Die Geschichte „Die Rache des Templers“ beruht teilweise auf historischen Tatsachen. Der Orden der Tempelritter wurde von König Philipp IV. auf Anraten von Papst Clemens V. am Freitag, dem 13. Oktober 1307 verboten. Seitdem lebten die Templer in ständiger Angst, verfolgt, gefangen genommen, gefoltert und als Ketzer verbrannt zu werden.
Endgültig aufgelöst wurde der Templerorden am 22. März 1312 durch Papst Clemens V. auf dem Konzil in Vienne, das vom 16. Oktober 1311 bis zum 6. Mai 1312 stattfand. Das Konzil ging auch als 15. Allgemeines Konzil in die Geschichte ein.
Die Vorwürfe gegen den Templerorden wie Häresie und Blasphemie konnten zwar nicht nachgewiesen werden, doch der Papst sah den Ruf beschädigt, was demnach auch auf die Kirche zurückfallen konnte. Der gesamte Besitz des Templerordens wurde den Johannitern zugeschrieben.
Die Templerburg in Paris wurde 1314 gestürmt, und nicht, wie hier in der Geschichte, schon 1307. Auch der 23. und letzte Großmeister der Templer, Jacques de Molay wurde erst im Jahre 1314 hingerichtet. Er wurde zusammen mit Geoffroy de Charnay auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
König Philipp und Papst Clemens allerdings starben wirklich Anno 1314. Clemens V. im April, Philipp IV. wenige Monate später im November. An was? So genau weiß das wohl niemand.
***
„Dieser elendige Philipp*, verflucht sei er“, schimpfte Henri, ein Ritter des Pariser Templerordens. Neben ihm ritt sein Kamerad Hugo und floh vor den Häschern des Königs. Sie trieben ihre Pferde an so sehr sie konnten, um sich so schnell wie möglich von Paris zu entfernen. Als die Ordensburg des Templerordens gestürmt und eingenommen wurde, konnten sie gerade noch fliehen. Was sie nun wohl erwartete? Er mochte lieber nicht daran denken.
Die, die nicht bei dem Angriff auf die Templerburg gestorben waren, wurden festgenommen und in den Kerker geworfen. Darunter war auch ihr Großmeister Jacques, ein inzwischen sehr alter Ritter, der sein ganzes Leben im Templerorden verbracht hatte.
Henri hätte nie gedacht, dass Philipp, der den Tempelrittern immer gut gestellt war, die Vereinigung verbieten würde. Dabei waren die ihm stets gutgestellt, hatten ihm Unmengen an Geld geliehen, Pilgerreisende beschützt und noch so sehr viel mehr. Für nichts waren sie sich zu schade, immer im Namen Gottes und der Nächstenliebe. Auch die Vorwürfe, die ihnen zu Lasten gelegt wurden, waren eine Farce.
Es war Freitag, der 13. Oktober Anno 1307. Ein denkwürdiger Tag für die Tempelritter. Henri würde diesen Tag nie aus seinem Gedächtnis streichen können, bis er endlich Rache üben konnte. Rache an König Philipp IV. von Frankreich und Papst Clemens V.**, diesem Hundsfott, der die Templer einfach fallenließ wie ein heißes Eisen.
Dabei stand der Templerorden sehr lange Zeit unter dem Einfluss und dem Schutz des Papstes. Waren die Templer nicht immer gottesfürchtige Männer? War es nicht genug, was sie für die Kirche taten und für den König? Wahrscheinlich nicht. Bis Benedikt XI. starb, war der Orden sehr angesehen und beliebt.
Doch dann kam Clemens V. an die Macht. Alles wurde anders. Sie kämpften um ihr Überleben. Bis zu diesem Freitag, dem 13. Oktober 1307, an dem der Pariser Templerorden von König Philipps Soldaten überfallen und vernichtet wurde. Henri würde nicht ruhen, bis ihm die Rache gelungen war und sollte es bis an sein Lebensende dauern.
