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Kapitel 27
Eiskalte Melancholie
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Ich kann Killians schwere Schritte bis ins Schlafzimmer hören. Die Tür ist weit geöffnet, sodass ich mich nicht zu alleine fühle, auch wenn ich eigentlich alleine sein möchte. Seit ich mit Elias gesprochen habe, fühle ich mich schlecht. Dass meine Welt verloren sein soll, ist schwer zu verkraften. Ich kann mir so großes Unheil nicht vorstellen. Ich begreife es nicht. Selbst mit Magie kann man keine gesamte Welt auslöschen, oder doch?
Ich drücke Killians Kissen an mich und atme tief durch. Dass es meiner Familie und meinen Freunden gut geht, war der einzige Trost, den ich hatte, als ich das erste Mal realisiert habe, dass wir uns wohl nie wieder sehen. Es bricht mir das Herz zu wissen, dass sie längst tot waren, als ich mich immer wieder gefragt habe, wie es ihnen geht und was sie wohl machen. Ich wurde so plötzlich aus meinem Leben gerissen, dass ich nicht einmal die Chance hatte, mich zu verabschieden. Und dabei hätte ich so viel zu sagen.
Ein Seufzen erklingt. „Hey, Prinzessin. Ich bin wieder da“, begrüßt Killian mich ruhig. „Bist du wach?“
„Mhm.“
„Ich verstaue nur eben den Einkauf und komme dann zu dir, okay?“
„Ist in Ordnung“, antworte ich ihm leise und ziehe die Decke wieder höher.
Mich auf etwas Anderes als die Geschichte von Elias zu konzentrieren, scheint unmöglich zu sein. Ich sehe seine Augen noch ganz genau vor mir. Er war sich so sicher. Seine Worte gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich fühle mich gefangen. Zu wissen, dass meine Welt nicht mehr existiert, hat mich in tiefe Verzweiflung und Trauer gestürzt. Selbst mehrere Decken schaffen es nicht, die innere Kälte, die ich spüre, auszugleichen. Es fühlt sich an, als würde ich erfrieren.
Killian setzt sich zu mir auf das Bett. Er streichelt mich sanft. Dass es ihm durch meine Trauer ebenfalls schlecht geht, bricht mir das Herz. Er hat das nicht verdient. Ich fühle mich schuldig, weil ich ihm das antue. Ich fühle mich wegen so vielen Dingen schuldig.
„Hast du Lust auf Erdbeeren? Ich war extra bei Whole Foods, um dir die schönsten Erdbeeren zu besorgen, die ich finden konnte.“
„Das ist nett, aber ich möchte nichts essen.“
„Du hast seit zwei Tagen nichts gegessen“, erinnert er mich. „Das Glas Wasser hast du auch nicht angerührt. Ich mache mir Sorgen, Ilaria. Ich weiß, du bist kein Mensch und für dich ist das vielleicht auch gar nicht so tragisch, aber ich mache mir trotzdem Sorgen.“
„Das weiß ich“, antworte ich ihm. „Ich spüre deine Sorgen.“
„Ich lasse dich gleich wieder in Ruhe, versprochen, aber könntest du mich wenigstens ansehen?“
Ich öffne meine Augen und drehe mich zu Killian. Als er mich erblickt, schreckt er zurück. Er verliert die Balance und fällt beinahe aus dem Bett. „What the …“ Killian hält für einen Moment inne, doch dann beugt sich in meine Richtung und mustert mich sehr genau. Er hebt seine Hand und bewegt sie vor meinem Gesicht hin und her. „Geht es dir gut? Kannst du mich sehen?“
Ich drücke seine Hand aus meinem Sichtfeld. „Natürlich kann ich dich sehen. Wieso fragst du?“
„Deine Augen.“ Killian zeigt auf mein Gesicht. „Sie sind so seltsam trüb. So als wärst du blind?“ Er lässt seine Hand sinken. „Das sieht unheimlich aus.“ Ich reibe mir mit beiden Händen die Augen. „Warte, ich habe irgendwo einen Spiegel. Dann kannst du dir das ansehen.“
Er steht auf und öffnet die Tür des Wandschranks. Mit einem Klick schaltet er das Licht in dem Schrank an. Ich beobachte Killian dabei, wie er eine Kiste aus dem Schrank schiebt, nur um eine weitere Kiste herauszuziehen, zu öffnen und zu durchsuchen. Es dauert eine Weile, doch dann steht er wieder auf und reicht mir einen kleinen dunkelblauen Gegenstand. Ich setze mich hin und greife danach.
„Du musst ihn aufklappen“, erklärt er. „Sei vorsichtig damit, der Spiegel gehörte meiner Mum.“
Ich nicke und öffne den kleinen Spiegel. Kaum erblicke ich mein Gesicht, klappe ich ihn vor Schreck wieder zu. Killian hat recht. Ich sehe nicht aus wie ich selbst. Ein wenig eingeschüchtert riskiere ich einen weiteren Blick. Meine Augen wirken, als würde ein grauer Schleier auf ihnen liegen. Ich überlege, ob ich diesen Schleier schon einmal in den Augen eines anderen Wesens gesehen habe, doch ich erinnere mich an keinen einzigen Vorfall. Skeptisch betrachte ich mein Gesicht für einen Moment. Es ist deutlich zu sehen, dass es mir nicht gut geht. Ich lasse mich erst wieder von meinem Gesicht ablenken, als Killian sich räuspert.
