Die nächsten Tage und Nächte liefen im Grunde genommen immer nach dem gleichen Muster ab. Tagsüber musste Val dem Perversen zu Diensten sein, wobei sich das inzwischen nicht mehr ausschließlich auf körperliche Dienste bezog, denn sobald sie wieder kräftig genug war, bediente sie ihn tatsächlich von vorne bis hinten. Brachte ihm Essen und zu Trinken. Räumte hinter ihm her und stand immer bereit, um sofort reagieren zu können, wenn er etwas von ihr wollte.
Erstaunlich war auch, dass die Sklaventreiberin sich offensichtlich auch um Vals Verletzungen kümmern musste. Zumindest um die in ihrem Gesicht, denn man hatte Val eine Weile etwas gegen die Schwellung ins Gesicht geschmiert und sobald diese halbwegs abgeklungen war, wurden die Blutergüsse überschminkt.
War Val am ersten Tag noch relativ schlicht gekleidet gewesen – wobei sich immer noch darüber streiten ließ, ob man das überhaupt noch als Bekleidung bezeichnen konnte – so wurde sie von Tag zu Tag mehr herausgeputzt. Das bedeutete nicht, dass ihr Körper mehr Stoff zu spüren bekam, nein, das sicher nicht, doch ihre Frisur wurde edler, man legte ihr Schmuck um und bemalte ihren Körper, um Vals Vorzüge noch weiter hervorzuheben. Nichts, was sie wirklich glücklich machte, denn sie brauchte absolut nicht noch mehr, um die Aufmerksamkeit des Perversen auf sich zu ziehen. Die hatte sie auch so schon zu genüge. Val fühlte sich wie sein persönliches Schmuddelheftchen, so oft, wie sein Blick auf ihr ruhte und ihn das eine oder andere Mal auch zu Taten inspirierte. Zum Glück hatte er nicht einmal ansatzweise Alexeys Ausdauer, sonst könnte Val am Ende des Tages nicht mehr aufrecht gehen. Nein, sie konnte wirklich dankbar sein, obwohl es ihr zuwider war und sie mehr und mehr mit Wut und Hass erfüllte, so war das Arschloch doch relativ schnell fertig und auch nicht gerade ein Stehaufmännchen.
Dennoch war Val abends vollkommen hinüber. Sowohl körperlich als auch mental. Ob sie diese Scheiße ohne die nächtlichen Besuche bei Alexey und seine Fürsorge überstanden hätte, wusste Val nicht. Zumindest wäre es sehr viel schwerer für sie gewesen, sich jeden Tag aufs Neue aus dem Sumpf ihrer düsteren Gefühle zu ziehen, um nicht endgültig aufzugeben. Zwar verlor Val nie das Ziel aus den Augen – Ceara zu beschützen und diese Scheiße hier zu überleben, um irgendwann fliehen zu können – doch manchmal fiel es ihr besonders schwer, nicht einfach aufzugeben.
Nach knapp einer Woche kam dann tatsächlich der Moment, der das Potential besaß, Val zu brechen, denn der Perverse verlangte nach einem Bad und Val sollte ihm dabei behilflich sein.
Schon als Val den Raum hinter dem Arschloch betrat, der Vanadis‘ Todesurteil bedeutet hatte, konnte sie kaum noch richtig atmen. Die Luft war geschwängert von herben Kräutern, doch daran lag es nicht. Wie schon beim letzten Mal, als sie hatte hierher zurückkommen müssen, drohte eine Panikattacke in ihr hochzukriechen. Zwar sah sie auch Bilder von Alexey und der Eiskönigin vor sich und wie diese stundenlang miteinander gevögelt hatten, aber in der Anwesenheit des Perversen drängten auch andere Erinnerungen in ihr hoch. Vanadis, wie sie zu dem Scheißkerl ins Wasser stieg, während er Vals nackten Körper begaffte. Wie er sich bei ihrem Anblick selbst einen runterholte und sich dann doch ihrer Freundin zuwandte. Wie er Vanadis über den Rand beugte und sie …
Val wäre beinahe gegen den Rücken des Perversen geprallt, als er plötzlich stehen blieb. Gerade noch so konnte sie sich abfangen, doch durch ihre Unaufmerksamkeit stand sie viel zu dicht bei ihm, als er sich zu ihr herumdrehte. Langsam machte sie einen Schritt vor ihm zurück und hielt den Blick gesenkt. Doch sie spürte sein beschissenes Grinsen geradezu körperlich.
