Val hatte nie besonders klare Vorstellungen davon gehabt, wie das Leben nach dem Tod einmal sein würde. Selbst dann nicht, als er mit jedem Tag näher rückte. Dafür war sie einfach zu sehr ein Mensch gewesen, der sich mit dem Leben an sich beschäftigte.
Nicht umsonst hatte sie tagtäglich in ihrer Arbeit darum gekämpft, das Leben der Menschen, die unter ihr auf dem OP-Tisch lagen, zu retten. Der Tod hingegen war für sie stets ein Übel gewesen, das bekämpft werden musste. Erst recht, als es um ihren Eigenen ging.
Zwar hatte Val nicht angenommen, dass nach dem Tod einfach gar nichts mehr kam, denn wie selbst die Wissenschaft bestätigte: Energie in seiner ursprünglichsten Form kann weder vermehrt noch vermindert werden. Sie ist einfach und was war der menschliche Körper anderes als eine biologische Maschine, die mit Energie angetrieben wurde.
Ob nun von einem Geist, komplexen Instinkten oder das, was man gemeinhin als Seele bezeichnete; das, was den Menschen letztendlich ausmachte, konnte nicht so einfach aufhören zu existieren.
Trotzdem hatte Val nie an einen Himmel oder eine Hölle geglaubt. Ihre Religion war die Wissenschaft gewesen, aber auch die gab keine befriedigenden Antworten darauf, was nach dem Tod genau geschah.
Zumindest in ihrem Fall war da kein Licht am Ende des Tunnels. Da war überhaupt kein Tunnel. Weder konnte sie die Engel singen, noch den Teufel seinen Dreizack schwingen hören.
Val war einfach eingeschlafen und nun versuchte sie langsam die Augen zu öffnen. Dabei fühlte es sich an, als wäre sie nur eine Sekunde lang weg gewesen, bevor ihr Verstand bereits wieder zu arbeiten begann, wenn auch sehr träge. Bestimmt waren das die Nachwirkungen des Betäubungsmittels.
Kaum dass sie ihre Lider einen Spalt breit auseinander gezwungen hatte, presste sie sie sofort wieder fest zusammen, um ihre Augen vor dem Staub zu schützen, der auf ihrem Gesicht lag und zwischen ihren Wimpern hing.
Sie atmete ihn ungewollt ein und bekam einen Hustenanfall, der sie so stark durchschüttelte, dass sie völlig ermattet liegen blieb, als es endlich vorbei war, während sich in ihrem Kopf alles drehte.
Der Geschmack in ihrem Mund war eklig und sie versuchte, so viel von dem Staub wieder auszuspucken, wie sie konnte, aber ganz ging er nicht weg, stattdessen verschlimmerte er nur das trockene Gefühl in ihrer Kehle.
Völlig entkräftet und mit zittrigen Bewegungen rieb sich Val träge den Dreck aus den Augen, bis sie ohne Probleme blinzeln und schließlich genauer ihre Umgebung betrachten konnte.
Okay. Die These, dass es keine Hölle gab, sollte sie bei dem erschreckenden Anblick, der sich ihr bot, vielleicht noch einmal überdenken. Vor allem, da es tatsächlich Asche war, von der sie gerade eben noch einen tiefen Zug inhaliert hatte, nachdem diese in rauen Mengen nicht nur sie, sondern auch ihre ganze Umgebung bedeckte. Sie lag wie eine dünne Schicht aus grauem Schnee über einer total unwirklichen Umgebung, in der es weit und breit außer ihr kein Leben gab.
Alles war karg und trostlos. Selbst der Boden unter ihren Fingern fühlte sich hart, kalt und fremdartig an. Als läge sie auf einem Bett aus splitterndem, schwarzen Glas, das sich ziemlich unbequem an mehreren Stellen in ihre ungeschützte Seite bohrte.