„Was ist das? Bist du krank? Kann ich irgendetwas für dich tun?“
„Ich bin mir nicht sicher“, antworte ich.
„Uns bleibt nichts erspart.“ Der Mensch seufzt. „Noch mehr ungelöste Fragen…“
Killian bekommt den Spiegel von mir zurück. Er legt ihn auf den Nachttisch. Die beiden Kisten, die er aus dem Wandschrank gezogen hat, schiebt er mit seinem Bein wieder in den Schrank. Er löscht das Licht, auch die Tür verschließt er wieder, dann klettert er zu mir ins Bett. Killian streicht mir die Haare aus dem Gesicht, außerdem streichelt er mit dem Daumen keine Wange. Seine Augen fixieren erst das eine, dann das andere Auge für einige Sekunden. Ich bekomme einen Kuss auf die Stirn. Als seine Lippen meine Haut berühren, schließe ich meine Augen. Ich lasse mich in seine Arme sinken und atme tief durch. Mein liebster Mensch strahlt eine angenehme Wärme aus. Wärme, nach der ich mich im Moment unbeschreiblich sehne. Seit Tagen trage ich diese Kälte in mir, die sich nicht so leicht abschütteln lässt.
Killian räuspert sich ein weiteres Mal, ehe er spricht. „Ich bin froh, dass du wieder mit mir redest. Ich mache mir große Sorgen um dich, Prinzessin.“
„Es tut mir leid.“
„Nein, nein, das muss es nicht. Das war kein Vorwurf. Es ist okay.“ Er drückt mich an sich und vergräbt sein Gesicht in meinen Haaren.
Traurig versuche ich in Worte zu fassen, was mir durch den Kopf geht: „Ich fühle mich so unendlich hilflos und schuldig. Meine Welt stirbt und ich kann nichts dagegen tun. Ich bin machtlos. Ich hatte eine einzige Chance. Eine einzige.“ Obwohl ich es unterdrücken möchte, schluchze ich. „Ich hätte den Zwerg vielleicht retten können. Er hat nach Hilfe gesucht und ich habe mich dazu entschieden, untätig zu sein und ihn sterben zu lassen. Wie konnte ich das nur tun? Wie konnte ich zulassen, dass er stirbt? Ich hätte etwas tun können. Nein, ich hätte etwas tun müssen.“ Meine Trauer ist so groß, dass sie in Form von Tränen aus mir herausbricht. Killians Griff verfestigt sich. „Meine Familie. Meine Freunde. Sie alle könnten bereits tot sein“, erzähle ich schluchzend. „Und wenn sie es noch nicht sind, gibt es niemanden, der es verhindert. Wieso passiert das, Killian? Wie kann es sein, dass-dass die Welt an einem Tag in Ordnung ist und einen Tag später untergeht?“
Killian drückt mich noch fester an sich. Er streicht durch meine Haare und atmet tief durch. „Ilaria, es liegt nicht in deiner Verantwortung die Welt zu retten.“ Liebevoll krault er meinen Nacken. „Und dem Zwerg hättest du auch nicht helfen können. Es hätte keinen Unterschied gemacht.“ Ich bekomme Küsse auf den Schopf. „Es ist in Ordnung zu trauern, das sollst du sogar, aber nimm keine Schuld auf dich, die du nicht tragen solltest.“
Weinend klammere ich mich an meinen Liebsten, während er mich sanft in seinen Armen wiegt. „Und-und wieso fühle ich mich dann so furchtbar?“
„Weil du ein guter …“ Killian stockt für einen Moment. „Du hast ein gutes Herz und du willst das Richtige tun, aber manchmal kann man nichts tun, auch wenn man es sich wünscht.“ Er streichelt über meinen Rücken. Ich spüre, dass seine tröstenden Worte langsam ihre Wirkung entfalten. „Das alles ist scheiße, aber du bist am Leben. Du bist hier und du bist bei mir in Sicherheit. Du musst dich nicht schuldig fühlen, weil es dir gut geht. Und du musst dich schon gar nicht für etwas schuldig fühlen, dass du nicht verhindern kannst.“ Killian löst mich von sich und wischt mir mit seinem Ärmel die Tränen von den Wangen. „Ich bin bei dir, Prinzessin. Du bekommst von mir so viel Zeit, wie du brauchst, aber kommst du trotzdem aus dem Bett?“ Er streicht über meinen verletzten Arm. „Wenigstens um etwas zu essen?“ Ich nicke leicht. „Du darfst auch einen meiner Hoodies stehlen.“ Killians Angebot bringt mich dazu, leicht zu lächeln. „So gefällst du mir schon viel besser.“ Er hebt vorsichtig mein Kinn an und küsst meine Lippen. „Du ziehst dir jetzt etwas Bequemes an und ich mache dir eine heiße Schokolade und wasche die Erdbeeren für dich.“
„Danke, dass du dich um mich kümmerst, obwohl ich in den letzten Tagen so verschlossen war.“
Killian schnaubt. „Du trauerst. Was für ein beschissenes Arschloch wäre ich, wenn ich dir das vorhalten würde?“ Er schüttelt den Kopf. „Nachdem meine Mum gestorben ist, ging es mir auch scheiße. Ich weiß also ganz genau, wie du dich fühlst. Selbst ohne unsere Verbindung würde ich dich verstehen. Es ist ein beschissenes Gefühl.“
„Und wie hast du das überstanden?“, frage ich deprimiert nach. Ich wische mir über meine brennenden Augen. Mir das Gesicht zu waschen wäre keine schlechte Idee.