„Hilf mir beim Ausziehen“, befahl er ihr. Womit sie dann nun auch noch offiziell die Aufgaben von Tiberius übernahm – dem alten Leibsklaven des Perversen, der die männliche Ausführung von Briseis war. Zumindest was die Tätigkeiten anging.
Val konnte nicht verhindern, dass sich vor unterdrückter Wut ihre Augenbrauen zusammenzogen und ihr sonst eher voller Mund nur noch ein einziger dünner Strich war. Sie wusste, das Arschloch reizte es nur noch mehr, wenn sie so offen mit Abneigung reagierte, doch sie besaß einfach nicht das Talent, vollkommen ausdruckslos zu bleiben. So oft sie es auch versuchte, sie konnte ihre Emotionen nie ganz vor dem Perversen verbergen.
Natürlich tat sie trotzdem, was er von ihr verlangte. Manchmal musste er es vielleicht zweimal befehlen, aber spätestens dann tat sie es, ob sie wollte oder nicht. Auch jetzt fasste Val schließlich an den ledernen Gürtel, zog und zerrte nicht gerade sanft daran, bis sich die Schnalle öffnete und nahm ihn an sich, nur, um ihn keine Sekunde später in Richtung Tiberius zu werfen, der natürlich nicht schnell genug reagierte und den Gürtel fallen ließ. Was dem Perversen ein amüsiertes Lachen entlockte. Zumindest solange, bis Val nach dem Saum seiner Tunika griff und sie ihm bis zur Brust hochzog, damit er rausschlüpfen musste. Wie zu erwarten war, drängte sich ihr dabei auch gleich Mr. Zu-allen-Schandtaten-bereit auf, den sie aber völlig ignorierte, indem sie noch einen Schritt zurück machte.
„Ah, ah, auch die Sandalen“, tadelte der Perverse sie, als wäre sie ein ungezogenes Kind, während er ihr einen seiner Füße hinhielt.
Da Val nichts anderes übrig blieb, kam sie doch noch einmal näher und ging vor dem Bastard auf die Knie, um ihm seine Scheißsandalen auszuziehen, mit denen sie Tiberius ebenfalls zwangsbeglückte. Zumindest die zweite Sandale konnte er mit viel Gestik noch rechtzeitig fangen, was den Perversen wirklich prächtig amüsierte, ehe er dann der Welt endlich einen Gefallen tat und in dieses beschissene Becken stieg, das die Bademädchen bereits mit Wasser gefüllt hatten.
Normalerweise waren sie und der Leibsklave die einzigen anderen Personen im Raum, vom Perversen einmal abgesehen, doch nach dem Bademassaker, das Val angerichtet hatte, warteten die Wachen nicht länger vor der Tür, sondern standen ebenfalls bereit, um möglichst schnell eingreifen zu können, falls sie noch einmal vorhatte, das Arschloch zu ertränken.
Unglücklicherweise schienen diesem Haus die Wachen ausgegangen zu sein, denn es verging kein Tag, an dem Val nicht zusätzlich auch noch den lüsternen Blick des kranken Voyeurs auf sich ertragen musste. Auch hier hatte sie es ausschließlich Alexey zu verdanken, dass der Wichser sie abends nicht länger belästigte, sondern inzwischen von sich aus verschwand, sobald sie endlich gehen durften. Doch Val hatte das Gefühl, dass sie bei dem Kerl auf einer tickenden Zeitbombe saß. Denn manche seiner Blicke waren nicht einfach nur lüstern, sondern schienen geradezu besessen von ihr zu sein.
