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Kapitel 18
Alles im Griff
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Der heutige Tag beginnt wie jeder andere, seit ich in der Welt der Menschen gelandet bin. Morgens bringe ich Killian eine Tasse Kaffee, wir kuscheln und irgendwann, sobald Killian sich wach genug fühlt, klettert er aus dem Bett und wir frühstücken zusammen.
Auch an diesem Morgen genieße ich jede Sekunde, in der ich in Killians Armen liege. Seine angenehme Körperwärme umhüllt mich und sorgt dafür, dass ich mich bei ihm gut aufgehoben fühle. Immer, wenn wir uns berühren, fühle ich mich vollständig. Ich bin mir sicher, dass nur mein Seelenverwandter dieses Gefühl von Geborgenheit in mir auslösen kann. Anders kann ich mir das alles nicht erklären. Auch wenn ich meine Heimat vielleicht nie wieder sehen werde, habe ich ein neues Zuhause gefunden. Mein Zuhause ist an Killians Seite, vollkommen egal, wo wir uns befinden.
Wie sehr Killian meine Gedanken einnimmt, zeigt sich wohl deutlicher, als ich es vermutet hätte. Ich bin nicht ganz bei der Sache und Killian merkt es sofort.
„Du bist unkonzentriert“, stellt er ruhig fest. Durch eine winzige Bewegung korrigiert er meine Handstellung. „Beim Lesen hast du dich mehr angestrengt.“
Ich schmunzle, Killian kann es jedoch nicht sehen, da er sich hinter mir befindet. „Beim Lesen hat mich allerdings auch nicht mein Lehrer abgelenkt.“
Killian schnaubt. „Immer sind die Anderen schuld. Das Spielchen kenne ich schon.“
„Aber es stimmt wirklich“, verteidige ich mich. „Ich kann mich unmöglich konzentrieren, wenn du mir so nahe bist. Anstatt an die Gitarre zu denken, denke ich nur über dich nach.“
Killian lehnt seinen Kopf gegen meinen. Er atmet tief durch. „Heute lasse ich dir das noch als Ausrede durchgehen.“ Ich kann das Grinsen in seiner Stimme deutlich hören, als er weiterspricht: „Aber jetzt wird geübt. Wenn du Gitarre spielen möchtest, dann musst du dir auch die Zeit nehmen und konzentriert lernen.“
„Ein Kuss würde mich sehr motivieren.“
Zu meiner Enttäuschung lehnt Killian meine Bitte nach einem Kuss neutral ab. „Schüler bekommen keine Küsse.“
Er nimmt Abstand von mir. Anstatt auf die Saiten der Gitarre oder auf meine Finger zu sehen, liegt meine ganze Aufmerksamkeit bei dem Menschen. Der strenge Blick, den er mir zuwirft, löst gemischte Gefühle in mir aus. Motiviert fühle ich mich jedoch nicht. Eingeschüchtert vielleicht, aber nicht motiviert. Ein Kuss wäre hilfreicher gewesen.
„Dein Finger liegt nicht richtig auf der Saite auf.“
„Welcher?“, frage ich und hebe meinen Zeigefinger. „Der?“
„Nein, der Mittelfinger.“
Ich seufze. „Dein fauler Schüler hatte Recht. Das ist wirklich sehr schwer und anstrengend.“
„Vielleicht brauchst du eine Pause.“ Killian streckt seine Hand aus. „Gib mir die Gitarre und nimm dir einen Moment, um deine Finger auszuruhen.“ Ich tue, was Killian mir sagt. Er nimmt die Gitarre entgegen. „Es stimmt schon. Anfangs kann es sehr unangenehm sein. Die Haltung ist unnatürlich und wenn man es nicht gewohnt ist, kann es vorkommen, dass man sich überanstrengt und einen Krampf in der Hand bekommt. Soweit soll es natürlich nicht kommen. Es ist harte Arbeit, aber wenn du keinen Spaß daran hast, ist das auch nicht der richtige Weg.“
Der Mensch setzt sich auf die Armlehne der Couch und legt die Gitarre auf seinem Oberschenkel ab. Während ich meine linke Hand wiederholt öffne und schließe, um sie wieder ein wenig zu lockern und zu entspannen, legt Killian seine Finger an den Hals der Gitarre. Ich erkenne den Griff sofort. Es ist der, an dem ich schon eine Weile scheitere. Ich sehe Killian ganz genau zu, als er über die Saiten streicht.
„Ich glaube, dass es dir leichter fallen würde, wenn du deine Nägel abschneidest.“ Killian zeigt mir seine Finger. „Wenn du deinen Finger vertikal an die Tischplatte legst und mit dem Fingernagel den Tisch berührst, sind sie zu lang. Berührst du mit der Fingerkuppe die Tischplatte, dann kannst du auch problemlos die Saiten greifen.“ Er zeigt die Bewegung mit seinem Zeigefinger an der Seite der Gitarre vor. Killians Nägel sind sehr kurz, im Gegensatz zu meinen.