„Ich bin aus dem Bett gekommen. Das war der erste Schritt.“ Killian zieht einen Mundwinkel hoch. „Ich habe über mein Leben nachgedacht und darüber, wie ich es verbringen möchte. Mir ist klar geworden, dass das Leben viel zu kurz ist, um es nicht so zu leben, wie man es sich vorstellt. Man weiß nie, wann es endet. Ich habe mir vorgenommen, es zu genießen. Mittlerweile lebe mein Leben nach meinen eigenen Vorstellungen.“ Er zuckt mit den Schultern. „So gut es geht zumindest. An einige gesellschaftliche Regeln muss ich mich trotzdem halten.“
Nachdenklich nicke ich. Ich nehme mir einen Moment Zeit, um über meine Worte nachzudenken, ehe ich sie ausspreche: „Das sagt sich so leicht. Elias meinte auch, dass ich mein Leben genießen soll, aber ich denke nicht, dass ich das aktuell kann. Ich muss meine Gefühle und meine Gedanken ordnen. Mein Herz fühlt sich an, als würde es erfrieren.“
Killian legt seine Hand auf meine. „Es dauert seine Zeit, aber es wird besser. Irgendwann wacht man morgens auf und man merkt, dass der Verlust weniger schmerzt.“ Mein Liebster hebt meine Hand an und küsst jeden einzelnen Finger. „Du musst das nicht alleine durchstehen, Ilaria. Ich bin für dich da.“
„Danke, das weiß ich sehr zu schätzen.“
Killian zieht seinen Hoodie aus und leiht ihn mir. Ich hätte mir jeden aussuchen können, aber ich will den, den er mit seinem Körper vorgewärmt hat. Im Badezimmer wasche ich mir das Gesicht. Meine gereizten Augen kühle ich mit Wasser. Der Blick in den Spiegel ist unangenehm, aber notwendig. Lange schaffe ich es jedoch nicht, mein Spiegelbild zu betrachten. Ich fühle mich unwohl, wenn ich mich ansehe. Nicht nur die Schuldgefühle belasten mich, auch der Schleier in meinen Augen trägt zu meiner negativen Stimmung bei. Es ist nicht abzustreiten, dass ich genauso aussehe, wie ich mich fühle. Hoffentlich werden meine Augen wieder klarer, sobald auch mein Verstand wieder Klarheit hat.
Ausgelaugt nehme ich auf der Couch im Wohnzimmer Platz und kuschle mich gleich in die weiche Decke, die Killian mir bereits zurechtgelegt hat. Die Kälte lässt mich zittern.
„Ich bin gleich bei dir, Prinzessin.“
„Du willst mich aber nicht durch fernsehen ablenken, oder?“
Killian schweigt für einige Sekunden. „Es wäre richtig, jetzt nein zu sagen, oder?“
Obwohl ich es nicht möchte, kichere ich. „Wir können gerne fernsehen, wenn du das möchtest. Ich kann meine Augen schließen und deiner Atmung lauschen.“
„Nein, schon okay, wir müssen nicht immer den Fernseher anmachen“, erklingt es aus der Küche. „Hast du es bequem?“
„Ja, vielen Dank.“
Killian tritt zurück ins Wohnzimmer. Er reicht mir eine Schüssel mit Erdbeeren und drückt mir einen Kuss auf die Schläfe. Die Gabel, die in einer der Erdbeeren steckt, brauche ich nicht, also lege ich sie auf den Tisch. Erst jetzt bemerke ich auch die Tasse mit der heißen Schokolade, die bereits auf mich wartet. Ich nasche von der ersten Erdbeere, als Killian sich mit seiner Gitarre zu mir setzt. Er zieht einen Mundwinkel hoch, als er mich ansieht.
„Sind sie gut?“, erkundigt er sich.
„Ja, das sind sie. Sehr süß.“ Ich nehme eine der Erdbeeren zwischen Daumen und Zeigefinger und beuge mich zu Killian. Er öffnet seinen Mund und lässt sich von mir füttern. Mit zufriedenem Gesichtsausdruck kaut er, dann widmet er sich gleich seiner Gitarre. Killian spielt eine Melodie. Meine Augen ruhen auf seinen Fingern. Wieso sieht das bei ihm immer so einfach aus? „Das klingt schön. Hast du das selbst geschrieben?“
Killian schnaubt. „Schön wär’s.“ Er öffnet seinen Mund und ich füttere ihn mit einer weiteren Erdbeere. Nachdem er hinuntergeschluckt hat, spricht er weiter: „Paul McCartney hat ihn geschrieben. Ich musste in den letzten Tagen immer wieder an meine Mum denken und ‚Let it be‘ war einer ihrer liebsten Songs. Irgendwie passt er auch gerade ziemlich gut.“ Ich sehe Killian fragend an. „Es geht darum, etwas loszulassen und darauf zu vertrauen, dass es eine Lösung geben wird.“ Killian nimmt seine Finger von den Saiten und sieht mich an. „Klingt vielleicht albern, aber mir hat er geholfen. Soll ich ihn für dich singen?“
„Sehr gerne.“
„Bekomme ich vorher noch eine deiner Erdbeeren?“, fragt er mich mit einem frechen Grinsen.
