Anni reichte dem Chefkellner das Telefon zurück.
„Verschonen Sie mich demnächst gefälligst mit solchen...“ Sie grinste boshaft „Banalitäten!“
Gaston würgte mühevoll eine bissige Antwort hinunter und schritt hoch erhobenen Hauptes davon.
„War das Ihre geplatzte Verabredung?“, fragte Cynthia, die diese Szene sichtlich amüsiert verfolgt hatte.
„Er wird noch zutiefst bedauern, mich versetzt zu haben“, erwiderte Anni und machte sich mit Heißhunger über den Salat her, der eben als Vorspeise serviert worden war. „Ich hasse Unzuverlässigkeit“
„Das klingt nach einer cleveren Geschäftsfrau“, lächelte Cynthia. „Darf ich fragen, was Sie beruflich machen?“
„Ich bin eine der Teilhaberinnen von HAMILTON & SHELTON ENTERPRISES, falls Ihnen der Name etwas sagt,“ antwortete Anni kauend.
„Oh ja, die HSE, eine sehr angesehene Firma. Mein verstorbener Mann machte ab und an kleinere Geschäfte mit... Wie hieß er doch gleich... Harmon oder Hamilton?“
„Edward Hamilton“, half ihr Anni auf die Sprünge und tupfte sich die Lippen an ihrer Serviette ab. „Sie sind Witwe?“
„Ja, leider.“ Cynthia senkte die Augen. „Mein Mann starb im vergangenen Jahr bei einem Verkehrsunfall.“
„Das tut mir leid“, bekundete Anni ihr Mitgefühl, ohne dabei auch nur eine Sekunde mit dem Essen aufzuhören.
„Nun“, erwiderte Cynthia kühl. „Mein verstorbener Mann und ich führten eine Art Zweckehe, wenn Sie verstehen, was ich meine. Er hat mir ein sehr beträchtliches Vermögen vererbt, und momentan versuche ich, mich irgendwo gewinnbringend einzukaufen. Die HSE wäre ganz nach meinem Geschmack. Aber wie ich gehört habe, sind von der Firma zur Zeit kaum Aktien auf dem Markt, und ich nehme an, ein neuer Teilhaber wird hier sicherlich nicht gesucht.“
Anni verschluckte sich fast an ihrem Salat.
„Sie haben Interesse an einer Firma wie der HSE? Verstehen Sie denn etwas von Immobilien?“
Cynthia lächelte selbstbewusst.
„Eine ganze Menge. Ich bin in einer Familie von Immobilienhaien aufgewachsen. Wenn andere Kinder eine Gutenachtgeschichte zu hören bekamen, erfuhr ich das Neuste von der Börse. Später habe ich dann Betriebswirtschaftslehre studiert, und mein Mann sah mich in seiner kleinen Firma immer als eine Art Beraterin an. Leider hat er mir, was Edward Hamilton betraf, nicht genügend vertraut. Ich bin diesem Mann zwar persönlich nie begegnet und habe ihn nur einmal auf einem Bild gesehen, aber man sagt mir allgemein eine recht gute Menschenkenntnis nach, und irgendwie habe ich sofort geahnt, dass er nicht ganz ehrlich ist.“ Erschrocken unterbrach sie sich und legte scheinbar beschämt die perfekt manikürten Finger an die Lippen.
„Oh Annabel, das war sehr dumm von mir. Es tut mir leid, ich rede hier so offen mit Ihnen, obwohl wir uns gerade erst kennengelernt haben. Dabei stehen Sie Mr. Hamilton als Ihrem Geschäftspartner bestimmt sehr nahe. Ich sollte vielleicht...“
„Nein! Nein, keine Sorge, reden Sie nur weiter. Das interessiert mich sehr“, erwiderte Anni und legte endlich die Gabel weg. „Edward ist ein Aasgeier, das haben Sie sehr gut erkannt, und ich würde mir nichts sehnlicher wünschen, als dass ihm endlich einmal jemand so richtig eine reinwürgt!“ Sie betrachtete Cynthia prüfend. „Sie haben also gute Kenntnisse, was Immobiliengeschäfte angeht?“
Cynthia nickte.
„Ja, die habe ich.“
„Und Sie könnten Edward Hamilton die Stirn bieten, wenn Sie Gelegenheit dazu hätten?“
„Ich denke schon.“
„Dann sollten wir uns vielleicht nach dem Essen etwa näher über dieses Thema unterhalten.“
Cynthia zog erstaunt die Augenbrauen hoch.
„Was meinen Sie damit, Annabel?“
„Warten Sie`s ab, meine Liebe. Ich muss erst noch etwas zu mir nehmen, damit ich klar denken kann. Auf jeden Fall beginne ich zu ahnen, dass uns ein wirklich glücklicher Zufall zusammengeführt hat, und dass wir beide uns gegenseitig vielleicht ein paar Herzenswünsche erfüllen könnten, wenn wir es nur richtig anfangen!“
*
Danielle drehte sich übermütig vor dem Spiegel.
„Und, nun sag schon, welches Kleid soll ich heute Nachmittag anziehen?“
Robyn saß auf dem Bett und beäugte ihre Schwester kritisch. Um sie herum lag bunt verstreut der halbe Inhalt von deren Kleiderschrank.
„Woher soll ich das wissen, wenn du mir nicht einmal verraten willst, wohin dein Ausflug mit Matt geht“, beschwerte sie sich.
Danielle lachte.
