In dem kleinen Dorf nahe der nordafrikanischen Mittelmeerküste war es still. Die Sonne war bereits untergegangen und die Menschen in der kleinen Siedlung waren es gewohnt, dass nach einer kurzen Dämmerung schnell die Schwärze der Nacht folgte. Gerade in der Neumondphase dauerte die Nacht scheinbar länger als normal.
Die Bewohner des Dorfes hatten sich in die Sicherheit ihrer Hütten zurückgezogen. Nach dem langen Tag mit harter Arbeit sehnten sie sich nach Ruhe und Erholung. Nur in wenigen Hütten konnte man den Schimmer der Kerzen sehen. Dort saßen meist die jungen Männer der Siedlung zusammen, tranken oder schmiedeten Pläne für die Zukunft. Doch je mehr die Nacht voranschritt, desto ruhiger wurde es. Schon bald lag das Dorf in völliger Stille.
Die kleine Ortschaft, lediglich eine Ansammlung von einem Dutzend Hütten, lag abgeschieden von den großen Handelsstraßen, die nach allen Himmelrichtungen führten. Die Karawanen, mit denen wertvolle Güter von einem zum anderen Ort transportiert wurden, verirrten sich nur ganz selten in diese Einöde. So lebten die Menschen dort abgeschieden und waren zufrieden mit dem, was ihre kargen Felder hergaben. Sie hatten sich die nahe Oase zunutze gemacht. Das Wasser, das dort aus einer scheinbar unendlichen Quelle sprudelte, labte die wenigen Pflanzen, die sie auf ihren Äckern anbauen konnten.
Die Dorfbewohner wollten sich die Oase bereits vor langer Zeit zu eigen machen und erbauten dort Hütten für Reisende, die für die Nacht eine Bleibe suchten. Doch leider zog die Abgeschiedenheit nur Vagabunden und Wegelagerer an, die dem Betreiber und den Schlafgästen das Leben schwer machten. Trotz bis an die Zähne bewaffneter Wachen gab es immer wieder Überfälle und Gemetzel unter den Bewohnern der Oase. So blieb den Dörflern nichts anderes übrig, als sich aus der Wüsteninsel zurückzuziehen und sie der Natur zu überlassen. Hilfe aus anderen Dörfern konnten sie aufgrund der Abgeschiedenheit nicht erhoffen.
Obwohl sich das Dorf so weit abseits der Karawanenstraßen befand, hatte Emir Nuredin von der Schönheit der Frauen in dem kleinen, unscheinbaren Dorf am Rande der Wüste erfahren. Vor allem den Jungfrauen wurde ein überwältigender Liebreiz nachgesagt. Aufgrund der Hitze, die die meiste Zeit in der Wüste herrschte, waren die jungen Frauen nur knapp bekleidet. Oft trugen sie nur fast durchsichtige Tücher um ihren Körper drapiert, die sie vor der alles verbrennenden Sonne schützte. Sie waren es gewohnt, der sengenden Sonne ausgesetzt zu sein, sodass sie nicht viel Schutz davor benötigten. Der eigentliche Grund der anziehenden Kleidung war es, potenzielle Ehemänner anzulocken. Erst, wenn sie verheiratet waren, trugen die Frauen züchtige, ihren ganzen Körper und das Haar bedeckende Kleidung, um ihre Reize vor fremden Blicken zu verbergen.
Emir Nuredin schickte immer wieder seine Männer aus, um Jungfrauen aus diesem Dorf für seinen Harem zu erwerben. Doch die Väter der Mädchen waren nicht gewillt, auch nur eins dem Emir zu überlassen. Die kleine Dorfgemeinschaft war ein stolzes Volk, das sich nicht beherrschen, geschweige denn unterdrücken ließ. Ihre Frauen heirateten nur ganz selten Männer, die nicht zu ihrer Sippe gehörten. Auch als der Emir ihnen unzählige Goldmünzen für die Jungfrauen anbot, wiesen sie ihn ab.
„Was sind das nur für Menschen, die sich auch durch Gold nicht locken lassen? Sie leben in bitterer Armut, aber Geld weisen sie ab, obwohl sie sich dafür alles leisten könnten“, knurrte der Emir seinen Wesir Khaled an, der gerade von einer weiteren Expedition in die Einöde zurückgekehrt war. Zum wiederholten Male war die Exkursion gescheitert und der Wesir war mit leeren Händen zu seinem Herrn zurückgekehrt.
