Der eitle Ritter Sewolt war verzweifelt, sehr verzweifelt sogar. Immer wieder bemühte er sich um die schöne Mathilde, die Burgherrin und Gattin seines Lehnsherrn. Eigentlich war sie als verheiratete Frau tabu, doch Sewolt konnte ihren Reizen und ihrer Liebe nicht widerstehen. Er musste sie haben.
Eigentlich war Sewolt kein Mann, der sich lange auf eine Frau einließ. Zu schnell kam ihm Langeweile auf. Doch bei der schönen Mathilde war alles anders. Sie berührte sein Herz und seine Seele.
Sehr zu seinem Erstaunen, erhörte sie ihn ein paar Mal, gestand ihm sogar ihre Liebe. Erst besuchte sie ihn in seinem Gemach. Doch ein Keuschheitsgürtel ließ das Unterfangen der beiden Heimlichtuer im Winde verwehen. Bevor er zum Zuge kommen konnte, musste er die Burgherrin von diesem Quälgeist befreien, den ihr ihr Gatte anlegte, wenn er nicht auf der Burg weilen konnte. So ein grausames Scheusal!
Dass der Gemahl außerhalb war, kam recht häufig vor. Ritter Siegfried legte keinen Wert auf die Gegenwart seiner Ehefrau und vergnügte sich lieber in anderen Betten als im Ehelichen, anstatt mit seiner Angetrauten einen Erben zu zeugen. Die arme Mathilde litt sehr unter den Bösartigkeiten ihres Ritters. Es dauerte einige Zeit, bis es Sewolt endlich gelang, sie von diesem eisernen Monstrum zu befreien. Gut, er hatte eher wenig Anteil daran, denn den Schlüssel dazu fand Mathilde darselbst unter der Kleidertruhe ihres Gatten in dessen Gemach. Ihr Galan bediente nur den Schlüssel, der das Schloss freigab.
Sie schlich ihm nach in den Wald, als er Bogenschießen üben wollte, um beim nächsten Turnier nicht wieder zum Gespött seiner Kameraden zu werden. Dass er damit einen zweibeinigen Hasen schoss anstatt einen vierbeinigen und somit zum Abendessen mit Hirsebrei und Speck vorliebnehmen musste, störte den Ritter gar wenig.
Er kraxelte mithilfe einer langen Leiter mitten in der Nacht im Mondenschein in Mathildes Gemach, machte sich beim Klettern zum Affen und schwitzte daraufhin wie ein Schwein. Wahrscheinlich stank er auch wie ebendieses vor Schweiß. Dem eitlen Geck Sewolt war dies nicht gerade angenehm, doch Mathilde schien das unangenehme Odeur nicht zu stören. Sie stürzte sich auf ihn wie eine Ertrinkende und ließ sich von ihm verwöhnen.
Er war sogar bereit, seine Geliebte mit dem Hofmarschall, den er hasste wie die Pest, zu teilen. Der Marschall hatte ebenfalls ein Auge auf die Burgherrin geworfen und Mathilde konnte sich nicht entscheiden, wen von den beiden Herren sie lieber hatte. Um einer Entscheidung aus dem Weg zu gehen, nahm sie mit beiden vorlieb. Sehr ungewöhnlich, aber doch manchmal sehr unterhaltsam. Zu seinem Glück fiel der Hofmarschall beim Burgherrn in Ungnade und landete kurzerhand im Kerker, wo er immer noch schmachtete und auf baldige Entlassung hoffte.
Und nun das! Ritter Sewolt verstand die Welt nicht mehr. Hatte er der schönen Burgherrin nicht nur einmal seine Liebe beteuert und ihr dies sogar bewiesen? Waren ihr seine Liebesbezeugungen nicht genug? Waren die Geschenke, die er ihr heimlich zusteckte, nicht fein genug? Oder war er sein Geblüt nicht edel genug für solch eine hohe Dame wie Mathilde? Hatte er womöglich etwas getan, was ihr nicht wohlgefiel? Warum nur ging sie ihm aus dem Weg? Warum nur beantwortete sie seine vielen Fragen nicht?
Unruhig lief Sewolt in seinem Gemach auf und ab. Seine Stiefelabsätze klackten auf dem harten Gestein. Er überlegte, was zu tun sei, um Mathilde wieder für sich zu gewinnen. So konnte das keinesfalls weitergehen! Er verging vor Sehnsucht nach der Frau und die zeigte ihm einfach die kalte Schulter, als gäbe es ihn gar nicht, als wäre er Luft für sie. Auch plagte ihn die Eifersucht. Was, wenn sie sich einem anderen zugewandt hatte und diesem ihre Zuneigung schenkte? Stirnrunzelnd blieb er stehen.
