Scarlett atmete tief durch, als sie damit fertig war und hoffte wirklich, dass der leichte Goldton, den sie für ihr Augenmakeup gewählt hatte, auch zu ihrer Kleidung passen würde.
Sie öffnete sich die Haare und entschied sich dazu zwei Strähnen nach hinten zu flechten und den Rest offen zu lassen. Die Strähnen wurden mit einer goldenen Spange dort gehalten.
Noch immer im Handtuch trat Scarlett hinaus in ihr Zimmer und schwang sich die nasse Mähne nach hinten über den Rücken. West stand diszipliniert neben ihrem Bett, auf dem ein hübscher bordeaux roter Jumpsuit mit V-Ausschnitt und goldenem Gürtel bereitlag. Davor standen ein paar schwarze sommerliche Schuhe, mit hohem Absatz und vielen Schnüren, die die Sohle am Fuß halten würden. „Kann ich noch etwas für Sie tun?", fragte West und hielt den Blick höflich auf dem Boden gesenkt.
„Vielen Dank, das wäre alles", sagte sie mit einem erleichterten Lächeln, da der Jumpsuit ihren Geschmack traf und nicht so extravagant wirkte. Im Gegenteil. Er wirkte sogar sehr bequem und darin würde sie sich auch wohlfühlen. Außerdem hatte West ihn ausgesucht, womit sie sich sicher sein konnte, dass sie zumindest passend gekleidet war.
West räusperte sich kurz und verließ nicht sofort den Raum. „Sehr gerne, Madame", murmelte er und verließ darauf nun doch das Zimmer, damit Scarlett sich fertig machen konnte.
Scarlett blickte ihn kurz nach und atmete noch einmal tief durch, bevor sie damit begann sich anzukleiden. Nervosität packte sie und Panik stieg in ihr auf. Würde sie alles richtig machen und könnte sie diesen Morgen überstehen? Sie widerstand dem Drang sich durch die Haare zu fahren und hätte fast gelacht. Sie verhielt sich wirklich schon wie eine Freundin, welche versuchte den Eltern ihres Zukünftigen zu gefallen. Scarlett war sich wirklich nicht sicher, ob das gut oder schlecht war. Es könnte durchaus hilfreich sein, wenn es um die Glaubwürdigkeit ging, doch sie wusste, dass sie aufpassen musste, sich dieser Versuchung nicht hinzugeben. Nach dieser Nacht konnte sie sich durchaus vorstellen eine Beziehung mit diesem Mann einzugehen. Doch er würde es sicherlich nicht wollen.
Eilig schlüpfte sie in ihre Unterwäsche, sogar die hatte man ihr neu gebracht... auch wenn sie nicht so recht verstand, was mit dieser nicht stimmte. Oder hatte er vielleicht sogar geplant mit ihr zu schlafen? So wie manche Teile aussahen, war das durchaus anzunehmen, doch vermutlich interpretierte sie nur zu viel in ein wenig Spitze. Vorsichtig, um den glänzenden Stoff des Jumpsuits nicht kaputt zu machen, stieg sie mit den Beinen in das Kleidungsstück, als es plötzlich wild an ihrer Tür klopfte. West war das ganz sicher nicht.
„Ja, sofort", murrte sie laut und hoffte, dass man sie gehört hatte, während sie versuchte sich ein wenig zu beeilen. War das Darwin? Waren sie schon zu spät?
„Beeil dich, ich hab keine Lust, dass meine Mutter meint ich würde absichtlich Zeit schinden, um nicht bei ihr sein zu müssen", rief Darwin ihr durch die Tür zu und öffnete sie gleichzeitig auch noch, um zu sehen wie weit Scarlett war.
Diese zog sich gerade den Jumpsuit zurecht und versuchte ihn am Rücken zu schließen. Darwin beachtete sie dabei kaum. Das lenkte sie nur von dem ab, was sie tat und das war schon schwierig genug.
„Ich sagte doch, ich bin gleich soweit", grummelte sie, ohne darin inne zu halten, ihre Sachen zu schließen. Es war nicht so einfach, wie sie gedacht hatte.
Fragend hob Darwin eine Braue und beobachtete sie irritiert. „Was versuchst du da zu tun?", fragte er vorsichtig und trat aus dem Türrahmen in ihr Zimmer, auf Scarlett zu.
Scarlett hielt sofort inne und runzelte die Stirn, ehe sie bemerkte, dass das Ding gar keinen Reißverschluss hatte. Nicht so, wie der, den sie zuhause hatte.
Schamesröte stieg ihr in die Wangen und sie ließ von ihrem Oberteil ab, um sich den Gürtel zu binden. „Mein Kopf ist noch zu träge. Das ist alles ein bisschen viel", gestand sie, weil sie spürte, dass sie panische Angst hatte.
Darwin seufzte und nahm ihr den Gürtel ab, um ihn ihr anzulegen. „Denk einfach an das, was du die letzten Tage gelernt hast", erklärte er und schloss das schwarze Leder an den goldenen Verschluss. „Dann wird schon alles gut gehen."
Scarlett beobachtete Darwin ein wenig irritiert, da sie nicht erwartet hatte, dass er ihr helfen würde. Sie wusste nicht so recht, was sie damit anfangen sollte und auf seine Worte nickte sie nur. Im Grunde hatte sie auch nichts zu befürchten. Sie war ja nicht wirklich seine Freundin, die in der Familie aufgenommen werden wollte.