Schon ein Blick auf meine Finger zeigt mir mehr als deutlich, dass meine Fingernägel zu lang sind. „Oh. Dann sollte ich sie abschneiden, hm?“
Killian zuckt mit den Schultern. „Viele Frauen lieben ihre langen Nägel, deswegen habe ich es dir noch nicht vorgeschlagen. Aber wenn ich sehe, wie sehr du dich quälst, muss ich dir den Tipp geben. Du musst es dir ja nicht unnötig schwer machen.“
„Wenn es mir hilft, dann schneide ich meine Nägel gerne ab. Sie wachsen ohnehin gleich wieder, sobald ich mich in die Wanne lege.“
„Mhm, das ist mir aufgefallen. Du bekommst richtige Krallen. Auch diese Schwimmhäute zwischen deinen Fingern.“ Er zieht einen Mundwinkel hoch. „Es ist interessant, zu beobachten, wie sich dein Körper verändert, sobald du im Wasser bist.“
„Solange ich dir damit keine Angst mache…“
Der Mensch schüttelt den Kopf. „Ganz und gar nicht. Du bist so oder so sehr schön anzusehen.“
Killian steht auf. Die Gitarre legt er auf die Couch. Er möchte gerade weggehen, doch nach einem Schritt dreht er wieder um und beugt sich zu mir nach unten. Ich lächle breit, als er mir einen Kuss auf die Stirn drückt.
Als er sich wieder aufrichtet, sehe ich zu ihm nach oben. „Ich dachte, dass Schüler keinen Kuss bekommen?“
„Weder du, noch ich berühren gerade eine Gitarre“, antwortet Killian frech, ehe er mir zuzwinkert. „Ich hole dir eben eine Nagelschere. Sobald deine Nägel gekürzt sind, üben wir noch ein wenig.“
„In Ordnung, ich warte hier.“
Killian lässt mich nicht sehr lange alleine. Er setzt sich zu mir und reicht mir eine kleine Schere und auch eine kleine Feile aus Metall. Interessiert begutachte ich das Werkzeug. Ich erinnere mich daran, dass ich diese Sachen das erste Mal entdeckt habe, als ich mich in Killians Badezimmerschrank umgesehen habe.
„Hast du das schon einmal gemacht? Soll ich dir dabei helfen oder schaffst du das alleine?“, fragt er nach.
„Nein, aber ich denke nicht, dass das schwer sein wird. Ich habe geschickte Finger. Auch wenn ich das an der Gitarre noch nicht beweisen konnte.“ Ich deute mit dem Kopf leicht zu dem Musikinstrument.
Killian grinst. „Ich bin sicher, dass du geschickte Finger hast.“
Obwohl ich mich mit der Nagelschere ein wenig abmühe, schaffe ich es, meine Nägel zu kürzen. Mit der Nagelfeile schleife ich die Kanten glatt, auch das dauert eine Weile. Während ich mit meinen Fingernägeln beschäftigt bin, fällt Killian auf, dass die Prozedur in seinen Augen ungewöhnlich lange dauert. Der Grund dafür ist schnell gefunden. Meine Fingernägel sind wohl um einiges dicker und robuster als die der Menschen. Der Unterschied ist mir überhaupt nicht aufgefallen, Killian jedoch schon. Nachdem meine Finger nun den Tischplattentest bestehen und ich mir noch einen kurzen Motivationskuss abgeholt habe, reicht Killian mir die Gitarre.
„Versuch es noch einmal.“ Ich tue, was der Mensch mir aufträgt und lege meine Finger der linken Hand an die Saiten, dabei beäuge ich kritisch meine Haltung. Als ich zufrieden damit bin, streiche ich mit der anderen Hand über die Saiten der Gitarre, um eine kurze Melodie erklingen zu lassen. „Das sieht doch gleich viel besser aus. Gut gemacht, Ilaria.“
„Danke.“ Zufrieden mit mir selbst, wiederhole ich das Streichen über die Saiten einige Male. „Gut, das kann ich. Und was jetzt?“
Killian schnaubt amüsiert. „Jetzt probierst du das hier.“ Ich lasse meine Finger locker, sodass es im leichter fällt, sie neu zu platzieren. „Geht das?“ Wieder spiele ich die Saiten an.
„Ja, das macht Spaß.“
„Gut, dann wechselst du jetzt immer wieder ab“, erklärt Killian. „Zweimal den ersten Griff und dann zweimal den zweiten Griff und das machst du solange, bis ich zufrieden bin und dir etwas Neues zutraue.“
Killian greift nach seinem aufleuchtenden Smartphone und setzt sich dann neben mich hin. Etwas argwöhnisch beobachte ich ihn dabei. So habe ich mir eine Unterrichtsstunde nicht vorgestellt. Ich dachte, dass er mir mehr Beachtung schenken würde, anstatt sich neben mich hinzusetzen und auf seinen Bildschirm zu sehen.
„Willst du mir denn gar nicht zusehen?“, frage ich nach.
„Doch, in einer Sekunde. Fang an zu spielen, ich höre es, wenn irgendetwas nicht stimmt.“ Er tippt auf seinem Smartphone, wirft mir einen kurzen Blick zu und tippt dann weiter. „Wenn man etwas lernen will, muss man dahinter sein, deswegen bin ich auch streng, wenn ich meinen Schülern etwas beibringe. Würde ich die Kinder und Jugendlichen zu lasch behandeln, würde keiner von ihnen etwas lernen. Ich habe es auch gelernt, indem ich jahrelang geübt habe. Und ich übe immer noch, auch 20 Jahre später.“ Killian legt sein Smartphone wieder zur Seite. „Ich sehe dich nicht spielen.“
„Oh, entschuldige, ich habe dir zugehört.“
„Weniger entschuldigen und mehr spielen“, meint Killian mit zusammengezogenen Brauen.