„Es soll doch eine Überraschung werden. Ich möchte Matt mit jemandem bekannt machen, den ich selbst noch nicht lange kenne. Es wird sicher lustig, aber bestimmt auch etwas offiziell, denn er schickt uns seinen...“ Sie dachte an den Helikopter und überlegte kurz, denn sie wollte ihre jüngere Schwester nicht gleich überfordern. Nur zu gut kannte sie Robyns Begeisterung für die Welt der Reichen und Schönen. „Ähm... sagen wir, er schickt uns seinen Chauffeur. Der holt uns nicht weit von hier ab und bringt uns zu unserem Gastgeber.“
Robyn nickte sichtlich beeindruckt.
„Das klingt nach feiner Gesellschaft. Nimm das Blaue, das steht dir am besten!“
Lächelnd ging Danielle zum Bett und nahm das nachtblaue Kleid auf. Mit ihrer Hand strich sie sanft über den zarten Stoff.
„Das habe ich mir gekauft, kurz nachdem ich Matt hier in Sunset City wiedergetroffen habe und zum ersten Mal mit ihm verabredet war. Er mag es, wenn ich es trage.“
„Na also“, nickte Robyn zufrieden. „Du siehst ja auch fantastisch darin aus.“ Sie sprang auf und sah sich in dem Chaos um. „Wenn du mir das gleich gesagt hättest, dann hätten wir uns die ganze Aktion hier sparen können. Seit wann hast du eigentlich so viele Kleider im Schrank?“
„Bei Matt muss man immer auf Überraschungen gefasst sein, und da habe ich gerne für jede Gelegenheit etwas da.“
Robyn grinste.
„Tja, wie eine Beziehung einen Menschen doch verändern kann! Na los, zieh dich um, ich werde in der Zeit anfangen, hier alles wieder einzuräumen.“
Danielle gab ihr einen Kuss auf die Wange.
„Danke Schwesterchen. Im Übrigen habe ich vor, heute mit Matt über den Umzug sprechen. Wenn alles klappt, kannst du mein Zimmer bestimmt in ein paar Tagen haben.“
„Das wäre wirklich toll! Danke Dani!“
„Wozu sind denn große Schwestern da“, lachte diese und zwinkerte der Jüngeren im Hinausgehen zu. „Ich bin gleich zurück und helfe dir beim Aufräumen!“
´Danielle hat sich verändert´, dachte Robyn, während sie damit begann, ein Kleidungsstück nach dem anderen ordentlich in den Schrank zu hängen. ´Sie scheint hier wirklich glücklich zu sein!´
Ein weißes Kleid erregte erneut ihre Aufmerksamkeit. Es hatte ihr bereits vorhin gefallen, als Danielle es anprobiert hatte. Sie hielt es sich an und trat damit vor den Spiegel. Zufrieden drehte sie sich nach allen Seiten. So eines würde sie sich auch kaufen. Schade, dass Mitch nicht erkannte, wie gut sie aussah! Aber der hatte ja nur Augen für seine Suki!
Robyn verzog das Gesicht.
„Na, von mir aus soll er mit ihr glücklich werden. Es gibt ja auch noch andere tolle Boys in Kalifornien“, murmelte sie. Da wäre zum Beispiel Randy...
Er war ihr schon damals aufgefallen, als sie zum ersten Mal hier war. Da hatte er jedoch immer diese Kim an seiner Seite gehabt. Aber die war ja nun glücklicherweise weg.
Ein Läuten an der Haustür holte sie aus ihren Gedanken.
„Dani“, hörte sie Dean von unten rufen. „Matt ist hier!“
Matt? Um diese Zeit?
Sagte Danielle nicht vorhin, er sei bis zum Nachmittag im Büro?
Nun, vielleicht wollte er seine Verlobte nur schnell mit einem Besuch überraschen. Wie romantisch!
Robyn grinste und überlegte nicht lange.
„Er soll hochkommen, Dean“, rief sie, raffte in Windeseile die übrigen Sachen zusammen und stopfte sie hastig in den Kleiderschrank, als es auch schon an der Zimmertür klopfte.
„Komm rein, Schwager, es ist offen!“
*
„Du willst was?“, Cloe starrte ihre Nichte entsetzt an. „Bist du jetzt total verrückt geworden, oder warst du einfach nur zu lange in der Sonne?“
„Weder das eine noch das andere, Tante Cloe“, erwiderte Anni ungerührt, ließ sich auf die Couch fallen und schlug die langen Beine übereinander. „Die Summe, die Cynthia mir für meine Anteile geboten hat, ist absolut akzeptabel. Ich kann endlich wieder leben, so wie es mir gefällt. Und ich kann mein Essen selbst bezahlen.“
„Und im Handumdrehen hast du`s bei deinem Lebenswandel verschusselt, wie ich dich kenne“, schimpfte Cloe und warf theatralisch die Arme in die Luft. „Anni, das ist das Vermächtnis deines Vaters! Das kannst du doch nicht an eine wildfremde Frau verkaufen!“
Anni richtete sich auf und sah ihre Tante herausfordernd an.
„Nenn mir einen vernünftigen Grund, warum ich das nicht tun sollte! Daddy hat mir die Anteile doch nur überschrieben, weil er sie loswerden und damit zugleich Edward eins auswischen wollte, was ihm auch vollauf gelungen ist! Aber inzwischen besitze ich kaum noch einen Dollar, und die Firma wirft momentan auch keinen Gewinn ab.“
„Das wird sich spätestens ändern, wenn die Ferienanlage steht, Schätzchen“, beschwichtigte Cloe ihre Nichte, doch die winkte nur ab.