„SKLAVIN!“ Val zuckte heftig zusammen, als nicht nur das Brüllen des Perversen überlaut durch den Raum hallte, sondern sie auch noch etwas Weiches am Kopf traf. Reflexartig griff sie danach und hielt einen Schwamm in der Hand. Fragend sah sie hoch und begegnete dem wütenden Blick ihres Peinigers, den sie offensichtlich für einen Moment völlig ausgeblendet hatte.
„Ausziehen! Herkommen!“, bellte er und deutete neben sich.
Wenn der Wichser so drauf war, zögerte Val keine Sekunde, denn inzwischen wusste sie, was es bedeutete, diesen Tonfall zu ignorieren. Ihr Gesicht mochte der Bastard vielleicht verschonen, aber ihr Rücken und vor allem ihr Arsch fühlte sich nur geringfügig besser an als noch vor einer Woche. Darum streifte sie auch hastig den Hauch von Nichts ab, den sie um die Taille trug und eilte zum Beckenrand hinüber, um sich ins Wasser gleiten zu lassen. Val verzog kaum das Gesicht, obwohl das warme Wasser Stellen an ihr brennen ließ, die heute schon einmal benutzt worden waren. Das nächste Mal würde mit Sicherheit kein Zuckerschlecken werden. Da half es auch nichts, dass Val sich morgens, bevor sie Alexey verließ, noch eine ordentliche Portion von der Salbe reinschob. Die Wirkung hielt natürlich nicht die ganze Zeit über an, wenn sie sich dazwischen immer mal wieder säubern musste, doch zumindest erleichterte es ihr den Start in den Tag.
Val hatte kaum einen Schritt auf den Perversen zu gemacht, da hatte er sie auch schon an der Kehle gepackt und riss sie wütend an sich, was auch in ihr die Wut von Neuem schürte. Er starrte ihr finster in die Augen und Val konnte dabei nicht einfach ergeben ihre Lider niederschlagen, sondern starrte nicht weniger finster zurück. In Gedanken wünschte sie dem Kerl alles Mögliche an den Hals und das schien er auch deutlich mitzubekommen, denn der harte Zug um seinen Mund verwandelte sich plötzlich und wurde zu einem zufriedenen Lächeln.
Val rührte sich nicht, als sich seine andere Hand um ihre Brust legte und diese knetete, dabei hatte er den Blick immer noch nicht abgewandt, sondern prüfte scheinbar, wie sie darauf reagierte. Val ballte lediglich die Faust um den kleinen Schwamm und atmete so ruhig, wie es eben ging, da sie durch die Hand an ihrer Kehle gerade genug Luft bekam, um nicht in Ohnmacht zu fallen.
„Du weißt, ich bin deiner wilden Seite völlig verfallen“, säuselte das Arschloch gespielt lieblich. „Aber …“ Und damit zwickte der Kerl ihr so fest in die Brustwarze, dass Val die Luft wegblieb und ihr ungewollt Tränen in die Augen traten. „… reiz mich nicht!“
Val hielt vollkommen still, obwohl sie das plötzliche Zittern ihres Körpers nicht unterdrücken konnte. Am liebsten hätte sie sich gewunden, so gnadenlos bearbeitete er ihre Brustwarze, doch es hätte ohnehin nichts gebracht, außer dem Perversen gezeigt, dass er mit dem, was er tat, Erfolg hatte.
„Verstehst du das?“ Sein Atem strich warm über Vals Hals, bevor er beinahe zärtlich an ihrem Ohr knabberte, obwohl seine Finger sich immer noch wie eine stählerne Klammer um sie schlossen.