Doch am Unheimlichsten war die Stille über allem. Es war beinahe totenstill. Da waren keine fahrenden Autos. Keine Hupen. Keine Wärter, die vor ihrer Zelle ihren Rundgang machten oder die Geräusche der Mithäftlinge in den anderen Zellen. Nicht einmal das Geräusch eines Flugzeugs, das über den Himmel flog. Nur das Säuseln des Windes, der kleine Aschewolken um sie herum wirbelte und über ihren ungeschützten Körper strich. Ansonsten war sie vollkommen allein. Eine Tatsache, die ihr einen Moment später schon sehr viel weniger ausmachte, als sie überrascht feststellte, dass sie zudem auch noch splitterfasernackt war.
Soweit ihre Kräfte es zuließen, versuchte Val sich aufzurichten und hielt entsetzt in ihrer Bewegung inne, als etwas über ihre Schulter streifte und sie an ihrer Brust kitzelte.
Adrenalin flutete ihren Körper und klärte etwas den Nebel um ihren trägen Verstand, während sie kaum wagte, sich zu bewegen.
In Gedanken schrie sie sich an, nicht einfach feige herumzusitzen und zuzulassen, dass wer auch immer sie einfach so anfasste, sondern sich der Angst zu stellen, die sie lähmen wollte. Niemals wieder hilflos sein, das hatte sie sich selbst geschworen!
Val atmete noch einmal tief ein, wodurch das Kitzeln an ihrer Brust sich unangenehm verstärkte und drehte sich schließlich mit einem entschlossenen Ruck herum, um sich mutig der Gefahr zu stellen. Doch da war niemand. Stattdessen rutschte ihr die lange Haarsträhne wieder auf den Rücken zurück, von wo sie eben noch gekommen war. Denn um nichts anderes hatte es sich gehandelt.
Beinahe wollte ihr ein leicht hysterisches Kichern entkommen, während sich Val für ihre Schreckhaftigkeit tadelte, bis sie mit einem Schlag wieder ernst wurde. Mit unverhohlener Verblüffung griff sie in ihren Nacken und zog einen dicken Strang schwarzer Haare über ihre Schulter nach vorne und hielt ihn ungläubig vor sich in ihren beiden Händen.
Der Strang war zwar ganz staubig und matt von der Asche, die darin hing, doch das änderte nichts an der glatten, beinahe seidigen Beschaffenheit bis in die Spitzen, welche ihr bestimmt bis zum Hintern gingen, wenn sie aufrecht stand. Das konnten also definitiv nicht ihre Haare sein. Sie hatte sie nie länger, als bis zu ihrem Kinn getragen.
Um diese Theorie zu testen, zog Val einmal kräftig an den Haaren und rechnete fast damit, sich eine Perücke vom Kopf zu reißen, stattdessen explodierte Schmerz wie feine Nadelstiche in ihrer Kopfhaut und ließ sie scharf nach Luft schnappen.
„Au, verdammt!“ Erschrocken ließ Val die Haare wieder fallen und ihr Blick fiel auf die nächste Ungereimtheit an ihrem Körper.
Das Tattoo auf der Unterseite ihres rechten Armes war weg, und obwohl das natürlich auch an der Schmutzschicht liegen konnte, die ihren ganzen Körper bedeckte, schien auch der Farbton ihrer Haut anders zu sein. Vielleicht lag es auch an dem schlechten Licht, das immer düsterer zu werden schien, je länger sie hier saß. Doch das kümmerte sie nicht. Val starrte immer noch völlig verwirrt auf ihren nackten Unterarm.
Als ihr Blick bei ihren Händen ankam, die gar nicht ihre Hände waren, zuckte der erste Blitz über den schwarzgrauen Himmel über ihr und der darauffolgende Donner ließ sie erneut zusammenfahren. Kurz darauf wurde sie von schweren Regentropfen bombardiert und was das Adrenalin bisher nicht geschafft hatte, erledigte die unangenehme Nässe auf ihrer Haut.