„Hast du sie überhaupt für mich gekauft?“, antworte ich mit einer Gegenfrage.
„Du hast mich gefüttert. Jetzt will ich mehr.“ Killian bekommt nicht nur eine Erdbeere, sondern auch noch einen Kuss, der ein Lächeln auf seinen Lippen zurücklässt.
Ich setze mich bequemer hin, nasche von den Erdbeeren und lausche Killians Stimme und seiner Gitarre. Meine Augen ruhen auf Killians Fingern und Handbewegungen. Wie viele verschiedene Griffe nötig sind, um einen einzigen Song zu spielen, stimmt mich nachdenklich. Ich muss wohl noch viel mehr üben, als ich gedacht habe. Der Song gefällt mir, trotzdem habe ich nicht das Gefühl, dass er mir Trost schenkt. Meine Gedanken schweifen wieder zu meiner Welt. Dass das ein Fehler ist, machen mir die Tränen an meinen Wangen mehr als deutlich. Ich bin nicht bereit, loszulassen. Es ist viel zu früh dafür. Ich will nicht, dass meine Familie, meine Freunde, mein Volk, meine gesamte Welt in Vergessenheit geraten.
Eilig stelle ich die Erdbeeren auf den Couchtisch und wische mir über die Wangen. Killian legt die Gitarre auf seinen Gitarrenkoffer und zieht mich in seine Arme. Er lehnt sich außerdem zurück, sodass wir nun auf der Couch liegen. In seinen Armen fühle ich mich sofort ein wenig besser, auch wenn mein Schmerz sich nicht lindern oder gar ausblenden lässt.
„Ich weiß, ich bin keiner der Beatles, aber so mies war ich nun auch wieder nicht.“
„Mir ist im Moment nicht nach Scherzen zumute, Killian.“ Ich schluchze und drücke mein Gesicht anschließend gegen seinen Brustkorb. Meine Tränen werden von dem Stoff seines Shirts aufgesaugt.
„Entschuldige. Manchmal mache ich Witze, wenn mir eine Situation unangenehm ist.“ Er streichelt meinen Rücken. „Kann ich irgendetwas tun, um dir zu helfen, Prinzessin?“ Killian zeichnet mit seinem Finger eine immer größer werdende Spirale. „Willst du ein Bad nehmen? Wasser tut dir bestimmt gut. Ich lasse dir ein warmes Schaumbad ein und setze mich dann zu dir, hm?“
Ich nicke leicht. „Aber-Aber du bleibst bei mir. Die ganze Zeit über.“
„Selbstredend“, antwortet Killian ruhig. Er drückt mir sanfte Küsse auf den Schopf. „Beruhig dich erst einmal, Prinzessin. Wenn du soweit bist, dann trage ich dich ins Badezimmer. Wir machen uns heute einen gemütlichen Tag und ich kümmere mich um dich.“
„Danke.“ Ich schluchze. „Das ist sehr lieb von dir.“
„Das ist selbstverständlich. Ich lasse dich nicht alleine, versprochen.“
༄ ♫ ༄
Das warme Wasser und der sanfte Duft des Schaumbads entspannen mich tatsächlich ein wenig. Killian sitzt an der Wanne gelehnt auf dem Boden und spielt eine ruhige Melodie auf seiner Gitarre. Er hat mir den Rücken zugewandt. Ich nehme einen tiefen Atemzug und schließe meine Augen. Um zu verhindern, dass ich wieder in zu negative Gedanken eintauche, konzentriere ich mich voll und ganz auf meine Atmung.
„Denkst du, dass deine Augen so bleiben, wie sie sind?“
„Ich weiß es nicht. Wäre es ein Problem für dich?“
Killian gibt ein langgezogenes Brummen von sich. „Keine Ahnung. Ich werde mich wahrscheinlich daran gewöhnen. Könnte aber sein, dass ich dir wieder eine Sonnenbrille auf die Nase setze.“
„Dann findest du mich jetzt abstoßend?“
Killians Gitarre verstummt. „Was ist das denn für ein Schwachsinn? Natürlich nicht, aber für draußen wäre es vielleicht besser, wenn du eine Sonnenbrille aufsetzt, solange deine Augen grau sind. Dann wirst du nicht angestarrt und außerdem könntest du ungestört Leute beobachten, ohne dass sie sich beobachtet fühlen.“ Er schnaubt.
„Hm. Denkst du immer so praktisch?“
„Meistens.“ Er macht einige Sekunden Pause, ehe er weitererzählt: „Ich habe über deine Augen nachgedacht. Es könnte doch sein, dass es bei euch Meerjungfrauen ein Symptom von Depressionen, Angstzuständen oder Trauer ist. Eure Augen sind ja wortwörtlich euer Spiegel zur Seele. Und dir geht es so schlecht, dass sogar wir Menschen sehen können, dass etwas nicht in Ordnung ist. Verstehst du, was ich meine?“
„Ich schätze schon.“ Mein Liebster spielt wieder auf seiner Gitarre. Da er nach den ersten Klängen nichts sagt, spreche ich weiter: „Es will mir nicht aus dem Kopf gehen, aber ich will es auch nicht wahrhaben. Alles, was ich jemals gesehen oder gekannt habe, soll verschwunden sein. Einfach so. Der Magiestrom unserer Welt bricht zusammen und alle sterben. Es ist so unwirklich. Ich kann mir eine derart große Katastrophe nicht vorstellen. Das ist zu viel.“
Killian räuspert sich, bevor er mir antwortet: „Naja, wer weiß, wie viel man überhaupt auf die Worte dieses Typen geben kann.“
Ich öffne meine Augen und sehe zu Killian. Um ihn besser verstehen zu können, stupse ich seine Schulter an und bitte um Augenkontakt. Er unterbricht sein Lied und dreht sich zu mir, dabei lehnt er sich an den Schrank gegenüber der Wanne. Nun ist Killians Blick auf mich gerichtet. Auch ich sehe ihn an.
