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Kapitel 33
Ein Grundkurs im Mensch sein
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Vor dem Badezimmerspiegel flechte ich gerade meine Haare. Wohin mich die heutige Reise führt, weiß ich noch nicht, aber ich weiß, dass ich mich sehr darauf freue, etwas Neues zu entdecken. Mit einem Gummiband binde ich die Spitzen meiner Haare zusammen. Killian tritt zu mir ins Badezimmer. Er legt seine starken Arme um mich und drückt mich fest, dabei küsst er meine Wange.
„Ian wartet unten auf dich.“
„Und du willst sicher nicht mitkommen?“, frage ich nach.
Killian schüttelt den Kopf. Nun küsst er meinen Hals. „Nein, aber es ist auch nicht einfach, dich gehen zu lassen.“
Ich kichere und winde mich aus seinem Griff. Mein Liebster bekommt einen Kuss von mir. „Mir wird schon nichts passieren. Ian ist ja bei mir.“
Killian zieht einen Mundwinkel hoch. „Das war nicht ganz das, was ich gemeint habe. Aber los. Schlüpf in deine Schuhe und dann ab nach draußen.“
Bevor ich das Badezimmer verlassen kann, schlinge ich meine Arme um Killians Hals, dann verwickle ich ihn in einen tiefen Kuss, den er mit einem leisen Brummen erwidert. Ich spüre Killians Hand an meinem Hintern. Er gibt mir einen Klaps, also lasse ich von ihm ab. „Auch wenn du mir auf den Hintern haust, wirst du mir fehlen.“
Killian lacht, ehe er den Kopf schüttelt. „Du mir auch, Prinzessin.“
Unter Killians wachsamen Augen steige ich in meine hohen Schuhe. Ich lege meine Hand an seinen Arm, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Bevor ich gehe, stecke ich meinen Schlüssel in meine Tasche und sehe dann von meiner Tasche zu Killian auf.
„Du weißt nicht zufällig, was Ian vorhat?“
Killian grinst frech. „Lass dir nicht die Überraschung verderben.“
„Ich bin aufgeregt.“
„Ich weiß“, entgegnet er mir und lehnt sich in meine Richtung, um mich zum Abschied zu küssen. „Lass es dir heute gutgehen.“
Nach einem letzten Kuss, atme ich tief durch. „Ich liebe dich, Killian.“
„Ich dich auch und jetzt raus“, antwortet er mir, dann öffnet er die Tür für mich. „Los, Ian wartet schon auf dich.“
Ich schlüpfe noch in meine Jacke, schnappe mir dann meine Tasche und verlasse die Wohnung. Das Klackern meiner Schuhe hallt im Treppenhaus, als ich mich auf den Weg nach draußen mache. Nervös sehe ich mich nach Ian um. Zu meinem Glück finde ich ihn schnell. Durch seine roten Haare ist er kaum zu übersehen.
„Ilaria!“, ruft er, um auf sich aufmerksam zu machen. Er winkt mir zu. Schon jetzt kann ich sein breites Lächeln sehen. Ich erwidere das Winken und gehe dann auf Ian zu. Die Aufregung macht sich immer mehr in mir breit. Ich bin unendlich neugierig darauf, was mich heute erwartet.
„Hallo, Ian“, begrüße ich ihn, als ich vor ihm stehen bleibe.
Er nimmt mich in den Arm. Ich bin zwar etwas überrascht, aber ich erwidere seine Umarmung. „Hey. Ich hab' so viele Ideen, was wir mach'n können.“ Ian lässt von mir ab und öffnet mir die Tür seines Autos.
„Was denn?“, frage ich nach.
„Lass dich überraschen“, antwortet er, als ich in das Auto einsteige. Es ist das erste Mal, dass ich vorne sitze, ich bin also dementsprechend gespannt, was es hier zu entdecken gibt. Ich halte es durchaus für möglich, dass ich heute noch vor Aufregung platze.
Ian schließt die Tür, dann geht er um das Auto herum und steigt zu mir ein. „Und? Bist du schon sehr aufgeregt?“
„Ein wenig, nein, eigentlich bin ich sehr aufgeregt“, antworte ich ehrlich.
„Bist du das erste Mal ohne Killian unterwegs? Also hier in der Stadt meine ich.“
„Nein, ich war schon einige Male alleine im Park. Wenn ich alleine unterwegs bin, fahre ich aber nie. Ich laufe immer.“
„Na dann is' das heute ja ein richtiger Luxusausflug“, meint Ian mit einem Lächeln.
Ich lege den Gurt an, so wie ich es gelernt habe. Meine Tasche drücke ich an mich, als ich mich umsehe. Wir fahren los. An einem kleinen Spiegel zwischen Ian und mir baumelt eine Kette mit einem Kreuz, außerdem noch ein dunkles Band, an dem ein regenbogenfarbenes Herz hängt. Die Anhänger gefallen mir. Ian lässt Musik erklingen, er sorgt allerdings sofort dafür, dass sie recht leise ist. Auf diese Weise können wir uns problemlos unterhalten, ohne laute Musik übertönen zu müssen.
„Killian hat mir 'n bisschen was erzählt. Fleisch is' ja nich' dein Ding, also hab' ich mir ein Restaurant ausgesucht, in dem wir Fisch essen können, falls du später Hunger hast. Er meinte auch, dass du auf Süßes stehst, also hab' ich dafür auch schon eine Idee.“
„Ja, ich mag eure Süßigkeiten“, antworte ich ihm. „Donuts schmecken mir besonders gut. Killian hat schon öfter welche mitgebracht. Die Schachtel ist immer viel zu schnell leer.“
Ian lacht, dann grinst er mich kurz an, ehe er wieder nach vorne sieht. „Ja, das kommt mir bekannt vor. Ich könnte mir den ganzen Tag Süßkram in die Fressluke stopfen.“
Die Stadt zieht an den Fenstern vorbei. In einem Auto mitzufahren, ist angenehmer, als in einen Bus zu steigen und zwischen Fremden zu stehen, bis man an seinem Ziel ankommt. Im Auto ist es viel leiser, außerdem ist einem ein Sitzplatz garantiert. Hier riecht es auch viel besser, als in einem Bus. Irgendwie nach Früchten.