„Ich muss sie sprechen! Jetzt gleich! Sofort werde ich mich auf den Weg zu meiner geliebten Dame machen“, sagte der eitle Ritter zu sich selbst. „Balduin, mein Schwert“, rief er seinem Knappen zu, der in einer Ecke auf einem Hocker saß und Sewolts Kettenhemd ölte. Der Junge sprang sofort auf und griff nach dem schweren Kampfgerät, das er seinem Ritter reichte. Wohlwollend schaute Sewolt auf das glänzende Metall und steckte es in die Scheide an seinem Gürtel.
„Weitermachen“, grummelte Sewolt und wedelte mit der Hand, als würde eine lästige Fliege verscheuchen wollen. Sofort verzog sich der Knappe wieder in seine Ecke und nahm erneut das Kettenhemd zur Hand. „Ich bin bald zurück“, beschied Sewolt dem Jungen. Dann verließ er sein Gemach.
Mit ausladenden Schritten durchmaß Ritter Sewolt die langen Flure, stieg Treppen hoch, wieder hinunter, lief enge Durchgänge entlang, wich Mägden und Knechten aus, die mit eiliger Hast ihrem Tagwerk nachgingen.
Der Weg zu Mathildes Gemach war weit. Kein Wunder bei der Größe der Burg. Außerdem lagen die Gemächer der Ritter weit entfernt von denen der Burgherrin und des Burgherrn. „Vorsicht ist immer angebracht“, ließ Ritter Siegfried oft lauthals mit einem süffisanten Grinsen verkünden. Er wolle seine zurückbleibenden Ritter nicht dazu verleiten, das Bett seiner Gemahlin zu besuchen, wenn er selbst dies nicht konnte. Dass er sich lieber in fremdem Betten wälzte, verschwieg er dabei gerne. Doch alle wussten es. Außerdem wolle er nicht von seinen Rittern belauscht werden, wenn er doch einmal seinen ehelichen Pflichten nachging.
Je näher Sewolt dem Gemach der Burgherrin kam, desto unwohler wurde es ihm. Zweifel kamen auf. War es auch richtig, die edle Dame so einfach zu überfallen und zur Rede zu stellen? Was mochte sie zu diesem Fauxpas sagen? Die Zofen würden sich die Mäuler zerreißen und schon bald wäre er dem Gespött der Burgbewohner ausgesetzt. Vielleicht käme sein Gebaren dem Lehnsherrn zu Ohren und er, oder auch die geliebte Mathilde, würde in Schimpf und Schande davongejagt werden. Oder sogar noch sehr viel Schlimmeres. Er dachte an den im Kerker schmachtenden Hofmarschall. Dort wollte er keinesfalls landen.
Abrupt blieb Sewolt stehen. Unwillig schüttelte er den Kopf. „Nein!“, sagte er so laut, dass der Knecht, der gerade Holz in eines der Gemächer der Damen bringen wollte, stehenblieb und ihn fragend ansah.
„Habt Ihr einen Wunsch, Herr?“, wollte er von Sewolt wissen.
„Nein, nein. Beachte mich einfach nicht“, erwiderte der Ritter daraufhin. „Ich habe nur mit mir selbst gesprochen.“
„Wie Ihr wünscht“, entgegnete der Knecht und setzte seinen Weg fort.
„Es ist unmöglich, die Burgherrin vor aller Augen mit meinem Anliegen zu behelligen“, sagte Sewolt leise. „Was bin ich nur für ein Narr zu denken, sie ließe mich einfach ihr Gemach betreten, wenn der Herr Gemahl nicht anwesend ist.“ Sewolt schüttelte über seine Dummheit den Kopf. Eine andere Idee musste her. „Ich könnte ihr eine Nachricht überbringen lassen, ohne Absender, damit sie keinen Verdacht schöpft“, kam ihn in den Sinn. „Ja, genau, das ist es!“
Schnellen Schrittes machte er sich auf den Rückweg in sein eigenes Gemach, wo sein Knappe inzwischen seinen Brustpanzer auf Hochglanz brachte.
„Bring mir Schreibzeug, sofort“, befahl Ritter Sewolt barsch, dass sich der Junge lieber schnellstens auf den Weg zum Burgschreiber machte, um das Gewünschte zu besorgen. Währenddessen überlegte Sewolt, mit welchen wohlgewählten Worten er die schöne Mathilde dazu bringen könnte, sich mit ihm zu treffen.
