Müde kniff Scarlett die Augen zusammen und gab einen unwilligen Laut von sich, als helles Licht ihr regelrecht die Netzhaut zersetzte. Ihr Lider waren träge und hätten sich am liebsten gleich wieder geschlossen. Hatte sie überhaupt geschlafen? Es fühlte sich keineswegs so an und die Kopfschmerzen, die nun langsam vom Alkohol einsetzen, machten das Ganze nicht besser. Erneut erklang der nervige Ton in Kombination mit dem Vibrieren, was Scarlett zu der Quelle ihres Erwachens blicken ließ. Es kam von Darwins Jacke, die sie gestern getragen hatte. Sie lag ordentlich gefaltet über einer Stuhllehne, ebenso wie ihre übrigen Kleider, die sie am Abend zuvor getragen hatte. Die Jackentasche blinkte alarmierend, synchron zum Klingelton, als würde er Scarlett anschreien. Mit einem quengelnden Geräusch streckte sie sich ausgiebig, spürte jedoch Widerstand. Erst jetzt bemerkte sie, dass Darwin hinter ihr lag und sie regelrecht umklammert hielt. Noch immer im Tiefschlaf, schien er sich eher weniger an den Geräuschen zu stören.
Ein sanftes Lächeln schlich sich auf ihre Lippen, bevor sie ein wenig rot wurde. Der gestrige Abend war ihr noch sehr deutlich im Gedächtnis und am liebsten wäre sie liegen geblieben und hätte mit Darwin gekuschelt, doch das Handy wollte einfach keine Ruhe geben.
Mürrisch versuchte sie sich aus Darwins Griff zu befreien, ohne ihn zu wecken und schaffte es sogar. Zumindest hoffte sie das.
Mit einigen unkoordinierten Bewegungen schob sie sich aus dem Bett und griff nach der Jacke, um an ihr Handy zu gehen. Wieso hatte sie die Mailbox auch ausgeschaltet. „Hm", machte sie verschlafen in das Gerät. Sie hatte nicht einmal geschaut, wer sie da angerufen hatte. Sie wollte nur das Geräusch los werden. Aber da sie jetzt saß und die Wärme weg war, erzitterte sie ein wenig und suchte mit den Augen nach etwas Wärmenden.
„Wieso hab ich seit Tagen nichts mehr von dir gehört? Bist du jetzt was Besseres und verkehrst nur noch in gehobenen Kreisen?", mit diesen Worten und der Stimmlage, musste Scarlett gar nicht mehr nachsehen wer es war. Es konnte nur Marian sein.
„Nicht so laut, mein Kopf", murmelte Scarlett, auch wenn es nicht ganz stimmte. Die Kopfschmerzen waren nicht so schlimm, dass Marians Stimme sie verstärkte, aber sie war noch müde und träge. Außerdem musste sie irgendwie aus Darwins Zimmer, damit sie ihn nicht störte. Dazu musste sie aber erst einmal etwas zum Anziehen finden. Weil sie zu faul war die Sachen von gestern zu nehmen, griff sie einfach nach Darwins Jacke und warf sie sich über, um mit dem Handy am Ohr das Zimmer zu verlassen.
„Was ist mit deinem Kopf? Hat er... vielleicht was verloren? Etwas... Wichtiges?", fragte Marian ironisch und zog die Sätze in die Länge. „Ich versuch dich schon den ganzen Morgen zu erreichen."
„Gott, Marian. Ich war gestern feiern. Außerdem ist das kein Grund mich aus dem Bett zu holen. Die Nacht war wirklich lang", erklärte sie murrend, ohne wirklich auf Marian einzugehen, während sie durch den Flur in ihr Zimmer lief. Ihre Freundin würde schon wissen, was sie mit einer langen Nacht meinte. Immerhin wusste Marian sehr gut, was Scarlett bei Partys so trieb.
Wie erwartet hörte sie ihre Freundin nach Luft schnappen, in einem überraschten Ton. „Wer? Er?", fragte sie und beantwortete sich die Frage im Grunde schon selbst. Das war typisch für diese Frau.