„Wie stehst du zu Kaffee?“, fragt er mich.
„Ich bin mir nicht sicher. Killian mag ihn mehr als ich. Ohne seinen Kaffee ist er kaum ansprechbar, wenn er aus dem Bett steigt.“
Ians herzliches Lachen erklingt erneut. „Oh ja, das ist wahr. Morgens ist er ein richtiger Arsch, wenn er noch keinen Kaffee hatte.“ Er greift zwischen uns und setzt sich dann eine Sonnenbrille auf die Nase. „Bei Starbucks wart ihr noch nich', oder?“
„Nein, was ist das denn?“, antworte ich neugierig.
„Wirst du schon seh'n.“
„Ian, du machst mich ganz verrückt!“, beschwere ich mich. „Ich bin viel zu ungeduldig, du kannst nicht so viele Geheimnisse vor mir haben.“
Nun lacht mein neuer Freund ein weiteres Mal. „Du bist zu süß, Ilaria. Hast du dein Smartphone dabei?“
„Ja, wieso fragst du? Bitte sag nicht, dass das auch ein Geheimnis ist, sonst springe ich aus deinem Auto.“ Ich hebe meinen Finger. „Während es fährt!“
„Das kann ich nich' riskieren“, antwortet er sichtlich amüsiert. „Also gut, Süße. Ich gebe dir einen Grundkurs im Mensch sein und dazu gehört, dass du dir ein Social Media Profil zulegst. Killian hält davon zwar nich' besonders viel, aber ich denke, dass das 'ne gute Idee ist. Dann kannst du Fotos und Selfies hochladen, aber wir fahren zuerst zu Starbucks. Wir machen das alles ohne Stress und Schritt für Schritt. Ich zeige dir, wie das alles funktioniert.“
„Wieso hat Killian etwas dagegen?“
„Weil er 'n bisschen paranoid ist. Der hat zu viele Bücher gelesen und zu viele Filme und Serien gesehen. Er denkt, dass irgendwer auf die Idee kommt, dass du eine echte Meerjungfrau bist, aber ich bin ziemlich sicher, dass das keiner Sau auffallen wird. Wie auch? Bei uns gibt es keine Meerjungfrauen und schon alleine deswegen glaubt dir niemand diese Geschichte. Außer du zeigst ihnen deine hübschen Schuppen.“ Ian gestikuliert mit einer Hand. „Weißt du, es gibt zwar keine Meerjungfrauen, aber dafür viele Künstler, Cosplayer und andere Verrückte. Wenn du dich als Meerjungfrau präsentierst, wird jeder davon ausgeh'n, dass du, wie alle anderen Meerjungfrauen auch, ein Mensch in einer Silikonflosse bist. Alle wären davon begeistert, wie gut du aussiehst und wie echt deine Verkleidung wirkt. Das wird dir ein ganz neues Gefühl von Freiheit geb'n.“ Ich nicke stumm und lasse mir Ians Worte durch den Kopf gehen. „Wenn ich dir zu viel plappere, sag' Bescheid, dann halt' ich mein Maul.“ Er lacht.
„Nein, das ist es nicht, ich denke nur über das alles nach.“ Während ich das tue, sehe ich aus dem Fenster. „Denkst du, dass Killian wütend wäre, wenn ich das mache?“
„Das Social Media-Ding? Nö. Und wenn er wütend wird, dann schreibst du mir und ich geig' ihm die Meinung. Kann ja nich' sein, dass er dich vor der Welt versteckt, nur weil er Angst hat. Das wird alles gutgeh'n. Es geht bei der ganzen Sache auch nich' um ihn, sondern um dich. Um dich, deine Gefühle, deiner Freiheit und deinem Platz in dieser Welt. Wenn du die ganze Zeit nur in Killians Bude sitzt, dann gehst du ein, wie einer seiner Topfpflanzen.“
„Hm.“
Ian erzählt weiter: „Versteh mich nich' falsch, Süße. Killian macht das alles super. Er hat dich aufgegabelt und sich um dich gekümmert und er is' auch ein echt netter Kerl, aber manchmal macht seine Unsicherheit ihm das Leben schwer. Er is' bestimmt wahnsinnig erleichtert und froh, wenn er sieht, dass es dir gut geht und du glücklich bist.“ Ian fährt sich durch die Haare. „Dass es dir so mies ging, ging ihm echt an die Nieren.“
Ich seufze. „Mein Leben fühlt sich manchmal so an, als wäre es gar nicht meines. Als würde ich träumen und bald wieder aufwachen. Und wenn ich dann aufwache, ist alles wieder gut und all das Schlechte wäre niemals passiert. Es ist schwer, wieder schönere, fröhliche Gedanken zu finden, wenn man das Gefühl hat, in ein Loch gefallen zu sein.“
„Mhm, das ist wahr“, stimmt er mir zu. „Aber es is' wichtig, dass man etwas findet, dass einem den Spaß am Leben zurückgibt und dass man sich Zeit für sich nimmt, um den ganzen Scheiß zu verarbeiten.“ Er wirft mir einen Blick zu und grinst. „Und wir verarbeiten heute Scheiß, was meinst du?“
Ians gute Laune ist ansteckend. Auch wenn ich seine Augen durch die Brille nicht sehen kann und mir das die Kommunikation erschwert, spüre ich, dass er Recht hat und dass er gute Absichten hat. Bei Ian fühle ich mich wohl.