Val schob ihre neu gewonnenen Erkenntnisse für einen Moment beiseite und versuchte aufzustehen, da sich das Aschefeld um sie herum, langsam in eine widerliche Schlammgrube verwandelte.
Immer mehr Blitze zuckten über ihren Kopf und wiesen auf die drohende Gefahr hin, sollte sie noch länger völlig ungeschützt an Ort und Stelle bleiben.
Ihre Knie wackelten schlimmer als die von Bambi, als sie versuchte, auf die Beine zu kommen, dennoch schaffte sie es, mit Einsatz ihrer Arme die Balance zu halten. Mehr denn je hatte sie das befremdliche Gefühl im falschen Körper zu stecken, dennoch kam sie nicht umhin, dass Einiges doch sehr vertraut war.
Sie fühlte den Schmerz des scharfkantigen Untergrunds in ihren Fußsohlen. Die Kälte auf ihrer nassen Haut und die Schwäche in jeden ihrer Muskeln. Was die Gefühle anging, lief sie also immer noch vollkommen synchron und allein die Tatsache, dass sie noch etwas fühlen konnte, musste ihr im Moment als Beweis dafür reichen, dass sie immer noch am Leben war, auch wenn das eigentlich nicht sein konnte.
Val fragte nicht nach dem Wie oder Warum. Im Moment war ihre oberste Priorität dem Unwetter über ihrem Kopf zu entkommen, bevor sie noch von einem Blitz geröstet wurde und wirklich tot war.
Die unwirkliche Umgebung, in der sie erwacht war und die sie doch stark an ein paar Höllenszenarien erinnert hatten, entpupte sich letztendlich als ein riesiger Krater. Zwar warf das immer noch enorm viele Fragen auf. Vor allem da sie ihres Wissens nach zuletzt auf einer Liege festgeschnallt gewesen war, kurz bevor man sie hingerichtet hatte, dennoch gab es im Augenblick Wichtigeres, als zu erfahren, wie sie hierher gekommen war.
Val musste sofort irgendwo Zuflucht finden, denn das Unwetter über ihren Kopf nahm noch an Fahrt zu und die Abstände zwischen den einzelnen Blitzen verringerten sich zusehends.
Mehr schlitternd als gehend, versuchte Val nicht auf dem schmierigen Untergrund auszurutschen, wobei ihr das nicht immer gelang. Zwei Mal fiel sie hin. Einmal auf ihren Hintern und einmal auf ihre Knie. Beide Male bekam sie blutige Schrammen ab, die höllisch brannten, sie aber noch mehr die Nachwirkung der Betäubung abschütteln ließen, bis sie schließlich den Rand des Kraters erreichte und ihre Hände in nasses Gras fassten, als sie nach der oberen Kante tastete.
Vor Erleichterung so etwas Harmloses wie Gras zu ertasten, hätte sie weinen können, doch stattdessen grub Val entschlossen ihre Finger tief in die Erde und um die vielen feinen Wurzeln, die ihr hoffentlich genug Halt gaben, um sich aus dem Graben hochzuziehen.
Es wollte ihr beinahe nicht gelingen. Ihre Arme waren unglaublich schwach und ihre wackeligen Beine kaum eine Hilfe, doch je mehr sie abzurutschen drohte, umso verbissener kämpfte Val sich weiter nach oben. Dabei den scharfen Schmerz ignorierend, der sich über die gesamte Länge ihrer ungeschützten Vorderseite zog, während sie sich über den scharfkantigen Rand des Kraters hievte.
Völlig außer Atem ließ sie sich für einen kurzen Moment mit dem Rücken ins herrlich weiche Gras sinken, bis ihr wilder Herzschlag sich zumindest ein bisschen wieder beruhigt hatte. Doch ein Blitz, der unvermittelt ganz in ihrer Nähe einschlug, trieb ihn schneller wieder an, als sie auf die Beine kommen konnte.
