Wahrsagerei professionell zu betreiben. Manuel gefiel das nicht, und die beiden gerieten oft in Streit über ihre unterschiedlichen Ansichten.
Dann eines Tages kam er mit der Nachricht nach Hause, er hätte die Chance, ein Priesterseminar in Mexiko zu besuchen und sich so seinen Wunschtraum zu erfüllen. Ich muss zugeben, ich war damals nicht besonders begeistert von seinen Plänen, denn ich hielt meinen kleinen Bruder aufgrund seines Berufswunsches für einen Weichling. Ich selbst leistete zu der Zeit meinen Dienst bei der Polizei und hoffte auf baldige Beförderung zum Detektiv.
Als meine Mutter zu mir kam und mir sagte, ich solle ihr helfen, Manuel wieder auf die richtige Bahn zu lenken, lehnte ich zunächst empört ab. Mutters Plan erschien mir absurd und ziemlich hinterhältig, aber sie ließ nicht locker. Also willigte ich schließlich ein mitzuspielen, denn ich wollte nicht, dass mein Bruder Sunset City verließ, weil ich wusste, wie sehr das meine Mutter belastete. Und so versprach ich, bei passender Gelegenheit genau das zu tun, was ihr Plan vorsah.“
Claudia hatte aufmerksam zugehört und ließ kein Auge von Stefanos Gesicht, während er erzählte.
„Was war das für ein Plan?“, fragte sie in banger Erwartung.
Stefano schloss für einen Moment die Augen und strich sich über die Stirn.
„Hör mal, das ist alles Vergangenheit! Ich glaube nicht, dass…“
„Was für ein Plan, Stefano?“, wiederholte sie mit Nachdruck in der Stimme.
„Du wirst mich dafür hassen.“
„Ich werde dich hassen, wenn du es mir nicht erzählst!“
Er sah auf die Uhr.
„Ich muss zum Dienst. Aber ich verspreche dir, ich komme später wieder her und werde dir alles erzählen, was du wissen willst.“
*
„Das hast du ausgezeichnet gemacht“, rief Edward, als er am späten Nachmittag ins Hotel zurückkehrte. Er nickte voller Stolz. „Ganz meine Tochter!“
Caroline, die nach ihrer Aktion mit der Teilhaberschaft im OCEANS auf einen Riesenkrach gefasst gewesen war, sah erstaunt auf.
„Du regst dich nicht darüber auf, Daddy?“
„Wieso sollte ich? Deine Mutter hat mir eben erzählt, du hast diesen Dean Lockwood überredet, dir seinen Anteil am OCEANS zu verkaufen. Ein wirklich cleverer Schachzug! Auf diese Art ging das Ganze problemloser von statten als gedacht. Ich habe die eine Hälfte, du die andere.“ Er blinzelte seiner Tochter verschwörerisch zu. „Ich werde das Gefühl nicht los, der Junge ist sehr angetan von dir, sonst hätte er niemals in das Geschäft eingewilligt.“
Caroline starrte ihren Vater an und nagte nervös an ihrer Unterlippe.
„Ähm., Dad... Ich glaube, Mom hat da etwas nicht ganz richtig verstanden.“
Edward lachte.
„Wie dem auch sei, ich werde dir gleich morgen die Summe, die du ihm für seine Anteile gezahlt hast, auf dein Konto zurücküberweisen“, fuhr er unbeirrt fort. „Caroline, mein Schatz, ich habe große Pläne mit dem OCEANS. Ich werde diesen schäbigen Laden völlig umkrempeln. Das wird eine Attraktion für alle zahlungskräftigen Kunden an der Südwestküste!“
Er nahm seinen Aktenkoffer und wollte hinüber in sein Arbeitszimmer, doch Caroline hielt ihn zurück.
„Daddy? Bitte warte einen Augenblick.“ Sie stand langsam auf und wappnete sich insgeheim voller innerer Anspannung auf die Szene, die sie eigentlich schon vorhin erwartet hatte. „Du sollst mir das Geld nicht zurückzuzahlen, denn ich habe mein eigenes Geld ausgegeben. Und ich habe es nicht dazu verwendet, Dean Lockwoods Anteile zu kaufen.“
Edward stutzte und zog die Stirn in Falten.
