Im Land des Nordmanns zu grauen Vorzeiten
Unruhig wälzte sich Eldrid auf ihrem harten Nachtlager hin und her. Sie hätte längst schlafen sollen, denn der morgige Tag würde anstrengend, aber auch aufregend werden. Es sollte nicht nur die Feier zur Sommersonnenwende, sondern auch ihre Vermählung mit Ando stattfinden. Ando war der älteste Sohn ihres Clananführers Ragnar. Ihre und Andos Eltern hatten beschlossen, durch eine Heirat die Familien aneinander zu binden.
Am Bund mit Ragnars Familie lag Eldrids Vater Frode sehr viel. Seine Frau Helin hatte ihm keine Söhne geboren und er brauchte unbedingt einen männlichen Erben. Mit Eldrids Heirat würde das Ansehen von Frodes Familie im Clan steigen und deren Gatte könnte alles erben, wenn Frode in Walhalla einziehen musste. Normalerweise wäre seine Frau noch in dem Alter, dass sie ihm Kinder gebären konnte. Aber die Geburt des letzten Kindes vor vier Jahren war schwer, Helin und das Kind konnten von Glück reden, dass sie überlebten. Die Hebamme beschwor die Wöchnerin damals, möglichst nicht wieder schwanger zu werden. Es wäre zu gefährlich und möglich, dass sie die nächste Geburt nicht übersteht. Seither teilten sie nur noch selten das Lager, so schwer es auch fiel.
Doch Frodes älteste Tochter war inzwischen alt genug, Kinder zu bekommen. Er hätte Helin auch wegschicken und eine andere Frau nehmen können, aber er liebte sein zierliches und immer fröhliches Weib und wollte nicht auf es verzichten. Anfangs grämte er sich zwar, als mit jeder Geburt die Hoffnung auf einen männlichen Erben sank. Aber als er seine Mädchen aufwachsen sah und ihre erblühende Schönheit erkannte, wollte er sie nicht mehr missen. Vor allem die Jüngste, ein Sonnenschein wie die Mutter, war ihm ans Herz gewachsen.
Eldrid drehte sich auf den Rücken und starrte zur Decke. Doch außer Dunkelheit war nichts zu sehen, was sie ein wenig ablenken könnte. Der Mond war zwar fast voll, aber das Langhaus, das sie mit ihrer Familie bewohnte, besaß außer dem Rauchabzug über der Herdstelle und der in der Nacht verschlossenen Tür keinerlei Öffnungen. Am liebsten wäre Eldrid aufgestanden und ein wenig umhergelaufen. Aber da hätte sie die Familie bei ihrer wohlverdienten Nachtruhe gestört. Sie hörte nebenan ihren Vater leise schnarchen, eine ihrer jüngeren Schwestern sprach im Schlaf.
Die letzten Tage mit der Vorbereitung der Hochzeit und des gleichzeitig stattfindenden Mittsommerfestes waren anstrengend. Mutter und Vater, aber auch Eldrid und ihre Schwestern fielen abends todmüde in ihre Schlafkojen, die nur durch dünne Bretterwände voneinander abgetrennt und nach vorne offen waren. Sie reihten sich an den langen Seiten des Langhauses. Ganz vorn in direkter Nähe des Feuers schliefen Eldrids Eltern Frode und Helin. Sie waren die einzigen, deren Schlafkoje mit einem Vorhang aus grobem Leinen versehen war. Alle anderen, Kinder und Bedienstete hatten diesen Luxus nicht. Ihre Schwestern, sowie alle anderen teilten sich immer paarweise eine Koje. Nur sie hatte das Privileg, ihre Koje für sich allein nutzen zu können. Eldrid erinnerte sich, dass, als sie ein kleines Kind war, ihre Großeltern in der jetzigen Koje ihrer Eltern schliefen. Als Großvater starb, überließ die Großmutter ihr Heiligtum ihrem ältesten Sohn Frode und teilte sich von nun an ihr Lager mit Eldrid. Seit auch Großmutter in Walhalla eingezogen war, hatte sie den Platz für sich allein. Da sie bei Großmutters Tod kurz davor stand, eine Frau zu werden, bestand ihre Mutter darauf, dass ihre Älteste die Schlafnische für sich allein hatte.
