Ein Mann und ein pechschwarzer Wolf erregten, wenn sie abends in eine fremde Stadt kamen, zwangsläufig Aufmerksamkeit, wir jedoch nicht. Nicht in dieser Stadt. Und schon bald verstand ich auch, wieso. In Ni’ek lag beinahe vor jedem dritten Hauseingang ein großer, zottiger Kettenhund, um seine Herren und deren Hab und Gut zu beschützen. Der Sprung vom Hund zum Wolf war bei Dämmerung kaum zu erkennen.
Für die Einwohner der ruhigen Bergstadt war ich nur ein einsamer Reisender mit einem großen Hund zu meinem Schutze.
»Gut ausgedacht«, raunte ich Karon zu, senkte die Hand und fuhr ihm über den Kopf. Das weiche Fell kitzelte unter meinen Fingern. Er ignorierte meinen Sarkasmus, bog den Hals nach hinten und hechelte zu mir hinauf.
Mit allen Sinnen führte er mich durch die Straßen, immer näher zu Selinia und Eerin hin. Ich konnte sie näherkommen fühlen.
Dann, vor einem schäbigen, heruntergekommenen Gasthaus, blieb er plötzlich stehen, kratzte mit der Pfote kurz am hölzernen Türblatt und wandte sich mir mit wachem Blick zu. »Da rein also? Sind sie da drin?« Ich legte meine Hände auf die Klinke. Durch den Spalt zwischen Tür und Boden hindurch roch ich deftige Speisen, Wein und Rauch.
Ich drückte gegen das massive Holz. Wärme schoss mir entgegen. Drinnen brannte ein Feuer. Oder zwei. Das Gasthaus erschien mir alt und verwinkelt. Alle Wände waren mit dunklem Holz vertäfelt, der Boden bestand aus knarzenden Dielenbrettern. Obwohl das Haus alt und von außen wenig einladend aussah, besaß es innerhalb der farblosen Mauern Charme. In drei großen Kaminen prasselten angenehm warme Feuer. Ein rötlicher Schein herrschte hier vor, und transportierte Wärme durch das Holz ins Herz des Gasthauses.
Als Karon an mir vorbei huschen wollte, verstellte ich ihm mit einem Bein den Weg und schüttelte den Kopf. Er wirkte nicht glücklich, aber ließ mir den Vortritt und folgte mir, dicht an mein Bein gedrängt, ins Innere. Schwer und laut fielt hinter uns ins Schloss. Der Staub der letzten Tage wurde vom Sog ins Innere des großen Raums transportiert und verteilte sich dort lautlos. Er schnürte mir die Kehle zu, ließ mich husten und meine Augen tränen.
Ich drehte mich um, ließ den Blick schweifen und überflog die Lage. Meine Fühler streckten sich nach jedem Geist in meiner unmittelbaren Nähe aus. Da saß ein Mann völlig allein an einem kleinen, kreisrunden Tisch. Vor ihm stand ein Krug Wein. Er wirkte schäbig, seine Hände waren dreckig und sein graues Haar lang und zottig. Er schaute auf zu uns, als wir hereinkamen, und offenbarte uns sein eines, verbliebenes Auge. Auf dem anderen lag ein weißer, milchiger Film. Es war blind. Er sah nicht gut aus, und erregte eher Mitleid als Sorge, aber sein Bewusstsein stand mir offen und kündete von - nichts. Seine Gedanken waren beinahe vollständig geleert und seine Aura träge und farblos. Der alte Mann war böse vom Leben gezeichnet und froh darüber, endlich Frieden gefunden zu haben. An einem langen Tisch rechts neben der Tür saßen drei junge Männer. Sie trugen saubere Kleider und Stiefel, aber keine Waffen. Meine Fähigkeiten tasteten sie ab, aber auch von ihnen ging keinerlei Gefahr für uns aus. Und dann, an einem Tisch in der allerletzten Ecke des Gastraums, dort, wo das Feuer und das Licht kaum hinreichten, stieß ich auf eine Aura, die mein Herz höher schlagen ließ. Auf Selinia.
Ich deutete ein Nicken in die Richtung an und wollte mit Karon an meiner Seite losschnellen, als sich eine grobe, schmutzige Hand auf meine Schulter hob. An meiner Seite begann der Wolf zu knurren.
»Der muss draußen bleiben«, raunte mir ein fremder Mann zu. Er war groß und stämmig, trug ein braunes Hemd mit zwei unförmigen Weinflecken darauf und eine Schürze, an der er seit mehreren Tagen die Finger abwischte. Ein struppiger Bart und buschige Brauen verbargen beinahe sein halbes Gesicht.
Als Karon zähnefletschend zu knurren begann, zog er abrupt die Hand zurück.
»Wenn ich ihn draußen lasse, wird er den ganzen Abend an der Tür kratzen«, warnte ich den Wirt. »Er wird niemanden hereinlassen und deine Kundschaft vertreiben. Besser, ich behalte ihn bei mir und setze mich in irgendeine Ecke, in der wir niemanden stören.« Aus den Augenwinkeln sah ich dorthin, wo ich den Geist der Düsterfee berührt hatte. »Wäre dort hinten in Ordnung?« Er war nicht einverstanden, aber Karons finstere Gestalt schien ihm Angst einzuflößen, und so nickte er. Ich klapste dem Dämon in die Seite. »Na los, alter Junge! Beweg dich schon!«
Er stolzierte los. Seine Körperhaltung war noch immer angespannt. Unter seiner Haut, unter dem glatten, glänzenden Fell, sah ich seine Muskeln pulsieren. Jederzeit bereit dazu, alles und jeden zu zerfetzen, der es wagte, sich uns zu nähern.
