„Wann gedenkst du, dass das Gefolge derer von Siegsburg hier eintreffen wird?“ Ludwig von Goars blieb vor seinem Freund Johannes von Bernstedt stehen. Vor einer Stunde war Ludwig auf den Wehrgang hinaufgestiegen und schaute ins Tal des Rheins hinab. Er fieberte der Ankunft seiner Braut Helena von Siegsburg entgegen. Seine Unruhe konnte er vor Johannes nicht verbergen. Ein Bote, der voraus geschickt wurde, meldete ihm die Abreise des Ritters Adalbert mit dessen Gemahlin nebst Tochter. Über deren Ankunft auf Burg Goar konnte er noch keine Angaben machen, er versprach aber, dem Gefolge entgegenzureiten und dem jungen Burgherrn weiterhin Meldung über dessen Verbleib zu machen.
„Du kannst es wohl nicht erwarten, deine Helena in den Armen zu halten.“ Johannes lachte über Ludwigs Unruhe. Er konnte nicht verstehen, wie ein Mann seiner Vermählung mit solch einer Freude entgegensehen konnte. Dabei hatte sich sein Kamerad bis vor Kurzem noch vehement dagegen gewehrt, vor den Traualtar zu treten. Woher kam dieser plötzliche Sinneswandel?
„Dir würde es auch nicht anders ergehen, wenn du sie kennen würdest“, fuhr Ludwig seinen Kameraden an.
Der lachte erneut. Dass Ludwig es so eilig hatte, die Tochter Ritter Adalberts zu ehelichen, war für ihn ein Ding der Unmöglichkeit. Der Burgherr und Helena hatten sich bisher nur einmal gesehen und er konnte es beinahe nicht glauben, dass sein Freund diesem Mädchen so verfallen war. Sie musste etwas ganz Besonderes sein, wenn sie ihn so in den Bann gezogen hatte, dass er ihr sozusagen aus der Hand fraß.
„Das verstehst du nicht“, fuhr Ludwig ihn erneut an. „Sie ist wunderbar. Ihr Antlitz ist einer Göttin gleich, das Haar blond und lang. Es wellt sich über ihren Rücken bis zu ihrem wohlgeformten Hintern und leuchtet im Sonnenlicht wie Gold“, schwärmte Ludwig über seine Braut. „Und ihr Duft ist so lieblich wie ein Rosenbeet, das in voller Blüte steht.“ Er hielt inne und starrte über die Brüstung des Wehrgangs der Burg. Sein Blick glitt über die sanften Schleifen des Rheins, der sich tief unter ihnen durch das Tal schlängelte. Den Weg neben dem Fluss musste sie entlangkommen, um seine Burg zu erreichen.
Beidseitig an den Ufern drängten sich die Häuser der Flößer an die steinigen Abhänge. Hoch türmten sich die Felsen auf und auf halber Höhe thronte das kleine Anwesen seines Freundes Johannes wie der Horst eines Adlers. Wie froh war er, Johannes in seiner Nähe zu wissen. Anders hätte er die Zeit bis zu seiner Vermählung mit der schönen Helena nicht überstanden. Seit Kindestagen waren Ludwig und Johannes eng verbunden, wurden sogar vom selben Ritter ausgebildet und am selben Tag erhielten sie ihre Schwertleite.
Jetzt, nachdem Ludwigs Vater unverhofft verstorben war, drängte Adelheidis ihren Sohn zu einer baldigen Vermählung. Seine Mutter war eine Frau, die sich nicht gerne das Heft aus der Hand nehmen ließ. Doch nachdem ihr Gatte so plötzlich verstorben war, wollte sie in Ruhe ihre letzten Tage auf ihrem Witwensitz bei Boppard verbringen.
„Aber Mutter, Ihr werdet noch ewig leben“, wehrte Ludwig anfangs ihre Bemühungen ab.
„Mein Sohn, du hast gesehen, wie schnell es bei deinem Vater zu Ende ging. Keine Vorboten kündigten ein baldiges Ende an. Ich will dich mit einem liebenden Weib versorgt sehen, wenn ich vor unseren Herrn treten muss. Vielleicht habe ich sogar noch das Glück, ein paar Enkel in die Arme schließen zu können“, beharrte sie auf ihrer Forderung. „Außerdem“, fügte sie noch hinzu, „als Erbe bist du dafür verantwortlich, dass unser Geschlecht weiter besteht. Also musst du heiraten und Kinder zeugen, ob es dir nun passt oder nicht.“ Adelheidis schaute ihren Sohn ernst an. Ihr zu wiedersprechen, war zwecklos.