Für Eldrid war es die letzte Nacht, die sie unter dem Dach ihres Vaters verbrachte. Schon in der nächsten würde sie an Andos Seite im Langhaus seines Vaters schlafen. Ihre jüngere Schwester Ova rückte mit Eldrids Auszug auf und würde ihr Privileg der eigenen Schlafkoje erben.
Der Gedanke an Ando, dessen Frau sie morgen werden sollte, ließ sie leise aufseufzen. Sie kannte den jungen Mann nur vom gelegentlichen Sehen und konnte sich nicht vorstellen, ihr Leben lang an seiner Seite zu sein. Sie war gerade sechzehn Jahre alt und sollte schon als Ehefrau in einer anderen Familie aufgenommen werden. Die Trennung von ihren Eltern und Geschwistern fiel ihr schwer. Ihre Mutter erklärte ihr aber, dass es allen Mädchen so erging. Nur ganz selten vermählten sich Frauen nicht und blieben in ihrem Schoß ihrer eigentlichen Familie.
So lange Andos Vater noch am Leben war, behielt seine Mutter als älteste Frau der Familie das Zepter über den Haushalt in der Hand und sie hatte ihr zu gehorchen. Bis Ando sein Erbe antreten musste, verging hoffentlich noch viel Zeit. Bis dahin musste sie noch viel lernen, um würdig die Nachfolge antreten zu können. Daher war sie froh, vorerst unter der Fuchtel ihrer Schwiegermutter zu stehen, die sie als sehr umgängliche und freundliche Frau kannte. Sie hoffte inbrünstig, dass ihr Schwiegervater noch lange am Leben blieb und sie sich in Ruhe auf ihre Aufgaben vorbereiten konnte. Von ihrer Mutter hatte Eldrid zwar auch sehr viel lernen können, doch das galt nur in ihrer Familie. In Andos Familie konnte das ganz anders sein.
Erneut drehte Eldrid sich hin und her. Sie strampelte ihre Decke weg und trat dabei aus Versehen gehen die Bretterwand, die ihre Koje von der ihrer Schwestern trennte. Vor Schreck fuhr sie hoch.
„Jetzt lieg doch mal still. Andere würden gerne schlafen“, grummelte Ova genervt. Sie gähnte laut und streckte sich. Dann war es wieder ruhig.
„Ist ja gut“, antwortete Eldrid und versuchte, ruhig zu liegen und sich möglichst nicht zu bewegen. Doch als würde sie in einem Ameisenhaufen liegen und tausende von den kleinen Krabbeltieren würden über ihren Körper flitzen, kam sie nicht zur Ruhe.
„Du kannst wohl nicht schlafen?“, fragte Eldrids Mutter Helin leise, die die Unruhe ihrer ältesten Tochter bemerkt hatte. Sie war vorsichtig aufgestanden, um Frode nicht zu wecken und war zu Eldrids Schlafplatz gegangen. „Rutsch rüber“, sagte sie zu ihr und schlüpfte neben dem Mädchen unter die Decke. Dann nahm sie ihr Kind in die Arme.
Wohlig kuschelte sich Eldrid an ihre Mutter. Es war lange her, dass sie ihr so nahe war. Sie erinnerte sich kaum noch daran. Es musste kurz bevor sie ihren ersten Monatsfluss bekommen hatte, gewesen sein. Das war bereits drei Jahre her. Seitdem gab es zwar noch Zärtlichkeiten von ihrer Mutter, doch die blieben recht karg.
„Ich verstehe, dass du unruhig bist“, flüsterte Helin. „Als ich mit deinem Vater verheiratet wurde, erging es mir nicht anders. Ich war damals im selben Alter wie du.“ Sie strich Eldrid tröstend über die Wangen.
