Es war bereits still in der Burg. Die Dienstboten schliefen, nur der tapfere Ritter Sewolt war noch wach. Vorsichtig schaute er aus seiner Kammer und spähte den langen Gang hinunter. Er war aufgeregt, wie ein Knabe, der ein Spielzeug geschenkt bekommen hatte. Noch einmal kontrollierte Sewolt den Sitz seiner Tunika und Beinlinge. Er war ein eitler Geck, der sehr auf sein Aussehen achtete. Besonders heute legte er einen besonderen Wert auf sein Aussehen, wollte er doch der Burgherrin imponieren. Ihr in Sack und Leinen gegenüberzutreten, war für ihn unmöglich. Daher hatte er sein bestes Gewand angelegt.
Noch stolzer war Sewolt darauf, dass die Burgherrin, die schöne Mathilde, sein Flehen endlich erhört hatte. Erst am Nachmittag sah er, wie sie mit ihren Hofdamen im Burggarten spazieren ging. Sewolt schlich ihr vorsichtig nach, musste er doch Acht darauf geben, nicht entdeckt zu werden. Es ziemte sich nicht für einen unverheirateten Mann, sich einer edlen Dame mit unzüchtigen Absichten zu nähern. Nun war er auf dem Weg zu einem nächtlichen Schäferstündchen mit Mathilde.
„Oh Sewolt, Geliebter“, seufzte Mathilde, als diese ihm wenig später in die Arme fiel und sich selig an ihn schmiegte. Er spürte, wie ihr Herz vor Aufregung hart schlug. Dem seinen erging es nicht anders.
„Mathilde, wie sehr ich Euch begehre“, keuchte Sewolt voller Vorfreude auf den drallen Leib der Burgherrin. „Kommt, legt Euch nieder. Aber erst lasst uns dieses lästige Kleid ausziehen.“ Schon begann er an den Schnüren zu nesteln, die Mathildes Oberkleid zusammenhielten. Schnell stand die Schöne bloßen Leibes vor ihm.
Aber was war das? Sewolt riss entsetzt die Augen auf. „Liebste!“, stieß er aus und zeigte fassungslos auf den Keuschheitsgürtel, den Mathilde um ihre Hüften trug.
Voller Sehnsucht blickte die Burgherrin den wackeren Ritter an. „Mein Gemahl ist wieder einmal auf Reisen“, berichtete sie traurig. „Mich nimmt er nur selten mit. Wenn ich hierbleiben muss, muss ich dieses lästige Gestell tragen. Dabei hätte ich des Öfteren einen Grund zur Eifersucht, wenn er mit den Mägden scherzt und sie in sein Gemach einlädt. Ich möchte nicht wissen, was alles auf seinen Reisen geschieht.“ Bereits seit drei Wochen weilte ihr Gatte Siegfried nicht in der Burg. Genauso lange musste sie diesen fürchterlichen Keuschheitsgürtel tragen, der überall zwickte und ihre zarte Haut reizte.
Sewolt schüttelte nur den Kopf über seinen Herrn. Ihm käme es niemals in den Sinn, solch eine wunderschöne Dame wie Mathilde monatelang allein zu lassen. Er käme um vor Sehnsucht und Begehren nach deren Leib.
„Und Euer Gemahl hat den Schlüssel zu diesem Ungetüm?“, fragte der Ritter nach einer etwas peinlichen Pause, ängstlich. Darauf konnte die schöne Mathilde nur nicken.
So blieb den beiden Liebenden nichts anderes übrig, als sich unbefriedigt wieder zu trennen.
Wenig später saß Mathilde verzweifelt auf dem Bett in ihrer Kammer und dachte nach. Doch sie konnte keine Lösung für das Problem finden. Voller Wut warf sie ihren Weinbecher gegen die Wand, dass es schepperte. Der Rest Wein, der noch drinnen war, spritzte durch den Raum. Erschrocken schaute ihre Magd herein, die wie immer im Nebenraum darauf wartete, dass ihre Herrin nach ihr rief.
„Raus hier“, brüllte Mathilde das Mädchen an. Sofort verzog es sich, sie war wieder allein.
„Womit habe ich das nur verdient“, haderte die schöne Mathilde mit sich selbst. „Mein Gatte weiß, wie sehr ich ihn liebe. Immerhin bin ich die Verbindung mit ihm freiwillig eingegangen.“ Während er sich auf Reisen mit irgendwelchen Metzen vergnügte, musste sie auf der Heimatburg bleiben und sich mit diesem Keuschheitsgürtel abquälen. „Ich liebe ihn doch“, seufzte Mathilde. „Wenn er mit meinen Gefühlen spielt, dann tue ich es ihm gleich. Er wird schon sehen, was er davon hat.“
Aufgeregt sprang die schöne Mathilde auf und lief hin und her. Ihre Gedanken flogen zu Sewolt, dem tapferen, aber leider auch etwas eitlen Ritter.
„Dieser verflixte Schlüssel muss her“, führte die Burgherrin Selbstgespräche „Ich bin mir sicher, irgendwo gibt es noch einen. Ich muss ihn finden.“ Sie musste lächeln, als sie erneut an Sewolt denken musste. Er würde ihr Spielzeug werden, das Spielzeug, nachdem sie sich schon so lange sehnte. Und ihr werter abtrünniger Gatte, der würde das Nachsehen haben. Ein feines Ziehen ging durch ihren Unterleib, was sie leise aufstöhnen ließ.
Trotzdem blieb immer noch diese eine Problem: Der Keuschheitsgürtel, der der Grund allen Übels war. Mathilde überlegte angestrengt. Eine Möglichkeit musste es doch geben, an den Schlüssel ihres Keuschheitsgürtels heranzukommen. Sie hielt es fast nicht mehr aus.