Val versuchte zu nicken, doch das ging wegen seiner Hand an ihrer Kehle nicht, also zwang sie sich dazu, Atem zu holen und krächzte dann: „Ja … Dominus.“
„Gut.“
Endlich ließ er ihre Brustwarze los, die so sehr schmerzte, dass es kaum einen Unterschied machte. Erst recht nicht, als er ihr mit dem Daumen leicht darüber strich, um sie noch ein letztes Mal zu reizen. Dann nahm er auch die Hand von ihrer Kehle und lehnte sich gemütlich auf der steinernen Bank im Wasser zurück, als wäre nichts gewesen. Dabei streckte er entspannt die Arme links und rechts von sich am Rand des Beckens aus und sah sie herausfordernd an. „Du kannst mich jetzt waschen.“
Val, die immer noch zwischen seinen gespreizten Beinen stand, brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. Dabei wischte sie sich auch verstohlen die Tränen aus dem Gesicht und hoffte, dass sie jetzt nicht wie ein Waschbär aussah, da man ihre Augen mit Kohle nachgezogen hatte. Ihr selbst wäre es egal gewesen, doch der Perverse legte Wert darauf, dass nur er ihr Gesicht verunstalten durfte. Was er genau genommen ja auch getan hatte. Egal.
Sobald sich Vals Brustkorb nicht mehr so anfühlte, als würde er in einer Schraubzwinge stecken, begann sie mit gesenktem Blick und bewaffnet mit ihrem kleinen Schwamm den Perversen zu waschen.
Zumindest ein Gutes hatte das Ganze: Val stand nun sicher nicht kurz davor, eine Panikattacke zu erleiden, weil Erinnerungen an Vanadis sie zu übermannen drohten. Jedenfalls noch nicht.
Eine Weile ließ der Perverse es sich sogar gefallen, wie überaus gründlich Val sich ausschließlich um seinen Oberkörper kümmerte, doch irgendwann verlor er dann doch die Geduld, packte ihre freie Hand und zog sie auf seinen steifen Schwanz. Zusammen mit seiner Hand auf ihrer, brachte er sie dazu, ihn kräftig zu massieren, während er sie unverwandt anstarrte. Kurz darauf begann er zu keuchen und Val hegte die vage Hoffnung, dass er nicht mehr wollen würde, sondern es ihm reichte, wenn sie es ihm mit der Hand machte. Doch weit gefehlt.
Als er schon so richtig in Fahrt war, sprang der Perverse plötzlich auf, packte sie und drängte sie zum Rand des Beckens hin, bevor er sie mit dem Bauch voran genau dort niederzwang, wo auch Vanadis gelegen hatte.
Irgendetwas in Val setzte bei dieser Erinnerung komplett aus, denn sie spürte kaum, was darauf folgte. Sie nahm nichts mehr um sich herum wahr. Die umstehenden Menschen, die ihr sowieso nicht helfen würden, verschwammen vor ihren Augen. Der Schmerz in ihrem Körper war nur noch eine ferne Erinnerung, dafür nahm der Druck in ihrem Bauch zu. Sie spürte ihn schon seit Tagen, dort, wo Wut und Hass sie beinahe auffraßen. Er ging nie ganz weg. Nicht einmal in Alexeys Nähe, obwohl sie dort zumindest vergessen konnte, dass dieser innere Druck da war. Doch hier und jetzt wurde er mit einem Schlag übermächtig, schien sich in ihr auszudehnen, über die Grenzen ihres Körpers hinaus, bis der Druck bestehend aus Vals Wut und Hass zu groß wurde und die Gefühle in ihr explodierten.
Zunächst schien es, als würde der Perverse völlig unbeeindruckt davon bleiben und nicht einmal mitbekommen, was gerade in Val vorging. Doch dann hörten seine Bewegungen plötzlich auf, da sein Schwanz sich offenbar weigerte, noch länger mitzumachen.
Val wurde zur Seite gestoßen. Gerade rechtzeitig, wie sie keine Sekunde später feststellte, als der Perverse sich über den Rand des Beckens beugte und sich heftig auf dem Boden erbrach.
Erst die ekligen Würgegeräusche brachten sie allmählich wieder richtig zurück, sodass sie fast schon verwirrt über das Chaos blinzelte, das auf einmal um sie herum herrschte. Val wurde dabei noch mehr in eine abgelegene Ecke des Beckens gedrängt, da nicht nur Tiberius herbeigeeilt war, um seinem Herrn aus dem Wasser zu helfen, sondern auch die beiden Wachen. Das Arschloch übergab sich immer noch wie verrückt, sodass Val es wagte, aus dem Becken zu klettern und sich nass und zittrig ganz an den Rand des Geschehens zu stellen und völlig erstaunt zuzusehen.