Seinen Blick über das Wasser des Rheins gerichtet, erinnerte sich Ludwig, wie er Helena kennengelernt hatte. Seinen Freund Johannes, der neben ihm stand, beachtete er nicht mehr. Viel lieber dachte er an seine schöne Braut, die bald eintreffen sollte. Ihr Bild vor Augen, fiel er in einen Tagtraum. Er sah sie, wie sie in ihrer Hochzeitsnacht nackt auf dem Bett inmitten von unzähligen Rosenblättern lag, sich wohlig rekelte und ihm ihre sinnlich geschwungenen Lippen zum Kuss anbot. Kerzen erhellten die kleine Kammer, die sie sich als Brautgemach auserkoren hatten. Helenas Leib glich dem einer Aphrodite, wohlgeformte Brüste, gleich knackiger Äpfel, luden dazu ein, liebkost zu werden. Das kleine Dreieck zwischen ihren langen Beinen, lockend nach dem Manne. Dahinter das wertvollste Kleinod, das eine Jungfrau besaß, noch unberührt. Er würde der erste sein, der dies zu Gesicht bekam. Ludwig freute sich darauf. Doch noch musste er sich gedulden. Morgen schon würde sie die Seine sein, verbunden bis in alle Ewigkeit.
Nachdem Ludwig dem Drängen seiner Mutter nachgegeben hatte, lud Adelheidis dutzende von Jungfern mit ihren Vätern und Müttern auf die Burg ein. Rauschende Feste wurden gegeben, damit ihr Sohn die jungen Damen kennenlernen und eine Entscheidung treffen konnte. All die edlen Jungfern wurden ihm vorgeführt wie Stuten auf dem Rossmarkt. Einige gebärdeten sich auch so. Jede versuchte, die anderen zu übertrumpfen. Doch keine konnte sein Herz erweichen.
„Ach, Mutter”, klagte der junge Erbe, „was soll ich mit all diesen edlen Damen? Schaut sie Euch doch an! Fast noch kleine Mädchen, zickig und verwöhnt, nur darauf aus, mich durch Prunk zu bezirzen. Wie sollen sie meine Burg und das Lehen verwalten, wenn ich es nicht kann oder meinen Verpflichtungen bei unserem Lehnsherrn nachgehen muss? Wie sollen sie mir einen Erben gebären? Sind sie mir wohlgesonnen? Das weiß keiner, auch Ihr nicht. Ein ganz klein wenig Liebe muss schon sein. Nein, liebste Mutter, da bleibe ich besser unbeweibt.”
Adelheidis aber bestand weiterhin darauf, ihr Sohn musste vermählt werden. Die Suche ging weiter, sehr zu Ludwigs Unmut. Tagein, tagaus trafen neue Mädchen ein. Der Burgherr schaute genau, doch keine einzige war dabei, für die er sich erwärmen könnte.
Die Klage dauerte an, bis eines schönen Tages Ritter Adalbert von Siegsburg nebst Gemahlin Applonia und seiner jüngsten Tochter Helena vorsprach. Der Ritter hatte mit seinem Gefolge den weiten Weg aus der Gegend von Bingen auf sich genommen, um seine Tochter dem jungen Burgherrn als Gemahlin anpreisen zu können.
Das Mädchen, obwohl ein wenig unscheinbar und schüchtern, gerade sechzehn Jahre alt geworden, hielt sich dezent im Hintergrund, während der Vater die Vorzüge der Tochter pries. Ludwig sah ihr an, wie unwohl sie sich fühlte. Ging es ihr wie ihm? Er nahm es an. Neugierig geworden, hörte er dem Vater aufmerksam zu, ohne die Augen von Helena zu lassen. Jede noch so kleine Bewegung nahm er war und versuchte, sie zu deuten.
Züchtig die Hände verschränkt wagte die Jungfer kaum, den Blick zu heben. Sie wusste zwar, dass sie eines Tages heiraten muss, aber dass ihr Vater sie so weit entfernt von ihrem Zuhause vermählen wollte, behagte ihr gar nicht. Viel lieber würde sie in der Nähe ihrer Eltern, Geschwister und Freundinnen bleiben. Doch leider wurde sie nicht gefragt. Allerdings, so gestand sie sich ein, der junge Ritter Ludwig war schon ein Mann, für den sie diesen Unbill auf sich nehmen würde. Er gefiel ihr sehr. Er ließ ihr Herz heftiger schlagen. Aber das offen zu zeigen, traute sie sich nicht.