Wir betreten ein Gebäude. Schon am Geruch und der Atmosphäre erkenne ich sofort, dass es sich um ein Café handelt. Die dunklen Wände und Möbel lassen den Raum etwas düster auf mich wirken, doch die bunten Tücher an den Wänden und die vielen Regenbogenfarbenen Gegenstände, lockern dieses Gefühl wieder auf.
Ian klappt seine Sonnenbrille zusammen und steckt sie an den Kragen seines Shirts. Nun kann ich endlich wieder seine grünen Augen sehen. „Der erste Besuch bei Starbucks kann 'n bisschen überfordern, deswegen helfe ich dir bei der Getränkewahl, okay?“
„In Ordnung.“
„Willst du etwas Warmes oder etwas Kaltes?“, fragt er mich.
„Etwas Kaltes“, antworte ich ihm, dann sehe ich mich wieder um.
Die bunten Tücher hinter uns erregen meine Aufmerksamkeit. Die verschiedenen Farbkombinationen sehen sehr hübsch aus. Auf den Tüchern stehen viele Botschaften geschrieben. Leider bleibt mir keine Zeit, sie zu lesen, denn Ian nimmt mich an der Hand und lenkt meine Aufmerksamkeit somit wieder auf sich.
„Hey, Kylie“, begrüßt er die Frau hinter der Theke. Sie lächelt mich an und ich erwidere die Geste. Ihre dunklen Augen wirken sehr freundlich und ehrlich.
„Neue Freundin?“, fragt sie schmunzelnd und widmet sich dann einem Becher. Sie nimmt einen Stift zur Hand und schreibt etwas darauf.
„Ja, das ist Ilaria, die Liebe meines Lebens“, antwortet Ian amüsiert. Ich sehe ihn etwas verwirrt an, er spricht sofort weiter: „Sie ist eine Meerjungfrau und hat mich mit ihrem Gesang an ein unbekanntes Ufer gelockt.“
Die Frau mit den blonden Locken lacht, dann greift sie nach einem zweiten Becher. „Also, Ilaria, die Meerjungfrau. Was trinkst du?“ Ich zucke mit den Schultern und sehe zu Ian.
„Sie is' nich' von hier und war noch nie bei Starbucks. Mach ihr 'nen Caramel Ribbon Crunch. Den wird sie bestimmt lieben.“
„Alles klar.“ Sie schreibt auf den Becher und dreht ihn dann mit der Beschriftung in meine Richtung. „Stimmt das so?“
Ich bin mir erst nicht sicher, was sie von mir möchte, doch dann sehe ich, dass sie meinen Namen auf den Becher geschrieben hat. Anstatt einen Punkt auf das kleine I zu setzen, hat sie ein Herzchen gemalt. „Ja, das ist richtig.“
„Sehr schön.“ Sie macht sich daran, den Kaffee zuzubereiten. Die vielen Geräusche bereiten mir Unbehagen, doch ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen, auch wenn sie wirklich sehr laut und unangenehm sind. „Und was tut sich bei dir, Ian? Gibt’s was Neues?“
„Nein, eigentlich nich'“, antwortet er. „Alles wie immer. Ich hab' mir 'nen neuen Laptop gekauft, das waren die aufregendsten News.“
„Ja, gibt solche Wochen. Frag mich erst. Aufstehen, duschen, arbeiten, essen, duschen, schlafen, Wiederholung.“
„Mhm, genau das“, stimmt Ian ihr zu.
In der Zwischenzeit lenke ich mich damit ab, die Köstlichkeiten hinter einem Glas zu betrachten. Die Sandwiches erkenne ich sofort, auch an die köstlichen Donuts erinnere ich mich mehr als genau. Einige andere Leckereien habe ich noch nie gesehen. Die bunten Kugeln auf kleinen, weißen Stöckchen sehen interessant aus. Die gefallen mir. Ob die auch süß schmecken?
„Was ist das?“, frage ich Ian, worauf er mich ansieht. Ich zeige auf die bunten Kugeln. Mit den Augen folgt er meinem Finger und lächelt mich an.
Er antwortet: „Das sind Cake Pops. Such dir aus, was du haben willst. Geht alles auf mich.“
„Oh, ich darf mir etwas aussuchen? Das ist nicht einfach.“
„Dann nimm alles, was dir gefällt“, antwortet Ian amüsiert. Er lässt meine Hand los und ich betrachte die Speisen noch einmal genauer. Nach einem Moment der Überlegung entscheide ich mich für einige Gebäckstücke, außerdem bekomme ich mein Getränk. Ich bin überrascht, wie kalt es ist, doch meine Finger gewöhnen sich schnell daran.
Ian verabschiedet sich von seiner Freundin und wir steigen wieder ins Auto. „Und wohin fahren wir jetzt?“, frage ich neugierig, nachdem ich wieder den Gurt angelegt habe.
„Ich hab' erst überlegt, ob wir bei Starbucks bleiben, aber heute is' 'n schöner Tag und ich weiß, dass du auf Natur stehst. Also fahren wir rüber zum Dolores Park. Dort setzen wir uns unter Palmen in den Rasen und plaudern. Da haben wir auch 'n bisschen mehr Privatsphäre, um uns zu unterhalten.“
„Das ist eine gute Idee“, antworte ich lächelnd. „Bei Starbucks war es mir ehrlich gesagt auch viel zu laut.“
„Ja, Milch aufschäumen is' nich' grade leise.“ Ian setzt sich wieder die Sonnenbrille auf.
