Scarlett atmete tief durch. Heute würde sie bei Darwin einziehen und sie glaubte noch immer nicht, dass sie zugesagt hatte. Die Erinnerungen an das Essen mit ihrem Boss auf Zeit war noch immer in ihrem Kopf präsent, doch sie wusste nicht so genau was sie von der ganzen Sache halten sollte. Dennoch hatte sie sich gut vorbereitet. Zumindest so gut, wie sie konnte.
Der Koffer war im Kofferraum des Wagens und sie saß in einem ihrer besten Kleider neben dem Fahrer, der scheinbar kein Interesse hatte mit ihr zu sprechen.
Durch die getönten Scheiben hatte Scarlett sogar wenigstens Ruhe vor der stechenden Sonne, hoch am Himmel stand und somit den Sommer willkommen hieß.
Sie mochte den Sommer eigentlich, doch wenn es zu warm war fühlte sie sich auch nicht gut. Natürlich konnte man dann schwimmen gehen und sich in die Sonne legen, doch da sie selten Zeit für sowas hatte, war das warme Wetter für sie anstrengend. Gerade dann, wenn sie arbeiten musste.
Neugierig blickte Scarlett nach draußen. Sie befanden sich in Seattle, wie sie schon lange bemerkt hatte. Doch sie war sich nicht sicher, ob sie nur hindurch fahren würden, oder ob ihr Auftrag tatsächlich hier wohnte.
Ihr Handy summte zum wiederholten Male in ihrer Tasche, was Scarlett reichlich unangenehm war, in dem fast totenstillen Auto. Marian war einfach viel zu neugierig! Sie hatte keine Zeit neben ihrer Nervosität auch noch mit ihrer besten Freundin zu tratschen, der sie das alles hier zu verdanken hatte.
Immerhin hatte diese ihr den Escort-Job vorgeschlagen, da sie schnell viel Geld brauchte. Trotzdem hatte Scarlett jetzt keine Zeit Marians Anruf entgegen zu nehmen. Vor allem nicht, weil der Fahrer langsamer wurde. Waren sie da?
Das Auto hielt und ein älterer Mann im Anzug schritt auf das Auto zu, um Scarlett die Tür zu öffnen. Nur zögerlich stand die junge Frau aus und sah sich neugierig um.
Vor ihr eine große Wohnanlage am Hafen von Seattle. Scheinbar war das tatsächlich ihr Zielort. Auf der einen Seite die hohen, modernen Gebäude, der eingezäunte Wohnungen, auf der anderen das Wasser, was in stetiger Bewegung war wie die Stadt, die vor ihr lag.
Alles wirkte gepflegt und vor allem teuer. Zumindest wenn sie es mit der Umgebung verglich, aus der sie kam.
Ein wenig nervös schluckte sie und blickte den Mann an, den sie für einen Butler hielt. „Bitte hier entlang Miss Nolan", sagte dieser und Scarlett sah aus den Augenwinkeln, wie der Fahrer ihren Koffer aus dem Wagen hob. Da sie nicht viele Sachen dabeihatte, weil sie laut Darwin nicht so viel brauchen würde, war der Koffer auch recht klein und leicht.
Sein exakter Wortlaut war dabei gewesen, dass ihre Garderobe wohl ohnehin eine Katastrophe war und er ihr eine neue anlegen würde für die nächsten drei Monate... oder zumindest hatte er diesem West diese Aufgabe zugeschoben, wer auch immer das sein mochte. Nicht nur, dass der Name recht eigen war sondern schien die Person auch sein ‚Mädchen für alles' zu sein.
Scarlett hatte keine Ahnung, ob die Idee, diesen Auftrag anzunehmen, wirklich gut war.
„Ich bin Mister West", stellte sich der Mann im Anzug vor und führte Scarlett durch eine Art Empfangshalle in die Richtung eines Fahrstuhles. Während sie die Schwarzhaarige umsah fühlte sie sich völlig falsch angezogen für einen solchen Ort. Vielleicht war Darwins Angebot bezüglich ihrer Garderobe doch nicht so schlecht.
