Mai 1320 im Franziskaner-Kloster zu Altenburg (1)
Bruder Martins Knie schmerzten höllisch. Er hatte sie sich auf dem rauen Gestein des Fußbodens seiner Zelle (2) aufgerieben. Außerdem war ihm kalt. Eine Gänsehaut überzog seinen beinahe nackten Körper. Die Nächte im Mai um die Tage der Eisheiligen waren kalt, zu kalt, um die ganze Nacht halbnackt auf einem Steinfußboden zu hocken und zu beten.
Martin hatte sich nur seine Bruoch (3) erlaubt, die locker um seine Hüften geschlungen war und nahm damit die Nachtkälte in Kauf. Er wollte Buße tun, sich von seinen begangenen Sünden reinwaschen, die er und Bruder Josef oft begingen. Sie lagen beieinander wie Mann und Frau und frönten der Liebe.
Seit Stunden verharrte Martin in ein und derselben Position in seiner nur durch ein Talglicht erhellten Zelle und starrte auf das schlichte Kreuz an der Wand. Das Kreuz war der einzige Schmuck in seiner sonst karg eingerichteten Klause. Außer einer schmalen Liege als Bett mit einem Strohsack und einer dünnen Decke, einem Tisch und seinem Stuhl befand sich sonst nichts in dem winzigen Raum, der schon seit vielen Jahren als seine bescheidene Unterkunft in dem kleinen Kloster diente. Nur eine halbverfallene Truhe, in der er seine wenigen Habseligkeiten aufbewahrte, zeugte von seinem Leben vor dem Kloster.
Gerade mal weitere elf Ordensbrüder lebten mit ihm hier. Die Chance, beim Sündigen ertappt zu werden, war groß. So wunderte sich Martin nicht zum ersten Mal, dass sein und Bruder Josefs unkeusches Verhalten nicht längst von einem ihrer Mitbrüder entdeckt und dem Prior gemeldet worden war.
Martins Lippen formten wohl zum tausendsten Male in dieser Nacht das Vater Unser. Nach jeder Zeile geißelte er sich mit einer Peitsche. Er prügelte damit wie verrückt geworden auf seinen nackten Rücken ein. Um die Pein noch zu erhöhen, hatte er an den einzelnen Strängen die spitzen Dornen eines Mirabellenbaumes angebracht, die bei jedem Schlag die Haut auf seinem Rücken mehr aufrissen. Von den unzähligen Hieben hatte der sich ein einziges Schlachtfeld verwandelt. Neue Striemen zierten neben alten, noch nicht verheilten, seine Rückansicht. Bereits vernarbte Wunden waren erneut aufgebrochen. Blut floss in scheinbar nicht enden wollenden Strömen und tropfte auf den steinernen Boden. Dort hatte sich bereits eine Lache gebildet. Es roch nach Eisen, aber auch nach Schmerz, Leid und Schweiß.
Eben schlug Martin nochmals heftig mit der Geißel (4) zu. Aus seinem Mund kam ein gequältes Stöhnen. Er zitterte vor Anstrengung am ganzen Körper, als hätte ihn eine schwere Krankheit fest in der Hand. Auf seiner Stirn perlte Schweiß und rann in seine Augen, die von der salzigen Flüssigkeit brannten wie Feuer.
Trotz der immensen Schmerzen, die er sich zufügte, musste er feststellen, sein Gemächt erhob stolz seinen Kopf und beulte seine Bruoch. Zum wiederholten Male war ihm dieses seltsame Phänomen aufgefallen. Seine körperliche Reaktion verwirrte ihn. Wie konnte es sein, dass er bei diesem widerwärtigen Schmerz solch eine unbändige Lust empfand. Dabei wollte er sich für sein unzüchtiges Benehmen bestrafen und sich davon abbringen, es weiterhin zu tun. Schon oft hatte er sich vorgenommen, Josef abzuweisen oder sich in ein anderes Kloster versetzen zu lassen. Doch er konnte es nicht. Er liebte ihn zu sehr. Ohne ihn sein zu müssen, wäre schlimmer als der Tod gewesen.