„Ich verstehe es auch nicht“, erwiderte Khaled missmutig, der auf Knien und mit gebeugtem Haupt vor dem Thron des Emirs Platz genommen hatte. „Kein Gold, ja nicht einmal die wertvollsten Diamanten konnten die Väter umstimmen. Dabei sollten sie sich geehrt fühlen, die Mädchen der Familie in Eurem Harem dienen zu lassen.“
Nuredin knurrte daraufhin nur grimmig und schritt weiterhin ruhelos durch den Raum. „Mir kam zu Ohren, die Jungfrauen sollen von immenser Schönheit sein“, sagte er, nachdem er den Raum noch mehrmals durchquert hatte.
„Oh, Herr. Der Liebreiz der Jungfrauen ist wahrlich unbegreiflich. Obwohl sie durch die Sonne braungebrannt sein sollten, ist ihre Haut weiß wie Alabaster und so zart wie das Fleisch eines gegarten Lammes. Sie haben schwarzes Haar, glänzend und lang fließt es über ihren Rücken hinab bis zu den wohlgeformten Backen ihres Hinterns. Auch das Haar zwischen ihren Schenkeln ist so schwarz wie die dunkelste Nacht bei Neumond und scheint den Himmel auf Erden zu verbergen. Während sie gehen, kann man es unter ihren kurzen Lendenschurzen hervorblitzen sehen. Die Jungfrauen sind fast gänzlich nackt. Ihre Oberkörper sind nur durch dünne, fast durchsichtige Schleier bedeckt, die einladenden Wölbungen ihrer Brüste verbergen, deren Spitzen keck darunter hervorblitzen. Doch sie sind keineswegs wie Huren. Sie sparen sich für den Mann auf, dem sie versprochen werden. Mir ist keine bekannt, die nicht unberührt in die Ehe gegangen ist.“
„Schweig still, Wesir!“, fuhr der Emir den Mann aufgebracht an, der die Vorzüge der Frauen weiterhin preisen wollte. Dessen Bericht hatte ihn aufgewühlt und sein Verlangen entfacht. Heiß floss sein Blut durch seine Adern und sammelte sich in seinem Gemächt. Seine Gedanken kreisten nur noch um die jungen Frauen, die seinen Harem sehr bereichern würden. Alle Emire des Landes würden ihn darum beneiden. „Besorge mir ein paar von den Jungfrauen”, er winkte ab, „ach nein, warum sich nur mit ein paar zufrieden geben! Bringe am besten alle, derer du habhaft werden kannst. Egal wie. Ich muss sie unbedingt besitzen. Ich sehne mich danach, mit ihnen mein Lager zu teilen.“
„Aber Herr. Es ist zwecklos. Freiwillig werden sie uns kein einziges der Mädchen aushändigen“, warf der Wesir ein.
„Dann holt sie mit Gewalt“, schnitt ihm Emir Nuredin das Wort ab. „Ich gebe dir und deinen Männern vier Wochen. Bringt ihr mir keine von den Jungfrauen aus diesem Dorf, seid ihr alle des Todes und deine Frauen und Kinder werden mir bis zum Ende ihrer Tage als Sklaven dienen!“ Der Emir grinste fies, als er das wachsbleiche Gesicht seines Untertanen erblickte. „Und nun geschwind, entferne dich. Ich will dich erst wieder sehen, wenn du meinen Wunsch erfüllt hast“, befahl er ihm kaltschnäuzig.
„Ich werde alles tun, um Euer Begehren zu stillen“, katzbuckelte der Wesir und begab sich rückwärtsgehend aus dem Zimmer des Emirs.
„Das will ich auch hoffen“, hörte er gerade noch die Stimme seines Herrn, bevor die Tür von einem Wachmann geschlossen wurde. „Was grinst du so dämlich?“, fauchte Khaled den Wachmann an, der das Gespräch zwischen Emir und Wesir belauscht hatte.
„Nichts, Herr“, stotterte der Mann erschrocken und nahm Haltung an.
„Dann tu gefälligst deine Arbeit mit Bedacht und lausche nicht nach Dingen, die nicht für deine Ohren bestimmt sind. Es sei denn, du benötigst sie nicht mehr. Du weißt, was der Emir mit Lauschern tut.“ Er machte eine Bewegung, die man als Ohrenabschneiden deuten konnte, drehte er sich um und entfernte sich mit raschen Schritten zu seinen Gemächern. Er musste nachdenken, wie der dem Wunsch seines Herrn erfüllen konnte.