„Herrin, ich habe eine Botschaft für Euch“, sagte Sewolts Knappe Balduin zur Burgherrin, nachdem diese ihm erlaubt hatte, ihr Gemach zu betreten.
„Von wem ist das Schreiben?“, fragte Mathilde neugierig, die nur sehr selten Nachrichten zugestellt bekam.
„Ein Bote in fremder Kluft kam vorhin angeritten und fragte nach Euch. Er sagte aber nicht, von wem die Nachricht ist“, log der Knappe auf Sewolts Geheiß. Keinesfalls sollte er verlautbaren, dass sein Herr, Ritter Sewolt, der Absender des Pamphlets war.
„Dann gib her. Ich lese es gleich“, erwiderte Mathilde und griff nach der kleinen Schriftrolle. „Erwartet der Bote eine Antwort?“, fragte sie noch, woraufhin der Knappe nur den Kopf schüttelte. Damit war der Junge entlassen. Erleichtert, weiteren Fragen entkommen zu sein, suchte er flugs das Weite.
Neugierig entrollte Mathilde die Rolle. Schön geschwungene Buchstaben zierten sie, Wort an Wort reihte sich in wunderschöner Schrift aneinander. Je weiter sie las, desto größer wurden ihre Augen.
„Liebste Mathilde, schönste Rose des Landes“, las sie. Die gezierte Anrede ließ sie erröten. Von ihrem Gemahl konnte die Botschaft keinesfalls sein. Er nutzte solche Worte nie.
Mathildes Blick glitt über die nächsten Zeilen:
„Schon lange verzehre ich mich nach Euch, Ihr, die mich jeden Tag meines Lebens mit ihrem Anblick in wohlgefälliges Entzücken versetzt. Eure Schönheit übertrifft die der Sonne, des Mondes, ja sogar des ganzen Universums. Wie sehr wünsche ich mir ein Treffen mit Euch, um Euch von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen zu können. Heimlich natürlich, denn anders wird es nicht gehen. Zu viel Angst plagt mich vor Eurem Gemahl, der Euch zu oft allein und darben lässt. Nein, liebste Mathilde, ich möchte Euch keinesfalls entehren, Ihr, die Ihr frömmer seid als jede Nonne im Kloster und ehrbarer als jede Gattin aller anderen Ritter Eures Gemahls. Ich möchte Euch nur persönlich von meinem Entzücken, meiner Hingabe und Liebe Euch gegenüber überzeugen. Bitte erhört mich und trefft mich heute Abend, kurz nach Sonnenuntergang im Rosengarten. Habt keine Angst, Euch wird nichts Unehrenhaftes geschehen. Das schwöre ich bei Gott, dem Allmächtigen.
Mit unterwürfiger Verehrung und Verbeugung.
Ein heimlicher Verehrer Eurer Schönheit.“
„Was mag das nur für ein Verehrer sein?“, sinnierte Mathilde. Ihr fiel partout niemand unter den Rittern ein, der ihr so liebend zugetan sein könnte. Sie zählte alle Ritter ihres Gatten auf, die ihr einfielen. Nur an Sewolt, den eitlen, sie ständig umschwänzelnden Geck, dachte sie nicht. Sie hatte ihn mehrmals abgewiesen, obwohl sie ihm bereits einige Male beigelegen hatte. Es durfte einfach nicht mehr sein, es zwar zu gefährlich, sich mit einem Lehnsmann ihres Gemahls einzulassen. So wie es schien, goutierte ihn ihre Abwehr nicht sehr. Er hatte sie wohl vergessen, so wie so viele Damen vor ihr.
„Anna, ich gehe heute Abend noch ein wenig spazieren: Lege mir ein einfaches Kleid bereit“, beschied sie ihrer Zofe. Anna knickste artig und tat wie ihr geheißen. „Ich gehe allein“, setzte sie noch hintenan, ehe die Zofe aufgrund einer Begleitung nachfragen konnte.
Je später es wurde, desto aufgeregter wurde Sewolt. Auch Mathilde lief unruhig in ihrem Gemach umher. Noch immer wusste sie nicht, wer ihr unbekannter Verehrer war. Sie ließ Sewolts Knappen noch einmal rufen, damit der Auskunft über den Boten gab. Doch viel kam dem Burschen nicht über die Lippen, sodass die Burgherrin nach wie vor im Dunkeln tappte.