Ich bin mir nicht sicher, ob es an seiner tiefen Stimme liegt, aber wenn er so bestimmt spricht, wirkt er fast wie ein anderer Mensch. Beinahe schon ein wenig fies. Es könnte allerdings auch sein, dass ich etwas empfindlicher reagiere, weil Killian sonst sehr sanft und liebevoll mit mir umgeht.
„Vielleicht bist du sogar ein wenig zu streng“, beschwere ich mich halbherzig. Die Kraft und Konzentration wende ich doch lieber für das Musikinstrument auf, anstatt mich mit Killian zu streiten.
Killian zieht eine Braue hoch und deutet mit dem Kopf auf die Gitarre. Ich nicke leicht und übe das, was er mir aufgetragen hat. Mit meiner linken Hand greife ich die Saiten der Gitarre, mit der rechten streiche ich zweimal darüber. Dann kommt der nächste Griff an die Reihe. Auch jetzt streiche ich zweimal über die Saiten, dann wiederhole ich den Vorgang von vorne. Ich wechsle die Griffe immer und immer wieder ab. Mit kritischem Blick beäugt Killian meine Bewegungen. Da er mich nicht unterbricht, scheint er nichts zu haben, worüber er sich beschweren könnte.
Lange dauert unsere Gitarrenstunde leider nicht. Meine Konzentration und der Wille etwas Neues zu lernen, reichen nicht aus, um die Schmerzen in meinen Fingern zu verdrängen. Gitarre zu spielen sieht bei Killian so locker und leicht aus. Ich hingegen muss mich sehr konzentrieren, um meine Finger in der richtigen Position zu halten. Abgesehen davon habe ich ständig das Gefühl, dass meine Finger entweder zu lang oder zu kurz sind. Irgendwie bin ich mir selbst ständig im Weg. Es ist wirklich viel schwerer, als es aussieht. Die Schmerzen in meiner Hand sind nicht zu verachten. Dass ich viel üben und mich an diese Bewegungen gewöhnen muss, wird mir immer bewusster, je länger ich mich mit dem Instrument beschäftige.
„Okay, das reicht für heute“, meint Killian ruhig. Er fasst an meine Hand. „Hast du Schmerzen? Deine Finger zittern.“
„Ich wollte erst aufhören, wenn es schlimmer wird. Du hast doch gesagt, dass man viel üben muss.“
Der Mensch zieht seine Brauen zusammen. „Du kannst mir ruhig sagen, wenn dir etwas wehtut.“ Der Gesichtsausdruck ändert sich auch nicht, als er mir die Gitarre abnimmt und sie zurück in den Gitarrenkoffer packt. „Man muss zwar viel üben, aber man darf es auch nicht übertreiben, Ilaria. Wenn man sich überanstrengt, ist das nie gesund.“ Er stellt den Koffer neben der Couch ab und greift sofort nach meiner linken Hand. Erst begutachtet er meine zitternden Finger, dann seufzt er. Mir fallen sofort die dunklen Druckstellen an meinen Fingerkuppen auf. Sie sind leicht bläulich verfärbt. Liebevoll und vorsichtig küsst Killian jeden einzelnen meiner Finger. „Ruh’ deine Hand aus. Wenn es heute Abend immer noch wehtut, dann gebe ich dir eine Salbe.“
„Küsst du deinen Schülern immer die Finger?“
Killian grinst mich an. „Eigentlich eher nicht. Aber bei einer Schülerin wie dir kann man nach dem Unterricht eine Ausnahme machen.“ Er zwinkert mir zu.
Der Mensch bringt mich zum Schmunzeln. So gefällt er mir gleich viel besser. „Versuchst du öfter, deine Schülerinnen zu verführen?“
Killian packt mich an der Taille. Mit Leichtigkeit hebt er mich auf seine Oberschenkel. Nun sitze ich seitlich auf ihm. Um es noch etwas bequemer zu haben, lehne ich mich gegen seinen Oberkörper. „Die meisten meiner Schüler sind Jungs. Ich hatte schon lange keine weiblichen Kandidaten mehr vor mir sitzen.“
Ich lege meine Hand in Killians Nacken und massiere ihn mit sanften, kreisenden Bewegungen. „Hast du all deinen Freundinnen Gitarrenunterricht erteilt?“
Killian hebt überrascht seine Brauen. „Nein. Die meisten waren eher daran interessiert, dass ich spielen kann. Musiker wirken auf viele Frauen sehr anziehend. Der Mensch dahinter ist für sie weniger interessant, als die Tatsache, dass man Gitarre spielen kann und Mitglied einer Band ist. Für Sex ist das okay, aber für eine richtige Beziehung ist das nicht genug.“
„Das klingt sehr oberflächlich“, antworte ich nachdenklich.
„Ja“, stimmt Killian mir nickend zu. „Das ist leider das Problem bei den meisten Frauen, die ich kennenlerne. Bei fast allen lief es nur auf Sex hinaus. Das ist okay, wenn man nicht nach mehr sucht, aber wenn man eine Beziehung eingehen will, sollten doch einige Gemeinsamkeiten vorhanden sein.“ Er zuckt mit den Schultern. „Du bist anders als die Frauen, die ich bis jetzt getroffen habe. Und das nicht nur aus den offensichtlichen Gründen.“ Killian zieht einen Mundwinkel hoch. „Dass du ehrliches Interesse an meiner Musik hast, und nicht nur mit einem Musiker schlafen willst, ist eine schöne Abwechslung.“
„Ich interessiere mich nicht nur für deine Musik“, antworte ich Killian mit einem Lächeln. Zärtlich lege ich meine Hand an seine Brust und streichle ihn. „Ich interessiere mich auch für dich, Killian. Und das nicht nur, weil du ein guter Lehrer bist.“ Ich sehe ihm tief in die Augen. „Es gibt so vieles an dir, was mich fasziniert.“
Nun grinst er ein wenig. Killian streicht mir die Haare aus dem Gesicht, dabei beugt er sich nach vorne, um mich zu küssen. Wie von selbst komme ich seinen Lippen entgegen und erwidere seinen Kuss, sobald seine warmen Lippen auf meine treffen. Ich nehme meine Hand von seiner Brust und lege sie an seine Wange. Als ich darüber streiche, spüre ich die Bartstoppeln unter meinen immer noch schmerzenden Fingern. Unsere Lippen berühren sich einige Male und wenn es nach mir gehen würde, würden wir uns in den nächsten Minuten nicht mehr voneinander trennen.