König Philipp war ein macht- und geldgieriger Geselle, der sich an den Schätzen der Templer bereichern wollte. Henri wusste bereits seit langer Zeit, der König litt unter ständiger Geldnot. Sein Hofstaat fraß Unmengen von Gold auf. Auch die Kriegszüge, die Philipp gegen seine Feinde ausrichtete, brachten nicht das ein, was er sich erhofft hatte. So liehen ihm die Templer gerne Geld oder auch Gold. Eine Hand wusch nun mal die andere. Doch als es an das Zurückzahlen ging, wusste Philipp wie aus heiterem Himmel plötzlich von nichts mehr. Er könne sich nicht erinnern, jemals von den Templern Geld geliehen zu haben, war seine letzte hämische Antwort, die Henri zu Ohren kam. So blieb der Orden auf den Schulden des Königs sitzen. Es bestand keine Möglichkeit, dies rechtmäßig einzufordern, ohne Philipp zu diskreditieren. Philipp konnte tun und lassen was er wollte und keiner konnte ihm Einhalt gebieten.
Und nun auch das noch das! Die Templerburg mitten in Paris wurde gestürmt. Fast alle festgenommen und in den Kerker geworden. Darunter auch der Großmeister Jacques, dem die Flucht leider nicht mehr gelang. König Philipp erhoffte sich davon, die offenen Geldbeträge bei den Templern unter den Teppich zu kehren, was ihm leider auch gelang. Philipp stand vor dem Templerorden mit reiner Weste da.
Papst Clemens V. war nicht viel besser. Durch eine List hatte er Benedikt XI. ausgebootet. Nun lag der tot in seinem Grab und verrottete. Wäre das nicht geschehen, würde die Lage jetzt ganz anders sein. Nun ja, Henri musste tun, was er für am besten hielt. Er musste überleben, um sich rächen zu können. An König Philipp IV. und Clemens V.
Viele Menschen säumten die Straßen und die Brücke, die zur Hinrichtungsstätte auf der Seine-Insel führte. Der Großmeister des Templerordens und seine Kameraden schleppten sich mit letzten Kräften zu dem Ort, an dem ihr Schicksal besiegelt werden sollte. Heute sollten sie brennen. Bei lebendigem Leibe, ohne Aussicht auf Begnadigung.
Die Männer beteten leise. Ihre Lippen formten stille Worte. Viele waren gebrochen von der Folter, die einem grausamen Tod im Feuer vorausging. Doch keiner von ihnen hatte gestanden. Sie waren keine Ketzer, geschweige denn Sodomiten oder Teufelsanbeter.
Henri stand mit seinem Freund Hugo, verkleidet als einfache Handwerksgesellen, unerkannt in der Menschenmasse. Hasserfüllt schaute Henri auf Papst Clemens, der auf einem prächtigen Ross sitzend, den Zug der gemarterten Tempelritter anführte. Der winkte fröhlich in die Menge, lächelte, als wäre es der schönste Tag in seinem Leben. Die Leute jubelten ihm zu, beglückwünschten ihn dafür, diesen verhassten, ketzerischen Templerorden endlich den Garaus gemacht zu haben. Darauf hatte er lange hingearbeitet. Nun war er endlich am Ziel angekommen. Die letzten Tempelritter würden sterben.
Verfaultes Gemüse flog auf die Templer. Einige wurden sogar getroffen. Doch sie nahmen es mit stoischer Ruhe hin. Keiner verzog nur eine Miene oder wich den fliegenden Geschossen aus. Sie wussten, bald würde die Qual ein Ende haben. Sie würden sterben mit einem Lächeln auf den Lippen, in der Gewissheit, ihr Leben Gott geweiht und stets nur das Beste für die Gesellschaft getan zu haben.
Die Soldaten, die den Zug begleiteten, taten nichts, um die Verurteilten vor den Zugriffen der Bevölkerung zu schützen. Lachend traten sie ihnen in die Beine, um sie zu einem schnelleren Gehen anzutreiben. Doch keiner der Männer war in der Lage, das Tempo bei zuhalten. Sich gegenseitig stützend, torkelten sie der Hinrichtungsstätte entgegen.