„Und was soll ich bitteschön bis dahin tun? So dick ist die Luft in dieser Stadt nun auch wieder nicht, als das man davon leben könnte.“ Sie lehnte sich erneut zurück. „Nein, ich habe mich entschieden. Edward bekommt die Anteile nicht, und Matt will sie nicht. Was kann ich also Vernünftigeres tun, als sie an eine neutrale dritte Person zu verkaufen!“
„Und was sagt Matt dazu?“, forschte Cloe.
„Keine Ahnung“, erwiderte Anni gespielt gleichgültig.
Entrüstet stemmte ihre Tante die Hände in die Seiten.
„Willst du damit sagen, du hast noch nicht einmal mit ihm darüber gesprochen?“
„Warum sollte ich? Er erfährt es früh genug. Immerhin fragt er mich doch auch nicht, wie und mit wem er sein weiteres Leben gestaltet!“
„Na das ist ja nun auch ganz etwas anderes.“
„So, findest du?“
Anni stand auf und goss sich ein Mineralwasser ein. Mit dem Glas in der Hand schlenderte sie langsam zur Couch zurück. Cloe beobachte jede ihrer Bewegungen skeptisch. Sie wusste, wie stur ihre Nichte mitunter sein konnte, und dass man dann selbst mit den allerbesten Argumenten überhaupt nichts mehr erreichte. Also versuchte sie es etwas diplomatischer.
„Bist du sicher, dass diese Cynthia Rodriges wirklich neutral ist? Vielleicht sollten wir sie erst einmal überprüfen lassen! Am Ende ist sie eine gute Bekannte von Edward!“
„Ach was! Edward hat keine guten Bekannten. Und Cynthia scheint mir viel zu clever, als sich auf irgendwelche dubiosen Abmachungen mit ihm einzulassen. Außerdem kennt sie sich mit Immobiliengeschäften bestens aus, so dass sie mitreden kann, wenn es um Beratungen und Abstimmungen geht. Ihr verstorbener Mann hatte eine Firma und ist vor Jahren gewaltig von Edward betrogen worden. Von da her mag sie ihn sowieso nicht besonders, und ich hoffe, sie wird ihm ordentlich auf die Füße treten.“ Sie nippte an ihrem Wasser und grinste schadenfroh. „Er wird sich noch wünschen, dass ich seine Partnerin geblieben wäre!“
„Na hoffentlich...“, murmelte Cloe und starrte zum Fenster hinaus.
Nach einem Moment des Schweigens blickte Anni zur Uhr und sprang auf.
„So, ich muss los. Ich treffe mich in einer halben Stunde im Notariat bei „Smithfield und Johnson“ mit Cynthia, und dann machen wir das Geschäft perfekt.“ Sie umarmte ihre Tante kurz. „Wünsch mir Glück, Tante Cloe. Wenn alles gut geht, flattert uns heute noch ein schöner dicker Scheck ins Haus, und wir sind auf einen Schlag alle Sorgen los!“
Cloe starrte ihr nach, bis die Tür hinter ihr ins Schloss fiel.
„Ich hoffe nur, du tust das Richtige, meine Liebe“, sagte sie leise und nachdenklich. „Ich weiß nicht, warum, aber ich habe ein sehr ungutes Gefühl bei der Sache. Und auf meine Gefühle war bisher leider immer Verlass.“
*
Notariat „Smithfield und Johnson”
Der Notar Mr. Smithfield sah die beiden Damen vor sich prüfend an.
„Haben Sie sich die vorliegenden Papiere noch einmal gut durchgelesen?“
Die Antwort darauf war ein einvernehmliches Nicken, dann wurden die notwendigen Unterschriften geleistet.
Mr. Smithfield räusperte sich.
„Darf ich fragen, zu welchen Konditionen Sie Ihre Anteile an Miss Rodriges überschreiben, Miss Parker?“
„Nein, das dürfen Sie nicht“, erwiderte Anni schnippisch und grinste, als sie seinen bestürzten Gesichtsausdruck sah. „Weil Sie das nämlich nichts angeht, mein Lieber.“
„Ich muss Sie aber darauf hinweisen, dass ich den Kaufpreis in den Vertrag einbinden muss, sonst ist er ungültig“, beharrte der Notar unbeirrt.
„Na gut, von mir aus, wenn das unbedingt sein muss. Tun Sie, was Sie nicht lassen können!“, gab Anni murrend klein bei. „Sorgen Sie nur dafür, dass Ihre Kanzlei Mister Hamilton bis spätestens heute Nachmittag die entsprechenden Papiere zustellt. Oder nein...“ Ein triumphierendes Lächeln zog plötzlich über ihr Gesicht. „Ich denke, es wird das Beste sein, wenn wir Mr. Hamilton und Mr. Shelton gleich persönlich über die firmeninternen Veränderungen unterrichten.“ Sie nickte Cynthia kurz zu und erhob sich. „Kommen Sie, meine Liebe, ich kann es kaum erwarten, die dummen Gesichter meiner beiden Teilhaber zu sehen.“
Höchst zufrieden verließen die beiden Damen das Notariat.
Anni strahlte innerlich. Der Scheck in ihrer Tasche würde alle ihre Probleme lösen. Cynthia hatte ihr eine Summe geboten, die man einfach nicht ablehnen konnte. Im Gegenzug dafür besaß sie jetzt ein Drittel der Stimmanteile der HSE, und Anni wünschte sich von ganzem Herzen, dass diese Frau Edward in Zukunft das Leben so schwer wie nur möglich machen würde.
Das wäre ihr mehr als nur eine Genugtuung!
Plötzlich fiel ihr etwas ein, und sie blieb abrupt stehen.
„Cynthia, da wäre nur noch eine Sache. Eine Bedingung muss ich an Sie stellen!“
Cynthia lächelte.