Zu meinem Bedauern nimmt Killian von sich aus Abstand zu mir. Ich vermisse seine Lippen in der Sekunde, in der er den Kuss löst. Er nimmt meine Hand von seiner Wange, um meine überanstrengten Finger noch einmal liebevoll zu küssen. Als er meine Hand wieder sinken lässt, nimmt er mich in den Arm. Killian drückt mich an sich. Die Hand, die eben noch geküsst wurde, streicht nun ein weiteres Mal über seine Brust. Zufrieden schmiege ich meinen Kopf an Killians. Das wohlige Brummen seinerseits zeigt mir, dass er die Nähe mindestens so sehr genießt, wie ich es tue.
Nach einigen Sekunden in inniger Umarmung unterbricht Killian die Stille. „Ich brauche einen Kaffee. Was ist mit dir?“
„Du solltest mittlerweile wissen, dass ich Kaffee nicht so sehr genieße, wie du es tust.“
Killian schnaubt, dabei lockert er unsere Umarmung. Seine Hände ruhen nun an meiner Hüfte. „Eigentlich habe ich mit meiner Frage etwas anderes gemeint. Ich wollte wissen, ob du auch irgendetwas haben willst.“
„Ein Glas Wasser.“
„In Ordnung.“ Er sieht mich an. Seine Augen strahlen deutlich aus, wie zufrieden er im Moment ist. „Dann musst du jetzt nur noch von mir klettern, damit ich aufstehen kann.“
„Du kannst mich auch mitnehmen“, antworte ich grinsend.
Killian lacht. „Das würde ich gerne, Prinzessin, aber ich kann so wirklich nicht aufstehen.“
„Tragisch.“ Ich lege meine Hände an Killians Wangen und gebe ihm einen Kuss auf die Lippen, den er sofort erwidert. Als ich mich wieder von ihm löse, sieht er mich mit hochgezogenem Mundwinkel an. Ich klettere von seinem Schoß und gehe schon einmal vor, um die Kaffeemaschine einzuschalten. Sie braucht ohnehin immer einige Zeit, bis sie einsatzbereit ist.
Killian folgt mir mit seiner Tasse. Er spült sie aus und stellt sie dann zur Kaffeemaschine. Nun muss er nur noch warten, bis das kleine Licht aufhört zu blinken. Da ich ohnehin längst weiß, wo sich alles befindet, nehme ich mir ein Glas aus dem Schrank und fülle es mit Wasser.
„Achtung, es wird laut.“
„Es ist lieb, dass du mich immer noch vorwarnst.“
Killian schnaubt. „Es reicht vollkommen, wenn der Toaster und die Türklingel dich immer noch erschrecken.“
„So schlimm ist es doch gar nicht mehr.“ Nach einem Schluck Wasser stelle ich das Glas ab und lege meine Hände an meine Ohren, um das gleich folgende Geräusch zu dämpfen.
„Es ist aber trotzdem unterhaltsam, dass du dich jedes Mal an meinem Arm festhältst, wenn der Toaster den Toast ausspuckt.“ Killian grinst mich frech an, ich ziehe nur eine Schmolllippe, um ihm mein Missfallen auszudrücken. Als das Geräusch der Kaffeemaschine erklingt, sehe ich Killian weiterhin an, dessen Blick allerdings wieder auf die Kaffeemaschine gerichtet ist.
Schlagartig ändert sich jedoch die Stimmung im Raum. Von einer Sekunde auf die andere überkommt mich ein seltsames, beängstigendes, beinahe bedrückendes Gefühl. Es fühlt sich an, als würde eine Herde wildgewordener Tiere auf uns zulaufen. Der Erde unter meinen Füßen bewegt sich. Meine Knie werden weich. Unsicher lasse ich meine Hände sinken, der Lärm der Kaffeemaschine ist auf einmal vollkommen nebensächlich. Der Mensch macht sofort einen Schritt auf mich zu und legt eine Hand an meinen unteren Rücken.
„Keine Panik. Komm her“, bittet Killian mich ruhig. Er zieht mich zu sich, schiebt mich auf die andere Seite der Küche und drückt gegen meine Schultern, sodass ich in die Knie gehe. „Da runter.“ Mit sanftem Druck drängt er mich unter den kleinen Tisch, der neben dem kleinen Fenster steht. Killian gesellt sich schnell zu mir und zieht mich in seine Arme. Fast schon starr vor Angst klammere ich mich an Killian fest und kneife meine Augen zusammen. Ich höre das Klirren des Geschirrs in den Schränken. Ein weiteres Geräusch bringt mich dazu, zusammenzuzucken. Es klingt, als wäre etwas zu Boden gefallen. Die Vibrationen lassen das gesamte Gebäude wackeln.