In den Gemächern angekommen, scharten sich sofort Khaleds Frauen und Töchter um ihn, um ihm jeden noch so kleinen Wunsch von den Lippen ablesen zu können. Seine Hauptfrau führte ihn zu der mit bequemen Kissen ausgelegten Sitzecke. Die anderen verteilten sich auf den Kissen um ihn herum. Kaum Platz genommen, zog Hauptfrau Nazire ihrem Gatten die weichen Ziegenlederpantoffeln aus. Nur ihr stand es zu, ihrem Gemahl als erste zu bedienen. Eine fast nackte Dienerin mit einer Schüssel warmen, nach teuren Ölen duftenden Wasser und flauschigen Tüchern kam herbei. Seine Hauptfrau wusch und massierte seine Füße und brachte ihm somit ein wenig Entspannung.
„Mein Gemahl, ist es Euch nun besser?“, wagte Nazire nach einer Weile zu fragen.
„Sehr viel besser“, seufzte Khaled und lehnte sich entspannt in die Kissen zurück. Er schnippte mit den Fingern und verlangte etwas gegen seinen Durst. Sofort kam ein Mädchen mit einer Karaffe kühlen Quellwasser und einer mit dem Saft von Orangen. Genüsslich schlürfte der Wesir das labende Getränk. Eine seiner Töchter fütterte ihn mit süßen Feigen und Datteln.
„Du weißt gar nicht, was unser Herr Unmögliches von mir verlangt“, sprach der Wesir seine Hauptfrau an, nachdem er die anderen Frauen und seine Töchter nach draußen geschickt hatte. Er mochte es nicht, zu viele Zuhörer zu haben, wenn er sich mit Nazire beriet. Sie war ihm seit langem eine kluge Beraterin geworden, die er nicht mehr missen mochte.
„Ich nehme an, es hat etwas mit Eurer letzten Expedition in dieses Wüstendorf zu tun“, erwiderte Nazire. „Ich hörte bereits von den störrischen, sich dem Befehl des Emirs wiedersetzenden Bewohnern.“
„Du bist eine sehr schlaue Frau“, knurrte Khaled. „Aber deine Vermutung ist richtig.“ Er kratzte sich am Bart. „Es ist unmöglich, dem Emir diesen Wunsch zu erfüllen. Niemals geben sie ein paar Jungfrauen für den Harem des Herrschers heraus.“
Nazire nickte nur. Etwas anderes hatte sie nicht erwartet.
„Sie werden die Mädchen gegen kein Geld der Welt freiwillig herausgeben. Gelingt es mir nicht, wenigstens ein paar von ihnen dem Emir zuzuführen, wirst du bald Witwe sein.“ Dann berichtete er ihr, was mit den Frauen und Kindern nach seinem Tod geschehen sollte.
Nazire schaute erschrocken auf. „Oh nein!“, keuchte sie empört und unterdrückte einen Schrei. Dass es so schlimm kommen sollte, wenn die Mission nicht dem Wunsch gerecht ausgehen würde, hatte sie nicht geahnt. Wollten sie nicht als Sklaven enden, musste der Auftrag ihres Gemahls unbedingt ein Erfolg werden.
„Diese Blöße werde und will ich mir vor unserem Herrn nicht antun. Seit Jahren diene ich unserem Emir getreu und mit all meiner Kraft. Ihn nochmals zu enttäuschen, kommt nicht in Frage. Komme was wolle, wenigstens ein paar von diesen Jungfrauen müssen gefangen genommen und dem Emir zugeführt werden, egal wie.“ Der Wesir streckte kämpferisch das Kinn nach vorn, seine Augen blitzten wagemutig. Doch wie er dies anstellen sollte, wusste er nicht.