Hastig sah Val sich in der düsteren Umgebung um. Es musste Tag sein, doch die dichten Regenwolken über ihr hingen so tief, dass sie kaum genug Licht durchließen, um in dem immer dichter werdenden Regen etwas erkennen zu können. Einmal von dem riesigen schwarzen Loch abgesehen, aus dem sie eben emporgekrochen war.
Weit und breit war nichts zu sehen, als eine ausgedehnte Grasebene, die ihr kaum Schutz bot, selbst wenn sie sich flach auf den Bauch werfen und um ihr Leben beten würde. Dennoch lief sie auf gut Glück los. Ein bewegtes Ziel war schwerer zu treffen, als ein starres. Allerdings war Val sich nicht sicher, ob das auch für Blitze galt. Die waren bekanntlich besonders schnell. Daher auch die Redewendung: Schnell wie der Blitz.
Sich der Tatsache bewusst, dass ihr völlig verängstigtes Gehirn nur noch Mist ausspuckte, anstatt nützlicher Informationen ihrer Umgebung, versuchte sie sich zusammenzureißen und die Augen offen zu halten, gerade dann, wenn wieder ein Blitz in ihrer Umgebung einschlug und diese dabei hell erleuchtete.
Da!
Eine betrunkene Kurve ziehend, stolperte Val in die Richtung, in der sie einen ausgedehnten dunklen Schatten in der Ferne hatte ausmachen können, der mit seinen Umrissen durchaus zu einem Wald gehören könnte.
Sich auf freiem Feld unter einem Baum während eines Gewitters zu stellen, wäre eine ziemlich blöde Idee, aber bei einem ganzen Wald sah die Sache schon ganz anders aus. Es war alle mal besser, als ihre momentane Lage, also spurtete sie los, so schnell sie ihre müden Beine nur trugen.
Als sie es tatsächlich in den Schutz des Waldes geschafft hatte, war Val zwar froh, dass sie sich nicht geirrt hatte, aber ihr war regelrecht übel von den Anstrengungen, die es sie gekostet hatte, hierher zu kommen. Zudem war sie klatschnass und begann schnell zu frieren, nachdem sie sich nicht mehr bewegte. Der heftige Wind, der durch die Bäume fuhr, tat sein Übriges.
Zwar mochte die Umgebungstemperatur bestimmt nicht lebensbedrohlich sein, aber der Umstand, dass sie völlig durchnässt, ohne schützende Kleidung und sich in einem vollkommen erschöpften, körperlichen Zustand befand, reichte schon aus, um die Gefahr einer drohenden Hypothermie ernst zu nehmen. Vor allem da sie am ganzen Körper vor Kälte zu zittern begonnen hatte.
Val zwang sich in Ermangelung anderer Möglichkeiten dazu, ihre klammen Beine zu bewegen und tiefer in den Wald hinein zu gehen, wo der Wind nicht mehr so erbarmungslos über ihren frierenden Körper herfallen konnte und vielleicht fand sie auch eine Möglichkeit, um sich warmzuhalten, bis sie auf Hilfe stieß.
Aber vor allem war es jetzt wichtig für sie, in Bewegung zu bleiben, sonst könnte sie sich gleich auf dem Boden zum Sterben zusammenrollen.
Eine Weile rätselte Val noch darüber nach, was sie hier machte und warum sie nicht tot war. Das lenkte sie zumindest von der Kälte in ihren Gliedern und der enormen Anstrengung ab, die es sie kostete, sich auf den Beinen zu halten und immer weiter zu stolpern, aber nach und nach begannen ihre Gedanken abzuschweifen, während das Zittern ihren Körper verließ.