„Killian…“
„Ganz ruhig, das ist nur ein Erdbeben, es ist gleich wieder vorbei“, tröstet Killian mich, dabei drückt er meinen Kopf gegen seinen Brustkorb. Weitere dumpfe Geräusche lassen mich vermuten, dass noch andere Gegenstände fallen, sicher bin ich mir jedoch nicht. Das einzige, das wirklich sicher ist, ist, dass die gesamte Situation mir große Angst einjagt.
Als die Erde unter uns wieder ruhiger ist, lässt Killian seinen Griff lockerer. Ich weiß nicht, wie lange wir unter diesem Tisch sitzen, es fühlt sich jedoch wie eine kleine Ewigkeit an. Killian streicht durch meine Haare, außerdem bekomme ich einen Kuss auf die Stirn. Ich fühle mich immer noch etwas unbehaglich, also lasse ich ihn nicht los.
„Ist alles okay, Ilaria?“
Ich nicke leicht, halte mich jedoch weiterhin an Killian fest. „Das war sehr erschreckend.“
„Man gewöhnt sich daran.“
Ich hebe meinen Kopf und sehe Killian an. „Man gewöhnt sich daran? Wie oft passiert das, dass man sich daran gewöhnt?“
Killian zuckt mit den Schultern. „Erdbeben kommen in Kalifornien öfter vor. Die meisten spürt man allerdings nicht.“ Er lächelt mir aufmunternd zu. „Es ist vorbei. Ich glaube, dass du mich loslassen kannst.“
„Oh, entschuldige.“ Ich atme tief durch und lasse von Killian ab. „Was für ein bedrückendes Gefühl. Mein Herz rast.“
Der Mensch legt seine Hand an meine Wange. Mit dem Daumen streicht er über meine Haut, dann lässt er sie zu meinem Hals gleiten. „Das ist nicht zu übersehen. Hast du das noch nie erlebt? Gibt es in eurer Welt keine Erdbeben?“
Ich atme tief durch. „Doch, doch natürlich. Ich war jedoch noch nie an Land, als es passiert ist. Das ist eine beunruhigende Erfahrung.“
Killian nickt. „Es gibt für alles ein erstes Mal, hm? Aber mach dir keine Sorgen, es war nur ein kleines Erdbeben. Es ist alles in Ordnung.“ Ich bekomme einen sanften Kuss, bevor wir unser beengendes Versteck verlassen. Killian bittet mich, mich zu setzen, was ich auch ohne Wiederrede mache. Meine Beine fühlen sich immer noch etwas zittrig an.
Der Mensch lässt einen tiefen Seufzer los. Seine Kaffeetasse ist gefallen, was dazu geführt hat, dass sich nicht nur eine Kaffeepfütze auf dem Boden gebildet hat, auch die Schränke wurden mit Kaffee bespritzt. Von hier aus sieht wenigstens die Tasse unbeschadet aus.
„Soll ich dir helfen?“
„Nein, bleib bitte sitzen und erhol dich von dem Schreck.“ Er streicht über meine Schulter, ehe er die Tasse aufhebt und sie in die Spüle stellt. „Was für eine Scheiße“, beschwert er sich brummend und macht sich daran, den Kaffee aufzuwischen.
„Und ich soll dir wirklich nicht helfen?“, frage ich erneut nach, worauf er nur den Kopf schüttelt.
Als Killian fertig ist, die Kaffeemaschine, den Boden und die Schränke abzuwischen, atmet er tief durch. Er wirft den Lappen in die Spüle und nimmt eine Tasse aus dem Schrank, um sich einen neuen Kaffee zu machen. Während die Maschine ihre Arbeit erledigt, wirft Killian einen Blick ins Wohnzimmer.
„Ein paar Dinge sind hinuntergefallen, sonst sieht alles okay aus.“ Er wendet seinen Blick in meine Richtung. „Und dir geht es gut?“
Ich nicke zur Antwort. „Ja, mir geht es gut.“
Als der Kaffee fertig ist, rührt Killian noch etwas Zucker hinein, ehe er auch nach meinem Glas Wasser greift und es mit ins Wohnzimmer nimmt. Ich folge dem Menschen. Meine Schritte fühlen sich immer noch etwas unsicher an.
Obwohl Killians Wohnzimmer immer schon sehr unordentlich war, fällt mir sofort auf, dass einige seiner Helden von den Regalen gefallen sind. Ich helfe Killian dabei, seine gefallenen Helden aufzuheben. Ich reiche ihm eine der Figuren, die er zurück auf den Schrank stellt. Anstatt jedoch wieder für Ordnung zu sorgen, lässt Killian sich schnell von seinem Smartphone ablenken.
„Was machst du?“, frage ich, als ich einen weiteren Helden zurück auf das Regal stelle.
„Mich bei meinen Freunden melden. Ian hat schon geschrieben, dass bei ihm alles okay ist.“
„Dann macht ihr das immer nach einem Erdbeben?“, erkundige ich mich. Ich sehe mich im Zimmer um und entdecke, dass das Bild von Killian und seiner Mum ebenfalls auf dem Boden liegt.