„Schau sie dir an“, flüsterte Henri seinem Freund Hugo mit Tränen in den Augen zu. „Ich verstehe Philipp nicht. Wie kann er nur so etwas tun?“
„Sei leise, Henri“, mahnte Hugo. „Wenn dich jemand hört. Dann landen wir wie unsere armen Kameraden auf dem Scheiterhaufen. Willst du das?“
Henri schüttelte daraufhin nur den Kopf. „Komm“, sagte er zu Hugo. „Gehen wir zum Richtplatz. Wollen wir unseren Freunden in ihrer schweren Stunde beistehen.“ Ohne weiter auf Hugo zu achten, bahnte er sich einen Weg durch die Menschenmenge. Hugo folgte ihm mit grimmiger Miene.
Am Hinrichtungsplatz war alles bereit für das kommende Ereignis. Riesige Stapel aus Holz waren aufgeschichtet worden, aus deren Mitte Pfähle ragten. Fässer mit Öl standen bereit, sowie bereits brennende Fackeln.
König Philipp hatte mit seiner Gemahlin Johanna und seinem Erben Prinz Louis einen Ehrenplatz eingenommen. Von einer Tribüne aus übersah er den Platz, konnte dem Spektakel ungehindert zusehen. Wutentbrannt sah Henri zum König hinüber, der auf seinem Stuhl thronte, das Haupt stolz erhoben. Um seinen Mund spielte ein siegreiches Lächeln. Was in seinem Kopf vorging, wollte Henri lieber nicht wissen.
Nun stieg auch Clemens V. auf die Tribüne. Er trat an den Rand der Balustrade und hob die Hände. Sofort wurde es still. Die Menschen schauten wie gebannt auf den Papst. Er hielt eine kurze Rede, sprach das Urteil über die Templer: Tod durch das Feuer. Die Menge johlte, schrie, tobte. Nur Henri und Hugo standen wie zur Salzsäule erstarrt und bewegten sich nicht.
Die Delinquenten wurden auf die Scheiterhaufen gezerrt und dort an die Pfähle gebunden. Alle duldeten es ohne Widerwehr. Sie wussten, es gab kein Entrinnen. Zuletzt wurde der Großmeister gebracht. Der alte Mann konnte kaum noch allein gehen. Er musste gestützt werden. Trotzdem war ihm sein Stolz, ein Templer zu sein, immer noch anzusehen. Diesen konnten seine Folterer nicht brechen.
Henri sah zu seinem Großmeister hinüber. Ihre Blicke trafen sich. Jacques lächelte ihm ein letztes Mal zu, dann wandte er seinen Blick ab und sah dem Tod ohne Furcht in die Augen.
Das Feuer fraß sich durch das trockene Holz. Es roch nach Qualm, und… nach versengtem oder brennendem Menschenfleisch. Einige der Templer waren bereits ohnmächtig, oder tot, gestorben an den giftigen Gasen des Rauches. Nur der Großmeister trotzte dem Tod. Seine Schreie hallten über den Platz. Doch dann raffte er sich ein letztes Mal auf. Ein letztes Aufbäumen vor dem nahenden Tod. Er schrie, schrie so laut er konnte. „Philipp, König von Frankreich, ich verfluche dich! Dich und die Deinen! Du wirst sterben, einen grausamen Tod, schlimmer als der meine wird er sein.“
Doch König Philipp lachte nur. Was konnte ihm ein Fluch von einem verurteilten Ketzer schon antun? Die Schaulustigen jedoch erschauderten. Ein erschrockenes Raunen ging durch die Menge.
Nur noch kurz waren die qualvollen Schreie des Großmeisters zu hören, dann war er still. Gestorben im Feuer der Inquisition. König Philipp und Papst Clemens waren zufrieden.
„Komm, schnell“, flüsterte Henri Hugo zu, der wie erstarrt auf den toten Großmeister schaute. Henri zog seinen Freund aus der Menge. „Hast du das gehört?“, fragte er ihn.
Hugo nickte nur. Er wusste sofort, was sein Kamerad meinte. „Ja, natürlich. Es war weithin hörbar.“
„Ich werde den Fluch erfüllen“, platzte Henri aufgeregt heraus.
„Was?!“, Hugo riss erstaunt den Mund auf. „Du willst was? Bist du verrückt?“ Dabei sah er sich um, ob doch nicht einer der anwesenden Schaulustigen Henris Worte gehört hatte. Doch niemand achtete auf die beiden verkleideten Tempelritter, die in ein aufgeregtes Gespräch vertieft waren.