„Was meinst du damit, Killian?“, bitte ich ihn um eine Erklärung.
Er zuckt mit den Schultern. „Wer weiß, wie vertrauenswürdig dieser Elias ist. Wie oft sind wir diesem Kerl ganz zufällig über den Weg gelaufen, hm? Im Thrift Shop, am Pier, in der Bar. Wer weiß, wo er noch war. Vielleicht verfolgt der Kerl dich und wir haben es nicht gesehen. Gut, am Pier sind wir mehr oder weniger zu ihm gekommen, aber San Francisco ist groß genug, sodass man sich aus dem Weg gehen kann. Jemanden innerhalb so kurzer Zeit so oft zu sehen, obwohl man sich nicht abspricht, ist verdächtig.“ Ich lege den Kopf schief und fixiere Killians Augen. „Was ich sagen will ist, dass es doch auffällig viele Zufälle sind.“
„Was hätte er davon, wenn er mich verfolgt?“, frage ich verwirrt.
„Naja, du bist eine schöne Frau. Stalker brauchen keine weiteren Gründe. Sie sehen etwas, das ihnen gefällt und wollen es haben.“ Killian hält seine Gitarre am Hals fest und gestikuliert mit seiner freien Hand. „Du bist naiv und gutgläubig. Er hat dir eine Geschichte erzählt, die dich verletzlich macht. Jetzt hat er die Möglichkeit dich zu trösten. Du sehnst dich nach Antworten und er kann dir erzählen, was er will. Du bist verzweifelt und würdest ihm alles glauben, eben weil du so dringend nach Antworten suchst. Er sorgt dafür, dass du in irgendeiner Form von ihm abhängig bist und nutzt dich dann aus.“
Irritiert schüttle ich den Kopf. „Niemand ist so böse und berechnend, das kann ich nicht glauben.“ Ich lasse mich wieder tiefer ins Wasser sinken und streiche mit meinen Fingern durch den Schaum. „Wieso sollte er mir wehtun, nur um mit mir in Kontakt zu kommen? Es wäre doch einfacher, mich zu fragen.“
Im Augenwinkel sehe ich, dass Killian sich an seine Gitarre lehnt. Er lässt einen tiefen Seufzer los. „Es gibt sehr viele kranke Menschen auf der Welt. Was ich dir gerade erzählt habe, ist nicht unüblich.“
„Aber Elias ist ein Prinz. Er ist ein Adeliger. Er hat moralische Werte.“
Nun schnaubt der Mensch ein weiteres Mal, ehe er wieder spricht: „Ja, und die saudi-arabischen Prinzen, die angeblich ein paar Tausend Dollar brauchen, um ihre Millionen auf ein amerikanisches Konto zu überweisen sind auch alle sehr ehrenhafte Leute.“
„Was?“, frage ich verwirrt und sehe zu ihm hinüber.
Er macht eine ausladende Geste. „Sarkasmus. Der Punkt ist, dass du nicht alles glauben solltest, was du hörst oder siehst.“
„Aber Elias kommt aus meiner Welt. Ich habe es in seinen Augen gesehen“, entgegne ich ihm.
Er nickt. „Das kann gut sein, das streite ich auch nicht ab, aber der Rest der Geschichte muss nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen. Er muss nicht einmal ein Prinz sein. Selbst der Name Elias könnte gelogen sein.“
„Er hat nicht gelogen, Killian“, antworte ich überzeugt.
Der Mensch atmet tief durch und lehnt seinen Kopf gegen den Schrank hinter sich. Er sieht an die Decke über uns. „Okay, okay, wenn du davon überzeugt bist, dann sei überzeugt. Ich traue ihm trotzdem nicht. Das sind mir zu viele Zufälle.“
„Es ist tragisch, dass du niemandem vertraust, Killian. Wer allen um sich herum misstraut, führt ein einsames Leben.“
Killian sieht wieder zu mir. Er zieht seine Brauen zusammen. „Mein Leben ist gut, wie es ist, danke.“ Nun senkt er seinen Blick und lässt seine Gitarre erneut erklingen.
„Meine Worte waren zu hart, das wollte ich nicht“, entschuldige ich mich. „Es tut mir leid, Killian.“
Er sieht für eine Sekunde auf, dann allerdings wieder auf die Saiten seines Instruments. „Schon gut, du bist eben, wie du bist. Man merkt, dass du in deinem Leben vor nichts Angst haben musstest. Du hast ein behütetes Leben geführt und gehst offen auf die Welt zu. Das ist auch etwas Gutes, aber meine Welt unterscheidet sich von deiner Flüsternden Stadt. Man kann nicht jedem blind vertrauen. Gutmütigkeit wird oft ausgenutzt. Auch wenn du es dir nicht vorstellen kannst, gibt es böse Menschen mit unschönen Absichten. Ich will dich nur davor beschützen, dass dir jemand etwas antut.“ Er seufzt ein weiteres Mal. „Vielleicht bin ich aber auch nur zu vorsichtig, weil du es eben nicht bist.“ Aufmerksam lausche ich Killians Worten. Er muss viele unschöne Begegnungen hinter sich haben, wenn er allen Wesen so misstrauisch entgegentritt.