Doch ob dieser ältere Herr dafür die denkbar beste Besatzung war? Das wagte sie stark zu bezweifeln. Doch in den nächsten drei Monaten würde das wohl ohnehin keine Rolle spielen. Die beiden gingen am Empfang vorbei, wo der Rezeptionist sie nur nickend durchwank. Vermutlich kannte er diesen West bereits.
Er führte Scarlett stumm weiter bis zum Fahrstuhl und drückte den Knopf für die höchste Etage. Ein Penthaus. Was hatte sie auch anderes erwartet bei dem Typen, der sie in ein so schickes Restaurant eingeladen hatte. Dennoch hatte sie nicht mit so viel Geld gerechnet, auch wenn die Bezahlung für die drei Monate wirklich extrem gut war. Mit kaum einer anderen Arbeit hätte sie so schnell so viel verdient.
Und es würde sogar reichen um den nächsten Monat auch noch über die Runden zu kommen. Es war ideal... zu schön um wahr zu sein. Irgendeinem hacken musste die Sache haben. Die Hintergründe, die er ihr bereits erklärt hatte, waren bisher eher mager gewesen.
Trotzdem war nichts dabei, was dafür sorgte, dass sie sofort umkehren würde. Aber das konnte noch kommen.
Deshalb blickte Scarlett auch nervös auf die Anzeige, während sie dem sechsundzwanzigsten Stock immer näherkamen.
Mit einem kurzen ‚Ding' öffneten sich auch schon die Türen und der glänzende Stahl fuhr zur Seite. Vor Scarlett offenbarte sich ein kurzer Flur mit einer Garderobe aus Jacken und Schuhen links und rechts. An dessen Ende jedoch erwartete sie ein weißes, modernes und vor allem wohl teures Wohnzimmer mit gläserner Wand, welche mich nur einen riesigen Balkon mit Pool und Pavillon zeigte, sondern auch noch eine magische Aussicht auf die Stadt bot.
Fast schon hypnotisiert von der Aussicht trat Scarlett auf die Glaswand zu, nachdem sie sich die Schuhe ausgezogen hatte. Alles wirkte so teuer, dass sie Angst hatte etwas dreckig oder kaputt zu machen. Sie würde es sich nicht leisten können dieses zu ersetzen.
War das normal für einen Auftrag? Davon hatte ihr Marian nie etwas gesagt! Sie hatte erwähnt, dass ältere Herren gerne mal ihre Gesellschaft genossen, doch das alles hier schien einfach zu künstlich und perfekt, als dass es fehlerfrei sein könnte.
„Nehmen Sie doch Platz, Mister Christensen wird sie sicher bald empfangen. Wünschen Sie vielleicht etwas zu trinken oder sogar eine Kleinigkeit zu essen?", fragte der ältere Mann und blieb diszipliniert wie er war, neben der großen Eckcouch stehen, auf der wohl ein Dutzend Leute Platz finden könnten. Mit gigantischem Fernseher und darunterliegendem Kamin, vor dem es platziert war.
Scarlett fühlte sich von der ganzen Umgebung regelrecht erschlagen und brauchte ein bisschen, bevor sie überhaupt auf die Frage antworten konnte. „Ich hätte gern etwas zu trinken", meinte sie zögerlich.
Währenddessen versuchte sie sich daran zu erinnern, woher sie den Namen kannte. Sie war sich ziemlich sicher ihn schon einmal in einer Zeitschrift gelesen zu haben. Eine, die Marian so gerne las. Da sie sich selbst nicht so für Klatsch und Tratsch interessierte, konnte sie aber nicht mehr genau sagen in welchem Zusammenhang.
Sie hätte sich womöglich informieren sollen, bevor sie hergekommen war, doch dank der Nervosität hatte sie kaum ein Auge zugetan. Alles hier war einfach so befremdlich.