„Ja, natürlich. Wer denn sonst", murmelte Scarlett augenverdrehend und war endlich in ihrem Zimmer angekommen, wo sie auch gleich den Laptop hervorzog, damit sie mit Marian in den Face-Chat konnte. Sie wusste, dass Marian eine Menge Fragen hatte und nicht ruhen würde, bis Scarlett versichert hatte, dass alles gut war.
„Ich dachte du wolltest nichts mit deinem Chef anfangen", hakte sie nun verschwörerisch nach, musste jedoch aufgeregt kichern. Scarlett vernahm ein Klicken von ihrer Seite der Leitung, was wohl das schließen einer Tür war. „Erzähl schon!"
„Freund", korrigierte Scarlett, damit sich Marian wieder bewusst wurde, was sie sagen sollte und was nicht. Er war ihr Freund, nicht ihr Chef, zumindest solange, wie der Auftrag ging. Es wäre nicht gut, wenn ich Marian verplapperte. Auch wenn das eher selten der Fall war.
Sie seufzte genervt und Scarlett konnte sich schon vorstellen wie sie die Augen rollen musste.
„Eigentlich wollte ich dir nur sagen, dass ich deine Mutter besuchen war. Aber deine Nachrichten sind viel interessanter... wie groß?", fragte Marian aufgeregt, wie ein kleines Schulmädchen, das sich gerade über erste Küsse austauschen wollte.
„Warte. Du warst meine Mutter besuchen? Wie geht es ihr?", fragte Scarlett und spürte die Sehnsucht in ihr aufsteigen. Sie vermisste ihre Mutter und wollte ihr unbedingt helfen, doch im Moment blieb ihr kaum die Möglichkeit.
„Es geht ihr gut... den Umständen entsprechend. Sie hat nach dir gefragt", berichtete Marian, als sich der Anruf mit einem Klick auf ihren Laptop übertrug und sie die Brünette Frau auf ihrem Bildschirm erkannte. Noch ungeschminkt und die Haare zu einem unordentlichen Dutt zusammengebunden, der violett herausstach. Die Joggingjacke, die sie dabei über dem Tanktop trug, hob deutlich hervor, dass sie gestern zu Hause geblieben war. Marian gehörte zu der Art von Frauen, die nach einer langen Nacht sowohl Makeup als auch Klamotten anließ und einfach ins Bett kippte. Außerdem wäre sie sonst nie so früh wach gewesen, dass sie ihre Mutter hätte besuchen können.
„Ich werde sehen, dass ich sie wieder besuchen gehen kann", murmelte Scarlett, die dieses Thema Darwin gegenüber bisher nicht angesprochen hatte. Es hatte sich noch nichts ergeben, denn bisher war sie erst einmal damit beschäftigt gewesen in ihre Rolle als Freundin hineinzuwachsen. Außerdem stand wohl auch noch ein Besuch bei seinen Eltern an. Zumindest glaubte Scarlett das.
„Ich hab ihr gesagt du musst eine Präsentation vorbereiten für die Uni, also... wunder dich nicht, falls sie danach fragt", erklärte Marian und knabberte an einem Stück Tomate. „Und jetzt lenk nicht weiter vom Thema ab. Sag mir wie es war? Was habt ihr gemacht?"
Scarlett stöhnte genervt. „Wir waren in einem Club was trinken, sind aber recht schnell wieder nach Hause", sagte Scarlett und verdrehte die Augen. „Dann haben wir uns vergnügt."
„Ich habe selten eine Frau erlebt, die weder Luder noch Romantikerin war", kommentierte Marian kauend und hob skeptisch eine ihrer geschwungenen Augenbrauen. „Du siehst komplett fertig aus. Da muss doch wenigstens was Besonderes gewesen sein... oder war es schlecht?", fragte sie plötzlich, als hätte sie das Puzzle zusammengesetzt und sah Scarlett mitleidig an. „Denk dran, laut Vertrag muss er eigentlich die Finger von dir lassen."
Scarlett schnaubte. „Ich hoffe doch er hält sich da nicht dran. Es war wirklich umwerfend, darum bin ich ja auch so fertig und pissig, dass du mich geweckt hast. Ich wollte noch mit ihm kuscheln", erklärte Scarlett ein wenig mürrisch. „Er ist wirklich, wirklich gut im Bett", fügte sie schwärmerisch hinzu und wurde rot, als sie an den gestrigen Abend dachte.