„Muss ich denn wirklich heiraten?“, fragte Eldrid, „und kann ich nicht trotzdem bei euch bleiben?“
Helin seufzte. „Du wurdest bereits vor langer Zeit Ando versprochen. Wir können nicht von dem Trakt zurücktreten. Unser Ansehen wäre dahin. Bei uns kannst du nach der Hochzeit leider nicht bleiben, du musst bei Andos Familie leben, so ist es Brauch. Irgendwann wirst du die Hausherrin im Langhaus von Ragnars Familie sein. Dann wird alles leichter“, erklärte Helin.
„Aber Ando ist zehn Jahre älter als ich. Ich kenne ihn kaum“, erwiderte Eldrid trotzig.
„Du wirst ihn schon noch richtig kennenlernen. Er ist ein guter Mann und kein Rohling. Hab keine Angst, er wird ganz bestimmt gut zu dir sein“, tröstete Helin das Mädchen.
„Ich habe keine Angst“, behauptete Eldrid starrköpfig. Doch in ihrem Inneren war trotzdem diese winzig kleine zuckende Flamme der Angst, die sie befiel, wenn sie an das Eheleben mit Ando und den Wechsel zu seiner Familie dachte. Sie wusste, was in der Hochzeitsnacht geschehen würde. Davor fürchtete sie sich nicht – im Gegenteil, sie war eher neugierig, wie es sich anfühlte. Oft genug konnte sie nachts ihre Eltern belauschen, wenn sie sich liebten und ihre Mutter dabei leise stöhnte. Daher stellte sie es sich sehr schön vor. Auch hatte sie Tiere beobachten können, wie diese sich paarten. Die Folgen davon konnte sie wenige Wochen oder Monate später sehen, wenn Jungtiere geboren wurden. Bei Menschen wäre das auch nicht anders, hatte ihre Mutter erklärt, nachdem sie erfahren hatte, dass die Vermählung mit Ando bald stattfinden sollte.
Helin hatte längst bemerkt, wie es um ihre Tochter stand. Anhand ihrer Reaktionen konnte sie in ihr lesen wie in einem offenen Buch. „Glaub mit, du wirst das diesjährige Mittsommerfest lange in Erinnerung behalten. Es gibt in unserem Clan kein einziges Mädchen, das an diesem Tag verheiratet wurde. Es sollte dir eine Ehre sein, genau zur Sommersonnenwende heiraten zu dürfen.“ Helin redete mit Engelszungen auf ihre Tochter ein. Nach und nach wurde sie ruhiger, bis sie herzhaft gähnte. „Lass uns jetzt schlafen“, sagte Helin zu ihr und gab ihr noch einen Kuss. Sie wollte aufstehen, um zu Frode zurückzukehren.
„Kannst du nicht bei mir bleiben? Bitte!“
So drückte Helin ihre Tochter an sich und wartete, bis sie eingeschlafen war. Ein wenig melancholisch dachte sie daran, dass diese bereits in wenigen Stunden eine verheiratete Frau sein und den Herd ihrer Eltern verlassen würde. Es waren gerade mal siebzehn Jahre her, als sie an gleicher Stelle stand und genauso aufgeregt wie ihre Tochter einer Vermählung mit Frode entgegenblickte.
Kurz vor Sonnenuntergang lief Eldrid aufgeregt vor dem Langhaus ihres Vaters hin und her. Ihre Mutter und ihre Schwestern hatten sie zurecht gemacht, ihr langes Haar geflochten und bunte Sommerblüten zu einem Kranz geflochten, der nun auf ihrem Kopf thronte wie eine Krone. Sie hatte auch gebadet und ihren Körper mit dieser duftenden Salbe eingerieben, die ihre Mutter aus Kräutern und Honig herstellte. Eldrids Augen glänzten und vor Aufregung hüpfte ihr Herz beinahe aus ihrer Brust. Eigentlich sollte sie hineingehen und dort auf die Ankunft ihres Bräutigams warten, der sie bald abholen würde. Doch sie hielt es im Inneren des Langhauses nicht aus. Die stickige Luft nahm ihr den Atem.