„So oft kommen die Erdbeben nun doch nicht vor. Es ist aber beruhigend zu wissen, dass es seinen Freunden gut geht.“ Ich hebe das Bild auf. Vorsichtig streiche ich über das Foto. Bedauerlicherweise ist das Glas durch das Herunterfallen beschädigt worden. Vom rechten oberen Rand sieht sich ein Riss quer über das Bild. Er reicht beinahe bis zum unteren Rand auf der linken Seite. Als Killian zu mir sieht und das eingerahmte Foto in meiner Hand bemerkt, tritt er auf mich zu. „Ist ja großartig“, gibt er genervt von sich. Brummend nimmt er mir das Bild ab und betrachtet den Riss im Glas mit zusammengezogenen Augenbrauen.
Ich lege eine Hand an Killians Unterarm und streichle ihn sanft. „Vielleicht solltest du deine Mum anrufen und sie fragen, ob es ihr gut geht…“
Killian stellt das Bild auf die Kommode zurück. Er reibt sich den Nacken und seufzt im Anschluss. „Das würde ich gerne, aber sie ist vor drei Jahren gestorben.“
Erschrocken sehe ich in Killians Gesicht, dabei lasse ich meine Hand sinken. Ich presse meine Lippen zusammen. Nun fühle ich mich für meine unüberlegte Aussage schlecht. Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich nicht so unsensibel gewesen. „Entschuldige bitte“, drücke ich meine Worte leise hervor.
Killian schüttelt den Kopf. „Mach dir keine Vorwürfe. Du konntest es ja nicht wissen. Meine Mum war sehr krank. Es ist gut, dass sie nicht mehr leiden muss.“
Der Mensch wirft mir einen kurzen Blick zu, dann nimmt er allerdings Abstand von mir und lässt sich auf die Couch sinken. Es ist deutlich zu spüren, dass es Killian im Moment nicht gut geht. Ich setze mich zu ihm. Nach kurzer Überlegung, was ich wohl tun könnte, um Killian wieder aufzumuntern, beschließe ich, meine Arme um ihn zu legen und ihn zu drücken. Killian streicht durch meine Haare, er zieht mich an sich und küsst meine Stirn.
„Mach dir keine Sorgen, Ilaria, mir geht es gut“, versichert er mir. Als ich aufsehe, um einen Blick in sein Gesicht werfen zu können, zieht Killian einen Mundwinkel hoch. „Es ist ja schon ein paar Jahre her.“
„Das muss eine schwere Zeit für dich gewesen sein.“ Ich löse mich von ihm, als er nickt.
„Das war es. Kurz nach meinem Abschluss hatte ich das Glück einen richtig gut bezahlten Job im Silicon Valley zu bekommen. Kaum bin ich ausgezogen, wurde bei meiner Mum Krebs diagnostiziert.“ Killian kratzt sich am Kopf. „Ich liebe meine Mum, also war es für mich nur selbstverständlich, für sie zu sorgen und mich um sie zu kümmern. Ich bin wieder hier eingezogen, habe die Möglichkeit bekommen, von Zuhause aus zu arbeiten und habe alles getan, um meiner Mum die Zeit so angenehm wie möglich zu machen.“ Als Killian davon erzählt, breitet sich ein kaltes Gefühl in mir aus. Vorsichtig lege ich meine Hand an seinen Rücken und streichle ihn. „Sie war eine starke Frau, aber gegen Krebs verlieren die besten... Es ist eine beschissene Art zu sterben. Das will man nicht mitansehen.“ Killian atmet tief durch. Zu gerne würde ich etwas sagen, doch ich bringe keine Worte über meine Lippen. Nach einem weiteren tiefen Atemzug steht Killian auf. Ich sehe zu ihm nach oben. „Ich sehe mir die restliche Wohnung an. Hoffentlich ist nicht noch mehr kaputt gegangen.“
Ohne mich noch einmal anzusehen, verlässt Killian das Wohnzimmer. Es ist ihm deutlich anzusehen, wie traurig es ihn macht, diese Geschichte zu erzählen. Auch wenn ich die Krankheit nicht kenne, reichen die wenigen Worte aus, um zu verstehen, dass die Menschen wohl kein Heilmittel dafür haben.
Um Killian zu unterstützen, stehe ich ebenfalls von der Couch auf. Dass ich die gefallenen Gegenstände wegräume, ist das mindeste, das ich tun kann. Das Display seines Smartphones erhellt sich und zieht somit meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich kann den Namen Marc erkennen. Hoffentlich ist es eine gute Nachricht. Als das Display wieder dunkel wird, mache ich mich an die Arbeit. Sorgfältig sammle ich die restlichen, gefallenen Helden auf und stelle sie zurück auf die Bücherregale. Auch eine Kerze stelle ich zurück an ihren Platz auf der Kommode. Dabei sticht mir das Foto von Killian und seiner Mum wieder ins Auge. Ich kann mir nicht im Geringsten vorstellen, wie es sich wohl anfühlt, jemanden durch eine unheilbare Krankheit zu verlieren. So wie Killian von seiner Mum spricht, bin ich sicher, dass es ihm das Herz gebrochen hat, sie zu verlieren. Schon darüber nachzudenken, löst ein kaltes Gefühl in mir aus. Ich wende meinen Blick wieder auf den Boden und hebe noch ein Buch auf. Es gehört auf den unordentlichen Tisch, auf dem ich es auch ablege.