„Ist das nicht ein bisschen spät, jetzt, wo wir den Vertrag bereits unterschrieben haben?“
„Oh, keine Sorge“, erwiderte Anni. „Es wird Ihnen bestimmt nicht schwerfallen, diese Bedingung zu erfüllen.“
„Also, lassen Sie hören!“
„Nun, wie ich schon sagte, es würde mich wirklich außerordentlich freuen, wenn Sie durch Ihre Kompetenz Edward Hamilton so oft wie möglich in den Rücken fallen. Aber tun Sie das niemals mit Matthew Shelton! Er ist mein bester Freund, und ich möchte nicht, dass Sie ihm jemals in irgendeiner Form schaden.“
Cynthia musterte Anni neugierig.
„Das klingt, als würde Ihnen eine Menge an Mr. Shelton liegen.“
„Oh ja“, nickte Anni. „Er hat mir immer zur Seite gestanden und mir geholfen, wenn ich ihn brauchte. Er bedeutet mir sehr viel! Also..., denken Sie daran, arbeiten Sie mit ihm zusammen, niemals gegen ihn!“
„Annabel“, meinte Cynthia ehrlich erstaunt. „Das klingt ja fast wie eine Drohung!“
„Wir kennen uns noch nicht lange“, erwiderte Anni mit ernstem Gesicht und maß Cynthia dabei mit einem bedeutungsvollen Blick. „Ansonsten wüssten Sie, dass ich meine Freundschaften genauso pflege wie meine Feindschaften.“
Die beiden Frauen taxierten einander einen Augenblick lang abschätzend, dann löste Cynthia die Spannung, indem sie rasch ein Lächeln aufsetzte.
„Okay“, meinte sie und dachte daran, was Mason ihr von seinem Zwillingsbruder erzählt hatte. „Ich werde mir Ihre Worte zu Herzen nehmen, meine Liebe. Und soweit mir das möglich ist, werde ich sie auch gerne befolgen.“
*
Zögernd trat Mason ein und stutzte, als er sich plötzlich einer ihm unbekannten jungen Frau mit blondem Pferdeschwanz gegenübersah.
War das nicht die von vorhin? Was zum Teufel machte die in Danis Zimmer?
„Hi Matt“, strahlte die Unbekannte ihn an, kam auf ihn zu und gab ihm wie selbstverständlich einen Kuss auf die Wange. „Meine Güte, siehst du wieder gut aus! Danielle hat wirklich Glück.“ Sie lächelte schelmisch. „Du hast nicht zufällig noch einen Bruder? Am besten, einen der aussieht wie du!“
Er zog sichtlich verärgert die Stirn in Falten.
„Wie bitte?“
Sie lachte über sein irritiertes Gesicht, doch dann erinnerte sie sich plötzlich an das Geschehen vor nicht allzu langer Zeit und ihr wurde schlagartig klar, dass sie eben etwas sehr Unüberlegtes gesagt hatte.
„Hey, tut mir leid“, lenkte sie sichtlich verlegen ein. „Das war ein sehr dummer Scherz!“
´Und was für einer, du dumme Gans...´, dachte Mason grimmig und rang sich mühsam ein Lächeln ab. Er spürte zu seinem Unbehagen wieder den altbekannten dumpfen Kopfschmerz, der sich langsam hinter seiner Stirn ausbreitete.
„Wo ist denn Danielle?“
„Sie zieht sich um“, erwiderte die junge Frau und wies auf den Sessel. „Setz dich doch einen Augenblick, sie wird gleich zurück sein.“
Mason nahm Platz und sie ließ sich ihm gegenüber auf dem Bettrand nieder.
„Hast du dir den Nachmittag im Büro freigenommen?“, fragte sie neugierig.
„Ja... Nein...“ Verdammt, er stotterte wie ein Schuljunge. „Ich muss etwas Wichtiges mit Danielle besprechen. Deshalb bin ich hier.“
„Ah ja.“ Sie ließ ihn nicht aus den Augen. Und genau diese Augen waren es auch, die Mason so vertraut in dem sonst fremden Gesicht erschienen. Es waren... Danielles Augen!
Plötzlich kam ihm die Erleuchtung. Hatte sie ihn nicht vorhin, als er vor der Tür stand, mit Schwager betitelt? Natürlich! Sie musste Danielles Schwester sein.
Erleichtert lächelte er.
„Und, wie gefällt dir Kalifornien?“
„Immer noch genauso gut wie bei meinem letzten Besuch hier“, erwiderte sie prompt. „Daran wird sich bestimmt auch nichts ändern.“
„Dann wirst du länger bleiben?“
Sie kniff überrascht die Augen zusammen.
„Aber Matt, hast du mir gestern überhaupt nicht zugehört?“ Sie lachte und winkte ab. „Na ja, kein Wunder bei all dem Lärm und der Aufregung im OCEANS! Also nochmal: Ja, ich bleibe vorerst hier. Ich will doch um nichts in der Welt eure Traumhochzeit verpassen! Danach werden wir weitersehen.“
Zu Masons grenzenloser Erleichterung öffnete sich in diesem Augenblick die Tür, und Danielle trat herein. Erstaunt blickte sie ihn an.
„Matt? Was tust du denn um diese Zeit schon hier?“
Sein Adrenalinspiegel erhöhte sich schlagartig. Jetzt musste alles perfekt klappen! Hoffentlich verzog sich die aufdringliche Schwester so schnell wie möglich.
Er stand auf und trat auf Danielle zu.