Auch Ludwig war sofort hin und weg beim Anblick des Mädchens. Er erkannte die beginnende Schönheit, einer Rosenknospe kurz vor dem Erblühen gleich. Die Ausführungen des Brautvaters rauschten an ihm vorüber wie der Rhein am Fuße der Burg bei Hochwasser. Er hatte nur noch Augen für die schöne und schüchterne Helena.
Als Helena es doch einmal riskierte, den Blick zu heben, begegnete sie dem Ludwigs. Sofort errötete sie, doch sie hielt dem Blick ihres Gegenübers stand. Ein leichtes Lächeln umspielte ihre vollen Lippen, die wie reife Kirschen einluden, geküsst zu werden. Ihre Wangen leuchteten vor Aufregung so rot wie die Bäckchen eines reifen Apfels.
Ludwigs Herz begann sofort heftig zu klopfen. Er lächelte zurück und erfreute sich über den lieblichen Anblick des Mädchens.
Seiner Mutter blieb die Regung der jungen Leute nicht verborgen. „Nun, Ludwig, was hältst du von Ritter Adalberts Angebot“, wandte sich Adelheidis an ihren Sohn. Doch der reagierte nicht. Zu sehr war er in Helenas Anblick vertieft. „Ludwig!“, mahnte Adelheidis noch einmal.
„Entschuldigt, Frau Mutter“, fuhr Ludwig erschrocken auf und wandte sich ihr zu.
„Bist du mit Jungfer Helena als Gattin einverstanden“, fragte Adelheidis nochmals. Sie bemerkte, da tat sich etwas. Das musste sie fördern. „Ritter Adalbert gibt eine sehr hohe Mitgift für seine jüngste Tochter. Sie ist aus edlem Hause und der Ritter ist ein hoch angesehener Herr, der nur König Sigismund als Lehnsherrn untersteht. Die Verbindung zu seinem Haus wird unserem Ansehen immens nützlich sein“, versuchte sie Ludwig eine Zusage zu entlocken.
„Was sind Mitgift, Geld und Ehre wert? Liebe sollte uns verbinden und kein Geld. Ehe ich mich entscheide, würde ich daher gerne mit der Jungfer alleine sprechen und mich nach ihrer Meinung erkundigen. Ich fürchte, sie ist ein wenig verängstigt und wagt es nicht, offen ihre Gefühle preiszugeben“, erwiderte Ludwig mutig.
„Allein! Niemals!“, fuhr Adelheidis empört auf. „Junge, das geziemt sich nicht! Ich kann es nicht erlauben, die Ehre der Jungfrau zu beflecken.“
Ritter Adalbert schien dies wohl etwas anders zu sehen. „Helenas Zofe begleitete uns auf dieser Reise. Sie ist eine sehr zuverlässige Person und schon seit der Geburt meiner Tochter in unseren Diensten. Ihr vertraue ich gern mein Kind als Anstandsdame an“, meldete sich Adalbert zu Wort. „Sie wird Eurem Sohn und meiner Tochter in gebührendem Abstand folgen. Damit wäre der Anstand gewährt.“
Adelheidis und auch Helenas Mutter stimmten dem zu und die Zofe Mechthild wurde herbeigerufen.
Ludwig trat währenddessen zu Helena und verbeugte sich galant. „Jungfer Helena, wenn Ihr erlaubt, machen wir einen kleinen Spaziergang in den Garten. Es ist nicht weit, die frische Luft wird uns beiden guttun“, bat er die junge Frau und bot ihr seinen Arm als Stütze an.
Helena senkte errötend den Blick, legte dann aber ihre zierliche Hand auf seinen Arm. „Sehr gerne begleite ich Euch, Herr Ludwig“, kam es leise über ihre Lippen.
„Folge ihnen, doch lasse den jungen Herrn und meine Tochter nicht aus den Augen“, befahl Adalbert der Zofe Mechthild, die inzwischen eingetroffen war. Die befolgte den Befehl ihres Herrn gerne.
Ludwig führte Helena über den Hof der Burg und durch eine kleine Pforte in einen Rosengarten, den seine Mutter lange vor seiner Geburt angelegt hatte. Die ersten Blüten des Jahres verströmten ihren lieblichen Duft. Vor einem besonders schönen Gewächs blieb Helena stehen. Sie steckte ihre Nase in die Blüte und sog deren Duft ein. „Eure Mutter hat eine gute Hand für diese wundervollen Blumen“, sagte sie verzückt und errötete erneut unter Ludwigs Blicken.