„Dann musst du die Mädchen halt mit Gewalt herbringen“, sagte Nazire. „Du hast genug Truppen, auf die du zugreifen kannst, um die Dorfbewohner mit einem nächtlichen Überfall zu überraschen und die Mädchen zu rauben. Notfalls lasse ein paar von den Bewohnern hinrichten, um die anderen gefügig zu machen. Dann werden sie dir schon das Gewünschte herausgeben. Bedenke, ein wenig Druck kann bei diesen störrischen Leuten bestimmt nicht schaden. Ihnen muss gezeigt werden, wem sie zu gehorchen haben.“ Sie überlegte kurz und sagte dann: „Am besten lasse gleich das ganze Dorf ausrotten. Die Leute, die sich gefügig geben, verkaufe auf dem Sklavenmarkt. Wie du weißt, sind Kinder und junge Menschen dort immer sehr gefragt, auch junge Frauen, die gerade erst geboren haben. Ammen werden in reichen Familien oft gesucht.“
Der Wesir schaute seine Hauptfrau an. „Geliebtes Weib! Du bist Gold wert. Erinnere mich, dich mit reichlich Gold und Geschmeide zu belohnen, wenn ich von dieser Mission zurück bin. Ich werde dich so reich belohnen, dass du deinen Schmuck wie dein Unterhemd wechseln kannst. Bete dafür, dass der Plan aufgeht und wir keine Niederlage erleiden.“ Er winkte nach dem Diener, der in genügend Entfernung an der Tür stand. „Lass nach einer Wache schicken“, rief er diesem zu. Sofort wurde sein Befehl ausgeführt und ein hochgewachsener, grimmig ausschauender Mann mit einem mächtig struppigen Bart trat ein.
„Herr, Ihr habt nach mir rufen lassen?“, grüßte der Kerl unterwürfig und verbeugte sich so weit, dass sein riesiger Turban beinahe den blank polierten Marmorboden berührte.
„Rufe meine Offiziere zu einer Unterredung zusammen“, befahl der Wesir dem Wachmann.
„Sehr wohl, Herr“, erwiderte der Mann und entfernte sich.
„Richte ihnen aus, es wäre sehr dringend und sie hätten sich umgehend in meinen Gemächern einzufinden“, rief der Wesir ihm nach. „Und du, geh zu den Frauen“, sagte er zu Nazire. „Trödle nicht herum. Ich habe wichtige Angelegenheiten zu erledigen, die dich nichts angehen.“ Von einem auf den anderen Moment war er wie ausgewechselt.
Nazire tat, wie ihr geheißen wurde, jedoch nicht, ohne ihrem Gemahl nochmals einen koketten Blick zuzuwerfen. „Männer“, murmelte sie leise, damit dieser es nicht hören konnte. Dann verschwand sie in den Gemächern der Frauen.
Die Offiziere des Wesirs mit ihren schwer bewaffneten Truppen näherten sich vorsichtig dem Wüstendorf. Einige von den Spähern, die sie ein paar Tage vorher ausgeschickt hatten, waren eben zurückgekehrt und erstatteten Bericht. Nachdem sie erst die Umgebung ausspioniert hatten, waren sie am Tag zuvor als Beduinen verkleidet ins Dorf gegangen und kundschafteten dort die Lage aus. Sie schauten, in welchen Häusern die schönsten Mädchen lebten und waren erstaunt, dass es eine Hütte gab, in der ausschließlich heiratsfähige Jungfrauen wohnten. Das erleichterte die Sache ungemein. Außerdem machten sie sich ein Bild darüber, wie viele bewaffnete Männer es gab, die die Ortschaft schützten.
„Es sind heute nur wenige erwachsene und kampffähige Männer im Dorf. Die meisten sind mit den jungen Männern, die kurz vor einer Vermählung stehen, zur Jagd ausgeritten, um Wild für ein bevorstehendes Fest zu jagen. Sie werden erst in einigen Tagen zurückkehren. Die meisten Männer sind bereits Greise und für uns nicht gefährlich. Sie werden wir schnell überwältigen können“, berichtete der Anführer der Späher. „Die Leute haben zwar argwöhnisch geschaut, haben aber keinen Verdacht geschöpft. Sie waren unruhig, da wir so viele waren. Aber da die Mehrzahl von uns am Morgen wieder abreisen wollte, beruhigten sie sich wieder und haben uns gut bewirtet.“
„Sehr gut. Ich muss feststellen, ich habe fähige Spione“, erwiderte der Wesir lobend, der dem Bericht aufmerksam gefolgt war. Er hatte sich dem Trupp angeschlossen, um die Ausführung des Befehls zu überwachen. Khaled schaute sich suchend um. „Es sind trotzdem nicht alle Späher hier“, stellte er fest.