„Entschuldige Liebling, dass ich deinen Zeitplan durcheinanderbringe, aber ich muss dringend etwas Wichtiges mit dir bereden. Wenn möglich allein!“
„Ähm, na klar, ich verschwinde dann mal“, meinte die Blonde diplomatisch und zwinkerte Danielle zu. „Ich wollte sowieso noch ein wenig an den Strand.“
„Okay Robyn, danke! Bis nachher“, erwiderte Danielle.
Mason grinste erleichtert über die Tatsache, dass sie einerseits das Feld räumte, und er zum anderen endlich ihren Namen erfahren hatte.
„Bis später, Robyn, viel Spaß!“
„Den wünsche ich euch auch. Wobei auch immer“, rief Robyn übermütig und verließ das Zimmer.
Danielle lachte.
„Sie ist so herrlich spontan“, meinte sie kopfschüttelnd. „Das war sie schon als Kind. Mitunter sehr zum Leidwesen meines Vaters.“
Mason lächelte säuerlich. Auf Robyns Lebensgeschichte war er jetzt überhaupt nicht neugierig. Ganz im Gegenteil!
Danielle trat auf ihn zu und schlang ihre Arme um seinen Hals.
„Egal, aus welchem Grund du so früh dran bist, ich finde es schön“, sagte sie und küsste ihn auf den Mund. Mason spürte ihre Wärme und den zarten Duft ihres Parfüms, der ihn an einen Strauß Frühlingsblüten erinnerte. Sobald er ihre Lippen auf seinen spürte, verlangte jede Faser seines Körpers nach mehr. Unwillkürlich zog er sie dichter zu sich heran, und für eine Sekunde schien sein Verstand auszusetzen.
„Danielle“ stöhnte er und vergrub seine Hände in ihren glänzenden, dunklen Locken. Er könnte jetzt einfach die Tür verschließen und gemeinsam mit ihr alles um sich vergessen. Sie würde ihm gehören, ihm ganz allein…
Oh ja, die Versuchung war groß, und er musste mit all seiner Willenskraft dagegen ankämpfen.
Nein... Heute durfte er seinen Gefühlen nicht nachgeben. Noch nicht. Das würde alles verderben. Er musste er sich an seinen Plan halten.
In wenigen Augenblicken würde er ihr sehr wehtun, ihr sozusagen das Herz brechen. Aber es musste sein, sonst würde Matt niemals aus ihrem Leben verschwinden! Mit einer entschiedenen Bewegung schob er sie von sich weg und trat einen Schritt zurück.
„Ich muss mit dir reden, Danielle. Es ist wichtig!“
„Was ist denn los?“, fragte sie erstaunt. „Kannst du vielleicht heute Nachmittag nicht mitkommen?“
´Heute Nachmittag? Was zum Teufel ist heute Nachmittag?´
„Ja... Nein...“ Mason zögerte und vergrub die Hände in den Hosentaschen. Langsam begann er im Zimmer auf und ab zu laufen. „Ich habe etwas erfahren. Es wird unser zukünftiges Leben verändern.“
Danielle sah ihn mit großen Augen an. Er war plötzlich so ernst, so distanziert.
Mit einem Mal spürte sie, wie sich ihr Magen fast schmerzlich zusammenzog, denn sie ahnte instinktiv, dass jetzt nichts Gutes folgen würde.
„Um was geht es denn?“
Er blieb stehen und sah sie mit gequältem Gesichtsausdruck an.
„Danielle, es tut mir leid, und es fällt mir unendlich schwer, dir das zu sagen… aber es geht um unsere Hochzeit und um das Versprechen, das ich dir gegeben habe!“ Jetzt war es heraus. Sie starrte ihn wie gebannt an.
„Was ist damit, Matt?“, hauchte sie atemlos.
„Ich nehme den Antrag zurück. Ich kann dich nicht heiraten.“
Danielle schluckte und wagte kaum zu atmen.
War das ein böser Traum? Oder gar ein übler Scherz?
Nein, Matt würde nie solche dummen Scherze machen, dessen war sie sich sicher.
Sie sah ihn an und suchte vergeblich in seinen Augen nach einem Zeichen für das Gegenteil dessen, was er ihr soeben gesagt hatte. Das Schweigen, das für einen Moment andauerte, stand plötzlich wie eine Mauer zwischen ihnen.
„Warum sagst du das? Was ist denn passiert?“
Um seine Mundwinkel zuckte es verdächtig und er presste seine Lippen hart aufeinander. Nervös fuhr er sich mit der Hand über die Stirn. Es war die Rolle seines Lebens, die Mason Shelton gerade spielte, und er ging voll darin auf.
„Es geht um Marina.“
Danielle erbleichte.
Schon wieder diese Frau! Und diesmal konnte sie die Gefahr regelrecht fühlen, die von Marina Cortez-Shelton ausging.
„Sie rief mich an, weil sie unbedingt mit mir reden wollte. Also habe ich mich vorhin mit ihr getroffen“, fuhr er indessen unbeirrt fort. Ungeachtet ihrer angstvoll auf ihn gerichteten Augen trat er näher und sah Danielle eindringlich an. „Erinnerst du dich an jene Nacht, die ich in ihrer Wohnung verbracht habe, und von der ich dir damals in der Hütte erzählt habe?“
Sie nickte mechanisch.
„Diese Nacht ist nicht ohne Folgen geblieben, Danielle. Marina erwartet ein Kind von mir.“
Die Stille, die darauf folgte, lag schwer wie Blei über dem Raum.
Danielles Gesicht hatte jegliche Farbe verloren, und ihr Herz schlug so wild und unkontrolliert, als wolle es dadurch die Worte ungeschehen machen, die sie soeben gehört hatte. Der Schmerz, den seine Worte in ihrem Inneren verursacht hatten, raste, einer unkontrollierbaren Druckwelle gleich, durch ihren Körper und machte sie schwindlig. Ihr Blut rauschte laut in den Ohren, so dass sie ihre eigene Stimme kaum zu hören vermochte, als sie schließlich mühevoll die folgenden Worte hervorwürgte:
„Und... was wirst du jetzt tun?“
Er senkte den Kopf.
