„Meinen Bruder solltest du über mich am wenigsten kennen. Ich dachte eher an jemanden von dem du schon ‚so viel gehört hast'„, imitierte Darwin ironisch Scarletts Stimme, um ihr klarzumachen was er eigentlich meinte.
Diese verdrehte die Augen. „Dann sollte die Frage doch an dich gehen. Also von wen der Leute würdest du mir am meisten erzählen", fragte sie zurück und verspeiste das letzte Bisschen ihres Fisches.
„Was weiß ich? Ich spreche nie von Ihnen", erwiderte Darwin feindselig mit zuckenden Schultern. „Erzähl mir lieber was von dem Trottel, wenn du schon so von ihm schwärmst", fügte Darwin hinzu und lehnte sich beleidigt in seinem Stuhl, mit dem Weinglas in der Hand, zurück und blickte Scarlett prüfend an.
Scarlett musste leise lachen. „Wenn du nie von ihnen erzählen würdest, warum soll ich dann so viel über sie wissen, kommt das nicht seltsam, dass du mir gegenüber auf einmal so redselig bist?", fragte sie neugierig, legte sich aber bereits die Dinge zurecht, die sie über Darwins Bruder wusste.
„Darum geht es doch gar nicht. Nur weil ich es nie getan habe, heißt es nicht, dass es nicht üblich ist. Ich versuche den perfekten Sohn mit perfektem Leben zu spielen. Nicht ich selbst zu sein", erklärte Darwin und leerte sein Glas in einem Zug.
Scarlett seufzte. „Noah ist 20 Jahre, damit dein jüngerer Bruder, euer Verhältnis ist nicht das beste und er studiert gerade Meeresbiologie, wie deine Mutter früher", zählte Scarlett fast schon lieblos auf.
„Du hast vergessen, dass er ein Versager ist", fügte Darwin korrigieren mit gehobenem Finger hinzu und nippte an seinem Wein.
„Also da er Meeresbiologie studiert, würde ich ihn nicht für einen Versager halten. Oder es irgendwie in der Gegenwart deiner Eltern erwähnen", meinte Scarlett, die nicht nachvollziehen konnte, warum Darwin seinen jüngeren Bruder nicht mochte.
„Ich meine ja nur, dass deine Meinung entsprechend von meiner geprägt sein sollte", verteidigte sich dieser und hob beschwichtigend die Hände.
„Aber ich soll doch deinen Eltern gefallen. Denkst du nicht es wäre sinnvoller da ein wenig neutraler heranzugehen, um sie nicht gleich zu verärgern? Ich als Mutter würde es nicht gut finden, wenn die Freundin meines Sohnes den anderen Sohn abschätzig betrachtete", meinte Scarlett nachdenklich. Natürlich hatte auch Darwin recht, dass sie sich wohl von seiner Meinung entsprechend beeinflussen lassen würde, doch es zu erwähnen wäre wohl den Eltern gegenüber nicht angebracht.
„Ach", machte Darwin abschätzig und stellte sein Glas wieder ab. „So sind Geschwister. Sie ist es gewohnt."
„Na gut, wenn du das sagst", gab sich Scarlett geschlagen und nahm einen Schluck ihres Weines. Es war noch immer ein wenig bizarr, aber gleichzeitig hatte sie sich an die ganze Sache hier gewöhnt.
„Was weißt du noch?", wechselte er nun wieder das Thema und verengte prüfend die Augen. Sein musternder Blick ruhte behutsam auf ihr, als würde er jede kleine Regung mit den grünen Augen beobachten.
„Über deinen Bruder?", fragte sie nach, weil sie nicht ganz wusste, was er nun wissen wollte.
„Allgemein."