„Komm jetzt herein“, sagte ihre Mutter zu ihr und wollte sie am Arm ins Haus ziehen. „Wenn Vater sieht, dass du nicht gehorchst, wird er böse werden. Du musst drinnen auf Ando warten, so sagt es der Brauch.“
Eldrid verdrehte genervt die Augen und warf einen letzten Blick zum Dorfplatz, der auch als Treffpunkt des Clans galt. Dort brannten bereits einige Feuer, auf denen Ochsen und anderes Getier an Spießen steckten. Der Duft von Gebratenem zog bis zu ihr und ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Doch dann folgte sie ihrer Mutter hinein.
„Lass dich ansehen“, sagte diese zu Eldrid und drehte sie hin und her. „Du bist eine wunderschöne Braut. Dein Vater wird stolz auf dich sein.“ Im Schein der Kerzen und des Herdfeuers sah Eldrid noch schöner aus.
„Wann darf ich endlich heiraten?“, fragte Ova, die ihrer ältesten Schwester das schöne Kleid neidete.
„Jetzt bist du noch zu jung dafür. Zwei Jahre werden bis zu deiner Hochzeit wohl noch vergehen müssen. Nach Eldrids Vermählung werden wir nach einem Bräutigam für dich suchen. Aber nun sei still und spring nicht herum“, wies Helin ihre Zweitälteste zurecht. „Geh zu deinen anderen Schwestern und passe auf sie auf. Ando und seine Männer werden gleich hier sein. Dann werden dein Vater und ich mit ihnen zum Dorfplatz gehen, wo die Trauung stattfinden wird.“
„Wir wollen aber auch mit“, jammerte Ova. Ihre jüngeren Schwestern taten es ihr gleich.
„Seid endlich still und wartet ab, bis ihr gerufen werdet“, schimpfte Helin und schickte die Mädchen weg.
Draußen wurde es laut. Die Männer, die Ando zu seiner Braut begleiteten, lachten und grölten. Nur Ando war ernst und in sich gekehrt. So kurz vor seiner Vermählung mit der schönen Eldrid war er nun doch aufgeregt. Er hatte das Mädchen schon einige Zeit lang nicht mehr gesehen und war gespannt, was ihn erwartete.
Eben trat Frode aus seinem Langhaus und reichte zur Begrüßung Trinkhörner mit Met herum. Andos Herz klopfte noch aufgeregter.
„Nun mach schon, deine Braut wartet garantiert bereits sehnsüchtig auf dich“, drängelten Andos Freunde, die es nicht erwarten konnten, Eldrid zu sehen. Auch sie waren gespannt auf sie.
„Was ist Euer Begehr“, fragte Frode, wie es Brauch war.
Ando trat zum ihm und neigte demütig sein Haupt. „Werter Frode. Ich freite um Eure älteste Tochter. Nun bin ich gekommen, um ihr mein Versprechen zu geben und sie heimzuführen. Seid ihr immer noch gewillt, mir die Hand Eurer Tochter zu geben?“
„Seid willkommen und tretet ein. Meine Älteste fühlt sich geehrt und nimmt den Antrag gerne an. Auch ich bin erfreut darüber. Ich gebe meine Zustimmung zu dieser Verbindung“, Frode gab die Tür frei und ließ den Gästen den Vortritt.
Eldrid schaute Ando und seinen Mannen neugierig entgegen. Ando trug eine neue Tunika mit bestickten Säumen. Sein dunkelblondes Haar hatte er zu seinem Zopf zusammengebunden und seinen Bart geflochten. Wie zwei kleine Hörner standen die Enden von seinem Kinn ab. Als er näher kam, senkte sie bescheiden den Kopf.
„Das ist also meine Braut“, dröhnte Ando laut, dass es alle hören konnten. „Seid Ihr gewillt, sie mir zur Frau zu geben?“, fragte er Frode noch einmal.
„So wie besprochen, Thor ist mein Zeuge. So Ihr sie wollt, sei sie Eure Braut“, erwiderte Frode, genauso laut. „Dann nehmt ihre Hand und führt sie heim.“
Ando trat zu Eldrid und griff nach ihrer Hand. „Eldrid“, flüsterte er.