Die heimliche Liebschaft mit Bruder Josef bestand schon lange. Martin verstand nicht, wie sie sich lieben konnten, als wären sie Mann und Frau, die den heiligen Bund der Ehe eingegangen waren. Bis er vor Jahren ins Kloster eingetreten war, wusste er nichts von der Liebe zwischen zwei Männern. Dass sie verboten war, sogar verpönt, das hatte er bereits gehört. Aber sonst war er bei seiner Weihe sehr unbedarft und jungfräulich. Martin hatte bis dahin noch nicht einmal ein Mädchen nackt gesehen, geschweige denn einen anderen Mann. Umso mehr erschrocken war er, als Bruder Josef bei ihm anbandelte und er darauf einging. Seitdem schlich sich Martin heimlich nachts in Josefs Zelle, oder Josef besuchte Martin in seiner. Sie nutzten jede freie Minute. Sogar bei der Arbeit auf dem Feld schlichen sie sich davon, um sich miteinander zu verlustieren. Martin konnte nicht die Hände von Josef lassen. Der Mann faszinierte ihn und rührte eine Seite in ihm an, von der er angenommen hatte, es gäbe sie gar nicht. Andersherum war es genauso. Je länger sie ein Paar waren, desto sicherer waren sie sich, ohne den anderen sein Leben verbringen zu müssen, wäre ihr Tod.
Doch die körperliche Liebe war etwas, das sich Mönche nicht leisten durften. „Nein, das darf nicht sein. Nie wieder!“, wies sich Martin in die Schranken und verbot sich jeden unkeuschen Gedanken an den Ordensbruder. „Herrgott im Himmel, hilf mir diese sodomitischen (5) Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen.“ Um seiner Bitte noch mehr Ausdruck zu geben, drosch Martin noch heftiger auf seinen Rücken ein. Der brannte bereits seit den ersten Schlägen als hätte man ihn mit heißem Öl übergossen. Der Schmerz zog bis in die letzte Faser seines Körpers. Davon ließ er sich jedoch nicht beeindrucken. Er wollte nur, dass es endlich aufhörte, Bruder Josef aus seinen nächtlichen Träumen verschwand und er die Ruhe fand, die er sich in der kleinen Gemeinschaft so wünschte. Ansonsten würden sie beide irgendwann auf dem Scheiterhaufen brennen.
Gerade als Martin sich erneut heftig geißelte, wurde leise die Tür zu seiner Zelle geöffnet. Der Mönch beachtete den Ankömmling nicht, sondern betete und geißelte sich weiter. Instinktiv wusste er, wer ihn in seiner Klause störte und ihn zu nächtlicher Zeit besuchte. Er hörte, wie etwas auf dem Tisch abgestellt wurde. Dann vernahm er Schritte, die auf ihn zukamen.
„Nun lass das endlich sein. Du weißt doch, es bringt nichts. Was soll diese ständige Qual, die du dir freiwillig aufbürdest?“, hörte er Bruder Josef sagen. Josef nahm Martin die blutige Geißel aus der Hand und warf sie mit einem verächtlichen Blick in eine Ecke der Zelle.
Empört drehte Martin sich um und sah seinem Mitbruder ablehnend in die Augen. „Dir scheint es egal zu sein, dass wir nach unserem Tode in der Hölle brennen“, schrie er Josef an. „Oder wir landen gleich auf dem Scheiterhaufen! Das ist schlimmer als die Hölle! Willst du das?“ Er schluchzte verzweifelt auf. „Was ist, wenn jemand uns ertappt? Ich habe große Angst davor.“
„Martin! Was nützt es, uns über ungelegte Eier den Kopf zu zerbrechen. Wer sollte von unserer Liaison erfahren? Wir sind immer sehr vorsichtig“, erwiderte Josef aufgebracht. Er streckte seine Hand aus und half Martin auf die Beine. „Komm, ich versorge deine Wunden. Dein Rücken sieht fürchterlich aus. Wie kannst du dir nur so etwas Grausames antun?“
„Dir scheint es wirklich egal zu sein, was mit uns wird“, knurrte Martin und ließ sich mit Widerwillen zu dem einzigen Stuhl führen. Trotz der wenigen Schritte, die er zurücklegen musste, fühlte er sich nicht in der Lage, die kurze Strecke allein zu bewältigen. Hätte Josef ihn nicht gestützt, wäre er zusammengesunken und am Boden liegen geblieben. Er hätte nicht einmal die Kraft besessen, sich zu erheben und in sein Bett zu kriechen.