„Dein Vater ist Naturwissenschaftler und Firmenleiter eines Pharmaziekonzerns. Deine Mutter ist Meeresbiologin. Deine große Schwester ist verheiratet und hat ein Kleinkind. Mit ihrem Mann kommst du nicht so sonderlich gut klar, wohl auch weil er deinen Lebensstil immer wieder kritisiert", erklärte Scarlett. „Und um auf deine Frage zurückzukommen. Neben deinem Bruder interessiert mich deine Schwester am meisten."
Darwins Augen wurden größer als er sich vielsagend zu West umwandte, damit er diesen beschuldigend anblicken konnte. „Was hast du dort alles reingeschrieben?"
„Das muss da nicht drinstehen, damit ich sowas weiß. Ich kann Google benutzen", gab Scarlett nüchtern von sich. Tatsächlich standen diese Informationen zwar auch drin, doch irgendwo recht versteckt im Text. Dabei empfand sie doch gerade das als wichtig. Außerdem hatte sie die Information mit dem Mann seiner Schwester aus einem Zeitungsartikel, in der es zwischen ihm und Darwin öffentlich Streit gegeben hatte.
„Der Typ hat keine Ahnung wovon er spricht und bereichert sich nur an dem Geld unserer Familie", rechtfertigte sich Darwin und gab West ein Handzeichen. Kurz darauf räumte dieser seinen Teller weg, bevor sich Darwin mit dem Glas erhob und durch den Raum lief.
Scarlett konnte Darwin ansehen, dass sie ein schwieriges Thema angeschnitten hatte. Sie hoffte nicht, dass die schlechte Beziehung zwischen Darwin und dem Bruder seiner Schwester für Probleme sorgen würde.
Da sie ebenfalls fertig war, lehnte sie sich mit dem Glas zurück und beobachtete Darwin ein wenig.
Er stieß die Türen zum Wohnzimmer auf und betrat jenes, während er ihr mit einem Kopfnicken deutete ihm zu folgen. Seine freie Hand versteckte er dabei in der Hosentasche und trank mit der anderen einen weiteren Schluck Wein.
Scarlett erhob sich samt Wein und folgte Darwin. Sie war es mittlerweile gewohnt, dass er Bewegung brauchte und gern einmal hin und her lief. Daher störte sie sich weniger daran. Sie trat einfach ein und setzte sich im Wohnzimmer wieder, während sie ihn beobachtete.
„Meine Schwester", begann er nun und überreichte Scarlett mit einem vielsagenden Blick das Wort.
„Olivia ist 32 Jahre alt und arbeitet bei deinem Vater in der Firma. Ansonsten kommt ihr beiden recht gut miteinander klar", erklärte sie und fragte sich, ob sie auch sagen sollte, dass Darwin den kleinen Plüsch-Kuckuck, den Olivia ihm einmal zum Geburtstag geschenkt hatte, immer noch besaß.
„Sie ist im Grunde der Liebling meiner Eltern. Wenn du dich mit ihr gut stellen kannst, werden meine Eltern kein Problem sein", nickte er zustimmend und schien zu überlegen.
„Das ist gut, auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob sie mich mögen wird. Ich werde es auf alle Fälle versuchen", versicherte Scarlett, die Darwin weiter beobachtete und dabei ihren Wein genoss. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass dieser irgendwas von ihr wollte, aber sie konnte nicht sagen was.
„Wieso sollte sie das nicht tun?", fragte er und richtete ihr nun seinen Blick zu.
„Das weiß ich nicht. Vielleicht findet sie mich unsympathisch", schlug sie vor, weil sie wusste, dass immer etwas dazwischenkommen konnte, wenn es um das Verstehen von zwei Lebewesen ging.
„Da wir gerade davon sprechen... deine Familie und Vergangenheit. Für den Fall, dass meine Eltern dich durchleuchten. Was wäre das Schlimmste was sie finden könnten?", fragte Darwin plötzlich und klang sogar überraschend ernst.
Scarlett wirkte ebenso überrascht, wie er ernst klang. Daran hatte sie gar nicht gedacht und das war nicht gut.