„Hast du nicht? Wie darf ich das verstehen?“
Caroline holte tief Luft und straffte die Schultern, während sie ihrem Vater den Umschlag reichte, den sie die ganze Zeit schon in der Hand hielt.
„Hier ist das Geld, das Dean dir für Chelseas Anteil am OCEANS schuldet.“
„Waaas? Woher hat er das, zum Teufel?“, fauchte Edward, der die Zusammenhänge immer noch nicht ganz begriff, ungläubig.
„Von mir. Ich bin Deans neue Teilhaberin. Er und ich, wir werden das OCEANS gemeinsam weiterführen.“
*
Claudia hatte tagsüber mit Alex weiter an den Höhlen gearbeitet, doch ohne Manuels Hilfe kamen sie nur langsam voran. Außerdem merkte Alex sehr schnell, dass es seiner Mitarbeiterin heute nicht besonders gut ging. Sie wirkte blass und geistesabwesend und schien die ganze Zeit über irgendetwas nachzugrübeln. Aus diesem Grund hatte er sie schließlich am Nachmittag nach Hause geschickt und beschlossen, in Los Angeles um Verstärkung zu bitten, damit der Zeitplan bis zur Freigabe der Höhlen trotzdem eingehalten werden konnte. Er ahnte bereits, dass mit Manuel in der nächsten Zeit sicherlich nicht mehr zu rechnen sei, und auch Claudia schien mittlerweile auf Grund des merkwürdigen Verhaltens ihres Ehemannes mit ihrer Kraft am Ende zu sein.
In ihrer Hotelsuite hatte Claudia geduscht und sich umgezogen, als Stefano wie versprochen nach Dienstschluss wieder im PACIFIC INN erschien.
Sie öffnete ihm die Tür und wies wortlos auf das Sofa, auf dem er am Vormittag schon gesessen hatte. Ihr langes schwarzes Haar war noch feucht, doch sie strich es nur achtlos zurück, als sie ihm gegenüber Platz nahm und ihn erwartungsvoll anschaute. Sie sah müde und übernächtigt aus und ihre dunklen Augen wirkten in ihrem zarten, blassen Gesicht unnatürlich groß. Stefano ertappte sich bei dem Gedanken, dass er sie viel lieber beschützend in die Arme genommen hätte, als ihr zu erzählen, was so lange Zeit in seiner Familie hartnäckig totgeschwiegen worden war. Aber er wusste, er hatte keine Wahl. Claudia war Manuels Ehefrau, und sie verdiente es, endlich die Wahrheit zu erfahren.
„Unser Plan stand fest. Wir mussten nur noch auf eine günstige Gelegenheit warten, ihn in die Tat umzusetzen.“ Stefano atmete tief durch, und Claudia merkte deutlich, dass es ihm noch immer schwer fiel, über seine damaligen Verfehlungen zu sprechen.
„Wusste deine Schwester von diesem Plan?“, fragte sie.
Er hob die Schultern.
„Marina war zu der Zeit bereits mit Matt verheiratet. Sie war verliebt und glücklich und kümmerte sich nicht weiter darum, was zu Hause geschah. Als Mutter einmal mit ihr darüber reden wollte, lachte sie nur und meinte, wir sollten Manuel seinen Weg gehen lassen. Jeder hätte die Chance verdient, sein Glück auf seine Weise zu finden. Aber Mutter wollte nichts davon wissen.“
„Und was geschah dann?“
„Eines Nachts nahmen Nolan und ich einige Kerle aus dem Drogenmilieu fest, die an einer Tankstelle randaliert hatten. Unter ihnen war auch ein junges Mädchen. Wir fanden eine geringe Menge Marihuana bei ihr und nahmen sie mit aufs Revier. Sie weinte und flehte, wir sollten sie gehen lassen. Sie war noch minderjährig und hatte panische Angst vor ihren Eltern, denn sie stammte aus gutem Hause. Nolan meinte zu mir, sie täte ihm leid, und er würde sie am liebsten laufen lassen. Ich sagte ihm, vielleicht würde ich das ja tun, bevor meine Ablösung einträfe. So schöpfte er auch keinen Verdacht, als sie später weg war.