Als die Sonne unterging, machte sich Sewolt, herausgeputzt wie immer, auf den Weg zum Rosengarten. Er wollte unbedingt vor der holden Dame da sein. Zu seinem Glück war von der Frau noch nichts zu sehen, sodass er genug Zeit hatte, sich ein geeignetes Versteck zu suchen. Kaum hatte er Stellung genommen, kam Mathilde bereits durch die kleine Pforte in der Mauer.
Suchend sah sie sich um. Aber niemand war zu sehen. Daher lief sie auf und ab, zupfte mal hier, mal da ein Rosenblättchen ab, zerrieb es zwischen ihren Fingern und schnupperte daran.
Sewolt in seinem Versteck rutschte vor Aufregung das Herz in die Hose. Am liebsten wäre er losgestürmt, hätte die geliebte Frau geherzt und geküsst. Doch riss er sich zusammen, wollte er Mathilde nicht verschrecken oder sogar verjagen. Er musste vorsichtig vorgehen.
Die Burgherrin wurde unruhig. Wurde sie womöglich in die Irre geführt oder machte sich jemand einen Scherz mit ihr? Als sie sich auf dem Weg umdrehte und zurück zum Tor ging, gab sich Sewolt zu erkennen. „Mathilde, geliebte Herrin“, rief er leise als er aus seinem Versteck trat.
Mathilde fuhr herum und riss die Augen auf. „Sewolt! Ihr?“ Sie schluckte hart. Den eitlen Ritter hatte sie nicht erwartet. Doch nun stand er in voller Pracht, fein gekleidet und mit strahlenden Augen vor ihr.
Er verbeugte sich tief vor der Gemahlin seines Lehnsherrn. „Ihr habt also meine Botschaft erhalten“, sagte er freudig erregt, während er sich erhob. Er blickte Mathilde in die Augen. Die errötete wie eine Jungfrau.
„Ja, natürlich erhielt ich sie. Euer Knappe überbrachte sie mir. Doch er war sehr verschwiegen.“
Sewolt lächelte verschmitzt. „Das sollte er auch. Sonst hätte er die Knute zu spüren bekommen.“
„Euer Anliegen ist sehr heikel“, sprach Mathilde einfach weiter, ohne auf die Gefühle des Ritters zu achten. „Doch muss ich Euch sagen, es geziemt sich nicht, mir solch Avancen zu machen.“ Sie blickte Sewolt hart an, als würde sie damit eine eiserne Schale durchbrechen wollen.
„Alles, was ich schrieb, ist nicht gelogen, geliebte Mathilde“, unterbrach Sewolt die Frau. „Ihr seid die Frau meines Herzens. Erhört mich bitte.“ Er trat einen Schritt auf sie zu und griff nach ihrer Hand. Als er sie an sich ziehen wollte, wehrte sie ihn ab.
„Sewolt! Geht in Euch!“, mahnte sie den Ritter. „Ich bin eine verheiratete Frau!“
„Ja, aber…“, Sewolt schluckte. „Ich liebe Euch wie kein anderer. Denkt doch an die schönen Stunden, die wir gemeinsam verbrachten.“
„Das war ein Fehler“, behauptete Mathilde. „Das Glück war uns hold, dass mein Gemahl nichts davon bemerkte und ich nicht von Euch schwanger wurde.“
„Aber…“
„Nein! Schweigt! Kein Wort mehr! Es darf nicht sein“, wehrte Mathilde ab.
„Geliebte Mathilde“, Sewolt kniete sich hin und streckte seine Hände bettelnd in die Höhe. „Was ist nur mit Euch? Liebt Ihr mich nicht mehr?“
„Versteht doch! Es geht nicht! Es ist zu gefährlich“, Mathilde weinte fast. Sie wusste sich nicht mehr zu helfen. Sie musste dem Ritter weh tun, so sehr es ihr auch leidtat. „Außerdem, es war für mich nur ein Spaß, ein Spiel für mich, aus Langeweile“, sagte sie kalt wie Eis. „Ich habe Euch nie geliebt.“ Sprach es und ging einfach davon.
Zurück blieb ein gebrochener Ritter Sewolt, der der schönen Mathilde, der Burgherrin, sehnsüchtig hinterherblickte. Als sie das Mauertürchen hinter sich schloss, sackte der Ritter in sich zusammen. Ein Schluchzen entrang sich seiner Kehle, ehe er einen gellenden Schrei ausstieß und sich schwor, sich nie wieder zu verlieben.
© Brida Baardwijk/ 15.10.2022