Ich blicke wieder aus dem Fenster, da fallen mir ein weiteres Mal die regenbogenfarbenen Tücher auf. Sie hängen an einigen Häusern, außerdem noch an den Laternen. Ist dieser Stadtteil vielleicht etwas Besonderes? So wie China Town? Da sieht auch alles anders aus.
„Ian? Darf ich dich etwas zu der Stadt fragen?“
„Klar, ich weiß nur nich', ob ich es dir beantworten kann. Hau einfach mal deine Fragen raus, Süße.“
Ich lächle, als er mich ein weiteres Mal Süße nennt. Bei den Menschen bekommt man wohl schnell einen Spitznamen verliehen. „Was bedeuten all diese regenbogenfarbenen Tücher?“
„Ah, das kann ich beantworten“, erklingt er freudig. „Das sind die Flaggen der LGBTQIA+ Community.“
Mit der Antwort kann ich leider nicht viel anfangen, also frage ich nach: „Was bedeutet das? LG…?“
„Also. Ich versuche, das jetzt vereinfacht zu erklären. Dabei geht es um Sexualität und Identität. Es gibt neben Heterosexualität noch viele weitere Orientierungen. Du und Killian seid ein heterosexuelles Paar. Luna und Jean sind zum Beispiel ein homosexuelles Paar. Neben Heterosexualität und Homosexualität gibt es noch einiges, was ich dir erklären könnte, aber ich glaube, dass das den Rahmen sprengt und zu viel auf einmal ist. Gibt’s das bei euch nich'? Seid ihr alle hetero?“
„Ihr Menschen macht dabei Unterschiede?“, frage ich verblüfft.
„Äh“, gibt Ian überlegend von sich, dann lacht er. „Ja, nein, eigentlich sollten wir nicht, aber irgendwie machen wir das doch. Bei uns Menschen ist das ziemlich kompliziert. Es gibt Menschen, die aus dummen Gründen etwas dagegen haben, wodurch andere sich identifizieren und deswegen ist das alles manchmal sehr schwer. Die Regenbogenflagge steht nich' nur für Homosexuelle, sondern für alle, die sozusagen von der Norm abweichen. Dir das alles ganz genau zu erklären würde dich aber wahrscheinlich nur verwirren. Die Flagge steht jedenfalls für Akzeptanz aller Formen von Liebe und Identitäten. Macht das so Sinn für dich?“
Ich nicke leicht. „Ja, irgendwie schon, auch wenn es mich sehr irritiert, dass ihr da tatsächlich Unterschiede macht. Bei uns gibt es für jeden einen Seelenverwandten. Ob der nun weiblich oder männlich ist, ist vollkommen egal. Wahre Liebe kennt keine Grenzen.“
„Ja, offensichtlich gibt es die nicht, sonst wärst du jetzt nicht hier“, antwortet er. „Bist du denn zufrieden mit einem Menschen an deiner Seite?“
Ich lächle breit, als ich an Killian denke. „Ja, sehr sogar. Er hat seine Eigenheiten, aber er ist wundervoll. Killian erklärt mir sehr viele Dinge, die ich in meiner Welt nie kennengelernt hätte. Außerdem weckt er Gefühle in mir, die ich nie zuvor wahrgenommen habe. Ich liebe ihn wirklich sehr.“
„Du bist so süß, dass ich Diabetes von dir bekomme“, meint Ian mit einem frechen Grinsen auf den Lippen. „Ich bin sicher, dass Killian auch sehr glücklich mit dir is'. Du tust ihm gut. Er wirkt ziemlich zufrieden mit sich, seit du in seinem Leben bist. Tut gut zu sehen, dass es ihm gutgeht.“
„Ich gebe mein Bestes, um ihn so glücklich wie möglich zu machen“, antworte ich stolz.
„Das bekommst du gut hin. Du machst einen tollen Job. Und wenn man dich so lächeln sieht, dann sieht man, dass Killian wohl auch einiges richtig macht. Ich freu' mich für euch. Ihr seid sehr süß zusammen. Wir müssen beim nächsten Mal unbedingt Fotos mach'n.“
Nach einer recht langen Parkplatzsuche spazieren Ian und ich durch den Park. In meiner Hand halte ich den Becher, den ich von Starbucks habe. Gekostet habe ich noch nicht. Das möchte ich gleich in Ruhe machen, sobald wir sitzen. Wir finden uns an einem erhöhten Punkt des Parks ein. Die Aussicht ist atemberaubend. Von hier aus kann ich nicht nur das grüne, saftige Gras und die Bäume und Palmen des Parks sehen, sondern in der Ferne auch die riesengroßen Gebäude der Stadt erkennen. Ich weiß nicht, was es ist, aber der Anblick verzaubert mich förmlich. Hier gefällt es mir.
„Mach ein Foto“, schlägt Ian mir vor. „Menschen lieben Fotos.“ Er grinst mich an und breitet dann die Decke aus, die er aus seiner Tasche zieht. „Das können wir auch gleich für deine nächste Lektion nutzen.“
„Meine nächste Lektion?“, frage ich. „Was war denn die erste Lektion?“
„Starbucks und die kleine Erkenntnis, dass du keine Angst davor haben musst, dass du einen eigenen Stil hast. Es gibt viele Frauen, die den Meerjungfrauenlook für sich entdeckt haben. Niemand wird dir daraus einen Strick dreh'n, da bin ich mir sicher.“
„Das hoffe ich.“
Mein kaltes Getränk stelle ich in der Wiese ab und ziehe mein Smartphone aus meiner Tasche. Ich schieße einige Fotos von der vor mir liegenden Landschaft. Leider schafft es das Smartphone nicht, die Realität so schön einzufangen, wie ich sie wahrnehme. Dennoch zufrieden setze ich mich neben Ian auf die Decke. Ich schlüpfe aus meinen Schuhen und Socken und berühre das Gras mit meinen nackten Füßen. Ein Glück, dass ich mich heute gegen ein Kleid entschieden habe. Meine Strümpfe könnte ich nicht ausziehen, ohne meine Schuppen preiszugeben. Etwas Natur hautnah zu spüren, ist Balsam für meine Seele. Ian greift nach seinem Becher und trinkt einen Schluck. Nun nehme ich mir die Zeit, mein Getränk zu probieren. Ich lege meine Lippen an den Strohhalm und nehme einen Schluck. Meine Augen weiten sich vor Überraschung.