„Ich habe mir, solange ich sie kenne, immer ein Kind von ihr gewünscht.“
Danielle stand da, unfähig sich zu rühren. Unverwandt schaute sie in sein Gesicht, als suche sie verzweifelt ein Zeichen dafür, dass dies alles nicht so tragisch war, wie es sich anhörte.
Irgendwann flüsterte sie mit erstickter Stimme:
„Das klingt, als hättest du dich bereits entschieden.“
Er trat zum Fenster und starrte hinaus aufs Meer.
„Ich kann sie jetzt nicht im Stich lassen. Das musst du verstehen...“
„Nein, das verstehe ich nicht!“, unterbrach sie ihn verzweifelt und hatte plötzlich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. „Was wird denn mit uns beiden? Wir... wir lieben uns doch, uns zwei verbindet bereits so viel, das hast du selbst unzählige Male gesagt... Das kannst du doch jetzt nicht einfach wegwerfen!“
Er drehte sich um und sah sie an. Sein Blick schien ihr plötzlich kalt und fremd.
„Ich werde meinem Kind das Zuhause geben, das es verdient“, sagte er entschlossen. „Was das bedeutet, kannst du dir denken. Ich werde Marina heiraten.“
Danielle stand da, unfähig, sich zu rühren. Ihre Augen starrten ihn fassungslos an und füllten sich mit Tränen, von denen sich schließlich zwei aus den dichten Wimpern lösten und über ihre bleichen Wangen rannen. Ihre Stimme zitterte, während sie leise sagte:
„Bitte sag mir, dass das nicht wahr ist, dass es nur ein schlimmer Traum ist, aus dem ich gleich erwachen werde!“
Er stand einen Augenblick unschlüssig da, als wüsste er nicht so recht, was er tun sollte, dann trat näher und hob die Hände, um sie in seine Arme zu nehmen.
„Hör mal Liebling, selbst wenn ich wieder mit Marina zusammenlebe, muss das doch nicht gleichzeitig das Ende für uns beide bedeuten!“
Sie wich zurück und starrte ihn entsetzt an.
„Was sagst du da?“
War das noch derselbe Mann, den sie so gut zu kennen glaubte und den sie mit jeder Faser ihres Herzens liebte und begehrte? Das hörte sich alles vielmehr nach seinem Bruder Mason an! Aber Mason war tot... Und nun besaß Matt, den sie zu lieben glaubte und den sie bisher so ganz anders eingeschätzt hatte, als seinen verhassten Zwilling, er besaß tatsächlich die Unverfrorenheit, ihr vorzuschlagen, sie solle in Zukunft so etwas wie seine heimliche Geliebte sein?
„Na ja“, meinte er und hob scheinbar gleichgültig die Schultern. „Marina wird akzeptieren müssen, dass ich neben meiner Familie auch mit dir zusammen sein will.“
Das war eindeutig zu viel.
„Marina muss das akzeptieren“, wiederholte Danielle wie im Trance, dann hob sie den Kopf und sah in sein Gesicht. „Du wirst etwas akzeptieren müssen, Matthew Shelton: du kannst nur eine von uns haben. Entweder Marina... oder mich. Und so wie es aussieht, hast du deine Entscheidung soeben getroffen! Also geh jetzt bitte.“
„Danielle!“ Wieder trat er einen Schritt auf sie zu, doch diesmal wich sie nicht zurück.
„Geh zu deiner Exfrau, Matt. Du hast in Wahrheit nie aufgehört, sie zu lieben. Geh zurück zu ihr... und zu deinem ungeborenen Kind, welches ihr beide gezeugt habt, während du mir immer wieder erklärt hast, wie sehr du mich liebst. Ich liebe dich auch, aber jetzt sehe ich ein, dass ich gegen deine Vergangenheit nie wirklich eine Chance hatte.“ Ihre Knie zitterten, und ihre Stimme war nur noch ein Flüstern, aber sie sah ihm entschlossen in die Augen. „Geh...“
„Danielle, ich wollte doch nicht...“
Sie ging zur Tür und riss diese weit auf.
„Mach es nicht noch schwerer, als es ohnehin schon ist!“
Er sah sie ungläubig an, dann schüttelte er resigniert den Kopf und trottete mit hängenden Schultern langsam hinaus. Draußen verharrte er unschlüssig und drehte sich noch einmal um.
„Aber ich liebe dich doch!“
„Nicht genug, Matt, sonst hättest du dich anders entschieden. Bitte geh jetzt. Verschwinde einfach aus meinem Leben.“
Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, schien es Danielle, als wäre ihr Leben zu Ende.
Wie betäubt, so, als hätte ihr gerade jemand den Boden unter den Füßen weggezogen, wankte sie zum Bett und ließ sich einfach fallen.
Eine Stunde lang starrte sie mit tränenleeren Augen bewegungslos vor sich hin, dann stand sie auf und begann mechanisch wie ein aufgezogenes Spielzeug ihre Sachen zu packen.
*
Als Mason in seinen Wagen stieg, lächelte er höchst zufrieden. Er war in seiner Rolle als Matt förmlich über sich hinausgewachsen. Alles war genauso gelaufen, wie er geplant hatte.
Arme kleine Danielle, dachte er in einem Anflug von Mitleid, sie musste schrecklich enttäuscht von Matthew sein! Aber ihr Schmerz würde vergehen, und sie würde Matt nur noch zutiefst verachten. Dann war sie frei, frei für eine neue Liebe, frei für ihn.