„Hast du keine Angst, dass unser Geheimnis irgendwann mal keines mehr ist“, wollte Martin wissen. Verzweifelt sah er Josef an und wünschte sich, er würde seine Frage bejahen und darauf bestehen, ihr Verhältnis zu beenden.
„Ach, Martin, wir lieben uns. Was soll daran schlecht sein. Wer ohne Schuld ist, der solle den ersten Stein werfen“, entgegnete Josef, dabei aufseufzend. „Unsere Liebe ist rein und kommt vom Herzen. Ich bedauere es nur, dass wir uns nicht offenbaren dürfen, sondern uns verstecken müssen, als wäre wir Gejagte.“ Traurig sah er dabei seinen liebsten Freund an. „Martin, ich liebe dich, auch wenn wir beide Männer sind. Die Liebe sollte etwas Schönes sein und nichts, wofür wir uns verstecken müssen.“
„Ja, ich verstehe dich. Aber es sollte nicht sein“, antwortete Martin. „Es sollte wirklich nicht sein, wir sind beide Ordensbrüder und haben das Zölibat geschworen. Was wir miteinander treiben, kann nicht richtig sein.“ Er hielt kurz inne, als würde er nachdenken. „Es ist eine schwere Sünde, für die wir früher oder später büßen müssen“, meinte er dann noch.
„Wer sagt, dass es nicht richtig ist?“ Josef wusste es, aber er wollte es aus Martins Mund wissen.
„Der Herrgott im Himmel, der Heilige Vater, die Kirche“, antwortete Martin voller Inbrunst. Er war davon überzeugt, dass die Meinung der Kirchenoberen die richtige war.
„Die haben alle keine Ahnung“, knurrte Josef. Er zog einen Lappen aus seiner Kutte, tränkte diesen mit dem mitgebrachten Wein und begann Martins Rücken damit zu reinigen.
„Lass das, es tut weh“, wehrte Martin seinen Ordensbruder ab.
„Vielleicht hilft dir dieser Schmerz dabei, es zu überwinden. Du siehst selbst, dass auch dein ewiges Geißeln nichts nützt“, meinte Josef sarkastisch und machte einfach weiter, ohne sich um Martins Befinden zu kümmern. „Wenn sich die Wunden entzünden, wirst du sterben“, erklärte er.
„Besser tot als so weiterleben zu müssen. Diese ständige Angst macht mich noch verrückt“, erwiderte Martin wehleidig und stöhnte unter Schmerzen auf.
„Sterben willst du? Das kannst du haben, aber nicht jetzt“, konterte Bruder Josef. Zärtlich strich er an Martins Nacken entlang. Er bemerkte, wie sich dort die kleinen Härchen aufstellten und Martin vor Wonne leise zu stöhnen begann. Josef drückte einen Kuss dorthin, wo sich eben noch seine Finger befanden. Erneut stöhnte Martin leise.
Langsam wanderten Josefs Finger nach vorn zu Martins leicht behaarter Brust und liebkosten die kleinen Warzen. Die stellten sich auf. Erneut überzog Martins Körper eine Gänsehaut, diesmal aber nicht vor Kälte, sondern vor Wonne.
Martin legte den Kopf nach hinten, um Josef in die Augen blicken zu können. „Wir sollten das nicht machen“, flüsterte er fast nicht hörbar. Doch seine Blicke sagten anderes als seine Worte.