Das Mädchen zitterte vor Aufregung. „Ando“, antwortete sie, ebenso leise.
„Bist du gewillt, mir in mein Heim zu folgen und als Gattin an meiner Seite zu stehen?“, wollte er wissen.
Eldrids Herz klopfte noch schneller. Noch konnte sie ihn abweisen. Aber als sie Ando ansah und den Glanz in seinen Augen bemerkte, wusste sie, er war der Richtige. Ein Kribbeln zog durch ihren Körper und ließ sie frösteln. „Gerne folge ich dir als mein Gemahl“, erwiderte sie und verbeugte sich vor ihm. Dabei konnte sie sich vor Aufregung kaum auf den Beinen halten. Ihre Knie fühlten sich an, als wären sie aus einer gallertartigen Masse und ihr Herz klopfte so laut, dass sie dachte, alle in ihrer Nähe würden es hören.
„Dann sei es so“, bestimmte Frode, der auf diese Antwort gewartet hatte. „Nehmt sie und geht Euren Weg.“
Ando zog ihre Hand an seine Lippen und küsste diese zärtlich. Dabei sah er in die ihre Augen, die ihm offen entgegenblickten. Dann führte er Eldrid aus dem Langhaus, wo bereits einige Hochzeitsgäste auf das Brautpaar warteten. An der Spitze des Hochzeitszuges geleitete er sie zum Dorfplatz.
In der Mitte des Platzes war inzwischen ein großes Feuer entfacht worden. Einige junge Männer und Frauen tanzten um das Feuer herum und sagen dazu alte Weisen. Auch die jüngeren Dorfbewohner und die Kinder waren gekommen, um bei dem Trubel dabei zu sein.
Ando und Eldrid standen am Rande und beobachteten das Treiben. Bald würde der Priester erscheinen und sie zur Zeremonie rufen. „Der Tag wird uns Glück bringen“, sagte Ando leise zu seiner Braut, in deren Augen sich der Feuerschein spiegelte.
Eldrid lächelte. „Eine Hochzeit zu Midsommer. Das hätte ich nie gedacht, dass mir so etwas passieren könnte.“ Sie schaute zu Ando auf, der ihr gegenüber wie ein Riese wirkte. Während Eldrid zierlich und klein war, war Ando ein mächtiger Hüne mit breiten Schultern und schmalen Hüften. Das Muskelspiel seiner Oberarme beeindruckte Eldrid. Am liebsten wäre sie mit den Fingerspitzen über die Haut gefahren, um die Härte der Muskeln, aber auch seine Haut zu ertasten.
„Kinder, da seid ihr ja. Wir sollten nun beginnen“, rief Jarl, der Priester, der mit wehendem Gewand auf die zugelaufen kam. „Alle warten auf euch, dass ihr euer Ehegelöbnis sprecht.“ Er sah die beiden an. „Oder wollt ihr nicht mehr getraut werden?“
„Wer spricht von nicht wollen. Natürlich wollen wir“, antwortete Ando lachend. Er griff erneut nach Eldrids Hand, sah sie an und lächelte. Eldrid lächelte schüchtern zurück. Ihre Gefühle schlugen Purzelbäume und sie wünschte sich, es wäre bereits vorbei.
Jarl lief dem Brautpaar voraus. Eine Art Altar war aufgebaut worden, vor dem sich alle versammelten. Die Brautleute knieten nieder, während sich die anderen hinter ihnen aufstellten, um dem Gelöbnis beizuwohnen und Zeuge zu sein.
Feierlich begann der Priester zu sprechen. Viel war es nicht, was er zu sagen hatte. Er hatte bereits erkannt, dass das Brautpaar wohl wusste, was in einer Ehe auf es zukam. Während er die segneten Worte sprach, sahen sich Ando und Eldrid in die Augen. Sie hielten sich an den Händen, um die Verbindung herzustellen. Jarl nahm ein aus Sommerblumen gewirktes Band und wickelte es um die Hände der Brautleute. Dies sollte die Verbindung zwischen Eheleuten darstellen. Dann sprachen Ando und Eldrid ihr feierliches Gelöbnis. Während Ando laut und deutlich sprach, kam die Stimme seiner Braut kratzig hervor. Ihr Mund schien wie ausgetrocknet vor Aufregung. Mit einiger Anstrengung schaffte sie es, die Worte zu sprechen.