Ich wartete, bis er seine Schicht beendet hatte und ließ das Mädchen hinauf in Chief Hendersons Büro bringen. Sie schien mir genau die Richtige für Mutters Plan zu sein. Ich sagte ihr, wenn sie das tun würde, was ich von ihr verlangte, würde es keine Anzeige geben.“
„Und was sollte sie tun?“
Stefano rieb sich nervös das Genick.
„Können wir morgen weiterreden?“
„Nein“, erwiderte Claudia mit eisiger Stimme. „Jetzt sofort.“
Ergeben hob er die Hände.
„Okay... Also weiter.“ Er langte nach dem Glas Mineralwasser, das Claudia ihm hingestellt hatte und nahm einen tiefen Schluck. Sein Hals fühlte sich trotzdem wie ausgetrocknet an, während er weitersprach.
„Ich setzte das Mädchen in meinen Wagen und erklärte Nolans Ablösung, ich müsse dringend noch etwas erledigen. Dann fuhr ich mit der Kleinen hinunter nach Mexiko. Unterwegs erklärte ich ihr genau, was sie zu tun hätte, um einer Strafanzeige zu entgehen. Sie war ungeheuer froh darüber, dass sie noch einmal davonkommen würde. Wir fuhren über die Grenze in den kleinen Ort, in dem in Kürze Manuels Priesterseminar stattfinden sollte. In der Kirche holten wir den Dekan buchstäblich aus seinem wohlverdienten Schlaf, und das Mädchen lieferte ihm die Vorstellung ihres Lebens, um ihre Haut zu retten. Herzerweichend schluchzend erzählte sie ihm, sie sei sechzehn und schwanger, und Manuel hätte ihr die Ehe versprochen. Nun wolle er unbedingt Priester werden, um im Schutz der Kirche seinen Verpflichtungen ihr gegenüber zu entgehen.“ Stefano atmete tief durch. „Sie war wirklich sehr überzeugend. Als der Dekan sie zur Tür brachte, hatte er Tränen in den Augen. Am nächsten Tag wurde Manuel mit Schimpf und Schande aus der Kirchengemeinde entlassen. Man schenkte seinen Unschuldsbeteuerungen keinen Glauben, sondern mahnte ihn eindringlich, sich um seine junge Frau und sein ungeborenes Kind zu kümmern, anstatt mit einer Lüge im Herzen vor Gott zu treten.“
„Er wusste, wer ihm das eingebrockt hatte, nicht wahr?“
Stefano nickte stumm, mit zusammengepressten Lippen.
„Und das Mädchen?“
„Manuel hat nie erfahren, wer sie war. Inzwischen wohnt sie gar nicht mehr hier.“
Claudia hatte ihr Gesicht in den Händen vergraben und schwieg. Nach einer Weile hob sie den Kopf und blickte Stefano an.
„Was du getan hast, hat dich nicht glücklich gemacht, habe ich Recht?“
„Glaub mir, Claudia, ich habe es tausendmal bereut, und ich würde wer weiß was dafür geben, wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte.“
„Das kannst du.“
„Wie meinst du das?“
„Fahr nach Mexiko und sag die Wahrheit.“
*
„Marina!“
Zum wiederholten Male klopfte Madame Dolores an die Wohnungstür ihrer Tochter. „Mach doch bitte die Tür auf, ich weiß, dass du da bist!“
Beunruhigt lauschte sie.
Irgendetwas musste geschehen sein, das konnte sie förmlich spüren. Marina war nicht zu ihrem abendlichen Besuch bei ihrer Mutter erschienen, und als Dolores vor etwa einer Stunde bei ihr angerufen hatte, meinte sie am Telefon nur kurz angebunden, sie wolle heute niemanden mehr sehen.