***
Im Nachhinein betrachtet stellte niemand der Anwesenden und schon gar nicht der Betroffene selbst einen Zusammenhang zwischen dem her, was der Perverse mit Val angestellt hatte und seiner plötzlichen Brecharie. Kurz hatte man sogar vermutet, der Dominus wäre vergiftet worden, doch nachdem er sich eine Stunde lang die Seele aus dem Leib gekotzt hatte und es ihm danach allmählich wieder besser ging, nahm man an, er hätte irgendeine Zutat im Essen nicht vertragen. Rashad empfahl für die nächsten Tage Schonkost und Bettruhe, schien aber sonst nicht weiter besorgt zu sein. Schon bald ging alles wieder seinen gewohnten Gang und Val durfte sogar früher gehen, sodass sie am Abend noch ungewohnt viel Zeit mit Ceara verbringen konnte, ehe sie sich zu Alexey schlich. Nicht, weil sie wieder zusammengeflickt werden musste, sondern einfach, weil sie es so wollte.
Alles in allem war Val noch einmal glimpflich davon gekommen, denn obwohl niemand etwas vermutete – Val wusste dafür umso besser, dass sie etwas mit dem Perversen angestellt hatte. Sie wusste es so sicher, wie man sich bei einer Sache nur sicher sein konnte. Sie verstand nur nicht, was genau sie gemacht hatte und wie sie es eventuell noch einmal wiederholen konnte.
Wie intensiv sie über diesen Vorfall grübelte, fiel Val erst auf, als Alexey sie am Kinn berührte und so ihre Aufmerksamkeit erregte. Wie lange sie schon reglos dagesessen und in ihr Abendessen gestarrt hatte, wusste sie nicht, doch es musste lange gewesen sein, da Alexey bereits mit seinem Essen fertig war und sie nun fragend ansah.
„Es ist … nichts“, antwortete Val äußerst lahm, sodass Alexey skeptisch eine Augenbraue hochzog.
„Ich …“, versuchte es Val noch einmal und suchte hastig nach einer Ausrede. „Kein Hunger.“ Was sogar stimmte. Ausnahmsweise hatte sie heute einmal wirklich keinen Hunger, da sie rechtzeitig zum Abendessen gekommen war. Darum beugte sie sich auch an Alexey vorbei und stellte ihre Schüssel auf die Truhe zurück. Dabei stieg ihr ungewöhnlich intensiv sein Duft in die Nase, sodass Val sich langsam wieder zurücksetzte und verwirrt die Stirn runzelte. Sie kannte das Gefühl, das sie bei diesem Duft überraschend intensiv überkam. Damit meinte sie nicht seinen normalen Duft, der so schon immer richtig gut war und sie immer wieder dazu veranlasste, heimlich an Alexey zu schnuppern. Nein, das hier war anders. Das hier war fast wie …
Val musste wirklich unglaublich tief in Gedanken versunken gewesen sein, da ihr die Veränderung an Alexey nicht aufgefallen war. Doch jetzt, wo sie direkt mit der Nase darauf gestoßen worden war, musterte sie ihn eindringlich. Auf seiner Stirn lag ein feiner Schweißfilm, obwohl es nicht ungewöhnlich warm in seiner Kammer war. Seine Pupillen waren ein wenig geweitet und um seine Mundwinkel spielte ein verkniffener Zug, der für gewöhnlich nicht da war. Darüber konnten auch die dunklen Nähte an seinen Lippen nicht hinwegtäuschen.
Ohne zu fragen legte Val ihm eine Hand an den Hals und spürte seinem heftig flatternden Puls nach, der sich bei ihrer Berührung sogar noch beschleunigte. Dabei fühlte Val auch das kaum wahrnehmbare Zittern von Alexeys Körper.