„Ich denke, dass mein Vater meine Mutter sitzen gelassen hat, als diese mit mir Schwanger war und dass meine Mutter lediglich eine Kaufhausangestellte ist... war", verbesserte sie sich noch schnell. „Jetzt ist sie krank und braucht eine OP. Ich denke sonst gibt es in meiner Familie oder meinem Leben nichts, was irgendwie auffällig ist."
Sie sagte es ruhig und gelassen, doch sie wusste, dass sie zu normal war, um für Darwins Eltern überhaupt als seine Freundin in Betracht gezogen zu werden. Sie war nicht reich genug.
„Was macht dein Vater jetzt?", fragte Darwin seufzend und rieb sich nachdenklich die Nasenwurzel. Dieses ganze Thema machte ihm Kopfschmerzen, weil es etwas war, was er nicht unter Kontrolle hatte. Dennoch war er gezwungen sich damit zu beschäftigen.
„Ich weiß es nicht. Ich kenne nicht einmal seinen Namen", erklärte Scarlett widerwillig. Ihr gefiel das Thema genau so wenig wie Darwin.
Dieser hielt plötzlich inne und blickte sie ein wenig unangenehm an. „Ehm... das... das tut mir leid", murmelte er und blickte sich hilfesuchend nach West um, allerdings vergebens. Mit einem Räuspern lief er langsam weiter durch den Raum.
„Muss es nicht. Wir sind auch so gut ohne ihn klargekommen", meinte sie nüchtern. „Allerdings weiß ich nicht, ob du etwas über ihn findest, was dich beunruhigen könnte. Ich habe wirklich keinerlei Ahnung was er macht."
„Hast du seinen Namen?", fragte Darwin nun und warf West einen kurzen, beiläufigen Blick zu, als dieser wieder aus der Küche kam und wie immer seinen Platz schweigend einnahm.
Scarlett schüttelte den Kopf. „Nein. Aber meine Großmutter hat einmal erwähnt, dass sie froh darüber ist, dass ich nicht den Nachnamen Clark trage. Damit könnte sie meinen Vater gemeint haben. Aber ich bin mir nicht sicher", erklärte die Schwarzhaarige vorsichtig und das Thema wurde ihr immer unangenehmer.
Darwin schien dies zu bemerken und wider ihrer Erwartungen wechselte er das Thema. „Wie dem auch sei. Was interessiert dich so an meiner Schwester?"
Überrascht über den Themenwechsel, da sie Darwin nicht zugetraut hatte, dass er auf ihre Stimmung einging, musste sie erst einmal überlegen.
„Ich denke, dass sie eine recht bodenständige Frau ist, auch wenn sie viel verdient", murmelte sie schließlich.
Als hätte Darwin einen Geistesblitz, zog er die Hand aus der Tasche und schnippte einmal. „Das ist es! Olivia sponsort und nimmt doch immer an solche Hilfsorganisation teil. Das wäre eine tolle Grundlage mit dir auf ein Level zu kommen. Sie liebt Kinder, alte Menschen und Entwicklungsländer. Der ganze Minderheitenkram eben."
Scarlett konnte nicht anders, als ihn ungläubig anzuschauen. Hatte er das wirklich so gesagt? Dieser Typ war wirklich ein sehr hochnäsiger Kerl.
„Was?", fragte er irritiert, als er Scarletts Gesichtsausdruck bemerkte.
„Siehst du alle Menschen, die für ihr Überleben kämpfen müssen als niedere Lebewesen?", fragte sie, da ihr der Tonfall bei seiner letzten Aussage nicht aus dem Kopf ging. Dabei hatte sie gedacht, dass sie sich in ihm geirrt hatte.
Darwin schnaubte und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Bitte. Ich werde mich jetzt nicht mit dir über außenpolitische Disparitäten unterhalten", winkte er überheblich ab.
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