„Ich verstehe, worauf du hinaus willst. Es ist sehr nobel von dir, mich beschützen zu wollen, Killian. Ich weiß deine Fürsorge zu schätzen.“
„Es ist selbstverständlich, dass ich auf dich aufpasse, Prinzessin. Wenn dieser Elias sich irgendwann mit dir treffen möchte, werde ich auf jeden Fall mitkommen. Ob er nun die Wahrheit über eure Welt sagt oder nicht, ist nebensächlich. Bei dem Kerl habe ich ein seltsames Gefühl und ich will auf Nummer sichergehen, okay?“
Ich nicke. „Ich werde mich nicht mit ihm alleine treffen, versprochen.“
„Danke.“
„Bekomme ich einen Kuss?“, frage ich mit einem Lächeln. „Zwischen uns ist doch alles in Ordnung, oder?“
Killian lehnt seine Gitarre gegen die verschlossene Tür und rutscht zu mir. Sein Blick schweift für einen Moment zu meiner Flosse und über meinen Körper, der an einigen Stellen aus dem Schaum ragt. Ich strecke mich ihm entgegen und möchte ihm einen Kuss auf die Wange drücken, doch er dreht sich schnell zu mir und erhascht sich einen Kuss auf die Lippen.
„So war das nicht geplant“, beschwere ich mich gespielt und kichere. Ich möchte Killian schubsen, doch er fängt meine Hand ab und küsst meinen Handrücken.
„Tja, manchmal muss man von Plänen abweichen.“ Er grinst mich frech an, ehe er sich in meine Richtung beugt. Ich komme ihm ein Stückchen entgegen und wir beide küssen uns.
Auch wenn unser Gespräch nicht ganz reibungslos verlaufen ist, tut mir die Zeit in der Wanne dennoch sehr gut. Meine Seele fühlt sich ein wenig ruhiger an, meine Gedanken wollen jedoch trotzdem nicht still stehen. Ich begreife es nicht. Ich will es auch gar nicht. Es ist unmöglich zu akzeptieren, dass alles, was ich jemals gekannt habe, nicht mehr existiert. Wie soll ich darüber hinwegkommen? Wie viel Zeit braucht es, um derart großen Schmerz zu vergessen?
Ich kann das nicht. Es zu verdrängen, nicht darüber nachzudenken und mein Leben zu genießen, fühlt sich im Moment wie eine unüberwindbare Aufgabe an.
༄ ♫ ༄
Killian hat mich dazu überredet, nicht nur das Bett zu verlassen, sondern auch einen kleinen Spaziergang mit ihm zu machen. Mich zu bewegen war erst unangenehm, doch es wird von Schritt zu Schritt einfacher. Hand in Hand spazieren Killian und ich durch den Park. Es ist schon dunkel, was es mir nicht leicht macht, alles um mich herum genau zu erkennen, doch den Weg kenne ich bereits gut genug, um mich sicher zu fühlen. Obwohl der Park kein Vergleich zu den Wäldern meiner Heimat ist, ist er dennoch eine nette Abwechslung zu den vielen Gebäuden und den teilweise überfüllten Straßen. Die farbenfrohen Wälder meiner Welt vermisse ich zwar trotzdem sehr, doch man muss sich mit dem zufrieden geben, was man hat. Mehr bleibt mir ohnehin nicht übrig. Die Welt der Menschen ist nun auch meine Heimat und das ist endgültig.
„Ich bin dir sehr dankbar, dass du mich dazu überredet hast, aus dem Bett zu steigen“, erzähle ich erleichtert. „Mich abzulenken, hilft ein wenig, auch wenn ich eigentlich immer noch nicht begreife, was mit meiner Welt passiert ist.“
„Du musst dir dafür Zeit nehmen. Das kann man nicht innerhalb weniger Tage verarbeiten.“ Killian drückt meine Hand. „Wir sorgen dafür, dass es dir in meiner Welt gut geht. Meine Freunde wollen auch helfen. Ian hat schon nach dir gefragt. Wenn du dich bereit fühlst, etwas zu unternehmen, dann holt er dich ab und ihr macht euch einen schönen Tag.“
„Ich hoffe, dass er nicht beleidigt ist, wenn ich mir noch Zeit zum Nachdenken nehme“, antworte ich ruhig.
„Nein, ist er nicht. Er versteht das.“
Killian nimmt auf einer der Bänke platz. Ich setze mich seitlich auf seine Oberschenkel und werde sofort in den Arm genommen. Mein Liebster drückt sanfte Küsse auf meine Schläfe und meine Wange. Ich drehe meinen Kopf in seine Richtung und verwickle ihn in einen Kuss. Erst küsse ich ihn vorsichtig und liebevoll, dann werde ich nach und nach fordernder. Unsere Zungen berühren sich einige Male. Killian nimmt zu meinem Bedauern jedoch viel zu schnell wieder Abstand von mir.
„Nicht aufhören“, bitte ich ihn beinahe lautlos.