„Ja, Herr. Ihr habt Recht. Einige von uns halten sich zwischen dem Dorf und unserem Lager auf, um schnell Nachrichten übermitteln zu können. Drei sind im Dorf geblieben, sie werden Euch von innen die Tore öffnen. So können wir ohne Aufsehen zu erregen eindringen und nahezu lautlos den Überfall starten.“ Er schaute sich um und zeigte auf einige Kameraden, die in der Nähe standen und die Unterredung beobachteten. „Wir hier gaben vor, in der nahen Oase Nachtquartier zu beziehen, da wir sehr in den frühen Morgenstunden weiterziehen wollen und unsere Wasservorräte auffüllen müssten. In Wirklichkeit weisen wir Euch den sichersten Weg ins Innere des Dorfes.“
„Du bist ein gewitzter Anführer. Mit dieser List müsste unser Vorhaben gelingen“, erwiderte der Wesir und nickte dem Anführer der Späher zu. „Bereiten wir uns auf den Angriff vor. Je eher alles zu Ende ist, desto besser.“
Während sich der Wesir mit seinen Offizieren und den Spähern ein letztes Mal vor dem Angriff beriet, herrschte im Dorf nächtliche Stille. Die Bewohner hatten sich in ihre Hütten zurückgezogen und schliefen. Nur zwei Wächter standen dösend an den Palisaden. Die Nacht um sie herum war so schwarz, dass sie nicht einmal die Hand vor ihren Augen erkennen konnten.
Die zurückgebliebenen Späher schlichen sich in die Nähe der Wachmänner. Auch sie waren ausschließlich auf ihr Gehör angewiesen. „Kommt“, flüsterte der Anführer den anderen zu. Beinahe lautlos folgten sie dem Schnarchen der wachhabenden Männer. Schnell waren die überwältigt. Ohne einen Ton von sich zu geben, sackten sie mit durchschnittener Kehle tot zusammen. Von nun an neigte sich die Idylle des Dorfes dem Ende zu.
Wie abgesprochen, näherten sich die Truppen des Wesirs zu Fuß. Die Pferde waren unter Bewachung zweier Soldaten in unmittelbarer Umgebung an Büsche angebunden worden. Das ausgemachte Zeichen hinter den Palisaden ertönte und das Tor wurde geöffnet. Fackeln wurden entzündet und wiesen den Eroberern den Weg.
Die gedungenen Männer stürmten im Schein der Fackeln in das durch einen Palisadenzaun geschützte Dorf. Sie wurden von einigen Spähern in Empfang genommen und zu den Hütten geführt, in denen die Jungfrauen schliefen. Ein Greis, der verschlafen aus einer ärmlichen Unterkunft trat, um sich zu erleichtern, wurde niedergeschlagen. Er sank, wie vorher die Wachen, tot zu Boden. Ein Hund fing an zu kläffen, aber niemand beachtete es.
Die Eindringlinge teilten sich in Gruppen auf. Während eine die Häuser mit den anderen Bewohnern stürmte, drang eine andere in die Hütte der heiratsfähigen Mädchen ein. Erschrocken fuhren diese von ihren Schlafmatten auf und versuchten, sich vor den gierig gaffenden Männern zu schützen. Kreischend schlugen sie ihnen die Fingernägel ins Fleisch, bissen oder traten um sich. Doch gegen die Übermacht der Krieger konnten sie nichts tun. Nach nur wenigen Minuten standen sie zusammengepfercht in einer Ecke der Hütte und schauten mit ängstlich blickenden Augen auf die Eindringlinge.
Vor den Hütten wurden inzwischen die kleineren Mädchen und Jungen mit ihren Müttern zusammengetrieben. Schreie schallten durch die Nacht. Diejenigen, die sich wehrten, wurden mit Peitschen und Knüppeln niedergeschlagen. Befehle wurden gebrüllt.
„Die Mädchen und Jungen lasst am Leben, auch die jungen Mütter mit Säuglingen“, bestimmte Wesir Khaled, der mit langen Schritten an den Reihen der Gefangenen entlang ging und sie im Schein der Fackeln begutachtete. „Die Gefangenen werden gute Preise auf dem Sklavenmarkt bringen, aber nur, wenn sie unversehrt sind“, sagte er zu einem der Offiziere, der neben ihm ging.
„Und die Alten und Gebrechlichen?“, fragte der.
„Treibt sie in die Hütten und sperrt sie dort ein“, befahl der Wesir kaltschnäuzig.
„Ihr habt gehört, was der Herr befohlen hat“, fuhr der Offizier einige der Soldaten an, die die Gruppe der Alten bewachten. „Scheucht sie in die Hütten und verbarrikadiert die Eingänge. Es darf niemand entkommen!”