Und Matt selbst würde sehr bald für immer verschwunden sein, aus Danielles Leben, aus der Firma und aus Sunset City. Alles war arrangiert.
Er brauchte nur geduldig abzuwarten.
Er hatte Zeit...
*
Danielle starrte aus dem Fenster aufs Meer hinaus. Die Sonne hatte den Zenit bereits überschritten, und ihr golden gleißendes Licht ließ das Wasser wie an jedem Nachmittag märchenhaft funkeln und glitzern. Es tat den Augen weh, wenn man länger hinsah, aber Danielle schien das nicht zu stören. Sie nahm überhaupt nicht wahr, was um sie herum geschah. In ihrem Kopf wirbelten die Gedanken wild durcheinander; und es gelang ihr nicht, auch nur einen einzigen festzuhalten. Tränen hatte sie nicht, sie fühlte sich wie betäubt.
Weg... Fort von hier, das war das Einzige, was sie wollte, weg von diesem Ort, wo sie bis vor ein paar Stunden so glücklich gewesen war wie noch nie zuvor in ihrem Leben, und wo sie sich jetzt so unsagbar verraten fühlte von dem Mann, dem sie bedingungslos ihr ganzes Vertrauen und ihre Liebe geschenkt hatte.
Wieder einmal… schnell weg!
Langsam drehte sie sich um, zog den Verlobungsring vom Finger, betrachtete ihn einen Augenblick lang, als wolle sie den Anblick des kostbaren Schmuckstückes, das sie von Matt als Zeichen seiner Liebe erhalten hatte, für immer in ihrer Erinnerung speichern. Dann legte sie den Ring behutsam auf den Tisch.
Sie sah sich in dem kleinen Zimmer um, das ihr in den letzten Wochen so vertraut geworden war. Ein Stück neue Heimat. In wenigen Tagen hätte sie es ohnehin verlassen, aber das wäre ihr nicht schwergefallen, denn dann hätte ihr gemeinsames Leben mit Matt erst richtig begonnen. Nun verließ sie es, weil alles zu Ende war. Plötzlich, unerwartet, unwiderruflich.
Sie strich sich mit der Hand über die Stirn.
Die Tatsache, dass Marina ein Kind von ihm erwartete, hätte sie vielleicht noch irgendwie verkraften können, aber nicht die Art und Weise, wie er es ihr gesagt und ihr seine Entscheidungen mitgeteilt hatte. Sie sollte seine Geliebte bleiben, während er die Mutter seines ungeborenen Kindes an ihrer Stelle heiratete. Das war nicht der Mann, den sie in den vergangenen Wochen kennen und lieben gelernt hatte. Dieses Verhalten hätte eher zu Mason gepasst.
Doch Mason war tot. Es gab keine Entschuldigung, keine Ausflucht. Keine Verwechslung war mehr möglich!
Ein bitterer Zug umspielte ihre Lippen, und ihre Augen brannten, während sie wieder ans Fenster trat und hinausstarrte..
Es war vorbei.
Sie hatte die wichtigsten Dinge in ihrer großen Reisetasche verstaut und telefonisch ein Taxi bestellt. Den Rest ihrer Sachen konnte Mitch ihr nachschicken, wenn sie eine neue Bleibe gefunden hatte.
Sie würde heute noch abreisen, weg von hier, weg von ihm...
Wohin, das wusste sie selbst noch nicht so genau. Erst einmal nach Los Angeles, sie würde den Helikopter nehmen, der sie und Matt im Auftrag von George Freeman in Kürze abholen sollte. Das ging schnell und unkompliziert. Ihren Mitbewohnern und ihrer Schwester würde sie eine Nachricht hinterlassen, denn sich zu verabschieden, dazu fehlte ihr momentan ganz einfach die Kraft.
Später, irgendwann, wenn sie etwas Ruhe gefunden hatte, würde sie ihnen alles erklären, und sie würden verstehen. Alle, auch Robyn.
Das Klopfen an der Tür ließ sie zusammenfahren.
War er das?
War er zurückgekommen, um ihr zu sagen, dass alles nur ein Missverständnis gewesen war?
Zitternd starrte sie auf die Tür, unfähig sich zu rühren...
*
Kurz nach der Mittagspause betraten Anni und Cynthia das Gebäude der HSE und fuhren mit dem Lift nach oben bis zum Vorzimmer der Chefetage.
„Richten Sie Mr. Hamilton und Mr. Shelton aus, dass ich sie beide in meinem Büro erwarte“, erklärte Anni von oben herab und marschierte grußlos mit Cynthia im Schlepptau an der erstaunten Elisabeth vorbei in jenen kleinen Raum, den ihr Edward kürzlich hoheitsvoll als ihr eigenes Büro überlassen hatte. Sie benutzte die „Abstellkammer“, wie sie ihr Büro geringschätzig zu nennen pflegte, so gut wie gar nicht. Trotzdem war das Zimmer auf ihre Veranlassung hin großzügig und modern ausgestattet worden.
„Sehen Sie sich in aller Ruhe um, Cynthia“, lächelte Anni verheißungsvoll und machte eine weit ausholende Armbewegung. „Das hier gehört ab sofort alles Ihnen!“
Cynthia trat zum Fenster und warf einen Blick hinaus. Von hier aus sah man hinunter auf den großen Firmenparkplatz. Dahinter spiegelte sich das Meer im gleißenden Licht der Sonne.
Sie wandte sich wieder ab und betrachtete als nächstes fachmännisch den Computer, der auf dem Schreibtisch stand.