Das war ein schlechtes Zeichen. Madame Dolores ahnte, dass es ganz sicher um Matt ging, wenn ihre Tochter in so unglücklicher Stimmung war.
Abermals klopfte sie laut und vernehmlich, als plötzlich nebenan jemand die Tür zur Nachbarwohnung aufriss.
„Was soll denn dieser Lärm!“ Die ältere Dame mit den Lockenwicklern im Haar schüttelte missbilligend den Kopf. „Es ist niemand zu Hause, das merken Sie doch!“
„Entschuldigung“, meinte Dolores schuldbewusst. „Ich suche meine Tochter.“
„Das dachte ich mir schon.“ Die ältere Dame machte den Eindruck, als ob ihr hier im Haus bestimmt nichts entging. Argwöhnisch musterte sie die Besucherin. „Sie ist vor einer Weile weggegangen.“
„Wissen Sie, wohin sie wollte?“
„Glauben Sie vielleicht, ich spioniere jedem hinterher?“ Empört schnappte die Dame nach Luft.
„Nein, natürlich nicht“, beeilte sich Dolores zu sagen. „Ich dachte nur...“
„Ich habe ganz zufällig gesehen, wie sie zum Strand hinunterging“, fiel ihr Marinas Nachbarin ungeduldig ins Wort. „Und sie sah nicht besonders glücklich aus.“
„Danke.“ Unangenehm berührt von den neugierigen Blicken wandte sich Dolores ab und wollte gehen.
„Eine so hübsche, junge Frau und immer nur allein! Das ist nicht gut“, rief die Frau ihr nach.
„Wem sagen Sie das“, murmelte die Wahrsagerin und verließ schnellen Schrittes das Haus.
*
Mitch und Suki, Luke, Randy, Dean, Danielle und Matt saßen am Abend in gemütlicher Runde im gemeinsamen Wohnbereich und planten Matts und Danielles Verlobungsfeier, die am übernächsten Tag im OCEANS stattfinden sollte. Dean hatte Wein spendiert und seinen erstaunten Mitbewohnern bei dieser Gelegenheit erzählt, dass er dank Carolines Hilfe das OCEANS nun doch behalten könne, was natürlich allgemeinen Jubel hervorrief.
Einzig Matt zog bedenklich die Stirn in Falten, denn er wusste nur zu gut, dass sein Geschäftspartner Edward Hamilton ein schlechter Verlierer war und sicher nicht so ohne weiteres aufgeben würde.
„Arme Cary“, flüsterte er Danielle zu, die neben ihm auf dem Sofa saß. „Er wird sie in Stücke reißen, wenn er erfährt, was sie getan hat.“
„Aber sie ist seine Tochter“, meinte Danielle. „So schlimm wird es sicher nicht werden.“
„Du kennst Edward nicht“, erwiderte er nur und lächelte mitleidig. „Ich möchte lieber nicht in ihrer Haut stecken.“
„Und wann wollt ihr beide endlich eure Verlobung offiziell bekannt geben?“, wandte sich Randy an Mitch und Suki. „Ich meine, wo ihr doch ebenfalls vorhabt, irgendwann in nächster Zeit zu heiraten.“
„Stimmt“, pflichtete Luke bei und grinste. „Ich hasse diese Heimlichtuerei und habe mich neulich bei Becky schon zweimal fast deswegen verquatscht.“
Alle lachten und Mitch blinzelte Suki zu.
„Was hältst du von übermorgen, Schatz? Ich meine, falls Matt und Danielle nichts gegen eine Doppel-Verlobungsfeier haben.“
Die beiden Angesprochenen sahen einander erstaunt an.
„Wieso sollten wir?“, fragte Matt und lachte. „Je mehr Gründe zum Feiern, desto besser! Wir würden uns riesig freuen, wenn ihr die Gelegenheit nutzt und eure Verlobung ebenfalls feiert.“
„Prima!“ Randy blickte abwartend in die Runde und grinste. „Sonst noch jemand, der es nicht erwarten kann, sich fest zu binden?“
„Nein, vielen Dank“, erwiderte Dean mit sarkastischem Unterton. „Vorerst sicher nicht.“
Während die anderen Bewohner munter durcheinander schnatterten, legte Matt zärtlich seinen Arm um Danielles Schultern.