„Das schmeckt ja köstlich!“, freue ich mich begeistert.
„Freut mich, dass der erste Versuch gleich ein Treffer war“, meint Ian. Er hält mir seine Hand entgegen. „Kann ich mir mal dein Smartphone ausleihen?“
„Wofür?“
„Die nächste Lektion. Ich lege dir ein Social Media Profil zu.“
„Darf ich dir dabei zusehen?“, frage ich interessiert, wobei ich ihm mein Smartphone reiche.
„Sicher.“
Ians flinke Finger tippen auf das Display. Seine Hände sind schmaler und kleiner als die von Killian, allerdings auch etwas größer als meine. Seine Nägel haben außerdem eine schwarze Farbe. An seinem Handgelenk entdecke ich ein rotes und ein violettes Armband, an einigen Fingern trägt er silberne Ringe. Ich sehe ihm dabei zu, wie er verschiedene Apps aufruft, doch so genau erkenne ich nicht, was er tut. Einerseits spiegelt das Display und anderseits verstehe ich zu wenig von der Technik er Menschen. Ich lasse meinen Blick über die grüne Wiese des Parks schweifen. Es tut gut, wieder draußen zu sitzen. Killians Wohnung ist zwar schön, aber sich zu bewegen und etwas zu erleben, hellt meine Laune immer auf.
Mein Begleiter verlangt nach meiner Aufmerksamkeit. Er erklärt mir, wie ich Bilder hochlade, was es bedeutet, wenn jemand mir folgt und wie ich selbst jemandem folgen kann. Dank Ian bekomme ich sogar schon die ersten Follower. Zunächst wirkt die Bedienung etwas kompliziert, doch als Ian die ersten Bilder für mich hochlädt, ist alles verständlicher. Als er mir dann noch erklärt, was Hashtags sind, fühle ich mich schon wieder etwas überfordert. Mit diesen Hashtags findet man wohl schnell, wonach man sucht. Ian bemerkt, dass ich noch etwas Zeit brauchen werde, um mich an das alles zu gewöhnen, also macht er eine Pause von den vielen Erklärungen. Zusammen machen wir einige Selfies, außerdem schlägt er vor, ein Foto von meinem Starbucks-Getränk zu machen. Das soll wohl ein sehr beliebtes Fotomotiv sein. Dass ich schnell einige Likes dafür bekomme, zeigt mir, dass ich es wohl richtig mache.
Dass Fotos und eine App, auf der ich sie ins Internet hochlade, ein Schritt Richtung ‚Mensch sein‘ sein soll, amüsiert mich so sehr, wie es mich irritiert. Menschen lieben ihre Bildschirme.
Ian legt grinsend sein Smartphone zur Seite. Fragend sehe ich ihn an.
„Du erinnerst dich an Kylie? Die Frau von Starbucks?“
„Ja, natürlich. Was ist denn mit ihr?“
„Sie hat mich gerade gefragt, ob du single bist.“
„Single?“
„Ob du in einer Beziehung bist“, erklärt er. „Sie fand dich süß und hat gefragt, ob du noch zu haben bist.“
Überrascht sehe ich Ian an. „Oh. Und? Was hast du ihr gesagt?“
„Natürlich, dass du vergeben bist und dass du Kerle bevorzugst.“
„Das ist so nicht ganz richtig“, antworte ich ihm. „Ich will nur Killian.“
Ian lacht herzlich, dann nickt er. „Ja, ja, schon klar. Die Seelenverwandtschaft.“ Er trinkt von seinem Kaffee. „Das kann ich Kylie aber nicht so erklären. Es ist einfacher, wenn ich die Seelenverwandtschaft nicht erwähne.“ Ian öffnet die Tüte, in der sich die süßen Speisen befinden, die ich mir ausgesucht habe. Ich fasse in die Tüte und nehme mir den dunklen Muffin heraus. Ich bin ziemlich sicher, dass er mit Schokolade gemacht wurde.
„Hattest du schon mal 'nen Muffin?“, erkundigt Ian sich.
„Nein.“ Mir kommt sofort der misslungene Backversuch in den Sinn. „Killian und ich haben versucht, welche zu backen. Wir haben ein Video aus dem Internet befolgt. Das ist aber leider nicht besonders gut gelaufen. Oben waren sie ganz verbrannt und Innen noch flüssig. Das war eine große Enttäuschung. Killian hat uns dann Donuts geholt, damit ich doch noch etwas Süßes bekomme.“
Ian amüsiert sich über meine Geschichte. Er lacht und schüttelt dann den Kopf. „Ja, das kann passieren, aber lass dich davon nicht entmutigen. Wenn du willst, kann ich dich mal an 'nem freien Tag abholen und dann backen wir zusammen. Ich mach' das ziemlich gern'. Mit netter Gesellschaft macht’s gleich noch mehr Spaß.“
„Das klingt nach einer guten Idee. Ich glaube, dass Killian daran ohnehin nicht besonders viel Spaß hatte. Entweder das oder er wollte das alles schnell hinter sich bringen, immerhin hat er gearbeitet.“
„Mhm, das kann sein. Wenn man im Stress oder mit dem Gedanken wo anders ist, dann ist man nicht mit voller Seele dabei und dann geht oft irgendwas schief.“
Ich zupfe ein Stück von dem süßen Gebäck und koste neugierig. Der fluffige Teig schmeckt wunderbar nach Schokolade, die härteren Schokoladestückchen machen das Kauen zum Erlebnis. Der Muffin schmeckt köstlich!