„Wir tun es, weil wir uns lieben. Es ist unsere Natur. Lass dich gehen und genieße es“, flüsterte Josef leise zurück. Während er diese Worte aussprach, zog er seine Kutte über den Kopf. Darunter war er nackt. Josefs Glied hatte bereits an Stärke zugenommen. Er nahm Martins Hand und führte sie. „Hier, spürst du es? Er liebt dich, er will dich, genau wie ich.“ Josef musste tief Luft holen, um nicht laut aufzustöhnen, als sich die Hand des Geliebten um seinen Schaft spannte. „Komm“, sagte er dann und half seinem Freund auf. Er führte ihn zu der schmalen Liege, die Martin als Schlafstatt nutzte. Dort ließ er sich nieder und zog seinen Liebsten mit sich. Eng drängten sie sich aneinander. Josef nestelte an Martins Bruoch und warf sie, genau wie kurz vorher die Peitsche, achtlos auf den Fußboden.
Als hätte er sich nie mit der Geißel gezüchtigt, vergaß Martin die immensen Schmerzen, die seinen Rücken zu zerreißen schienen. Sie waren wie weggeblasen, als hätte es sie nie gegeben.
Josef und Martin berührten und liebkosten sich. Keine einzige Stelle ließen sie aus, sie fanden sogar immer wieder neue, die es zu erkunden galt. Als sich endlich ihre Hände der intimsten Stelle des Freundes näherten, stellten beide fest, ihre Erregung war beinahe nicht mehr auszuhalten. Sie strotzten vor Kraft, rieben sich am jeweils anderen. Ihr Stöhnen vereinte sich, wie zwei Körper, die zusammengehörten. Auch als Josef sich mit seinem Mund Martins Penis näherte und diesen mit den Lippen verwöhnte, ließ Martin es zu. Er genoss die Wärme des Mundes, die liebkosenden Lippen, die ihn umspielende Zunge mit allen Sinnen.
Sie schwammen auf unendlich hohen Wogen der Lust, die sie zärtlich umspielten wie die Wellen des Meeres. Es gab Hochs, dann wieder Tiefs. Sie schwebten wie auf Wolken, und stürzten scheinbar meilenweit wieder hinunter ins Tal. Und doch waren sie am Ende eins, voller Liebe, Lust und Leidenschaft.
Auch Josef kam nicht zu kurz. Obwohl Martin eher der zurückhaltende von ihnen war, gab er seinem Freund gerne das zurück, was er von ihm erhalten hatte. Josef genoss es, als Martin in ihn eindrang und ihm auf diese Weise seine Liebe zeigte. Er liebte es, wie sich sein Ordensbruder in ihm rieb und sie beide somit auf den Gipfel der Lüste katapultierte.
Martin kam als Erster. Als der Samen aus ihm herausschoss, stöhnte er ungehemmt seine Lust hinaus. Er ließ sich gehen, wie noch nie zuvor. Josef kam es vor, als wolle Martin ihm dieses Mal alles geben, was er ihm geben konnte. Nur wenig später folgte Josef mit seinem Höhepunkt, der sich nun auch nicht mehr zurückhalten ließ.
Nach Atem ringend lagen beide Männer nebeneinander auf der engen Liege. Ihre Körper waren schweißbedeckt. Martin hatte nun die Schmerzen, die er sich selbst bereitet hatte, gänzlich vergessen. Er fühlte sich wie ein Neugeborenes, das gerade das Licht der Welt erblickt hatte.
„Wir sollten es wirklich nicht mehr tun. Wir werden noch in Teufels Küche kommen“, sagte Martin, nachdem beide eine Zeitlang geschwiegen hatten.
„Was sollten wir nicht mehr?“, fragte Josef, unwissend tuend. Er wusste, was kommen würde, wollte Martin aber noch einmal die Gelegenheit geben, seine Ängste auszusprechen.