„Meine Frau Mutter liebt Rosen sehr“, erklärte Ludwig. „Sie ist schwärmt über die Schönheit dieser göttlichen Geschöpfe und verbringt so viel Zeit wie es geht, hier in diesem Garten. Ihr werdet dies auch tun können, wenn Ihr Euch für mich entschieden haben solltet. Meine Mutter wird garantiert nichts dagegen haben, wenn Ihr bei der Pflege helft. Sie wird Euch ganz gewiss in den Umgang einweisen. Schon bald nach der Hochzeitsfeier will sie sich auf ihren Witwensitz zurückziehen. Ich bin mir sicher, Ihr seid eine würdige Nachfolgerin. In Euren Händen werden die Rosen ganz bestimmt genauso gedeihen wie in den Händen meiner Frau Mutter.“ Er schaute Helena in die Augen. „Eure Schönheit, Jungfer Helena, übertrifft die Schönheit dieser Blumen bei weitem. Mein Auge erfreut sich bei Eurem Anblick“, raspelte er Süßholz. „Doch sprechen wir lieber über das Vorhaben unserer Eltern, als über Eure Schönheit und der Rosen zu disputieren.“ Er pflückte eine Blüte und steckte sie in Helenas Haar.
„Gerne, Herr Ludwig“, erwiderte Helena, dabei zart errötend. Zitternd blickte sie ihn an. Noch unschlüssig und voller Angst darüber, was Ludwig von ihr wissen wollte und was sie darauf antworten sollte.
„Unsere Eltern möchten uns miteinander vermählen“, begann Ludwig ganz ungezwungen die Unterredung. Er hatte bereits bemerkt, wie schüchtern und zaghaft Helena ihn ansah und sich wohl auch ängstigte. Trotzdem konnte er sie nicht schonen. „Was haltet Ihr davon? Ich kam mir schon ein wenig vor wie auf dem Pferdemarkt, als mir unzählige Jungfern als Gattin wie auf dem Silbertablett dargeboten wurden. Eine wollte die andere übertrumpfen und mich für sich gewinnen, aber keine konnte mein Herz erwärmen wie Ihr. Als ich Euch zum ersten Mal ansichtig wurde, verschlug es mir den Atem.“
„Wenn mein Vater mir befiehlt, Euch zu ehelichen, werde ich tun müssen, was er von mir verlangt“, antwortete Helena. „Ihr seid ein schöner Mann, dem jede Jungfer wohl gerne das Jawort gibt. Da schließe ich mich keinesfalls aus.“
Ludwig blieb stehen. Er griff an Helenas Kinn und zwang sie sanft, den Kopf so weit zu heben, dass sie ihm in die Augen blicken konnte. „Jungfer Helena, ich möchte keine Gemahlin an meiner Seite wissen, die, ohne nachzudenken das tut, was von ihr verlangt wird. Ihr seid eine hübsche Jungfer, die wohl hoffentlich auch eine eigene Meinung, aber auch ein kluges Köpfchen hat. Ich liebe meine Eltern und Ihr die Euren wohl ebenso. Doch sollten wir uns auch wohlgesonnen sein, wenn wir ein Leben lang gemeinsam unseren Weg gehen sollen.“ Seine Augen funkelten beim Sprechen. „Ich möchte von Euch Eure eigene Meinung wissen und nicht die Eures Vaters nachgeplappert haben. Die Meinung Eures Vaters steht zwar an oberster Stelle, aber Eure zu wissen, ist mir wichtiger.“ Er ließ sie los und ging vor ihr auf die Knie. Dann nahm er ihre Hand und küsste zärtlich deren Fingerspitzen. „Edle Helena, schon als ich Euch zum ersten Mal sah, machte mein Herz Sprünge, dass ich mich ängstigte, es würde aus meiner Brust direkt in Euren Schoß hüpfen. Euer Anblick und Eure Schönheit, aber auch Euer Edelmut, überwältigten mich. Ihr könntet Euch mit jeder Königin, ja sogar mit jeder Kaiserin, messen. Doch was mich sehr viel mehr überwältigte, Jungfer Helena, ich wusste, ohne Euch zu kennen, dass ich Euch als meine Gemahlin an meiner Seite sehen möchte. Nicht aufgrund der Mitgift, die interessiert mich nicht.“ Er hielt einige Augenblicke inne. „Helena, ich liebe Euch“, sprudelte es dann ungezähmt aus ihm heraus.