„Der Zauber des Midsommers soll euch auf ewige Zeiten verbinden und euch Glück, Wohlstand und viele Nachkommen bescheren“, beendete Jarl die kleine Andacht. Hochrufe wurden laut, die verheirateten Männer klopfen Ando auf Schultern, dass er beinahe in die Knie ging und hießen ihn in ihrer Gesellschaft willkommen. Nun fassten sie ihn und warfen ihn in die Höhe. Ein nicht gerade leichtes Unterfangen bei seiner Statur. Johlend und singend machten sie sich ihren Spaß mit dem frisch vermählten jungen Mann.
Die Frauen versammelten sich währenddessen um Eldrid, schmückten sie mit noch mehr Blumenkränzen. Ihre Mutter band ihr einen zarten Schleier an ihren Haarkranz, der sie ab sofort als verheiratete Frau auszeichnete.
Nachdem Ando es geschafft hatte, aus den Fängen der älteren Kameraden zu entkommen, schubste er sie weg und bahnte sich einen Weg zu Eldrid. Lächelnd stand er vor ihr, dann nahm er ihr Gesicht zwischen seine großen Hände und küsste sie innig auf den Mund. Anfangs zuckte Eldrid zurück, doch als sich Andos Zunge in ihren Mund verirrte und mit der ihrigen spielte, seufzte sie leise vor Glück. Sie schmiegte sich eng an ihn, spürte seine starken Muskeln an ihrem Körper. Beinahe hätte sie vergessen, wo sie sich befanden.
„Gehen wir feiern“, grölten einige von Andos Freunden. Die sich Küssenden fuhren auseinander. Alle lachten darüber, als sie so rot wurden wie das Feuer, das mitten auf dem Platz brannte.
Die Dorfbewohner versammelten sich um das Feuer. Es wurden als Hexen verkleidete Strohpuppen herbeigeschleppt, die später noch verbrannt werden sollten. Das lodernde Feuer sollte böse Kräfte fernhalten und die Dorfbewohner in Schutz nehmen. Trinkhörner mit Met wurden herumgereicht. Noch mehr Leute kamen, die dem Brautpaar gratulierten und Geschenke brachten. Es wurde gelacht, getanzt und gesungen. An den Feuern, über denen die Ochsen gebraten wurden, drängten sich die Hungrigen. Es ging laut zu, bis einer der Gruppe um Aufmerksamkeit bat.
„Hört her, liebe Leute“, rief er laut. „Ich will euch berichten vom Brauch des Midsommers.“ Er nahm seine Laute und wartete, bis sich ihm alle zugewandt hatten. Dann begann er zu singen:
Vi elsker vor land,
når den signede jul
tænder stjernen i træet med glans i hvert øje.
Når om våren hver fugl,
over mark, under strand,
lader stemmen til hilsende triller sig bøje:
Vi synger din lov over vej, over gade,
vi kranser dit navn, når vor høst er i lade,
men den skønneste krans,
bli'r dog din Sankte Hans!
Den er bunden af sommerens hjerter,
så varme så glade.
Vi elsker vort land,
men ved midsommer mest,
når hver sky over marken velsignelsen sender,
når af blomster er flest,
og når kvæget i spand
giver rigeligst gave til flittige hænder;
når ikke vi pløjer og harver og tromler,
når koen sin middag i kløveren gumler,
da går ungdom til dans
på dit bud Sankte Hans
ret som føllet og lammet, der frit
over engen sig tumler.
Vi elsker vort land,
og med sværdet i hånd
skal hver udenvælts fjende beredte os kende,
men mod ufredens ånd
under mark over strand,
vil vi bålet på fædrenes gravhøje tænde
hver by har sin heks,
og hver sogn sine trolde.