„Klingt fast so als wärst du sein Arbeitgeber", kicherte ihre Freundin und zwinkerte ihr zweideutig zu. „Und... wer ist es?", fragte sie nun wieder neugierig und biss sich auf die Unterlippe.
Scarlett gab einen schnalzenden Laut von sich. „Marian, Marian. Was hatte ich dir erzählt? Ich werde dir seinen Namen nicht verraten", blieb die Schwarzhaarige unnachgiebig und zog sich seine Jacke enger.
Die Brünette rollte dramatisch die Augen und stöhnte genervt. „Ach komm schon! Wir sind doch jetzt quasi Arbeitskollegen... es bleibt auch in der Firma, versprochen!", quengelte sie und hüpfte ungeduldig auf der Stelle. Diese Frau benahm sich manchmal wirklich wie ein Kleinkind.
Ein plötzliches Klopfen an Scarletts Zimmertür ließ sie allerdings alarmiert zusammenfahren. „Miss Nolan?", hörte sie Wests gedämpfte Stimme fragen.
„Du hörst es, ich muss los", sagte Scarlett schnell und klappte den Laptop einfach zu, ohne sich zu verabschieden und sprang auf, um sich schnell die Jacke abzustreifen und einen Morgenmantel anzuziehen, bevor sie auf die Tür zu lief und diese öffnete. Den Morgenmantel dabei eng an sich gedrückt. „Guten Morgen. Was gibt es?", fragte sie vorsichtig.
West, der wie immer kühn, gefasst und professionell wirkte, nickte leicht zum Gruß und hielt die Hände am Rücken gefaltet. „Ich habe soeben Mister Christensen geweckt und er sagte, sie sollen sich bitte bereit machen, um zu seinen Eltern zu fahren. Sie werden dort Frühstücken", erklärte er und wartete darauf, dass Scarlett ihn wieder seiner Pflicht entließ.
Diese riss die Augen auf. Frühstücken? Jetzt. „Oh Gott", gab sie leise von sich und in ihrem Kopf explodierten Fragen. Doch die einzige, die sie hervorbrachte war: „Was soll ich nur anziehen?" Die oberflächlichste und eigentlich einfachste Frage, doch wohl auch die einzige, bei der West ihr irgendwie helfen konnte.
„Benötigen Sie meine Hilfe dabei?", fragte er, während sich Scarlett bereits wieder in ihr Zimmer drehte und in den noch unausgepackten Koffern kramte.
„Ja, bitte", gab sie von sich. „Könnten Sie mir etwas rauslegen?", fragte sie und war schon fast auf den Weg ins Bad. Sie würde sich noch schminken müssen, was auch noch einmal Zeit in Anspruch nahm.
West überließ sie dabei die volle Verantwortung ihrer Garderobe. Immerhin kannte er Darwins Familie besser als sie!
„Natürlich Madame", erwiderte er, wo Scarlett schon die Tür zum Bad geschlossen hatte und die Dusche anstellte.
Es war eine schnelle dusche und doch achtete sie darauf sich mit dem Minzduchgel gut einzuseifen, damit sie nicht irgendwie streng oder gar nach der letzten Nacht roch. Eigentlich ärgerte es sie, dass sie sich Darwins Geruch von der Haut schruppen musste, doch ihr blieb wohl keine andere Wahl.
Schnell sprang sie wieder aus der Dusche und wickelte sich ein Handtuch um, bevor sie sich mit einem Haargummi die Haare hochband und sich vor den Spiegel stellte, um sich zu schminken.
Zum Glück half ihr gebräunter Teint dabei, ihre Augenringe zu retuschieren, so dass der Schlafmangel ihr nicht sofort in Gesicht geschrieben stand. Ein dezentes Makeup war ohnehin besser für diesen Anlass, wenn Scarlett nach Alexa ging, die den üblichen Umgang von Darwins Bekanntschaften repräsentierte, würde mehr ohnehin nicht besser ankommen.