Val ließ von ihm ab und setzte sich wieder zurück, um nun ihn fragend anzusehen. Alexey sagte nichts zu ihren Beobachtungen. Natürlich sagte er nichts dazu. Würde er wahrscheinlich nicht einmal, wenn er im Moment sprechen könnte und selbst da war Val sich im Augenblick nicht sicher, ob er ihr nicht vielleicht doch etwas vormachte. Sie wollte es wahrscheinlich nur nicht wirklich glauben, doch Heimlichtuereien bei einem Süchtigen waren fast wie das Amen im Gebet. Damit kannte sie sich aus.
Hätte sie diese Anzeichen nicht schon einmal in aller Deutlichkeit bei Alexey beobachtet, sie hätte einfach vermutet, dass er krank wurde oder ihm sonst etwas fehlte. Natürlich, dieses Mal waren ihr die Feinheiten seines Zustands noch sehr viel früher aufgefallen, doch Val würde darauf wetten, dass sich Alexeys Zustand in den nächsten Tagen verschlimmerte. Lag es daran, dass die Eiskönigin nicht hier war und er nicht bekam, was er offenbar alle paar Tage brauchte? Was gab sie ihm, das ihn süchtig machte? Hatte sie ihn etwa damit in der Hand?
„Alexey …“, begann Val vorsichtig und nahm eine seiner Hände in ihre und hielt sie sanft fest, während sie ihn eindringlich ansah. „Was du brauchst?“
Dass Val voll ins Schwarze getroffen hatte, bewies ihr sein Blick, der plötzlich überall hinging, nur nicht zu ihren Augen. Dem Zucken seiner Hand nach zu urteilen, wollte er sich ihr sogar entziehen, tat es dann aber doch nicht, stattdessen presste er die Lippen noch fester zusammen und schüttelte dann schwach den Kopf. Sein Blick sagte ihr, dass er so tat, als wüsste er nicht, was genau sie meinte.
Nach einem Tag wie heute war Val absolut nicht danach, dämliche Spielchen zu spielen, also gab sie Alexey noch eine letzte Chance, indem sie sich weiter aufrichtete, ihm über die feuchte Stirn wischte und ihm dann die Feuchtigkeit auf ihren Fingern vors Gesicht hielt. „Du nass“, kommentierte sie ihre Beobachtung. „Du nie nass.“ Hoffentlich fing er jetzt nicht an, Wortklauberei zu betreiben, denn Val war nicht dazu aufgelegt, sich unnötig mit Vokabeln zu beschäftigen, die ihr auf die Schnelle nicht einfielen. Darum machte sie weiter und zeigte auf ihr Auge. „Deine Pupillen breit.“ Zum Schluss legte sie ihre Hand wieder auf seinen Hals und sah ihn so eindringlich an, als wollte sie ihn direkt einschüchtern. Nur ließ sich dieser Mann für gewöhnlich nicht so leicht einschüchtern. „Dein Herzschlag … viel zu schnell und du zittern“, schloss Val ihre Beobachtungen ab. „Dein Körper brauchen … etwas. Was er brauchen, Alexey? Was?“
Alexey entzog sich ihr vollkommen, indem er so schnell aufstand, dass sie die Bewegung fast nicht mitbekam. Verwirrt blinzelte Val für einen Moment und schüttelte dann den Kopf, bevor sie ihre Konzentration wieder auf den Mann richtete, der nun wie ein Tiger im Käfig im Raum auf und ab ging und deutlich mit sich rang.
***
Alexey hätte es wissen müssen! Er hätte schon beim ersten Anzeichen seines Blutdursts dafür sorgen müssen, dass seine kleine Kriegerin ihm nicht mehr zu nahe kam. Sie war einfach zu klug und zu scharfsinnig. Es hätte ihm klar sein müssen, dass sie ihn viel schneller durchschaute, als er wahrhaben wollte. Alexey hatte gehofft, es noch ein paar Tage hinauszögern zu können, doch ausgerechnet heute, wo so offensichtlich etwas vorgefallen war, das Valeria intensiv beschäftigte, musste sie seine Schwäche bemerken!