„Der Tod unseres Großmeisters und unserer Kameraden muss gerächt werden. Warum also nicht den Fluch nutzen? Und dabei gleich noch den Papst loswerden.“ Henri grinste. „Nun, was meinst du dazu?“
„Henri, du bist verrückt. Wie willst du das anstellen? Niemals kommst du nah genug an den König und den Papst heran, ohne erkannt zu werden. Die erkennen dich und dann landest du genauso auf dem Scheiterhaufen wie alle anderen von uns auch…“ Hugo zeigte in Richtung Hinrichtungsplatz, von wo immer noch große Rauchwolken gen Himmel quollen.
„Die werden mich weder erkennen noch gefangen nehmen. Lass das mal meine Sorge sein“, erwiderte Henri.
Am 19. April Anno 1314
„Du weißt, was zu tun ist?“, fragte Henri seinen Komplizen Gabriel, mit dem er und sein Freund Hugo in einem Versteck in der Nähe der Königsburg bei Paris hockte.
Heute war der Tag, den sich Henri seit Jahren herbeigesehnt hatte. Sieben lange Jahre waren seit dem Tod des Großmeisters und seiner Kameraden vergangen. Sieben Jahre, in denen er nicht einen Tag ruhte.
Gabriel war ein guter Komplize, den er nach langer Suche gefunden hatte. Der junge Mann war ein Dienstbote des Königs und konnte ungehindert in dessen Nähe kommen, ohne ständig kontrolliert zu werden. Gabriel hasste Philipp, genau wie Henri und Hugo.
Doch von allein wäre Gabriel nie auf die Idee gekommen, seinen Dienstherrn ins Jenseits zu befördern. Dass er sich damit in Lebensgefahr begab, war ihm bewusst. Auch er sann nach Rache. Seit der König seine Schwester geschändet und diese, nachdem sichtbar wurde, sie erwartete ein Kind vom König, in Schimpf und Schande davongejagt hatte, verging kein Tag ohne Rachegedanken. Erst Henri und dessen Freund Hugo machten ihm klar, es musste etwas gegen Philipp getan werden. Und nur so wäre die Ehre seiner Schwester reingewaschen. Dass er damit auch ein Handwerkszeug der beiden Templer geworden war, war ihm egal. Es galt nur die Rache.
Gabriel kramte in seiner Tasche und zog eine kleine, unscheinbare Flasche hervor. Sie enthielt eine glasklare Flüssigkeit, die den Tod brachte. Nicht sofort, schleichend würde der sein, schleichend und qualvoll. Genau richtig für König Philipp und den Papst, der wie Philipp aus dem Weg geräumt werden sollte. Geruchs- und geschmacklos mit Wein vermischt, würde sie ihre Krallen ausfahren und jeden, der davon gekostet hatte, mit in den Tod ziehen
„Sehr gut“, sagte Henri und klopfte Gabriel aufmunternd auf die Schulter, dass der junge Mann fast in die Knie ging. Der riesige Templer überragte den Diener um einen Kopf und hatte Kräfte wie ein Bär. Da war der kleine, schmächtige Hausdiener winzig dagegen. „Sei vorsichtig“, warnte Henri ihn noch einmal. „Und pass auf, dass auch der Papst genug von dem Gift bekommt.“
Gabriel verdrehte die Augen. Der Templer hatte ihm nun schon zu wiederholten Male erklärt, wie er vorgehen musste.
„Du bist meine große Hoffnung“, sprach Henri weiter. „Du weißt, dass wir immer noch gesucht werden und niemals in die Nähe des Königs, geschweige denn des Papstes kommen würden. Der König kennt dich und schöpft keinen Verdacht.“
„Ja, ich weiß“, erwiderte Gabriel. „Heute Abend dinieren Philipp und der Papst zusammen. Ohne weitere Gäste. Das ist der geeignete Augenblick. Nur noch Prinz Louis wird dabei sein. Ihm werde ich nur ganz wenig Gift geben. Es darf nicht auffallen, dass der Anschlag geplant ist. Sonst sind wir alle des Todes.“
„Gut so“, wurde Gabriel von Henri gelobt. „Geh kein Risiko ein. Wenn etwas schief gehen sollte, bist du als erster im Verdacht.“
„Ich weiß, was ich tue“, beteuerte Gabriel und zurrte die Schließe seines Umhangs fest. „Ich muss jetzt los, sonst komme ich zu spät“, sagte er noch, ehe er sich auf den Weg zum Schloss machte.