Ritter Sewolt hatte ihr Herz gestohlen und sie im Sturm erobert. So wie er sie eingenommen hatte, fegte die Sehnsucht nach einem Liebesspiel mit ihm wie ein tosender Orkan über sie hinweg. Wie sehr verzehrte sie sich nach dem eitlen Ritter. Sein Charme ließ ihr Herz zerschmelzen wie Butter in der Sonne. Sein Gesang ähnelte den zarten Tönen einer Laute. Keine Minute länger wollte sie verzichten. Sie brauchte ihn, damit er ihre Sehnsüchte nach körperlicher Liebe stillte.
Zufällig hatte Mathilde ein paar Tage später erfahren, es gab einen zweiten Schlüssel. Der Schmied hatte das Geheimnis des Gürtels mit seinem Gesellen geteilt. Mathilde ging eben an der Tür zur Schmiede vorbei, als die beiden Männer darüber sprachen. Es sollte eigentlich ein Geheimnis bleiben, doch der Schmied war schlimmer als ein Waschweib. So erfuhr Mathilde, die aufmerksam geworden, auch von einem Zweitschlüssel, der sich in der Burg befinden musste.
Der eiserne Keuschheitsgürtel quälte sie arg. Sie musste ihn loswerden. Ihr Gemahl ahnte wohl nicht, welch Grausamkeiten er ihr damit antat. Warum nur spielte er so abscheulich mit ihr?
Siegfrieds Gemach hatte sie als bestmögliches Versteck des Schlüssels auserkoren. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ihr Gatte den Schlüssel irgendwo in den Weiten der Burg versteckt halten könnte. Nachdem Mathilde jede Ecke des Gemachs ihres Gemahls untersucht hatte und nicht fündig geworden war, kramte sie ungeduldig in der Kleidertruhe ihres Gatten. Die sah sie als nächstes mögliches Versteck an. Jede noch so kleine Ritze und Falte untersuchte sie. Sie riss die edlen Kleidungsstücke heraus, schüttelte sie aus. Aber nichts. Keine einzige Spur des Schlüssels. Das Versteck musste doch irgendwo sein! Wutentbrannt trat Mathilde gegen die leichte Truhe, die es dadurch ein wenig verschob.
Aber was war das? Was blinkte da unter der Truhe hervor? Nur einen ganz winzigen, fast nicht wahrnehmbaren silbernen Schimmer entdeckte sie in einer Ritze. Hastig schob Mathilde das Möbelstück ganz beiseite.
Sie glaubte es kaum, was sie zu Gesicht bekam. Da war der Schlüssel! Endlich! Hatte da womöglich der Teufel seine Hand im Spiel? Oder hatte sie doch nur Glück gehabt?
Mathildes Herz pochte wild in ihrer Brust. Schon fühlte sie, wie es ihr siedend heiß wurde. Sie sah bereits, wie Ritter Sewolt mit ihr spielte und sie ihm ihren gierigen Leib wollüstig entgegenbog. Jetzt stand einem Rendezvous mit ihrem Geliebten nichts mehr im Wege.
Währenddessen schritt Ritter Sewolt aufgebracht in seinem Gemach hin und her. Er war grantig. Nicht auf sich oder gar auf die schöne Mathilde. Letztere konnte nur indirekt etwas für seinen Gram. Ihr Gemahl und dessen Keuschheitsgürtel war schuld! Wie konnte er nur? Sewolt verstand die Welt nicht mehr. Endlich erhörte ihn eine Dame und dann das! Wütend stampfte er mit dem Fuß auf.
Der Ritter wusste genau, Mathilde verzehrte sich nach ihm. Immerhin verstand er es besser als manch anderer Ritter auf der Burg, die Damen zu bezirzen. Die meisten der Frauen, die er kannte, mochten ein zärtliches Liebesspiel, das sie bei ihren Ehemännern oft nicht bekamen. Diese waren häufig grob zu ihnen. Da kam ihnen Sewolt gerade recht. Bei ihm genossen sie die Zärtlichkeit, die er ihnen gerne zukommen ließ. Es war auch zu seinem Vorteil. Er konnte seine Begierde stillen, ohne, dass er sich fest binden musste.
Bei den meisten aber spielte Sewolt nur mit falschen Karten. Hatte er sie einmal besessen, ließ er sie nach dem Liebesspiel fallen wie ein Stück Dreck. Doch die schöne Burgherrin hatte es ihm angetan. Sie konnte sein hartes Herz erweichen. Ebenbürtig war sie ihm, genau, das war sie.
Plötzlich flog die Kammertür auf und knallte gegen die Wand, dass Sewolt erschrocken auffuhr. Mathilde kam außer Atem hereingestürzt, direkt in seine Arme.
„Oh, edler Ritter“, säuselte sie voller Freude. „Was denkt Ihr, welches Glück uns hold ist.“
„Mathilde, geliebte Dame! So sprecht doch! Lasst mich nicht unwissend“, antwortete Sewolt aufgeregt.
Flugs zog die Schöne einen Schlüssel aus dem Gewande.
„Oh, das ist ja…“, Sewolt war sprachlos.
„Ja, das ist er!“, flüsterte Mathilde aufgeregt. Sie reichte ihm den Schlüssel. „Helft mir aus dem grässlichen Ding!“
Der Schlüssel passte. Ritter Sewolt kniete nieder. Endlich am Ziel seiner Wünsche, presste er sein Gesicht auf den nackten Leib der Frau und atmete deren lieblichen, sinnlichen Duft ein.
„Oh geliebter Sewolt“, seufzte sie. „Spielt mit mir.“ Er nahm sie auf seine Arme und bettete sie sorgsam auf seiner Schlafstatt.
© Brida Baardwijk / 04.06.2021