„Was würdest du davon halten, wenn du nach der Party am Samstag bei mir einziehst?“, raunte er ihr zärtlich ins Ohr. „Ich will dich endlich ganz für mich haben.“
Danielle musterte ihn überrascht.
„Ist das dein Ernst? Ich soll bei dir wohnen?“
„Ist das so abwegig, wenn man verlobt ist und heiraten will?“
„Nein, ich dachte nur...“
„Was?“
Sie schwieg etwas betreten. Wäre es nicht besser, ihm jetzt sofort ehrlich zu sagen, was sie daran störte, bei ihm einzuziehen? Immerhin hatte er in diesem Haus mit seiner ersten Frau gelebt, sie waren dort glücklich gewesen, und nun war es fast so, als würde sie Marinas Platz einnehmen.
Matt sah sie an und sein Lächeln verschwand.
„Ich weiß, was du denkst“, sagte er so leise, dass die anderen es nicht hören konnten. „Aber du liegst falsch, Danielle. Du bist kein Ersatz für etwas, was für immer vorbei ist. Ich liebe dich und will mit dir zusammen ganz neu anfangen.“ Er strich ihr liebevoll mit den Fingerspitzen über die Wange. „Ich möchte dein süßes Gesicht sehen, wenn ich früh erwache, und ich möchte, dass du da bist, wenn ich aus der Firma nach Hause komme. Die Vergangenheit spielt dabei keine Rolle mehr. Und was das Haus betrifft, ich habe es damals selbst mit aufgebaut, lange bevor Marina in mein Leben trat. Wenn du bei mir einziehst, wirst du dort nichts mehr finden, was dich an sie erinnert. Ich werde alles dafür tun, dass es dein Zuhause wird. Das verspreche ich dir.“
Ein Lächeln der Erleichterung zog über ihr Gesicht. Konnte es eine ehrlichere Liebeserklärung geben als diese?
„Ja, ich würde wirklich gerne bei dir einziehen, Matt. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als morgens in deinen Armen zu erwachen.“
Ihre Blicke verschmolzen ineinander, und als sie sich küssten, vergaßen sie einen Augenblick lang, dass sie nicht allein waren.
Erst als Randy sich lautstark räusperte, schienen sie beide in die Wirklichkeit zurückzukehren.
„Jetzt aber Schluss mit dieser Knutscherei, man wird ja ganz neidisch“, lachte er und hob sein Glas. „Lasst uns lieber alle gemeinsam auf das zweifache Glück anstoßen! Eine Doppelverlobung hat es im OCEANS sicher noch nie gegeben.”
Während sie alle fröhlich beieinander saßen, klopfte es plötzlich.
„Erwartet ihr noch jemanden?“, fragte Dean in die Runde und stand auf.
Gespannt schauten alle auf die Tür, während er öffnete.
Draußen stand Caroline.
„Hey, das ist ja eine nette Überraschung! Leute, seht mal, meine neue Geschäftspartnerin ist da“, rief Dean und griff spontan nach ihrer Hand. „Komm rein, Caroline, wir feiern gerade ein wenig den Erhalt des OCEANS und die bevorstehende Verlobungsparty am Samstag.“
„Oh, nach Feiern ist mir eigentlich nicht zumute“, erwiderte sie leise und entzog ihm zögernd ihre Hand. „Vielleicht hätte ich gar nicht herkommen sollen.“
Erst jetzt bemerkte Dean die beiden Koffer, die neben ihr standen.
„Was ist passiert?“
Sie wischte trotzig eine Träne weg, die über ihre Wange lief.