„Viel Glück, mein Freund“, rief ihm Henri nach und warf ihm noch einen Beutel zu, in dem Münzen klimperten. „Dein Lohn“, erklärte er und nickte Gabriel zu.
„Ich weiß nicht, ob wir ihm trauen können“, sagte Hugo, als Gabriel im Dickicht verschwunden war.
„Wir können ihm trauen“, erwiderte Henri. „Er ist genau der Richtige zur Ausübung unserer Rache. Endlich, nach so vielen Jahren sind wir unserem Ziel so nahe.“
„Deine Rache, Henri“, berichtigte Hugo ihn.
„Mein Gott, Hugo! Was soll das auf einmal?“, fuhr Henri ihn an. „Wir haben die ganzen Jahre daraufhin zugearbeitet, Rache zu üben. Nun mach es doch nicht so schwer. Philipp muss sterben, genauso Clemens.“
Am Abend des 19. April Anno 1314
Gabriel versuchte seine Aufregung zu unterdrücken. Er durfte sich nichts anmerken lassen. Nicht auszudenken, wenn der Anschlag nicht erfolgreich sein sollte. Er mochte lieber nicht an diese Möglichkeit denken. Der Diener wusste, was auf dem Spiel stand. Sein Leben und das seiner Freunde Henri und Hugo. Es durfte nicht schiefgehen.
Der Diener hatte den Tisch für den König und seine Gäste bereits gedeckt. Die Mägde hatten Krüge mit Wein gebracht, die nun auf einem kleinen Tisch an der Seite standen und darauf warteten, zum Einsatz zu kommen. Gabriel hatte die Gelegenheit genutzt und den Wein präpariert. Wie gut, dass Philipp, sein Gast sowie der Thronerbe verschiedene Geschmäcker hatten. So standen drei verschiedene Krüge bereit. Ein Leichtes für Gabriel, das Gift richtig zu verteilen. Prinz Louis erhielt die geringste Dosis, wobei sich Gabriel beim König und dem Papst nicht zurückhielt. Louis durfte nicht zu Schaden kommen, das hatte ihm Henri, bevor Gabriel zurück zur Königsburg musste, noch einmal plausibel klar gemacht.
König Philipp ließ sich nicht lumpen, um seinem Busenfreund Clemens V. aufzuwarten. Der Papst war sein bester Freund, ihm musste er imponieren. Er brauchte ihn, um weiter so leben zu können, wie bisher. Dabei war Clemens V. ein starrer und geiziger alter Sack, dem Philipp jedes einzelne Goldstück persönlich aus der Tasche ziehen musste. Aber einen Papst als Freund zu haben, war ein Vorteil, auf den Philipp IV. nicht verzichten wollte.
Gerade stürmte Philipp mit großen Schritten in das Gemach, in dem das Diner stattfinden sollte. Gabriel, der wartend an der Tür stand, verbeugte sich tief, so wie es sich für einen einfachen Diener gehörte. Zwei Wachen platzierten sich neben dem Eingang, grimmige Mienen aufgesetzt, als gäbe es nichts Wichtigeres als das Diner eines Königs zu bewachen.
„Der Papst ist ja immer noch nicht da. Mein Sohn auch nicht!“, murrte Philipp unwirsch, während er am Kopfende des Tisches Platz nahm.
„Nein, Euer Gnaden“, antwortete Gabriel und rückte ihm den Stuhl zurecht, damit Philipp bequem sitzen konnte. „Soll ich jemanden nach Ihrer Heiligkeit und Prinz Louis schicken lassen?“
„Nein, nein, schon gut. Sie werden bestimmt in Kürze eintreffen.“ Philipp winkte ab, als würde er ein lästiges Insekt verscheuchen wollen.