Killian lässt seine Hand in meinen Nacken gleiten. Er massiert mich, was mich dazu bringt, meine Augen zu schließen. Ich spüre seinen Atem an meinen Lippen, ehe er mich leidenschaftlich küsst. Der Griff an meiner Taille wird etwas fester. Killian brummt in den Kuss, dann lässt er ein weiteres Mal von meinen Lippen ab. Mein Herz sehnt sich sofort wieder nach seinen Berührungen. Sie sind das einzige, das sich im Moment richtig und echt anfühlt. Killian streicht mir die Haare von meiner Schulter und nähert sich meinem Hals. Vorsichtig streicht er mit der Nasenspitze über meine Wange. Ich höre, dass er einen tiefen Atemzug nimmt, ehe ich seinen Atem ein weiteres Mal an meiner Haut spüre. Killian haucht zarte Küsse an meinen Hals. Die Kälte in meinem Innersten weicht einem kribbeligen Gefühl. Es ist jedoch nicht aufwühlend oder von Nervosität durchtränkt. Es erinnert mich an sanfte Wellen und das Gefühl, mit nackten Füßen über einen warmen Sandstrand zu spazieren. Friedlich, aber dennoch aufregend.
Killian küsst mein Ohr, sein Bart kitzelt mich, sodass ich zuckend Abstand nehme. Der Mensch hält mich fest, ich kann also nicht von seinem Schoß fallen.
„Du fühlst dich besser“, bemerkt er, worauf ich vorsichtig nicke. „Ein Glück für dich, dass ich noch ein paar Küsse übrig habe.“
Für seine frechen Worte weiche ich ihm aus, als er sich erneut meinem Hals widmen möchte. „Nur noch ein paar? Dann sollte ich mir die Küsse vielleicht einteilen, wenn ich für immer bei dir bleibe.“
Killian lacht leise. „Und wenn ich dir sage, dass ich jeden Tag um Mitternacht mehr Küsse bekomme, die ich verteilen kann?“
„Hm.“ Ich überlege gespielt und lehne mich Killian entgegen. Auf der Suche nach Wärme lege ich meine Arme um seinen Hals und drücke mich an Killian. Vorsichtig bin ich dabei dennoch. Meinem Arm geht es zwar bereits besser, allerdings will ich es nicht riskieren, dass meine Verletzung wieder schlimmer wird. „Dann würde ich wohl jeden Tag alle Küsse haben wollen, die ich bekommen kann.“
Killians Grinsen ist deutlich in seiner Stimme zu hören, als er spricht: „Da ist aber jemand ganz schön gierig.“
„Hättest du denn jemanden, den du küssen willst? Abgesehen von mir?“
„Nein“, antwortet Killian schnell.
„Siehst du. Wenn du mir die Küsse nicht gibst und sie deswegen verderben, würdest du sie verschwenden. Bei deinem Talent wäre jeder verschwendete Kuss eine Tragödie.“
Nun lacht Killian ein weiteres Mal. „Meine Prinzessin denkt sehr praktisch, das gefällt mir.“
Ich nehme etwas Abstand zu Killian, um ihn wieder ansehen zu können. Es ist gerade hell genug, dass ich ihn erkennen kann. Meine Finger verschränke ich in seinem Nacken. Er spitzt seine Lippen. Die wortlose Einladung nehme ich natürlich sofort an. Wir küssen uns erneut. Killians warme Lippen an meinen zu spüren, schenkt mir zumindest ein wenig Trost. Jeder Moment, den ich nicht mit Trauer in meinem Herzen verbringe, ist ein Geschenk.
༄ ♫ ༄
„Der Spaziergang hat mir gut getan.“
„Freut mich, das zu hören“, antwortet Killian mir. Er hebt unsere Hände und küsst meine Finger. Sein Bart kitzelt mich, was mich zum Lächeln bringt. Ich werde mich nie daran gewöhnen, vollkommen egal, wie oft mich sein Bart berührt. „Hast du Hunger? Ich wäre dafür, dass ich uns eine Pizza hole.“
„Das würde mich sehr freuen“, entgegne ich ihm. Ich lehne mich gegen meinen Liebsten. Die romantische Stimmung auf dem Weg nach Hause wird leider durch lautes Schreien ruiniert. Vor Schreck klammere ich mich an Killians Arm. Der Mensch hingegen scheint sich nicht zu erschrecken. Er lässt allerdings ein Schnaufen los, um seiner negativen Stimmung Ausdruck zu verleihen.
„Die schon wieder. Manchmal würde ich den beiden gerne ihr verdammtes Maul stopfen.“
„Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du endlich deine Finger von meiner Schwester lassen sollst?!“, erklingt einer der wütenden Männer.
„Verfickte Scheiße, Mann! Ich habe nichts mit deiner Schwester! Wieso geht das nicht in deinen scheiß Schädel? Bist du von Natur aus so beschränkt oder haben deine Eltern dich fallen lassen?“
„Ich hab sie in dein Auto steigen sehen, du verdammter Hurensohn!“
„Killian? Können wir vielleicht noch einmal umdrehen?“, frage ich nervös, wobei ich mich an seinen Arm klammere. „Ich fühle mich nicht wohl.“ Dummerweise stehen die beiden direkt vor Killians Wohngebäude. Ihnen auszuweichen und den Weg nach Hause fortzusetzen, ist also nicht möglich.