„Scheint dir ja zu schmecken.“
Ich nicke eifrig. „Ja, sehr sogar.“ Sofort stecke ich mir ein weiteres Stückchen in den Mund und genieße den schokoladigen Geschmack. „Wenn unsere Muffins genauso gut werden, dann bin ich zufrieden.“
Ian grinst vor sich hin, dann weiht er mich in seine Gedanken ein: „Ach, schlimmer als euer letzter Versuch kann’s kaum werden. Außer sie fangen Feuer.“
„Kann das passieren?“, frage ich erschrocken.
Mein Gesprächspartner sieht mich überrascht an, dann hebt er beschwichtigend seine Hand. „Nein, nein, das war nur ein Scherz. Ich hab' übertrieben, um einen Witz zu machen.“
Ich atme erleichtert durch. „Gut. Feuer macht mir nämlich ein wenig Angst.“ Als mein Smartphone aufleuchtet, sehe ich auf das Display. „Oh, ein neuer Follower. Wozu ist dieses Social Media eigentlich gut?“
„Um sein Leben zu teilen, neue Freunde zu finden, manche verdienen auch ihr Geld damit, es gibt unzählige Möglichkeiten, Social Media zu nutzen.“ Ich zucke mit den Schultern und widme mich lieber wieder meinem Muffin. „Anfangs ist das alles etwas umständlich, vor allem, wenn man keinen Plan von Technik hat, so wie es bei dir der Fall ist, aber man findet schnell Gefallen an der Sache.“
„Mal sehen“, antworte ich und stecke mein Smartphone in meine Tasche. Ich will nicht, dass ich ständig auf das Display sehe. „Ich bin mir nicht ganz sicher, ob mir das Spaß machen wird. Die vielen Bildschirme sind mir unangenehm. Meine Augen werden davon sehr schnell müde.“
„Hm“, gibt Ian nachdenklich von sich. Er hebt seine Hand. „Darf ich?“
„Was hast du vor?“
„Ich will mir deine Augen mal genauer ansehen. Um ehrlich zu sein, faszinieren mich die schon seit wir uns das erste Mal gesehen haben.“ Ian legt seine Hand an mein Kinn und kommt mir näher. Er sieht mir in die Augen und dreht meinen Kopf sanft zur Seite, dann lässt er seine Hand wieder sinken. „Du hast außergewöhnliche Augen, so groß und dunkel. Frauen mit großen Augen sind sehr gefragt, hab' ich gehört.“ Ian grinst mich an. Verlegen senke ich meinen Blick, dann greife ich nach meinem Getränk, um einen Schluck davon zu nehmen.
„Sie sind nichts Besonderes. Dunkle, große Augen sind typisch für mein Volk. Wir sehen uns alle sehr ähnlich.“ Ich zucke mit den Schultern. „Für mich sind die Augen von euch Menschen sehr außergewöhnlich. So viele verschiedene Farben. Deine grünen Augen gefallen mir auch sehr gut. Es ist nur schade, dass sie eine gewisse Traurigkeit ausstrahlen. Selbst wenn du lächelst, kann ich sie deutlich sehen.“
Überrascht nimmt Ian Abstand. „Was meinst du damit?“
„Ich kann in Augen Gefühle erkennen. Bei euch Menschen ist das schwieriger, als bei jemandem von meinem Volk, aber ich erkenne, dass du traurig bist.“
„Ach, echt?“ Ian senkt den Blick und sieht auf seine Finger. „Ist ein schwieriges Thema, können wir über etwas Anderes reden?“
Ich nicke, greife in die Tüte und ziehe einen Donut heraus, den ich Ian sofort reiche. „Hier, iss etwas. Wenn es mir nicht gut geht, dann macht Killian mir auch immer etwas zu essen.“
Verdutzt sieht Ian mich an, dann fängt er herzlich an zu lachen. „Oh ja, das klingt nach ihm. Hilft es denn?“
„Wenn es Donuts sind, ja.“ Nun lache auch ich. „Die können Leben retten.“
„Ach, is' das so?“
„Ja“, antworte ich überzeugt. „Mindestens zwei.“
Mit einem sanften Lächeln nimmt Ian den Donut an sich und beißt genüsslich hinein. Als er hinuntergeschluckt hat, fragt er: „Sag mal, was macht ihr eigentlich am Vierten Juli?“
Überfragt sehe ich Ian an, dann zucke ich mit den Schultern. „Keine Ahnung?“ Ich überlege einen Moment, dann lache ich und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. Ein bisschen schäme ich mich jetzt schon.
„Alles okay?“
Ich sehe wieder zu Ian auf. Ehe ich ihm antworte, kichere ich. „Ich habe keine Ahnung, wie die Zeitrechnung eurer Welt funktioniert“, gestehe ich amüsiert über meine eigene Unwissenheit.