„Darf ich Euer Gnaden bereits einschenken? Ihr seid garantiert sehr durstig?“, tat Gabriel eifrig und nahm den Krug, der für den König bestimmt war.
„Du denkst mit. Her mit dem Gesöff“, rief Philipp aus. Kaum hatte Gabriel eingeschenkt, nahm der König auch schon sein Glas und trank es mit einem Zug leer. „Ahhhh“, seufzte er und rülpste leise. „Das tat gut. Schenk noch einmal ein.“ Gabriel tat, wie ihm befohlen und lachte sich heimlich ins Fäustchen bei seinem ersten Opfer ein so leichtes Spiel zu haben.
Plötzlich ging die Tür auf und Clemens V., gefolgt von Prinz Louis betraten das Gemach. Die Wachen standen wieder stramm und Gabriel bemühte sich um die Gäste.
„Es wird Zeit, dass Ihr da seid!“, nörgelte Philipp wie ein kleines Kind. „Ich verhungere fast und Ihr lasst Euch eine Ewigkeit Zeit, hier zu erscheinen.“
Der Papst räusperte sich. Auch ein König hatte sich zu benehmen. Er hielt Philipp seine Hand hin.
„Oh, entschuldigt, Eure Heiligkeit“, bemühte sich Philipp, seinen Fauxpas wieder gut zu machen. „Wie konnte ich mich so gehen lassen.“ Flugs sprang er von seinem Stuhl, verbeugte sich vor Clemens und küsste dessen Ring.
„Geht doch“, dachte sich Clemens dabei. „Kein Benehmen, fürchterlich“, waren seine nächsten Gedanken. Doch er machte gute Miene zum bösen Spiel. Er brauchte Philipp, um seinen Kampf gegen die Templer erfolgreich durchsetzen zu können. Eine Hand wusch nun mal die andere.
Das Diner nahm seinen Lauf. Gabriel hatte gut zu tun, alle Wünsche zu erfüllen. Es wurde geschlemmt und getrunken, gelacht und debattiert.
Mehrmals musste Gabriel in die Küche, um weiteren Wein zu holen. Die Gelegenheit nutzte er jedes Mal, um in die Krüge des Königs und des Papstes das Gift zu tröpfeln. Noch zeigte es keine Wirkung. Er wusste aber, es würde einige Zeit dauern, bis es dies tat.
Als Gabriel nach einem weiteren Mal Wein holen zurück in das Gemach kam, saß Papst Clemens kreidebleich am Tisch. Er hielt sich den Bauch und stöhnte.
„Mir ist übel“, knurrte Clemens unwirsch und rieb sich über die schmerzende Wampe.
„Eure Heiligkeit haben wohl zu viel gegessen“, foppte Philipp den Papst und zeigte auf den Berg Reste, der sich vor Clemens auftürmte.
„Es scheint so“, erwiderte Clemens stöhnend. „Ich glaube, es ist besser, ich ziehe mich nun zurück. Ich habe genug für heute.“
„Gabriel, begleite Seine Heiligkeit in sein Gemach“, befahl Philipp seinem Diener.
Gabriel sprang sofort herbei und half dem Papst aus seinem Stuhl. Dankbar nahm Clemens die Hilfe an. Allein hätte er es nicht geschafft, sich zu erheben. Er fühlte sich matt, erschöpft und irgendwie krank.
„Kommt, Eure Heiligkeit“, tat Gabriel dienstbeflissen und führte den Papst hinaus. Philipp blieb mit Louis zurück.
„Mir ist auch ein wenig unwohl“, bemerkte Louis und gähnte. „Aber das scheint wohl nur die Müdigkeit zu sein. Oder ich habe, wie Clemens viel zu viel gegessen und gesoffen.“ Er erhob sich und streckte die müden Glieder. „Darf ich mich entfernen?“, fragte er seinen Vater.
„Ja, geh nur mein Junge“, erwiderte Philipp, worauf sich Louis verbeugte und sich in sein eigenes Zimmer begab.