„Ich bin hier, weil ich fragen wollte, ob ihr vielleicht noch ein Zimmer frei habt. Mein Vater hat mich rausgeworfen.“
*
Dolores hatte kein gutes Gefühl, als sie schnellen Schrittes die Strandpromenade entlanglief und dabei angestrengt nach ihrer Tochter Ausschau hielt. Irgendetwas war mit Marina nicht in Ordnung, das spürte sie schon seit einer ganzen Weile. Sie verbarg etwas vor ihr, ein Geheimnis, das ihr zu schaffen machte. Es tat Dolores weh mit anzusehen, wie unglücklich ihre früher so lebensfrohe Tochter war, seit sie Matt wegen seines Zwillingsbruders verlassen hatte. Sie wusste, dass Marina ihren Ex-Mann noch immer liebte, und sie empfand es als ungerechte Strafe, dass er ihre Liebe nicht mehr zu erwidern schien. Matthew Shelton war damals nach Marinas spontanem Entschluss, mit Mason aus Sunset City wegzugehen, sehr verletzt gewesen, aber Dolores war zutiefst überzeugt davon, dass nur sein Stolz ihn daran hinderte, zu ihr zurückzukehren und ihr diesen Fehltritt zu verzeihen, weil er sie insgeheim immer noch genauso begehrte wie früher.
Sie seufzte tief.
Inzwischen war sie am Ende der Strandpromenade angelangt und blieb schweratmend vom schnellen Laufen stehen. Die Sonne war bereits am Horizont verschwunden und es begann zu dämmern.
Wo war Marina hingegangen?
Der Strand war menschenleer, nur ein Pärchen spazierte Hand in Hand an ihr vorbei am Wasser entlang.
Ratlos sah sie sich ein letztes Mal um und wollte schon umkehren, als sie hörte, wie der Mann zu seiner Begleiterin sagte:
„Schau mal, da oben! Ob das nicht gefährlich ist, so nah am Abgrund zu stehen?“ Unwillkürlich wanderte ihr Blick hinauf zu den Klippen, als ihr plötzlich der Atem stockte.
Kein Zweifel, da stand eine Frau... unbeweglich, wie eine Statue, direkt am Rande der steilen Felsen, die aus der tosenden Brandung ragten.
Dolores brauchte keine Brille und auch kein Fernglas, um zu wissen, wer die Person auf den Klippen war. Sie verließ sich, wie so oft in ihrem Leben, nur auf ihr Gefühl, und ihre Eingeweide zogen sich vor unbändiger Angst schmerzhaft zusammen, als sie aus voller Kraft und Verzweiflung den Namen ihrer Tochter in den Wind hinausschrie.
„Marina ...!“
*
Für einen Augenblick herrschte betretene Stille, als Dean mit Caroline das Zimmer betrat. Sie hatten alle gehört, was die junge Frau gesagt hatte und waren einfach nur sprachlos. Einzig Matt, der seinen Geschäftspartner zu gut kannte, um sich über dessen Reaktion auf den spontanen Entschluss seiner Tochter zu wundern, stand auf und legte Caroline tröstend den Arm um die Schultern.
„Komm, setz dich zu uns. Ich bin sicher, wir werden eine Lösung finden. Morgen rede ich mit deinem Vater ein ernstes Wort.“
„Nein!“ Trotzig streckte Caroline das Kinn vor. „Bitte tu das nicht, Matt. Das ist eine Sache zwischen ihm und mir, und ich möchte nicht, dass sich jemand einmischt. Auf gar keinen Fall.“
Er hob resigniert die Schultern.
„Okay, wie du willst, dann werde ich mich heraushalten. Aber lass es mich wissen, wenn ich etwas für dich tun kann.“
Caroline nickte ihm dankbar zu.
„Ich finde das total mutig, was du getan hast“, meinte Danielle, und die anderen nickten zustimmend. „Sicher wird sich dein Vater alles noch einmal in Ruhe überlegen.“
„Nein, das wird er nicht“, widersprach Caroline und ließ sich neben ihr auf dem Sofa nieder. „Egal ob Familie oder Geschäftspartner. Er steht immer zu seinem Wort.“ Sie drehte sich zu Dean um, der etwas betreten dastand. „Und ich stehe zu meinem. Du kannst dich darauf verlassen, Dean.“
„Ich weiß nicht recht...“ Man merkte ihm deutlich an, dass ihm nicht ganz wohl in seiner Haut war. „Vielleicht sollten wir die ganze Sache besser vergessen. Ich möchte dich nicht in Schwierigkeiten bringen, Caroline.“
„In diese Schwierigkeiten habe ich mich selbst gebracht. Und ich bin froh, dass ich es getan habe“, erwiderte sie mit fester Stimme und atmete tief durch. „Also was ist? Habt Ihr hier noch ein Bett für mich frei?“
„Sie kann doch in das Zimmer von Chelsea ziehen“, schlug Randy vor und sah Mitch fragend an. Der nickte zustimmend.