Unter normalen Umständen hätte er ihr die Wahrheit gesagt. Sie ihr sogar aufgeschrieben oder mit Gesten gezeigt, wenn es mit Worten nicht ging. Wäre er dem Alkohol verfallen oder Opiumsüchtig gewesen, er hätte es nicht vor ihr verborgen. Es wäre ihm schwer gefallen, sich zu offenbaren, doch er hätte es getan, da er keine Geheimnisse zwischen sich und seiner kleinen Kriegerin wollte. Doch Geheimnisse lagen derer viele zwischen ihnen. Mehr, als sie auch nur ahnen konnte …
„Alexey …“, versuchte sie es noch einmal in ruhigem Tonfall und stoppte damit sein gehetztes Hin und Her. „Sucht nur Problem, wenn nicht eingestehen.“
Wenn es doch nur so einfach wäre!
„Also, was dir die Schlampe geben?“
Blut, Valeria. Sie gab mir dein Blut. Und es ist das Köstlichste, das mir je die Zunge umschmeichelt hat!
Alexey nahm seinen Marsch durch die kleine Kammer wieder auf. Er konnte seiner kleinen Kriegerin doch nicht einfach sagen, dass er Blut trank. Dass er Blut zum Überleben brauchte und schon viele Male dafür getötet hatte. Zwar nicht freiwillig, doch das spielte im Augenblick keine Rolle. Sobald der Blutdurst ihn dazu zwang, seine zivilisierte Seite abzulegen und sich auf die Jagd zu begeben, war er durch und durch eine Bestie. Nichts, das ein normaler Mensch je lieben könnte und schon gar keine Frau, die zu Jenen gehörte, obwohl sie sich dessen nicht bewusst zu sein schien.
Alexey hielt abrupt inne, als seine kleine Kriegerin plötzlich vor ihm stand und mit den Händen gegen seine Brust drängte, um ihn aufzuhalten.
„Alexey … Du mir vertrauen?“, fragte sie ihn mit ihren großen, bernsteinfarbenen Augen, die noch intensiver in ihn drängten, als der Klang ihrer Stimme es vermochte. Er konnte nicht antworten. Allein ihre Berührung brachte ihn aus der Fassung. DANACH war er süchtig! Nach ihrer Berührung, dem Klang ihrer Stimme, ihrem zärtlichen Lächeln, die Wärme in ihren wunderschönen Augen. Ihrer Nähe, verdammt noch mal!
„Mir vertrauen, ja?“ Valerias Finger strichen hoch zu seinem Hals, dort wo sie nur zu deutlich fühlen konnte, wie heftig sein Herz für sie raste. Nicht wegen des Blutdursts, sondern wegen ihr!
„Va…“, kam es ihm plötzlich über die Lippen, bis er sich wieder darauf besann, dass seine Zunge im Moment gerade einmal die Hälfte ihrer ursprünglichen Größe besaß und daher noch völlig ungeeignet war, um damit zu sprechen.
Alexey nahm stattdessen Valerias Hände zwischen seine und küsste sie zärtlich, ehe er seine Stirn dagegen schmiegte. Schwach schüttelte er den Kopf. Bitte zwing mich nicht dazu, mich schon jetzt zu offenbaren. Ich flehe dich an. Ich will dich noch nicht verlieren!
Zu spät erkannte Alexey seinen Fehler und dass sie das Schütteln seines Kopfes als Antwort auf ihre Frage deuten könnte. Doch bevor er noch etwas erwidern konnte, hatte sie sich seinen Händen bereits entzogen. Das warme Glimmen in ihren Augen war verschwunden und hatte stattdessen einem wütenden Feuer platz gemacht. Wieder wollte Alexey nach ihr greifen, doch da wich Valeria ihm aus und zog sich zur Tür zurück.
Sie sagte noch etwas in ihrer Sprache, das er nicht verstand, und verschwand, ohne sich noch ein letztes Mal zu ihm umzudrehen.
Alexey ließ sie ziehen, in dem Wissen, dass in den nächsten Tagen alles ohnehin noch sehr viel schlimmer werden würde und es besser war, wenn Valeria nicht in seine Nähe kam.