Wir verließen den wärmenden, zauberhaften Lichtkegel und tauchten in die Finsternis ein. Hier, jenseits des Lichts saß ein Mann an einem Tisch. Er war allein, seine Hände lagen auf der Tischplatte und sein Kopf ruhte darauf. Sein Umhang stank nach Bier und er schien tief und fest zu schlafen.
Ich ließ die Gedanken kreisen und fand Selinia und Eerin - am letzten Tisch in der allerletzten Ecke. Dort, wo kaum noch Licht auf die Tische fiel und niemand sie erkennen oder aufspüren konnte. Niemand außer uns. Ihre Auren tanzten wie bunte Lichter über meine Netzhaut. Ich spürte sie, roch sie, fühlte die beiden mit all meinen Sinnen.
»Sel!«, entfuhr es mir.
Ich war so aufgeregt, dass ich Karon auf eine der Pfoten trat und er ein erstauntes Quieken hören ließ.
Abrupt erhob sich die junge Frau von ihrem Stuhl, fuhr herum und schaute mit leuchtenden Augen in meine Richtung. »Erias! Oh mein Gott!« Sie stürzte mit ausgestreckten Armen auf mich zu und schlang sie um meinen Nacken, als wollte sie niemals mehr loslassen, mich nie mehr freigeben. »Wie hast du uns gefunden? Was-?« Ihr Blick flog an mir vorüber und berührte meinen stummen Begleiter flüchtig. Ich spürte, wie sich ihr Griff lockerte. Karon begann leise zu winseln. Er wedelte angespannt mit dem Schwanz und machte zaghaft zwei Schritte mit gesenktem Haupt auf sie zu. »Ist das..?«
Ich nickte, und sie ließ sich in die Hocke sinken, streckte fordernd die Hände aus, und Karon leckte sich angespannt über die Schnauze, ehe er die letzten Schritte zwischen ihnen überbrückte, und seinen Kopf ganz sacht in ihre vorgestreckten Finger bettete. Seine sanften Augen glitten über jede Facette ihres makellosen Gesichts. Er leckte über ihre Fingerknöchel, schloss die Augen und ließ sie gewähren. Selinias Finger strichen über seinen Kopf, gruben sich in sein weiches Fell und zogen Spuren durch die feinen Haare.
»Er schämt sich fürchterlich dafür, euch zurückgelassen zu haben«, setzte ich an, aber Selinia hob so schnell die Hand, dass ich den Rest meiner Erklärung für mich behielt.
»Es gibt«, warf sie ein und richtete ihre Aufmerksamkeit auf die großen leuchtenden Wolfsaugen, »überhaupt nichts zu verzeihen. Hörst du? Wir waren uns einig, im Zweifelsfalle würden wir immer dich retten, Erias. Er hat nur getan, was wir vereinbart haben.« Sie schenkte mir ein offenes Lächeln und wandte sich dann mit einer Frage an den Whyndrir. »Karon, ich weiß, dass du mich hören kannst. Eerin ist im Kampf verletzt worden. Er könnte das Bein verlieren. Ich weiß, du kannst ihm helfen. Auch, wenn du uns nichts schuldig bist, muss ich dich um deine Hilfe bitten.«
Erstmals wandte ich mich der zweiten Gestalt zu, die in der Ecke auf einem Holzstuhl saß. Eerins Kopf war seitlich an die Wand gesunken. Er fieberte. Selbst im Halbschatten erkannte ich den Fieberglanz auf seiner Haut. »Karon wusste es. Was ist passiert?«, hauchte ich dünn.
»Ein Krieger hat ihn mit dem Schwert erwischt. Er hat viel Blut verloren, und in den Bergen hat sich die Wunde entzündet. Es könnte eine Blutvergiftung sein, oder Schlimmeres. Ich fürchte, dass wir sein Bein nur retten können, wenn wir etwas Hilfe bekommen.« Wieder musterte sie den Wolf. »Ich würde nicht darum bitten, wenn es einen anderen Weg gäbe. Aber Eerin hat mir das Leben gerettet und ich kann nicht einfach zusehen, wie er jetzt nochmals den Kopf für mich hinhält.«
»Nachdem wir geflohen sind«, murmelte ich.
»Er hat mir in die Freiheit verholfen. Ich kann nicht leben mit dem Wissen, ihn gänzlich zum Krüppel gemacht zu haben.«
Sein Bewusstsein berührte mich. Wie ein Sommerregen benetzte es meine wundgescheuerte Seele. Ich hielt Stand und wartete, auf die darin verborgene Botschaft. Ja, plötzlich wünschte ich, es wäre ähnlich einfach mit ihm in dieser Gestalt zu kommunizieren, wie mit Lyrh, aber das war es nicht. Er signalisierte mir Zuversicht.
»Alles wird gut«, versprach ich an seiner Stelle. »Karon ist selbst nicht auf der Höhe seiner Kraft. Dieser Kampf hat uns alle mitgenommen, aber er wird versuchen, zu helfen. Nur nicht hier.« Ich wandte mich dem Dämonenwolf zu und zog fragend die Augenbrauen zusammen. Ich war nicht völlig sicher, seine Gedanken richtig gedeutet zu haben, doch als er mich ansah und den Kopf neigte und hob, als wollte er nicken, sprach ich die Worte letztendlich aus. »Er will es in der Schattenwelt tun. Dort, wo seine Kräfte am größten sind.«