Ian ist überrascht, doch dann lacht auch er. „Okay, ja, das hab' ich nicht bedacht und auch nicht erwartet.“ Er grinst, dann erklärt er: „Der Vierte Juli is' ein besonderer Tag für uns Amerikaner. Das is' der amerikanische Unabhängigkeitstag. Ein Tag zum Feiern. Normalerweise treffen wir uns immer und machen bei Angus und Lauren ein nettes Barbecue, aber das verschieben wir auf Sonntag. Hätte ja sein können, dass ihr am Samstag schon was vorhabt.“
Ich höre aufmerksam zu und nicke. Davon hat Killian mir noch gar nichts erzählt. So wie ich ihn kenne, hat er es vermutlich einfach nicht bedacht. „Ich weiß nicht, ob Killian etwas geplant hat. Vielleicht solltest du ihn fragen“, antworte ich meinem Freund, der daraufhin nickt.
„Cool, dann frag' ich ihn. Vielleicht mach'n wir was zusammen. Könnte lustig werden.“
Ian und ich unterhalten uns noch eine Weile. Wir leeren unsere Becher und verspeisen die Süßigkeiten, die Ian uns gekauft hat. Die bunten Cake Pops schmecken großartig! Mir einen Favoriten unter den Süßigkeiten auszusuchen, wird immer schwieriger. Zu meiner großen Überraschung verrät Ian mir, dass er ein Geschenk für mich hat und wir es später aus seiner Wohnung abholen. Natürlich kann ich es kaum erwarten, zu erfahren, um was für ein Geschenk es sich handelt!
༄ ♫ ༄
Nachdem wir einige Stunden im Park verbracht haben, fragt Ian mich, ob wir noch etwas Essen gehen, doch ich lehne ab. Durch den vielen Zucker bin ich mehr als gesättigt, außerdem werde ich müde. All die neuen Erfahrungen muss ich erst einmal sacken lassen. Bevor Ian mich wieder zurück zu Killian bringt, fahren wir noch zu ihm nach Hause, wo das versprochene Geschenk auf mich wartet.
Als wir gerade das Wohnhaus betreten wollen, höre ich ein seltsames Geräusch. Es klingt wie ein Schrei, doch nicht der Schrei eines Menschen, sondern eher nach dem eines Vogels. Ich sehe nach oben. Auch Ian scheint es gehört zu haben. Er sieht sich ebenfalls um, ehe er mich ansieht und mit den Schultern zuckt. Ian drückt die Tür auf, doch ich sehe mich noch einmal um. Ich kneife die Augen zusammen, da ich mir nicht sicher bin, ob ich sehe, was ich glaube zu sehen. Auf dem Dach gegenüber sitzt eine Mondschatteneule. Sie breitet ihre Flügel aus, dreht sich dann um und verschwindet aus meinem Sichtfeld.
„Hast du das gesehen?“, frage ich eilig und deute auf das Dach.
Ian schüttelt den Kopf. „Nein, sorry, hab' nichts geseh'n. Was war denn?“ Er sieht Richtung Dach, doch die Mondschatteneule ist verschwunden.
„Ach, nicht so wichtig“, antworte ich leise und lasse meine Hand sinken. Ich blicke noch einige Sekunden zu dem Dach hoch, doch die Eule bleibt verschwunden. Habe ich sie mir nur eingebildet? Nein, Ian hat sie ebenfalls gehört, die Eule war also hier. Die Frage ist nur, was sie hier macht.
„Komm“, bittet Ian mich und winkt mich heran. Ich nicke und betrete dann das Gebäude.
Wir steigen die Treppen hinauf. Weit ist der Weg zum Glück nicht. Meine Füße sehnen sich trotz der Pause im Park danach, wieder aus meinen Schuhen zu kommen. So sehr ich meine hohen Schuhe auch liebe, sie machen mich wirklich verdammt müde.
„Hoffentlich hast du nichts gegen Katzen“, meint Ian, als er die Tür aufschließt. Er deutet mir, in die Wohnung einzutreten. Ich steige gleich aus meinen Schuhen. „Du hättest sie ruhig anlassen können.“
„Ich bin froh, dass ich noch eine Pause von meinen Schuhen bekomme“, erkläre ich.
„Na wenn das so ist.“
Ian geht voraus und ich folge ihm. Schon in dem schmalen Gang gibt es einiges zu sehen. An den Wänden hängen viele Bilder von Ian und seinen Freunden. Neugierig bleibe ich stehen und betrachte die gerahmten Fotos. Freunde, Partys und Musik scheinen einen großen Stellenwert in seinem Leben zu haben. Überrascht hebe ich die Augenbrauen, als ich sogar Killian auf den Fotos entdecke. Bei einigen der Bilder bin ich mir nicht sicher, ob er es wirklich ist, da er so anders aussieht, doch als ich ihn genauer fixiere und mich auf die Augen konzentriere, bin ich mir fast sicher. Früher war er wohl um einiges schlanker, als er es jetzt ist. Unter den vielen Fotos finde ich auch welche von Ian mit einer oder mehreren Katzen. Deswegen hat er mich wohl gefragt, ob ich etwas gegen sie habe.
„Und da haben wir schon eines der kleinen Monster“, meint Ian mit ruhiger Stimme und geht dabei in die Knie. „Hallo, mein Schatz.“ Die dunkelgraue Katze miaut, als Ian sie hochnimmt. Er krault ihr Köpfchen und sieht dann mich an. „Das ist Milli. Hier irgendwo muss noch Vanilli herumlauf'n, aber der hält es nie für nötig, mich zu begrüßen.“
Vorsichtig hebe ich meine Hand. „Darf ich?“, frage ich leise.