„Na das, was wir eben getan haben. Es ist unnatürlich, wenn ein Mann einem Manne beiwohnt“, antwortete Martin voller Zweifel an sich selbst. „Für umsonst geißele ich mich nicht beinahe jede Nacht.“ Er sah seinen Freund an, dessen Gesicht im kaum noch wahrzunehmenden Licht der Talgkerze wie gespenstig wirkte.
„Fängst du schon wieder damit an“, schimpfte Josef. „Genieße doch einfach nur, was uns gegeben ist. Wer soll es schon bemerken, wie wir beide miteinander umgehen. Keiner weiß es und keiner wird es jemals erfahren.“
„Aber…“
„Kein Aber“, schnitt Josef Martin das Wort ab. „Sei glücklich in den Stunden, die wir miteinander verbringen können.“ Josef lächelte. „Oder hast du das eben nicht genossen?“, fragte er.
„Doch, sehr sogar“, erwiderte Martin liebevoll und küsste seinen Gespielen auf den Mund. „Du solltest jetzt gehen. Es läutet bald zur Laudes (6).“
Nachdem Josef gegangen war, zog sich Martin das dünne Leinenhemd an, das er sonst unter seiner Kutte trug. Bäuchlings legte er sich auf seine Schlafstatt und versuchte, noch ein wenig Ruhe zu bekommen. Sein Rücken schmerzte wieder stärker. Daher fand er keinen Schlaf mehr. So ging er, nachdem die Glocken zur Laudes gerufen hatten, zum Morgengebet. Den Kopf demütig gebeugt, betete er besonders inbrünstig und bat um Vergebung seiner begangenen Sünden.
Bruder Josef beobachtete dabei heimlich seinen Gefährten und machte sich Sorgen um dessen Seelenheil. Zum ersten Mal machte er sich Gedanken um ihr sündiges Handeln. Sollten sie wirklich, wie Martin es verlangte, damit aufhören? Josef konnte sich nicht vorstellen, jemals auf seinen geliebten Freund verzichten zu müssen. Sein Herz schmerzte so sehr wie Martins gemarterter Rücken, wenn er an diese Möglichkeit nur dachte.
So vergingen die Tage, einer wie der andere, mit unendlich vielen Gebeten und harter Arbeit. Martin und Josef begegneten sich, beim Essen, bei der Arbeit oder auch beim gemeinsamen Gebet. Sie benahmen sich wie zwei ganz normale Ordensbrüder, die sich zwar kannten, aber keine weiteren Gemeinsamkeiten hatten. Jedoch in ihrem Inneren loderte die Flamme der Liebe. Oft wollte sich Josef wieder nachts in Martins Zelle schleichen, so groß war seine Sehnsucht nach ihm. Doch er vermied es lieber. Um seinen Freund nicht noch weiter zu quälen, nahm er den Verlust in Kauf.
Nur ab und an schlich sich Bruder Josef zur Zelle seines Freundes und horchte gespannt, was dieser trieb. Er hörte, wie Martin sich mit der Geißel den nackten Rücken marterte und bei jedem Hieb gequält stöhnte. Dabei betete er immer wieder das Vater Unser. Josef betete im Stillen mit, für seinen Freund, für sich und ihre Liebe.
Nur eines ärgerte Bruder Josef sehr. Er konnte Martin nicht von seinem unsinnigen Geißeln abbringen. So zog er sich, gepeinigt vor Sehnsucht, in seine eigene Zelle zurück, wo er nächtelang keinen Schlaf fand.
Auch Martin vermisste seinen heimlichen Gefährten. Aber er wusste, es war besser, sich nicht mehr der Sünde hinzugeben. Schon der Gedanke an dieses Vergehen ließ sein Gesicht rot leuchten wie eine Laterne. So schlug er sich jede Nacht mit seiner Geißel den Rücken wund, um seine Gedanken an Josef zu verbannen. Und jede Nacht erfuhr er das gleiche Wunder. Sein Gemächt erhob sich stolz in seiner Bruoch und verlangte nach Erfüllung. Martin konnte oft nicht widerstehen und legte Hand an sich selbst an – obwohl auch dies in den Augen der Kirchenoberen eine Sünde war. Für ihn war dies besser als sich mit Bruder Josef in den Laken zu rekeln.