Darwin setzte sich auf Scarletts Bett, was sie ihm gleichtat, um die Schuhe anzuziehen. „Außerdem werden es vermutlich nur meine Eltern sein... Noah ist zu der Uhrzeit noch in irgendeiner Vorlesung und Olivia wohnt ohnehin nicht dort. Also bleib einfach ganz entspannt", versuchte er sie zu beruhigen, während er ihre Handgriffe beobachtete.
„Also nur dein Vater und deine Mutter", murmelte sie nachdenklich, während sie sich zwar beeilte die Schuhe anzuziehen, aber auch versuchte diese möglichst gut zu schnüren. „Sie wissen nicht nichts von mir oder?"
Darwin machte einen nachdenklichen Laut und erhob sich wieder von der Matratze. „Noch nicht, ja", gestand er und vergrub die Hände in den Taschen seiner Anzughose. Wenn Scarlett so darüber nachdachte, hatte sie ihn noch nie in anderen Sachen gesehen außer Hemd und Anzughose... und Unterwäsche.
Sie wurde wieder ein wenig rot, als sie an die Nacht mit ihm dachte und in ihr wallte Hitze auf.
Es war lange her, dass sie einen Mann nach einer Nacht wiedergesehen hatte und das rächte sich jetzt. Ihr Körper wollte ihr nicht ganz gehorchen. Trotzdem versuchte sie sich so unauffällig zu geben, wie möglich.
Fertig angezogen erhob sie sich und strich sich eine Strähne ihres Ponys zurück. „Ich bin fertig", erklärte sie und konnte ihre innere Unruhe kaum verbergen.
Darwin musterte sie einmal von unten bis oben, bis er an ihrem Gesicht hängen blieb. „Sieh mich so lieber nicht an, während wir bei meinen Eltern sind", kommentierte er ihr Verhalten schmunzelnd und wandte sich um, um sich auf den Weg zu machen.
„Was?", fragte sie irritiert und folgte ihm. „Wie habe ich dich denn angeschaut?", wollte sie wissen, weil sie ihm absolut nicht folgen konnte.
„Das weißt du genau", rief er ihr zu, als er die Treppe hinunterging und West verabschiedete.
Scarlett folgte ihm mit schnellen Schritten und schloss schließlich zu ihm auf. „Sicher dass es deine Eltern nicht mit verliebt verwechseln werden?", fragte sie nüchtern, weil sie keine Ahnung hatte, wie sie das abstellen sollte. Er war nun einmal anziehend.
„Du kannst es ja mal ausprobieren", lachte Darwin leise in sich hinein und wartete mit Scarlett im Fahrstuhl, bis die Türen zugingen und sie nach unten fuhren.
„Ich will ja keinen schlechten Eindruck machen", murmelte sie und versuchte sich nicht zu sehr in Darwins Richtung zu lehnen. Sie war noch immer unglaublich müde und erschöpft. Die Nacht gepaart mit dem Alkohol von gestern war nicht die beste Kombination, aber eine, die sie so schnell nicht vergessen würde.
„Ich hätte nicht erwartet, dass du bei dir geschlafen hast", merkte er nun plötzlich nach einer Weile an, als würde er normal Konservation betreiben wollen. Auch wenn das ein merkwürdiges Thema zum Wählen war.
„Habe ich nicht. Ich habe telefoniert", erklärte sich Scarlett ein wenig beschämt, weil sie ihm nicht das Gefühl vermitteln wollte, dass sie weggerannt war.
„Ach so?", fragte er ein wenig überrascht und trat hinaus, als der Lift unten ankam.
„Es wundert mich wirklich, dass du mein Handy nicht gehört hast. Ich hätte es ja ignoriert, wenn Marian nicht die Angewohnheit hätte so lange klingeln zu lassen, bis ich ran gehe. Ich mach die Mailbox oder die Vibration nicht an, weil ich wissen will, wenn das Krankenhaus anruft", erklärte sich Scarlett und schritt mit Darwin zusammen auf den Wagen zu, der schon auf sie wartete.
„Sag mir jetzt bitte nicht, dass du auf einen Spender wartest", murmelte Darwin und öffnete Scarlett wieder die Tür.
Beim Einsteigen schüttelte Scarlett den Kopf und wartete darauf, dass Darwin sich neben sie setzte. „Nein, sie braucht eine Operation, aber da ich sie mir nicht leisten kann, wird sie im Moment im Krankenhaus nur gepflegt. Das kostet weniger, aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie stirbt ist nicht ganz so hoch, als wenn sie zuhause wäre", erklärte Scarlett und versuchte möglichst distanziert zu bleiben und ihre Gefühle zu verstecken. Sie hatte schon so oft über dieses Thema gesprochen und trotzdem zerriss es ihr immer wieder das Herz, wenn sie nur daran dachte.
„Vielleicht sollten wir nicht zu weit in die Privatsphäre des anderen eindringen", erklärte Darwin nach einer Weile und zog die Tür hinter sich zu.
„Vielleicht, aber da das in meiner Akte stand, solltest du das wissen", murmelte sie und lehnte sich ein wenig zurück, um die Augen noch einmal zu schließen. Sie wusste nicht, wie weit sie fahren würden und wie lange ihr blieb, doch sie war noch immer müde.
„Ich hoffe mal, dass es nicht so weit kommen wird, dass deine Akten relevant werden", erwiderte Darwin und beobachtete Scarlett, die fast in ihrem Sitz zusammensackte.
„Hmh", murmelte sie und hörte schon gar nicht mehr richtig zu. Die gleichmäßigen Bewegungen des Autos wiegten sie förmlich in den Schlaf, dem sie sich nur allzu gern hingab.