„Die restliche Wohnung sieht gut aus, im Badezimmer sind nur ein paar Sachen in die Badewanne gefallen. Nichts Weltbewegendes.“
„Ein Glück, dass nicht mehr passiert ist“, antworte ich ihm. Killian kommt auf mich zu. Ich erschrecke mich, als er plötzlich nach meiner Hüfte greift und mich hochhebt. Erschrocken lege ich meine Arme um seinen Hals. Damit habe ich jetzt nicht gerechnet. „Was soll das denn?“
Der Mensch grinst mich frech an. „Wie fühlst du dich nach deinem ersten Erdbeben in der Menschenwelt? Hast du den Schock verdaut?“
„Mir geht es gut, danke“, antworte ich mit einem sanften Lächeln. „Ich bin froh, dass du da warst.“ Der Mensch trägt mich zur Couch und setzt mich auf der Rückenlehne ab. Wir sind nun auf Augenhöhe. Mit einer Hand hält Killian mich an meiner Taille fest. Irgendetwas an seinem Blick ist seltsam. Seine Stimmung hat sich erstaunlich schnell wieder in eine positive Richtung gewendet. „Ist irgendetwas?“
„Nein, es ist alles gut.“ Mit einer vorsichtigen Bewegung streicht er mir die Haare aus dem Gesicht und beugt sich vor, um meine Stirn zu küssen. „Falls das jemals passiert, wenn ich nicht hier bin, versteck dich einfach so, wie wir es gemacht haben, okay?“
Ich lasse meine Hände aus Killians Nacken gleiten und streiche über seinen Brustkorb. „Ich werde es mir merken.“
„Das wollte ich hören.“
Killian beugt sich ein weiteres Mal zu mir, dieses Mal küsst er meine Lippen. Mit einer Hand hält er mich fest, die andere greift selbstsicher nach meinem Schenkel. Es dauert einen kurzen Moment, doch dann verstehe ich, was er möchte. Ich schlinge meine Beine um seine Hüfte. Killian brummt in den Kuss, ehe er ihn löst. Keine Sekunde später spüre ich seine Lippen an meinem Hals. Mit einem kräftigen Ruck hebt Killian mich wieder an. Eine Hand stützt meinen Hintern, die andere drückt mich an seine Brust. Ich lege meine Arme um ihn, um sicher zu gehen, dass ich nicht aus seinem Griff rutsche und zu Boden falle. Ehe ich mich versehe, lassen seine Lippen wieder von mir ab und wir bewegen uns Richtung Schlafzimmer.
Killian tritt auf das Bett zu. Er löst eines meiner Beine von sich und lässt mich auf die weiche Matratze fallen. Meine Landung ist nicht besonders sanft, jedoch fernab von unangenehm. Lange kann ich über die Situation nicht nachdenken, denn der Mensch klettert zu mir auf das Bett. Killian legt seine Hände an meine Schenkel und zieht mich in eine mir bereits bekannte Position. Da ich weiß, was gleich auf mich zukommt, schließe ich die Augen.
Ich erwarte Küsse, doch anstatt sich über mich zu beugen, bleibt Killian aufrecht sitzen. Ich spüre nicht seine Lippen an meinem Hals, sondern seine Hand unter meinem Shirt. Neugierig öffne ich die Augen wieder. Killian betrachtet meinen Bauch, seine Finger fahren meine Schuppen entlang. Mit der zweiten Hand streicht er über meinen Oberschenkel.
„Gefallen dir meine Schuppen?“
Killian richtet seinen Blick in mein Gesicht. Er wirkt etwas ertappt. „Ja, sie sind faszinierend und wunderschön.“ Er räuspert sich. „Es ist dir doch nicht unangenehm, wenn ich sie berühre, oder?“
„Nein, im Gegenteil. Meine Schuppen sind robuster als meine Haut. Sie sind nicht besonders empfindlich.“
Killian nickt. „Aber du spürst, dass ich sie berühre, oder?“
„Ja, das kann ich spüren, deine Finger sind angenehm warm.“
Killian grinst. Er schiebt mein Shirt nach oben, um meinen Bauch freizulegen. „Und das hier?“ Killian beugt sich über meinen Bauch. Er küsst erst meine Haut, dann wandern seine Lippen Kuss für Kuss meine Schuppen entlang. Ich spüre nicht nur seine Küsse, auch das Kitzeln seines Bartes sehr deutlich.
„Ja, das spüre ich auch und es kitzelt.“ Es ist nicht zu vermeiden, dass ich unter seinen Berührungen ein wenig zucke. Außerdem bringt Killian mich zum Kichern. Als er fast bei meinen bedeckten Brüsten ankommt, hebt er seinen Kopf und grinst mich ein weiteres Mal frech an. Lächelnd lege ich eine Hand an seine Wange und streiche mit dem Daumen über seine Haut. Ich bekomme einen Kuss auf die Lippen und werde anschließend in seine Arme gezogen. Killian rollt sich mit mir über das Bett, sodass er nun auf dem Rücken liegt und ich es mir problemlos an seinem Brustkorb bequem machen kann. Erst streicht er durch mein Haar, dann krault er meinen Nacken. Die angenehmen Berührungen entlocken mir ein wohliges Seufzen.
„Nach dem Tod meiner Mum habe ich mir vorgenommen, mein Leben zu leben, wie ich es für richtig halte. Das Leben ist zu kurz, um Dinge zu tun, die einen nicht glücklich machen.“
Etwas irritiert darüber, dass Killian wieder an das Thema anknüpft, nehme ich Abstand von ihm und mache es mir neben ihm bequem. So fällt es mir leichter, ihn anzusehen und seinen Erklärungen zu folgen.