„Klar, das Zimmer ist frei. Allerdings ist es nur eine ganz einfache Bleibe.“
Caroline lächelte tapfer.
„Wunderbar. Mehr brauche ich auch nicht. Ich bin nicht so verwöhnt, wie ihr vielleicht glaubt. Mit einem Dach über dem Kopf und einem Bett, in dem ich schlafen kann, bin ich schon zufrieden.“
Luke grinste.
„Warte nur, bis du morgens zum ersten Mal stundenlang am Badezimmer angestanden hast, dann wirst du deine Meinung sehr schnell ändern.“
Caroline ließ sich von dem fröhlichen Lachen der anderen anstecken, und ihr wurde ganz warm ums Herz, als Dean ihr plötzlich seine Hand reichte.
„Danke Caroline. Du ahnst gar nicht, wieviel es mir bedeutet, dass ich das OCEANS behalten kann. Das werde ich dir nie vergessen!“
*
LA International Airport
Ungeduldig blickte Cynthia auf die Uhr. Wo blieb er bloß? Die Maschine aus Caracas war bereits vor einer Viertelstunde gelandet, aber von ihrem Boss war weit und breit nichts zu sehen. Ob er vielleicht einen anderen Flug genommen hatte?
Sie erinnerte sich an das Telefonat, dass sie heute Vormittag mit ihm geführt hatte. Seine Reaktion auf die Neuigkeiten, die der Pfarrer ihr auf dem Friedhof mitgeteilt hatte, war etwas anders ausgefallen, als erwartet, und seitdem grübelte sie darüber nach, in welcher Beziehung Mason zu dieser jungen Frau gestanden hatte.
Danielle Belling - war sie für ihn wirklich nur eine alte Bekannte gewesen? Sie konnte es kaum glauben, nachdem er am Telefon sofort gemeint hatte, er würde den nächstmöglichen Flug buchen, und sie solle ihn in LA am Flughafen erwarten.
Und nun stand sie hier und blickte sich immer wieder suchend um. Anscheinend hatte er die angegebene Maschine doch nicht mehr rechtzeitig erreicht. Sie wollte schon aufgeben und ins Hotel zurückfahren, da sie wusste, dass der nächste Flug aus Caracas erst spät in der Nacht hier ankam, als sich plötzlich eine Hand auf ihre Schulter legte und ihr eine wohlbekannte Stimme ins Ohr raunte:
„Hallo Cynthia! Schön, Sie zu sehen.“
Sie drehte sich um und erstarrte.
„Mason?“
Der Mann, der da vor ihr stand, war kaum wiederzuerkennen. Er trug eine dunkelblonde Perücke und einen Oberlippenbart, und nur sein Lächeln und seine Stimme verrieten ihr, dass sie nicht das Opfer ihrer eigenen Sinnestäuschung war.
„Was soll das? Wieso diese Maskerade?“, fragte sie irritiert.
„Schsch...“ Er legte seinen Finger vertraulich auf ihre Lippen. „Haben Sie etwas Geduld, Cynthia. Ich werde Ihnen auf der Fahrt nach Sunset City alles erklären.“ Sein unwiderstehliches Lächeln und der Arm, der sich wie selbst verständlich um ihre schmale Taille legte, verursachten sofort wieder dieses Kribbeln auf ihrer Haut, wie immer, wenn sie in seiner Nähe war. Wortlos nickte sie, als er sein Gepäck aufnahm und ihr den Weg wies. „Lassen Sie uns keine Zeit verlieren. Gehen wir.“