„Nun zu unserer wertvollsten Ware“, sagte der Wesir und rieb sich verstohlen im Schritt. Die Erinnerung an die wunderschönen, fast nackten Jungfern ließ ihn erschauern. „Leuchtet mir“, befahl er einem Soldaten, der eine kleine Gruppe Mädchen beaufsichtigte. Khaled stieß ein leises Stöhnen aus, als er die ersten erblickte. Am liebsten hätte er eines für sich beansprucht. Doch er musste sich beherrschen, die Jungfrauen waren ausschließlich für den Emir Nuredin bestimmt.
„Eine sehr gute Beute“, sagte Khaled zu seinem Offizier. „Unser Emir wird sehr zufrieden sein mit der Ausführung seines Befehls. Er wird es uns hoffentlich dementsprechend danken“, flüsterte er aufgeregt. „Hoffentlich vergilt er es mir mit viel Gold und Diamanten, nur Dankesworte nutzen mir nichts“, setzte er noch leiser hinten an, damit es niemand hören konnte. Er erhoffte eine reiche Belohnung und vielleicht die eine oder andere Jungfer, die sich nicht für die Dienste beim Emir eignete.
„Bindet sie. Keine darf fliehen können“, befahl er den Soldaten. „Doch geht sorgsam mit ihnen um. Es darf ihnen kein Leid geschehen.“ Mit Argusaugen bewachte er die Mädchen. Der eine oder andere Soldat bekam seine Peitsche zu spüren, wenn dieser gierig die wachsenden Rundungen einer der jungen Frauen begrabschte.
Nachdem die Gefangenen für den Abmarsch bereit waren, schaute sich der Wesir noch einmal um. Nichts wies darauf hin, was im Dorf geschehen war. Seine Soldaten hatten gute Arbeit geleistet. Der Greis, der sie beinahe überrascht hatte, sowie die toten Wächter waren in den Sickergruben der Aborte versenkt worden. Die Alten waren in den Hütten eingesperrt. Er hörte, wie sie nach ihren Kindern und Kindeskindern riefen und verzweifelt an den fest verschlossenen Türen rüttelten.
„Zündet die Hütten an“, rief der Wesir den Soldaten zu.
„Aber Herr. Es sind alles wehrlose Alte und Gebrechliche…“, wehrte einer ab. So viel Grausamkeit ließ ihn erschauern.
„Tut, was ich befehle. Wenn die erwachsenen Männer zurückkommen, darf kein Zeuge mehr am Leben sein“, erwiderte der Wesir barsch. „Kein Fetzen soll von den aufmüpfigen Bewohnern zurückbleiben. Außerdem müssen wir ein Exempel statuieren. Wo kommen wir hin, wenn die Untertanen uns ihre Dienste verweigern. Es soll allen eine Lehre sein, sich gegen den Emir aufzubegehren und seine Befehle nicht zu befolgen.“
Als die Gefangenen sahen, wie die Soldaten brennende Fackeln auf die Dächer der Hütten warfen und diese schnell Feuer fingen, stimmten sie ein Wehklagen an. Entsetzt weiteten sich ihre Augen, sie schrien, jammerten und bettelten um Gnade für ihre Angehörigen. Doch der Wesir kannte kein Erbarmen. Sie rissen an ihren Fesseln, wollten den in den Hütten gefangenen Verwandten helfen, aber die Eroberer kannten keine Milde mit den armen Seelen, die in den brennenden Hütten den Tod fanden.
Heulend und wehklagend setzte sich der Zug unter strenger Bewachung in Bewegung. Ziel war der Palast des Emirs für die heiratsfähigen Jungfrauen und für die anderen Gefangenen der Sklavenmarkt in der nahen Wüstenstadt. Der eine oder andere mochte vielleicht noch Glück haben und als Sklave für den Emir dienen können, doch die meisten würden fern von ihren Angehörigen an andere Herren verkauft werden. Auch würden sie von ihren noch lebenden Verwandten, Müttern, Schwestern oder Brüdern getrennt werden und diese höchst wahrscheinlich nie wieder sehen.
Wesir Khaled aber ritt mit einem selbstgefälligen und zufriedenen Grinsen im Gesicht dem Zug inmitten seiner Offiziere voran. Er dachte auch an seine Hauptfrau Nazire, die in Emir Nuredins Palast auf ihn wartete und die Idee mit der gewaltsamen Gefangennahme hatte. Sie wollte er gebührend für ihren Einfall belohnen. Er sah sie bereits nackt, nur mit den Juwelen bekleidet vor ihm tanzen und ihm später die schönsten Lüste schenken.
© Brida Baardwijk / 03.06.2019