„Du musst keine Angst haben. Ich regle das, okay?“, beruhigt Killian mich selbstsicher. Er tätschelt meine Hand.
Ich presse meine Lippen zusammen, spreche aber dann doch: „Nein, bitte. Ich will nicht, dass du verletzt wirst.“
„Ich werde nicht verletzt und du auch nicht, Ilaria. Die beiden sind nicht so hart und aggressiv, wie sie aussehen. Sie sind bloß zwei Idioten mit lauten Organen.“
Trotz meines Widerstands setzt Killian sich durch. Wir gehen weiter. Die Diskussion der beiden Männer wird lauter. Ich spüre, wie mein gesamter Körper auf die negative Stimmung reagiert. Die lauten Stimmen lassen mich immer wieder zusammenzucken. Die Streitigkeiten der beiden Männer waren schon vom Fenster aus unangenehm, sie nun aus der Nähe zu erleben, versetzt mich unter großen emotionalen Stress.
„Hey!“, ruft Killian laut. Ich zucke ein weiteres Mal zusammen. Killians tiefe Stimme zieht sofort die Aufmerksamkeit der beiden Männer auf sich. Sie hören augenblicklich damit auf, sich gegenseitig zu beschimpfen.
„Hey, Killian“, begrüßt einer der Männer ihn.
Killian räuspert sich. „Würdet ihr mir den Gefallen tun und euch ein wenig zurücknehmen? Ihr macht meinem Mädchen Angst.“ Der Mensch zieht mich näher zu sich und küsst meine Schläfe. „Sie ist solche Streitigkeiten nicht gewohnt.“
„Es würde keinen Streit geben, wenn der scheiß Penner endlich zugeben würde, dass er mit meiner Schwester schläft“, erklärt der angesprochene Mann aufgebracht.
„Ich schlafe nicht mit deiner Schwester!“, verteidigt der andere Mann sich.
„Und was macht sie dann in deinem Auto?!“
Ich zucke zusammen und halte mir die Ohren zu, als sich noch jemand laut zu Wort meldet. Dieses Mal schreit jedoch eine Frau. „Hört endlich auf, ihr Idioten!“, erklingt die aufgebrachte Menschenfrau. Die Männer sind augenblicklich still. Eingeschüchtert sehe ich nach oben, Killian tut es mir gleich. „Ich hab es so satt! Troy, ich schlafe nicht mit Diego. Ich steh' nicht auf ihn. Ich schlafe mit seiner Schwester. Er hat mich ab und zu mitgenommen, weil ich mich mit Camila getroffen habe.“
Ein wenig verwirrt sehe ich zu den fremden Männern. Troy ist wohl der Mann, der den Anderen beschuldigt hat. Er kratzt sich am Kopf und sieht dann zu seinem Gegner, der ihm einen vielsagenden Blick zuwirft.
„Ich hab’s dir gesagt“, bestätigt Diego die Aussage Frau aus dem Fenster. „Ich würde niemals deine Schwester anfassen.“
Troy sieht wieder nach oben. „Dann bist du mit Camila zusammen oder was? Wieso hast du nichts gesagt?“
Auch ich sehe wieder nach oben. „Weil du ein Idiot bist. Ich hab' dir die ganze Zeit gesagt, dass mich sein Schwanz nicht interessiert.“
Killian lacht und greift nach meiner Hand. „Mit dem Idiot hat sie nicht Unrecht, hm? Du machst ihm seit über einem Jahr Stress, anstatt mal mit deiner Schwester zu reden.“
„Schnauze, Killian. Das geht dich 'nen Scheißdreck an.“
„Hey, fuck jetzt ja nicht Killian an. Du machst es zu seinem Problem, weil du alle paar Tage auf der Straße rumpöbelst, wie so ein Junkie! Halt die Klappe und komm rauf, sonst komm' ich runter und tret' dir in den Arsch!“
„Sorry, Juliet.“
„Entschuldige dich bei Diego und schieb deinen Arsch hier rauf. Ich hab' die Schnauze voll!“
Verwirrt sehe ich zwischen allen Beteiligten hin und her. Killian wirkt äußerst amüsiert über den Ausgang des Gesprächs. Er nickt den Männern zu und hebt dann noch seine Hand, als er zu der Frau hinauf sieht. Sie winkt ihm ebenfalls zu und schließt dann das Fenster.
Mit gesenkter Stimme spricht Killian mich an: „Sieht so aus, als wäre das endlich geklärt.“ Er zieht seinen Schlüssel aus der Jackentasche und wir gehen zur Tür. „Nacht, Jungs.“
Die Männer antworten nur recht desinteressiert, dann unterhalten sie sich endlich in einer normalen, erträglichen Lautstärke. Mit einer Handgeste bietet Killian mir den Vortritt an. Ich werfe noch einen letzten Blick nach draußen, bevor ich nach drinnen gehe. Troy und Diego geben sich die Hand. Dass endlich Frieden einkehrt, hebt meine Laune wieder. Ich lächle sogar ein wenig. Es ist schön zu sehen, dass sie ihren Streit, der wohl schon sehr lange besteht, endlich beilegen können.
Killian und ich steigen die Treppen hoch. Nach diesem aufregenden Erlebnis freue ich mich umso sehr, den Abend auf der Couch zu verbringen und mich zu entspannen. Vielleicht bitte ich Killian sogar, den Fernseher anzuschalten.