Als Gabriel zurück in das Gemach des Königs kam, hing der wie ein nasser Sack in seinem Stuhl. Er schien zu schlafen. Sein Mund war leicht geöffnet, er sabberte wie ein Säugling. Vorsichtig versuchte Gabriel, den Monarchen zu wecken. „Euer Gnaden, wollt Ihr nicht lieber ins Bett gehen?“
König Philipp brabbelte etwas Unverständliches, ließ sich aber aufhelfen. Wie in Trance ließ er sich von Gabriel in sein Schlafgemach führen, wo er sich, ohne sich zu entkleiden, auf sein Bett fallen ließ. Von dort aus nahm das Unglück seinen Lauf…
Am 25. April Anno 1314
„Mutter, wie geht es Vater?“ Prinz Louis stürmte aufgebracht in das Gemach seines Vaters. Johanna blickte ihrem Sohn entgegen. Ihr Antlitz war gezeichnet von der Sorge um ihren Gemahl. „Es steht schlecht um ihn“, erwiderte sie und stand auf, um Louis entgegenzugehen. „Aber du, mein Sohn, bist zum Glück genesen.“
„Ja“, gab Louis zu. „Aber Vater… er darf nicht sterben.“ Louis war aufgewühlt. Er verstand nicht, was geschehen war. Während er nur wenige Symptome aufwies, quälte sich sein Vater bereits seit vielen Tagen. Er rang mit dem Tod. Papst Clemens war sogar verschieden, nachdem er von dem Wein getrunken hatte, der vergiftet gewesen war. Ein paar Tage war es erst her, als der Papst seinen letzten Atemzug tat. Er starb unter fürchterlichen Qualen. Über Louis Rücken zog eine Gänsehaut, als er an die letzten Stunden des Papstes denken musste. So wollte er nie sterben.
Wenn Louis nur erfahren könnte, wer den Anschlag auf seinen Vater und Clemens geplant und ausgeführt hatte. Es wurden so viele befragt, die Diener, das Küchenpersonal, die Mundschenke, alle erdenklichen Leute, die mit den Speisen und Getränken des Königs in Berührung gekommen waren. Doch niemand konnte oder wollte Auskunft geben.
„Mutter, wir müssen alles tun, damit Vater am Leben bleibt“, Louis rang die Hände. Er war noch längst nicht bereit, die Nachfolge seines Vaters anzutreten.
„Das liegt in Gottes Händen“, erwiderte Johanna. „Wir können nichts anderes tun, als zu beten und Gott zu bitten, meinen Gemahl zu verschonen.“
Ein Stöhnen drang vom Bett des Königs. Johanna lief zu ihm. Philipp schwitzte, dicke Schweißperlen rannen von seiner Stirn. Die Laken waren durchnässt und zerwühlt. Es stank nach Urin und Kot und… nach Tod. Sein süßlicher Geruch verbreitete sich bereits, obwohl Philipp noch am Leben war. Es war unabdingbar. Philipp würde sterben, früher oder später. Wann war noch nicht ersichtlich, aber es würde in absehbarer Zeit geschehen.
„Mein geliebter Gemahl, wenn du doch nur überleben würdest“, flüsterte Johanna ehrfürchtig und bekreuzigte sich.
Philipp fuhr hoch. Seine Augen blickten glasig auf seine Gattin. „Johanna, was tust du hier?“, fragte er verwirrt. Dass seine Frau ihn freiwillig in seinem Gemach besuchte, war ungewöhnlich.
„Philipp, Liebster, du lebst“, flüsterte Johanna ehrfürchtig und küsste Philipps Hand.
„Was tust du da?“, fuhr dieser hoch und entzog ihr abrupt seine Hand.
„Aber Philipp…“, in Johannas Augen standen Tränen, die sie krampfhaft versuchte, zu unterdrücken.
„Geh!“, befahl der König. „Ich will dich hier nicht haben.“ Erschöpft sank er zurück in sein Kissen. „Raus hier!“, brüllte er auf einmal und Johanna ergriff weinend die Flucht.
„Mutter! So warte doch“, rief ihr Sohn ihr nach. Doch Johanna hörte sein Rufen bereits nicht mehr. Louis folgte ihr, nicht, ohne seinen Vater mit einem bösen Blick zu strafen. „Wie kann er nur?“, waren seine Gedanken, als er die schwere Holztür zum Gemach seines Vaters mit Schwung hinter sich zu warf.