Ihr Unterbewusstsein begann Alarm zu schlagen, doch Val schenkte dem keine Beachtung. In ihrem Kopf drehte sich alles. Sie taumelte inzwischen mehr, als das sie lief. Dabei fielen ihr immer wieder die Augen zu und eigentlich fühlte es sich gar nicht mehr so kalt an. Ganz im Gegenteil. Warmer, süßer Schlaf begann sie zu locken und Val hätte ihm nur allzu gerne nachgegeben.
Aber ihre Sturheit hielt sie aufrecht. Zumindest eine Zeit lang, bis sie selbst nicht einmal mehr mitbekam, wie ihre taumelnden Schritte sie auf einen vielbenutzten Weg führten, ihr linker Fuß dabei in einer kleinen Morastpfütze hängen blieb und sie schließlich der Länge nach hinfiel.
Sie stand nicht wieder auf, sondern ergab sich vollkommen der glückseligen Wärme des tödlichen Schlafes, ohne zu bemerken, wie sich ein Wagen in rasendem Tempo näherte.
***
Vibius Rutilus Atratinus traute seinen Augen kaum, als er das nackte Weibsstück vor sich auf der Straße im Dreck liegend fand. Haarscharf war sie noch einmal den Hufen der Pferde und den Rädern seines Wagens entkommen, was sie zweifelsohne nur den schnellen Reflexen und guten Augen von Furius zu verdanken hatte, der gerade noch rechtzeitig hatte anhalten können.
Er selbst hatte im dichten Regen kaum die Straße erkennen können und sich ohnehin lieber tief in die Falten seines Umhangs verkrochen, um sich vor dem schneidenden Regen zu schützen.
Wer rechnete auch schon damit, bei diesem Unwetter, mitten auf der Straße auf ein nacktes Weib zu treffen?
„Lebt sie noch?“ Vibius trat näher, um bei den schlechten Lichtverhältnissen besser sehen zu können.
Furius, der als Erster vom Wagen gesprungen war, um sich die Sache genauer anzusehen, zuckte kurz mit den Schultern, ehe er sich neben der kleinen Gestalt in den Dreck kniete und ihren Oberkörper so herumdrehte, dass man ihr Gesicht erkennen konnte.
„Bei Jupiter!“ Vibius stockte für einen Moment bei dem Anblick der jungen Schönheit der Atem. Selbst mit wirrem Haar, vor Kälte blauen Lippen und von oben bis unten mit Schmutz besudelt, war sie immer noch eine seltenschöne, exotische Blume unter den Frauen.
Wie würde es erst sein, wenn sie herausgeputzt und in voller Pracht vor einem stünde?
„Sie atmet noch, aber ihre Haut ist eiskalt“, berichtete Furius völlig unbeeindruckt. „Wenn sie hier noch länger so liegen bleibt, wird sie erfrieren.“
Damit hatte sein Sklave zweifellos recht und Vibius konnte auch noch später darüber nachdenken, was er mit diesem segensreichen Fund anfangen würde, der ihm wahrlich von den Göttern gesandt worden sein musste, um endlich einmal wieder anständig seine Geldbörse zu füllen. Selbst sein ganzer kümmerlicher Bestand zusammen war nicht so viel wert wie diese ausländische Blüte.
„Gib ihr deinen Umhang und bring sie dann zu den anderen. Das dürfte ausreichen, um sie wieder warm zu bekommen.“
Vibius schlang seinen eigenen Umhang wieder enger um sich, als ein kühler Wind unter die Falten seiner Kleidung fuhr und ihn frösteln ließ.
„Hältst du es bis zum Abend durch?“
„Natürlich, Dominus.“ Furius, der die Statur und die Mimik eines Stiers hatte, trat ohne zu zögern seinen warmen Umhang an die bewusstlose Frau ab. Er wickelte sie gründlich in den Stoff ein, ehe er sie hochhob, zum hinteren Teil des Wagens brachte und darauf wartete, dass Vibius das massive Vorhängeschloss aufsperrte.