„Haben Sie Zugang zu allen Geschäftsunterlagen, Annabel?“
„Keine Ahnung, hab` mich nie darum gekümmert“, erwiderte diese und ging zum Barschrank hinüber. „Was möchten Sie zur Feier des Tages trinken? Cognac, Bourbon oder lieber Champagner?“
„Weder, noch“, erwiderte Cynthia, nahm hinter dem Schreibtisch Platz und schaltete den PC ein. „Ein Glas Wasser wäre völlig ausreichend.“
„Wie Sie wollen.“ Anni griff sich eine Flasche Champagner aus dem Kühlfach, ließ mit geschickter Bewegung den Korken knallen und schenkte drei Gläser ein. Danach füllte sie Cynthias Glas mit Mineralwasser aus der danebenstehenden Kristallkaraffe.
„Voila. Wenn Edward mitbekommt, was hier läuft, dann braucht er mindestens noch einen doppelten Cognac zum Nachspülen“, prophezeite sie grinsend und drückte auf die Wechselsprechanlage. „Elisabeth!“
„Ja, Miss Parker?“
“Ich wünsche die Herren sofort zu sprechen, und nicht erst an Weihnachten! Hatten Sie das begriffen?“
Sie hörte, wie die Chefsekretärin geräuschvoll die Luft einsog.
„Tut mir leid, Miss Parker, Die Herren sind noch beschäftigt“, erwiderte sie gereizt. „Mr. Shelton telefoniert, und Mr. Hamilton ist soeben erst von einem Termin eingetroffen. Sie werden sich also noch einen Moment gedulden müssen.“
„Alte Schlange!“, zischte Anni, nachdem sie die Verbindung beendet hatte, und wandte sich wieder an Cynthia. „Die steckt mit Edward unter einer Decke. Sie sollten als Erstes dafür sorgen, dass die gefeuert wird!“
Cynthia hörte gar nicht richtig hin, sondern tippte bereits eifrig in die Tastatur.
„Wie lautet Ihr Passwort, Annabel?“, fragte sie, den Blick konzentriert auf den Monitor gerichtet.
„Mein... Was?“ Anni verdrehte die Augen. „So etwas brauche ich nicht. Ich stehe mit den Dingern auf Kriegsfuß.“
„Das merkt man“, murmelte Cynthia und nickte dann. „Okay, ich werde das sowieso alles konfigurieren und neu eingeben.“
„Konservieren Sie, was Sie wollen, es gehört ja jetzt alles Ihnen“, brummte Anni und sah ungeduldig auf die Uhr.
Genau in diesem Augenblick öffnete sich die Tür.
Cynthia sah interessiert hoch und machte große Augen. Im ersten Moment glaubte sie tatsächlich, Mason käme herein, aber dann fiel ihr ein, dass es sein Zwillingsbruder war, mit dem sie es hier in der Firma zu tun haben würde. Alle Achtung, die Ähnlichkeit zwischen den beiden war absolut verblüffend.
Ihm folgte ein etwas älterer, aber ebenfalls recht gutaussehender Mann im maßgeschneiderten dunklen Anzug. Edward Hamilton, erinnerte sich Cynthia, Mason hatte ihr ein Foto von ihm gezeigt.
„Was gibt es denn so überaus Wichtiges, Anni?“, fragte Matt, während Edwards strenger Blick den Raum durchforschte und an Cynthia hängen blieb. „Darf ich fragen, was Sie an diesem Firmen-Computer zu tun haben?“, fragte er ungehalten und beäugte sie misstrauisch.
„Bleib locker“, erwiderte Anni gleichmütig, ließ sich in einen der Clubsessel fallen und schlug ihre schlanken Beine übereinander. „Setz dich und hör zu, was ich euch beiden zu sagen habe. Ach ja...“ Sie deutete hoheitsvoll auf die vor ihnen auf dem Tisch stehenden, gefüllten Gläser. „Nehmt euch Champagner, ihr werdet ihn brauchen.“ Sie betrachtete einen Augenblick lang scheinbar interessiert die perlende Flüssigkeit in ihrem eigenen Glas und nickte wie zu ihrer eigenen Bestätigung. „Da ist etwas, auf das wir gemeinsam anstoßen sollten.“ Lächelnd wandte sie sich an Cynthia. „Nur kurz zu Ihrer Erklärung: Es gibt drei Teilhaber in dieser Firma, die sich die Macht und die Führungstätigkeit gleichberechtigt teilen. Da wäre zum einen Mr. Matthew Shelton.“ Sie wies auf Matt, der bisher wortlos, aber höchst interessiert dem Geschehen folgte. „Ein äußerst kompetenter und vertrauenswürdiger Geschäftsmann, vor allem aber ein sehr guter Freund.“ Sie grinste, jedes einzelne Wort genießend. „Und zum anderen Mr. Edward Hamilton, ein zuweilen etwas egozentrischer, aber in seinem Job äußerst brillanter Immobilien-Makler, der jeden skrupellos vernichtet, der sich ihm in den Weg zu stellen versucht.“
Edward, dem das Ganze nicht geheuer war, maß Anni mit einem wütenden Blick.
„Was soll dieses Theater? Komm endlich zur Sache, meine Zeit ist äußerst knapp und für deine Eskapaden viel zu kostbar.“
„Okay...ganz, wie du wünschst, mein Lieber. Dann machen wir es also kurz und schmerzlos.“ Sie hob lässig ihr Glas. „Meine Herren... darf ich euch beiden Cynthia Rodriges vorstellen? Sie kommt aus Caracas und ist ab sofort eure neue, gleichberechtigte Teilhaberin in dieser Firma!“