Eines Morgens aber, da war sich Bruder Martin sicher. Er musste es vollbringen. Unbedingt. Er musste sein Seelenheil wiedererlangen, auch wenn er dafür hart bestraft werden sollte.
Nach der Mittagsmesse ging er zum Prior. „Vater, ich muss beichten…“, sagte er leise zu ihm, dass der alte Mann seine Worte beinahe nicht verstand und Martin sie wiederholen musste. Dabei sah er sich vorsichtig um und entdeckte seinen Angebeteten an der Tür zur Küche stehen. Er lächelte ihm zu und schien ihm mit den Augen sagen zu wollen, es täte ihm leid. Der kurze Blickkontakt dauerte nur einen Wimpernschlag. Dann wandte sich Martin wieder dem Prior zu. Er schämte sich der Worte, die er aussprechen musste.
„Mein Sohn, dann komm“, erwiderte der Prior und ging gemächlichen Schrittes voran zur Kirche.
Bruder Josef schlich hinterher und versteckte sich in der Nähe des Beichtstuhls. Geschockt musste er mit anhören, was sein Geliebter dem Prior offenbarte.
Mehrere Wochen später brannten auf dem Richtplatz vor der Stadt zwei Scheiterhaufen. Darin, an einem Pfahl festgebunden, am Körper gepeinigt, umgeben von loderndem Feuer und sich die Seele aus dem Hals schreiend, die zwei Ordensbrüder Martin und Josef vom Franziskaner-Kloster zu Altenburg.
Einige Bürger der Stadt und aus den Dörfern der Umgebung hatten von den sündigen Brüdern gehört. Sie hatten sich in der Nähe der Scheiterhaufen versammelt und jubelten über die Bestrafung der beiden wider der Natur lebenden Mönche. Nur der Prior stand inbrünstig betend und Gott um Vergebung bittend daneben. Wie sehr wünschte er sich, seine beiden Schäfchen fänden im Tod endlich den Frieden, den sie sich im Leben so sehnlichst erwünscht hatten. Hätte er vorher gewusst, wie die beiden Delinquenten zueinanderstanden, hätte er gerne mit einem von ihnen gesündigt. Auch er war eher dem männlichen als dem weiblichen Geschlecht zugetan. Doch seit Jahren unterdrückte er es erfolgreich. Als Prior konnte er sich solch Eskapaden nicht erlauben. Dabei sehnte er sich so sehr nach Liebe, vor allem nach der körperlichen, aber – die Kirche und der Heilige Vater verboten es ihm.
© Brida Baardwijk / 07.10.2020
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Anmerkung der Autorin:
1 - Das Franziskaner-Kloster in Altenburg besteht nicht mehr in der ursprünglichen Form. Es wurde etwa in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts erbaut. Nur 12 Ordensbrüder lebten dort. Um 1450 wurde das Kloster um ein weiteres Gebäude erweitert. Bis 1797 wurde die Kirche mehrmals umgebaut, bis sie 1901 endgültig abgerissen wurde. An ihre Stelle kam die heutige Brüder-Kirche, die 1905 geweiht wurde.
2 - Die Zelle ist die Kammer, in der die Mönche oder Nonnen im Kloster schliefen.
3 - Die Bruoch ist eine Art Unterhose im Mittelalter
4 - Geißel - Stab mit Riemen oder Schnüren zur Züchtigung oder Kasteiung
5 - Als Sodomie wurde im Mittelalter die Liebe zwischen Männern genannt. Sie wurde mit dem Tode bestraft, meist wurden die Männer auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
6 - Die Laudes, oder auch Morgenlob, ist das Gebet am Morgen. Es wird in katholischen, altkatholischen, anglikanischen aber auch evangelischen Kirchen gebetet.