Als dieser die schwere Holztür öffnete, schlug ihm warme, abgestandene und von altem Schweiß geschwängerte Luft entgegen, während magere Gestalten angstvoll in den hinteren Teil des Wagens huschten und mit dem dort vorherrschenden Schatten verschmolzen.
Vibius hielt sich seinen Umhang vor Nase und Mund um den Gestank zu entgehen, bevor er Furius ein Zeichen gab, der daraufhin seine neueste Sklavin im Trockenen ablegte und wieder zurück trat.
„Sobald ich sie verkauft habe, werde ich dich gut entlohnen, Furius. Ohne deine schnellen Reflexe wäre mir eine Menge Geld durch die Finger gegangen.“
„Dominus.“ Sein treuer und ergebener Sklave verbeugte sich tief vor ihm, ehe sie beide wieder die Fahrt aufnahmen, um nicht länger untätig im Regen stehen zu bleiben.
Schließlich wurden sie am Abend von einer äußerst wohlhabenden Römerin erwartet, die schon oft Mädchen von ihm gekauft hatte, egal, in welch erbärmlichem Zustand sie sich befanden oder wie fragwürdig ihre Herkunft auch war. Sie schien dennoch etwas mit ihnen anfangen zu können, sonst würde sie ihn nicht so häufig zu sich bestellen, obwohl sie anderswo Ware von deutlich besserer Qualität hätte bekommen können.
***
Val träumte von Männern in schwarzblauen Uniformen, die sie brutal auf den Rücken zwangen und ihre Arme festschnallten. Der schwache Schatten von Schmerz, der durch ihre Handgelenke fuhr, ließ sie leise wimmern, während das Bild vor ihren Augen zu verschwimmen begann. Schwarz wurde zu Rot. Stoff zu Metall und das Lederpolster unter ihr zu rauem Holz.
Die Hinrichtung begann.
Zunächst war da nur der leise Stich der Nadel in ihrer Armbeuge, doch das Gefühl ging schnell verloren in dem Schmerz, der ihren restlichen Körper mit zunehmender Stärke überrollte. Ihr Rücken fühlte sich plötzlich an, als hätte man ihr die Haut in Streifen abgezogen, war jedoch nichts im Vergleich zu den wahnsinnigen Schmerzen in ihren Händen und Füßen, als ihre Henker kaltes Metall in sie trieben.
Aus ihrem Wimmern wurde ein leiser Schrei und sie begann sich schwach gegen die Arme aufzulehnen, die sie immer wieder niederdrückten.
Sie begann zu röcheln. Bekam kaum noch Luft.
Ein neuer Schmerz gesellte sich zum Rest und ließ sie sich noch wilder aufbäumen. Es war heiß. So unglaublich heiß und es brannte in ihrem ganzen Körper.
Das Gift! Es musste das Gift der Todesspritze sein, dass da in ihr wütete wie Säure und sie immer weiter quälte, bis sie beinahe den Verstand verlor. Es brannte so heiß, dass es sich wie Kälte in ihren steifen Gliedern anfühlte.
Sie zitterte am ganzen Körper. Ihre Zähne schlugen dabei heftig aufeinander, während heiße Tränen ihre Wangen benetzten.
Plötzlich war da eine leise Stimme, die auf sie einredete. Val konnte die Worte nicht verstehen. Doch es war die Stimme eines Mädchens, passend zu der zarten Hand, die ihr warm über die Stirn strich und sie zu beruhigen versuchte.
Val klammerte sich an diese Stimme und an die zarte Berührung, so gut sie konnte, während ihr Körper immer wieder unsanft durchgeschüttelt wurde. Die Schmerzen verblassten zunehmend mit dem Alptraum, der sie gefangen gehalten hatte, bis sie nur noch Kälte und ihre eigene Schwäche fühlen konnte und letztendlich wieder zurück in erlösendes Nichts versank, getragen von der melodischen Stimme des unbekannten Mädchens.