„Ihr seid sicher, dass der Einsatz nicht zu hoch ist“, fragte Ritter Leopold fies grinsend seinen Kontrahenten Konrad, der in voller Rüstung neben ihm vor der großen Tribüne stand.
„Auf keinen Fall. Verlust oder Ehre“, erwiderte dieser energisch. Konrads Rüstung klapperte wie ein Haufen Blech. Sie war nicht mehr die beste, aber besser als gar keine. Als verarmter Ritter musste er nehmen, was er bekam. Die Rüstung gehörte seinem Gegner des letzten Tjostes, gegen den er gewonnen hatte. „Verliere ich, ist es Euer Gewinn. Verliert Ihr, erhalte ich Euer gesamtes Hab und Gut, samt Untertanen. Nach diesem Turnier wird unser Zwist ein für alle Mal beendet sein.“
„Meine Herren, werdet Euch endlich einig!“, mahnte der Herold die verfeindeten Ritter. Er kannte sie gut. Nicht nur einmal zettelte einer gegen den anderen eine Fehde an. Dass sie nun gerade das jährliche Turnier nutzen mussten, um ein erneutes Duell auszutragen, war für ihn unverständlich. Doch solange ihr Oberhaupt, Seine Majestät König Graubart nichts dagegen hatte, sollte es ihm recht sein.
„Wir sind uns einig“, erwiderten die beiden Ritter wie aus einem Munde.
„Dann holt Eure Waffen und nehmt Aufstellung!“, befahl der Herold, der mit seiner Geduld wahrlich am Ende war.
Die beiden Kontrahenten grüßten Seine Majestät, der gnädig den Kopf leicht senkte und somit das Finale des großen Turniers eröffnete.
Konrads Herz pochte genauso wild wie die Hufe seines riesigen Schlachtrosses, auf dem er zurück zu seinem Zelt ritt. Er wusste, er musste heute gewinnen, sonst verlöre er seinen gesamten Besitz an den verhassten Leopold. Der Kerl ärgerte ihn schon lange genug. Das musste heute ein Ende haben. „Knappe!“, rief er dem Jungen entgegen, der aus seinem Zelt kam, um nach seinem Herrn zu sehen. „Meine Lanze und das Schild!“ Sofort rannte dieser flink wie ein Wiesel zurück, um das Gewünschte zu bringen.
„Viel Glück, Herr“, rief er dem Ritter nach und ging an seinen Platz, damit er, falls sein Herr ihn brauchte, schnell zur Stelle sein konnte. Er wusste vom Einsatz und machte sich große Sorgen. Aber der Herr würde schon wissen, was er tat.
Schnaubend stampfte das riesige Ross mit den Hufen im Sand. Es schien die Aufregung seines Reiters zu spüren. Konrad sah zum anderen Ende der Kampfbahn, wo Leopold schon Aufstellung genommen hatte. Aufmerksam blickte sich Konrad um. Bei diesem Finale waren weitaus mehr Zuschauer anwesend als zu anderen Turnieren. Die Sonne stand gut. Sein Gegner würde geblendet sein, wenn er auf ihn zuritt.
Wie aus heiterem Himmel begann Konrad zu schwitzen. In Strömen rann ihm der Schweiß in die Rüstung. Ihm wurde schwindelig, er sah am helllichten Tag Sterne. Heftig schüttelte er den Kopf, dass ihm beinahe der Helm davonflog. „Knappe! Wasser!“, rief er erregt.
Sofort eilte der Knappe herbei und brachte einen Becher. Konrad trank mit großen Zügen. Es war ihm unverständlich, woher dieses Unwohlsein auf einmal kam. Noch vor wenigen Minuten fühlte er sich bestens. Es war wohl die Aufregung. Besorgt sah der Junge zu ihm auf. Ehe er etwas fragen konnte, winkte Konrad ab. Er musste heute gewinnen. Das bisschen Unwohlsein sollte ihn davon nicht abhalten. Er setzte sich aufrecht. Den Rücken gerade durchgestreckt, ganz der Gewinner, wie er sich immer sah. Warum sollte es heute anders sein.
Mit gespannten Muskeln wartete sein Ross darauf, losgaloppieren zu können. Konrad konzentrierte sich auf den Beginn des Tjostes. In der Ferne sah er wieder seinen Kontrahenten, der genau wie er auf den Start des Finales wartete. Auch dessen Pferd tänzelte aufgeregt. Noch einmal schüttelte sich Konrad. Schon hob der Herold die Flagge. Die Posaunen dröhnten in Konrads Ohren. Doch Schwäche durfte er jetzt nicht zeigen. Schnell schloss er noch das Visier seines Helmes.
Wie gebannt starrte Konrad zum Herold und wartete darauf, losstürmen zu können. Obwohl er sich so elend fühlte wie schon lange nicht mehr, wollte er endlich kämpfen. Als die Flagge nach unten ging, trabte er an und fiel schnell in den Galopp. Das Schild in der Linken, die Lanze in der Rechten, zielte er auf seinen Gegner, der schneller näherkam, als ihm lieb war.
Dreck spritzte unter den Hufen der Pferde hoch. Die Zuschauer jubelten und grölten, feuerten ihren Favoriten an. Konrad zielte auf das Schild des Gegners, den er fast erreicht hatte. Plötzlich erhielt er einen mächtigen Stoß mit dessen Lanze. Die Rüstung im Brustbereich verbog sich. Dann hob es ihn aus dem Sattel. Krachend schlug Konrad auf dem Sandboden auf, dass ihm die Luft wegblieb. Sofort kamen seine Gehilfen gerannt, um ihm aufzuhelfen. Doch wo war dieser verhasste Leopold?
„Gib auf. Du hast verloren“, hörte Konrad Leopold neben sich brüllen. Schwerfällig kam er auf die Beine. Sein Gegner lachte laut auf und hielt ihm sein Schwert an die Kehle.
„Niemals!“, schrie Konrad aufgebracht. Wütend hieb er auf Leopold ein, der besser parierte als erwartet. Schnell stellte sich heraus, Konrad hatte keine Chance. Jedoch kämpfte er wie ein Löwe. Immer wieder schlugen die riesigen Schwerter gegeneinander. Keiner der beiden wollte den Anderen den Sieg überlassen. Das Schreien und Jubeln der Zuschauer hörten sie nicht. Sie sahen nur ihren Gegner, den es zu besiegen galt.
„Du kannst nicht gegen mich gewinnen. Sieh das endlich ein“, schrie Leopold ihm erneut entgegen.
Konrad parierte die Hiebe, die voller Wucht auf ihn niederprasselten. Der Ritter schwitzte noch mehr, doch aufgeben wollte er nicht. Jetzt galt es nur, zu überleben. Er wusste, sein Gegner kannte keine Gnade. Die nächsten Hiebe trafen ihn. Sein Schild hatte er längst verloren. Keuchend warf sich Konrad seinem Kontrahenten entgegen. Da geriet er ins Straucheln. Noch ein paar Schläge und er ging zu Boden. Er fiel auf die Knie. Sein Atem ging rasselnd. Das Schwert fiel aus seinen Händen. Konrad konnte nicht mehr, er war am Ende. „Mach es schnell“, keuchte er Leopold entgegen, der über ihm stand und seinen mächtigen Zweihänder hob.
„Ich habe gewonnen“, jubilierte Ritter Leopold triumphierend.
Konrad hob die Arme und ergab sich. Er fiel um wie ein nasser Sack, landete mit dem Gesicht im Dreck und rührte sich nicht mehr. Er hatte alles verloren. Die Menge jubelte.
© Brida Baardwijk / 04.08.2018