„Klar.“
„Eigentlich habe ich deine Katze gefragt“, antworte ich schmunzelnd, worauf Ian lacht. Ich bewege mich langsam Richtung Katze und streichle durch ihr weiches, flauschiges Fell. Ich bin sofort angetan. „Hallo Milli, ich bin Ilaria. Freut mich sehr, dich kennenzulernen.“
„Ist wahrscheinlich die dümmste Frage aller Zeiten, aber können Tiere in deiner Welt sprechen? Bei uns nämlich nicht.“
„Eigentlich nicht“, verneine ich seine Frage, doch dann erkläre ich: „Drachen können sprechen. Einigen Wesen, die sich in Tiere verwandeln können, ist es ebenfalls möglich, in ihrer Tiergestalt zu sprechen. Das ist jedoch nicht bei allen der Fall. Es kommt darauf an, um welche Art der Verwandlung es sich handelt. Frag mich aber bitte nicht, wie das genau funktioniert. Das weiß ich nämlich selbst nicht. Magie ist ein komplexes Thema.“
„Faszinierend.“
„Killian hat mich übrigens so etwas Ähnliches gefragt.“
„Klar hat er das, der Nerd“, antwortet Ian belustigt.
Milli scheint genug davon zu haben, gestreichelt zu werden, denn sie kämpft sich aus Ians Armen und springt auf den Boden. Sie geht ins Wohnzimmer und verschwindet hinter der Couch. Ian und ich betreten ebenfalls das Wohnzimmer. Ians Wohnung ist ganz anders als die von Killian. Sie wirkt ordentlich und organisiert. Er hat viele Pflanzen. Über der schwarzen Couch hängt ein großes Tuch in Regenbogenfarben. Zu meiner Überraschung hat er auch ein Bild von einem Einhorn an der Wand hängen. Ich fühle mich hier sofort sehr wohl.
„Hier ist dein Geschenk.“ Ian deutet auf den Tisch vor der Couch, auf dem ein großer Karton steht.
„Das ist aber ein großes Geschenk“, stelle ich überrascht fest. „Und das ist wirklich für mich?“
„Ja, klar. Mach es auf.“ Meine Neugierde überschlägt sich. Erst lasse ich meine Tasche auf den Boden sinken, dann öffne ich sofort den Karton. Ich staune nicht schlecht, als ich Kleidung entdecke.
„Du schenkst mir Kleidung! War das nicht alles sehr kostspielig?“
„Irgendwann schon, ja“, antwortet Ian mir amüsiert. „Die Sachen sind von meiner Schwester. Sie hat ungefähr deine Größe.“ Interessiert stöbere ich in dem Karton. Ich entdecke Kleider, kurze Hosen, lange Hosen und auch Shirts. Sogar einen Hoodie und eine Jacke. „Eigentlich wollte sie die Sachen spenden, aber ich dachte, dass sie bei dir gut aufgehoben sind. Immerhin hast du gar nichts. Ich hätte dir auch Schuhe von ihr gegeben, aber du hast so winzige Füße, dass die dir nicht passen.“
Breit lächelnd sehe ich Ian an, dann falle ich ihm in die Arme und drücke ihn fest. „Vielen Dank für dieses aufmerksame Geschenk, Ian. Du musst deiner Schwester unbedingt von mir ausrichten, dass ich auch ihr großen Dank schulde.“ Es dauert einen Moment, doch dann erwidert Ian die Umarmung. Liebevoll streicht er über meinen Rücken.
„Mach' ich und gern geschehen. Ich dachte, dass es dir den Start in unserer Welt erleichtern wird.“ Ian lässt mich wieder los. Freudig betrachte ich den Karton. Das alles gehört jetzt mir! Wie aufregend! Eine rot getigerte Katze springt gerade auf den Tisch. Das muss wohl die zweite Katze sein. Sie reibt ihr Köpfchen an dem Karton und wirft dann einen neugierigen Blick hinein. „Oh nein, hau da schön ab. Ilaria hat keine Lust auf deine Haare“, meint Ian und verscheucht seine Katze, die schnell von dem Tisch springt. Ian verschließt den Karton gleich wieder. „Willst du noch irgendetwas trinken oder willst du nur noch zu Killian und ihm deine neuen Sachen zeigen?“
Ertappt sehe ich Ian und dann den Karton an. „Ich will zu Killian. Er fehlt mir schon ein wenig.“
„Gut, dann machen wir uns sofort auf den Weg.“ Ich möchte gerade nach der Kiste greifen, doch Ian nimmt mir diese Aufgabe ab. „Schon gut, ich mach' das für dich.“
„Vielen Dank, Ian.“
Ian nimmt den Karton mit zur Tür. Bevor ich ihm folge, sehe ich mich noch einmal im Wohnzimmer um. Von einer kuschelig aussehenden Erhöhung aus beobachtet Vanilli mich. Er wirkt argwöhnisch. Seine großen Augen folgen mir, als ich das Wohnzimmer verlasse. Bevor ich in meine Schuhe schlüpfe, habe ich noch einmal die Gelegenheit, Milli zu streicheln. Ians Katzen gefallen mir. Wenn ich ihn beim nächsten Mal besuche und wir gemeinsam backen, dann nehme ich mir viel Zeit, um mit seinen Katzen zu kuscheln.
Zuhause erwartet mich eine weitere Überraschung. Ich staune nicht schlecht, als ich ins Wohnzimmer trete. Killian hat aufgeräumt und sauber gemacht. Nach getaner Arbeit ist er wohl auf der Couch eingeschlafen. Leise stelle ich den Karton mit meiner neuen Kleidung ins Schlafzimmer. Ich klaue eines von Killians Shirts und husche ins Badezimmer, um mich frisch zu machen. Da auch ich ziemlich müde bin, lasse ich mich neben Killian auf die Couch sinken. Im Schlaf zieht er mich an seine Brust und hält mich in seinen starken Armen. Zufrieden atme ich durch und kuschle mich an seine Brust. Als sein Schnarchen an meinem Ohr ertönt, muss ich kichern.
Morgen habe ich ihm so viel zu erzählen!