„Und was hast du geändert?“
„Alles.“ Killian dreht sich auf die Seite, er nimmt Augenkontakt zu mir auf und legt eine Hand an meine Taille. „Ich war tagein, tagaus nur zu Hause und habe mich um meine Mum gekümmert. Ich hatte kein richtiges soziales Leben mehr, weil sie der Mittelpunkt meines Lebens war. Sie hat mich gebraucht und ich war gerne für sie da.“ Ich höre Killian aufmerksam zu und nicke leicht. „Nachdem ich dann alleine war, habe ich meinen Job gekündigt und bin Berufsmusiker geworden. In der Zeit nach ihrem Tod war ich viel unterwegs, auch in der Nachtclubszene. Nicht all meine Entscheidungen waren klug, das weiß ich jetzt besser, aber irgendwie war es doch wichtig, immerhin weiß ich jetzt, was ich möchte und was ich nicht möchte.“
Erst nicke ich, doch dann frage ich nach: „Und was möchtest du?“
„Musik machen“, antwortet Killian mit einem Lächeln. „Ich werde wahrscheinlich niemals weltweite Bekanntheit erreichen, das schaffen die wenigsten, aber ich will meine Rechnungen bezahlen können.“
„Und was willst du noch von deinem Leben? Abgesehen von Musik?“
Killian zieht einen Mundwinkel hoch. „Eine Frau wie dich.“
Die Antwort überrascht mich für den ersten Moment, doch mir fällt sofort die passende Antwort ein. „Die hast du bereits.“ Mit einem Lächeln rutsche ich an Killian heran. Liebevoll lege ich meine Hand an seine Wange, gleichzeitig nähere ich mich seinen Lippen. Killian erwidert den Kuss zärtlich. Die Hand an meiner Taille rutscht nun zu meinem Rücken. Sanft drückt Killian mich gegen sich. Ich spüre die Wärme seines Körpers an meinem freigelegten Bauch.
Der Mensch löst sich von mir, doch ich will ihn noch nicht loslassen. Ich drücke meine Lippen erneut gegen seine. Erst erwidert er den Kuss, doch dann nimmt er etwas Abstand, da er lachen muss.
„Was ist so lustig?“, frage ich unsicher nach. „Habe ich etwas falsch gemacht?“
„Nein, nein, hast du nicht. Du bist nur so fordernd.“
„Ist das schlecht?“
„Nein, ganz und gar nicht“, antwortet Killian. Er schüttelt den Kopf. Ich bekomme einen kurzen Kuss von ihm. „Ich weiß überhaupt nicht, wieso mich das überhaupt noch überrascht.“ Gerade, als Killian seine Lippen öffnet, um noch etwas zu sagen, überkommt mich wieder dasselbe seltsame Gefühl wie in der Küche. Ein weiteres Erdbeben erschüttert die Menschenwelt. Nervös drücke ich meinen Kopf gegen Killians Brustkorb und verkralle mich in seinem Shirt. Der Mensch hält mich fest im Arm. Kaum hat es angefangen, steht die Welt auch schon wieder still. „Alles gut, das war nur ein kleines Nachbeben.“
Eingeschüchtert sehe ich zu Killian nach oben. „Aber jetzt ist es wirklich vorbei, oder?“
Killian zuckt mit seiner Schulter. „Möglich.“ Ich werde gleich wieder gegen Killians Brust gedrückt. Er streichelt meinen Rücken, vermutlich, um mich zu beruhigen. Es funktioniert. „Angst musst du jedenfalls keine haben. Ich hole eben mein Tablet und wir sehen uns an, was die Nachrichten zu dem Erdbeben zu sagen haben, okay?“ Ich nicke leicht und lasse Killian los. Er lächelt mir aufmunternd zu und geht schon zurück ins Wohnzimmer. Killian bleibt keine Minute weg. Sein Blick ist auf sein Smartphone gerichtet, als er wieder zurück ins Schlafzimmer kommt. Das Tablet hat er sich unter den Arm geklemmt.
„Geht es deinen Freunden gut?“, erkundige ich mich. Das Wohlbefinden seiner Freunde liegt mir am Herzen. Sie sind so nett, es wäre mehr als schade, wenn sich jemand verletzt hätte.
„Ja, alle haben sich gemeldet und allen geht es gut.“ Killian setzt sich auf das Bett. Das Smartphone legt er auf den Nachttisch, ehe er es sich bequemer macht. Er hebt seinen Arm. Ich weiß bereits, was das bedeutet, also schmiege ich mich an seine Schulter. Killian lässt das Tablet für einen Moment auf seinem Bauch liegen, zieht dann die Decke auf seinen Unterleib, um sie als Stütze für das Tablet zu nutzen. „So. Hast du einen guten Blick?“
„Ja“, antworte ich knapp.
Killian bedient das Tablet mit einer Hand. Er tippt auf die Buchstaben, der Tastatur auf dem Bildschirm. Anstatt ihm weiterhin zuzusehen, schließe ich meine Augen und lausche seiner Atmung und seinem Herzschlag. Die gleichmäßigen Geräusche helfen mir dabei, mich wieder zu beruhigen.
Es dauert einige Minuten, bis Killian sich wieder zu Wort meldet: „Sieht gut aus. Gibt wohl keine größeren Schäden. Zumindest wurden noch keine gemeldet.“
Ich schmiege mich gegen Killians Brustkorb. „Ein Glück.“
„Oh, nein.“
„Was ist denn?“, frage ich und öffne meine Augen. „Ist doch irgendetwas passiert?“
„Nein, ich habe meinen Kaffee im Wohnzimmer vergessen, aber jetzt liege ich zu bequem, um ihn zu holen…“