„Sehr wohl, Miss", antwortete der Mann mit einer kurzen angedeuteten Verneigung, ehe er sich entfernte. Hatte er sich gerade wirklich verneigt? Wo war sie hier nur gelandet? Wer verneigte sich denn vor einer Eskorte?
Oder wusste er am Ende gar nicht, dass sie eine Escort war? Das konnte sich Scarlett kaum vorstellen.
Nervös versuchte sie den Ausblick zu genießen, doch im Grunde wanderte ihr Blick immer wieder durch die Wohnung auf der Suche nach Darwin. Würde er ihr endlich erklären, warum sie hier war? Scarlett glaubte nicht, dass jemand wie er ein Escort bestellen musste, um Gesellschaft zu haben. Aber was sonst könnte er von ihr wollen?
„West? Ist sie schon da?", kam seine Stimme plötzlich laut rufen von oben. Jedoch konnte Scarlett ihn nirgendwo ausfindig machen.
Sollte sie antworten? Wohl eher nicht, immerhin hatte er nicht nach ihr gerufen.
Der Mann im Anzug kam mit einem Tablett, auf dem eine Tasse und eine kleine Kanne stand zurück.
„Das ist sie, Mister Christensen", antwortete Mister West laut genug, dass er es wohl hörte.
Irgendwie passte dieses Auftreten der Herren nicht zum Ambiente, doch Mister West schien es als ebenso normal zu empfinden wie Darwin.
Es war alles irgendwie seltsam und Scarlett konnte ihre Augen nur auf die Richtung lenken, aus der sie die Stimme von Darwin gehört hatte. Sie war so unglaublich nervös und neugierig, dass sie ein wenig unruhig mit ihren Fingern spielte, während sie Mister West dabei zusah, wie dieser ihr den Tee einschenkte.
Nach einer geringen Weile vernahm sie bereits Schritte von nackten Füßen auf den Marmorfließen, aus dem Stockwerk über ihr. „Sag ihr sie soll-", setzte Darwins näherkommende 'Stimme an, doch brach ab, als er sie entdeckte. Er konnte im Grunde perfekt über das gläserne Geländer hinwegsehen, auf sie runter. Der obere Stock war wie ein Balkon im Haus aufgebaut, der einmal rund um das Wohnzimmer ging, auch über die Glaswand, die momentan gegenüber von Darwin lag.
Scarlett blickte zu ihm hoch und wartete darauf, dass er seinen Satz beendete. Was sollte sie?
Im Moment saß sie auf dem Sofa und hatte die Tasse mit dem heißen Tee in der Hand. An dieser spielte sie ein wenig nervös mit den Fingern herum, während sie Darwin musterte.
Dieser sah aus ihrer Perspektive heraus noch verschlafener aus, als er vermutlich war, aber auch der offene Bademantel und die Tatsache, dass er lediglich Unterwäsche trug, ließen nicht mehr viel auf den Mann im Restaurant schließen.
Er seufzte schwer und rollte offen die Augen, während er sich von dem Geländer abstieß „So ein Mist", grummelte und sie Treppe an der Seite benutzte, um zu ihr ins Stockwerk zu Gelangen.
Scarlett versuchte sich ihre Überraschung nicht anmerken zu lassen, doch der kultivierte, elegante Mann aus dem Restaurant war das definitiv nicht. So wirkte er fast schon normal. Wie jeder andere in seinem Alter auch. Wobei sie ihn so vielleicht sogar jünger als sich selbst einschätzen würde. Zumindest vom Verhalten.
„Ähm... West, ich brauche einem von diesen Powerdrinks und oben haben sich wieder Parasiten eingenistet, die es zu beseitigen gilt", murmelte Darwin noch bevor er die Treppe verließ und rieb sich müde die Augen.
Parasiten? Powerdrinks? Dieser Ort wirkte alles andere als verschmutzt. Doch West nickte lediglich kurz und machte sich auf den Weg die Treppe hinauf.