Helena stieß erschrocken einen spitzen Schrei aus. Mechthild, die sich bisher dezent im Hintergrund gehalten hatte, eilte besorgt herbei. Doch Helena beschied ihr, sich wieder zu entfernen.
„Herr Ludwig, wie kann das sein?“, fragte Helena, nachdem sie sich ein wenig beruhigt hatte. Dabei leuchteten ihre Augen wie funkelnde Edelsteine. Auch sie spürte, wie sich ihr Herzschlag erhöhte. „Ich wagte es kaum, Euch anzusehen, aus Angst, Ihr bemerkt, wie es um mich steht. Mir erging es nicht anders. Nichts wäre mir lieber, als Eure Frau zu werden.“
Ludwig sprang auf und riss Helena in seine Arme. Entsetzt über sein ungebührliches Verhalten einer Dame gegenüber, ließ er sie sofort wieder los. „Entschuldigt mein ungestümes Benehmen“, presste er erschrocken hervor. „Ich bin überwältigt von Eurem Geständnis. Ihr seht in mir einen Mann, dem nichts lieber ist, als Euch zu ehelichen.“ Er versuchte, sich zu beruhigen. „Dann möchtet Ihr…“, Ludwig stotterte vor Aufregung.
„… dann möchte ich gerne eure Gemahlin werden“, beendete Helena den Satz. „Ihr dürft mich jetzt küssen“, sagte sie keck zu ihm und errötete dabei nicht einmal. Wie glücklich sie war, aus Ludwigs Mund Worte der Liebe zu vernehmen. Sie bot ihm ihre Lippen zum Kuss an. Ludwig ließ die Gelegenheit nicht ungenutzt.
Ein verhaltenes Räuspern ließ die beiden auseinanderfahren. „Mechthild, meine Liebe“, rief Helena ihrer Zofe zu und winkte, damit sie nähertrat. „Du kannst uns gratulieren. Darf ich dir meinen Bräutigam vorstellen?“
Mechthild knickste und beugte ihr Haupt. „Herrin, ich wünsche Euch viel Glück. Euch ebenso, werter Herr Ludwig“, erwiderte sie. „Darf ich mich entfernen?“, fragte sie dann, um der jungen Liebe nicht im Wege zu stehen.
„Begleite uns zurück in die Halle. Wir haben unseren Eltern etwas zu verkünden“, befahl Helena ihr. Mechthild gehorchte ohne Worte.
Während Helena und Ludwig im Garten zwischen den Rosenbeeten lustwandelten, unterhielten sich Adalbert, Applonia und Adelheidis über ihre Kinder.
„Ich sähe einer Heirat mit Eurer Tochter gerne entgegen, werter Ritter“, sagte Adelheidis eben zu ihrem Gast, als die Tür aufging und die jungen Leute zurück in die Halle kamen.
Adelheidis war neugierig und konnte es kaum noch aushalten, die Entscheidung ihres Sohnes zu erfahren. „Nun, Ludwig. Erfahren wir gute Nachrichten?“, drängte sie.
„Frau Mutter, Frau Applonia, Ritter Adalbert“, Ludwig trat vor und verbeugte sich ehrfurchtsvoll erst vor seiner Mutter, dann vor dem Ritter und dessen Gemahlin. „Jungfer Helena und ich sind uns einig geworden.“
„Nun spann uns nicht zu sehr auf die Folter!“ Adelheidis hielt es nicht mehr auf ihrem Stuhl aus.
„Darf ich Euch um die Hand Eurer Tochter bitten. Ich gelobe bei Gott, ihr immer ein guter und liebender Gemahl zu sein“, wandte sich Ludwig nun an Ritter Adalbert und ging vor ihm auf die Knie.
„Wenn Euch meine Tochter als Gatte will, gerne“, erwiderte Adalbert. „Tochter!“ Sein strenger Blick glitt über das vor ihm stehende Mädchen.
„Herr Vater, ich habe mich für Herrn Ludwig entschieden. Wenn Ihr erlaubt, möchte ich seine Gemahlin werden“, hauchte Helena fast nicht hörbar.
„Na dann, was gibt es da noch zu entscheiden. Herr Ludwig, seid meinem Kind ein guter Gatte. Sonst bekommt Ihr es mit mir zu tun“, drohte er scherzend dem jungen Mann. „Und nun komm an meine Brust, Sohn“, posaunte er heraus und breitete die Arme aus.