Dem vil vi fra livet med glædesblus holde
vi vil fred her til lands
Sankte Hans, Sankte Hans!
Den kan vindes, hvor hjerterne
aldrig bli'r tvivlende kolde.
(Info dazu am Ende)
Die Hochzeitsrunde klatschte und sang mit. Sie kannten alle diese Sage, von denen Hildor berichtete. Jeder betete dafür, die Verbrennung der Strohpuppen bringt ihnen Glück und hielt Böses von ihnen fern.
Ando und Eldrid beteiligten sich bis spät in die Nacht an den Feierlichkeiten. Die junge Ehefrau konnte gar nicht genug bekommen von Gesang und Tanz. Ando beobachtete sie dabei, wie sie mit seinen Freunden tanzte, oder mit ihrem und auch mit seinem Vater. Aber auch er führte sie nicht nur einmal durch den Reigen. Lächelnd sahen sie sich an und hatten ihre Freude am Tanz. Ando war stolz darauf, sie nun an seiner Seite zu wissen, obwohl er wie sie auch, anfangs nicht begeistert war, die Verbindung eingehen zu müssen. Eldrid war ein schönes Mädchen, das ihm sehr gefiel. So hatte er sie gar nicht in Erinnerung. Die wenigen Male, die er sie bisher gesehen hatte, war sie ihm kaum aufgefallen. Er schüttelte den Kopf, wie konnte er nur solch eine Schönheit übersehen?
Eldrid tanzte wie eine Fee. Ihr Haar hatte sich gelöst und der hauchdünne Schleier, den sie nun auf ihrem Haupt trug, hing nur noch an einer Spange und flatterte über ihrem Kopf wie ein Heiligenschein. Das Gesicht der Braut war gerötet, sie glühte vor Freude und tobte sich aus. Ihr schmaler Körper, der sehr frauliche Rundungen ausgebildet hatte, erregte Ando. Ihr Oberteil lag eng an und hob ihre Brüste hervor. Er hielt es beinahe nicht mehr aus, sie gänzlich zu besitzen.
Eldrids frisch angetrauter Ehemann sprang auf. Er lief zu ihr und hielt sie an den Hüften fest. Heftig atmend zog er sie an sich. Kein Millimeter war mehr Platz zwischen ihnen. Seine Augen funkelten sie an.
Eldrid hob den Kopf und sah ihn an. Sie spürte seine Erregung, die pochend zwischen ihnen eingeklemmt war.
„Ich muss dich haben“, sagte Ando leise aufstöhnend, als sie aufreizend ihre Hüften an ihn presste.
„Ich weiß“, erwiderte Eldrid und grinste verschmitzt. Sie wusste, was nun geschehen würde und freute sich darauf.
„Dann komm“, flüsterte Ando. „Wir haben meines Vaters Langhaus heute für uns ganz allein.“ Er drehte sich um und lief voran. Eldrid ging ihm nach. Sie musste große Schritte machen, um ihm folgen zu können. Hinter sich hörte sie noch, wie die Freunde ihres Gatten zotige Witze machten. Doch das alles interessierte sie nicht. Für sie gab es ab sofort nur noch Ando… und die Nacht der Sommersonnenwende, die für Ando und sie als etwas ganz Besonderes in Erinnerung bleiben sollte.
© Brida Baardwijk / 07.06.2019
Erklärungen
Die Dänen und Norweger feiern am 23. Juni, einen Tag vor Johannis, das Sankt-Hans-Fest. Dabei werden als Hexe verkleidete Strohpuppen verbrannt. Das Feuer soll böse Kräfte fernhalten. Ein Brauch ist es dabei, das Lied, dessen Text ich in meiner Geschichte verwendet habe, an den Lagerfeuern zu singen. Holger Drachmann hat den Text 1885 geschrieben, die Melodie dazu stammt von P.E. Lange-Müller, ebenfalls aus 1885. Ganz zu der Zeit, in dem meine Geschichte angesiedelt ist, passt das Lied zwar nicht, ich fand es aber so schön, dass ich es Euch nicht vorenthalten konnte.