Am 26. April Anno 1314
Schreie hallten durch das Schloss. König Philipp IV. lag im Sterben. Kein Medikus konnte ihm mehr helfen. Es war zu spät. Das Gift hatte sich in seinem Körper ausgebreitet und war nicht mehr aufzuhalten. Sein Sterben war grausam.
„Dieser Hundsfott! Elender!“, schrie Philipp zum wiederholten Male und wand sich voller Pein auf seinem Bett. Der Schmerz in seinem Inneren fühlte sich an, als würden ihm die Eingeweide bei lebendigem Leibe herausgerissen werden. Philipp schrie und schrie. Seine Kehle war trocken und rau, er rang nach Luft. Noch einmal schoss er von seinem Bett in die Höhe, ein letztes Aufbäumen im Kampf gegen den Tod. Dann sackte er zusammen und war still. Seine Augen starrten blicklos ins Nichts.
„Ist der König tot“, fragte einer der Diener ehrfurchtsvoll und bekreuzigte sich. Der Medikus, der seit Philipps Erkrankung das Gemach des Königs nicht mehr verlassen hatte, trat ans Bett und fühlte die Ader am Hals. Traurig schüttelte er den Kopf. „Er ist von uns gegangen. Gott sei ihm gnädig“, bestätigte er die Aussage des Dieners und bekreuzigte sich ebenfalls.
Der Ruf über den Tod des Monarchen verbreitete sich in Windeseile durch das ganze Schloss, bis in die Gemächer der Königin. Die sank erschöpft zu Boden und weinte, so, wie sie noch nie geweint hatte. Sie hatte Philipp gänzlich verloren, jetzt war sie nur noch die Mutter des Königs, denn Louis würde seinem Vater nun auf den Thron folgen.
„Wir haben es geschafft“, jubelte Henri und tanzte vor Freude durch den kleinen Raum, den sie in der kleinen Spelunke in der Nähe der Königsburg gemietet hatten. Die Botschaft, der König wäre seinem Leiden erlegen, hatte sich im Eiltempo im ganzen Reich verbreitet. Noch schneller hatte sie Paris erreicht und somit Henri und seinen Kameraden.
Hugo saß auf dem Bett und schaute seinen Freund an. Er schüttelte den Kopf über so viel Freude über den Tod des Königs. „Wie kannst du dich nur so freuen, wenn jemand gestorben ist“, fragte er verwirrt.
„Hugo! Wir hatten unsere Rache! Endlich! Nach so langer Zeit! Denk doch mal daran, wie unsere Kameraden sterben mussten und unser Großmeister!“
„Ach, Henri…“, seufzte Hugo. Er stand auf. „Ich weiß nicht, wie ich damit leben soll. Mit dieser Sünde. Ob mir jemals vergeben wird?“ Er nahm seinen Umhang und wollte den Raum verlassen. Er hielt es nicht mehr aus. Hugo musste weg, sehr weit weg. Der Tempelritter fasste einen Entschluss.
„Wo willst du hin?“, wollte Henri wissen.
„Ich gehe nach Jerusalem. Vielleicht finde ich dort meine Ruhe und Seelenfrieden“, erwiderte Hugo. „Hier mag ich nicht mehr bleiben. Zu viele schlechte Erinnerungen. Ich breche sofort auf. Hier hält mich nichts mehr.“
„Ich komme mit“, sagte Henri und packte kurzentschlossen seine Habseligkeiten ein. „Auf nach Jerusalem und dafür, dass wir von unserer Sünde, den König und den Papst ermordet zu haben, befreit werden.“ Er lächelte verhalten und in seinen Gedanken fügte er noch hinzu: „Das war meine Rache für den Tod der vielen Templer und des Großmeisters des Pariser Ordens, die auf Philipps Konto gehen. Dafür schmore ich gerne in der Hölle.“
Wenig später verließen zwei einsame Reiter Paris.
© Brida Baardwijk / 08.10.2021
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* Philipp IV. von Frankreich, genannt auch Philipp der Schöne, 1268 bis 1314
** Papst Clemens V., ursprünglicher Name Bertrand de Got, etwa zwischen 1260 und 1265 bis 1314, Papst der katholischen Kirche von 1305 bis 1314