Helenas Mutter Applonia schnäuzte verhalten in ihren Ärmel. Die Tochter so schnell an einen Gatten zu verlieren, tat ihr weh. Dabei sollte sie sich für sie freuen.
„Nun heule nicht, Frau!”, fuhr Adalbert sie an. „Wir sollten uns mit unserem Kind freuen.”
Auch Adelheidis verfolgte das kurze Gespräch. „Endlich eine Tochter. Wenn das nur mein geliebter Gatte noch hätte erleben können“, seufzte sie ergriffen. „Komm zu mir, mein Kind“, sagte sie zu Helena und tupfte sich ein paar Tränen aus den Augenwinkeln.
„Ludwig, wo bist du mit deinen Gedanken?“ Johannes grinste verschmitzt über seinen Freund.
„Bei meiner Helena natürlich, wo sonst“, erwiderte Ludwig etwas schroff. „Ich kann es kaum noch erwarten, dass sie mit ihrem Gefolge hier eintrifft. Die Brautgemächer sind bereit, die Hochzeitsgesellschaft angereist und auch das Fest ist vorbereitet. Nur meine Braut lässt auf sich warten. Wenn ihr nun etwas zugestoßen ist. Es ist ein weiter und gefährlicher Weg von Bingen bis hierher.“ Er blickte seinen Freund an. „Wenn sie es sich nun anders überlegt hat?”, wagte er zu sagen.
„So etwas solltest du erst gar nicht denken!”, fuhr Johannes Ludwig an. „Du musst dich nur noch ein wenig in Geduld üben, sie wird ganz bestimmt bald eintreffen. Außerdem ist die Hochzeit erst morgen. So lange wirst du wohl noch warten können”, meinte er feixend.
„Seit wann habe ich Geduld?“, fragte Ludwig genervt. „Die Warterei zerrt an meinen Nerven!” Er lehnte sich an die Wehrmauer und spähte hinunter auf den Fluss. Sonnenstrahlen ließen die Wellen glitzern wie Diamanten. Von unten hörte er die Rufe der Flößer, die auf den zu transportierenden Baumstämmen balancierten und diese geschickt in die gewünschte Richtung bugsierten. „Sie müssten doch bald da sein“, knurrte Ludwig ungehalten. „Der Bote meinte, sie hätten bereits bei Lorch mit der Fähre den Rhein überquert. Von Lorch bis hierher ist es gar nicht so weit.“
„So übe dich in doch in Geduld“, versuchte Johannes seinen Freund zu beruhigen. „Es wird schon einen Grund geben, dass deine Braut und ihr Gefolge noch nicht eingetroffen sind.“
„Ach was… ich werde ihnen entgegenreiten. Wage es nicht, mich aufzuhalten. Ich halte es nicht mehr aus. Ich muss Helena in meinen Armen halten“, rief Ludwig aus und wollte eben die Stufen von der Wehrmauer hinunter in den Hof hetzen. Da kam ihm der Sohn eines Wachmanns entgegen.
„Herr!“, rief der Junge ihm aufgeregt zu und zog seine Mütze vom Kopf.
„Halte mich nicht auf“, fuhr Ludwig den Knaben an. „Ich habe es sehr eilig.“
„Herr, Eure Braut reitet eben den Weg zur Burg hoch. Ich habe sie bereits gesehen und wollte Euch sogleich ihre Ankunft melden“, konnte der Kleine gerade noch rufen. Er drückte sich an die Wand, sonst hätte sein Herr ihn umgerannt.
„Was hast du gesagt?“, fragte Ludwig das Kind.
„Ich habe Eure Braut gesehen. Gleich wird sie eintreffen. Sie reitet auf einem wunderschönen Schimmel den Berg herauf. Ihr Vater, ihre Mutter, einige Soldaten und Bedienstete begleiten sie“, gab der Kleine nochmals Auskunft.
„Herrgott im Himmel, sei Dank“, stieß Ludwig erfreut aus und wuschelte dem Kind die zotteligen Haare. „Danke dir, mein Kleiner“, er steckte dem Jungen eine kleine Münze zu und rannte freudestrahlend die Treppen hinunter. Eben wollte der dem Wachmann zurufen, das Tor zu öffnen, als dies schon geschah und seine Braut auf einem weißen Zelter an der Spitze ihres Gefolges durch das Tor in den Burghof ritt. Lächelnd blickte sie ihn an und Ludwig war glücklicher denn je, dass die lange Wartezeit endlich ein Ende hatte.
© Brida Baardwijk / 03.05.2019