Ihr Gesicht lag auf einem Kissen aus Seide, das nach Rosen duftete, als Val langsam wieder zu sich kam.
Noch immer war ihr Mund erfüllt von einem zarten Hauch dessen, was ihr in seiner reinen Form am Ende sogar die Sinne geraubt hatte. Doch so abgeschwächt dieses Geschmackserlebnis inzwischen auch war, allein die Erinnerung daran ließ sie von Neuem erschaudern.
Was auch immer ihr diese verrückte Frau zu trinken gegeben hatte, es war ganz bestimmt nicht das Blut ihres Wachhundes gewesen.
Gerade als Val die Augen öffnen und sich langsam wieder ihrer Umgebung bewusst werden wollte, konnte sie ein deutliches Ziehen an ihrem Rücken spüren. Ein Gefühl, das ihr in ihrer Erinnerung dumpf vertraut vorkam, doch sie konnte es in ihrer momentanen Verfassung nicht gleich zuordnen.
Erst, als es sich wiederholte und kurz darauf noch einmal, begann Val zu begreifen.
Jemand zog ihr die Fäden aus dem Rücken.
Erschrocken darüber, dass sie sehr viel länger bewusstlos gewesen sein musste, als zunächst angenommen, riss Val die Augen auf und begegnete direkt dem amüsierten Blick der Eiskönigin, die auf der Liege neben der ihren lümmelte und sie beobachtete.
Sie sah immer noch so aus wie zu dem Zeitpunkt, als Val sie zuletzt gesehen hatte. Gleiche Frisur, gleiche Kleidung, gleiches Make-up.
Ganz so, als wäre Val nur für ein paar Minuten weg gewesen. Umso erschreckender war es für sie daher, dass sich jemand an den frischen Wunden an ihrem Rücken zu schaffen machte.
Ohne großartig darüber nachzudenken, rutschte Val von der Liege, um den unbekannten Händen zu entkommen und gleichzeitig zu sehen, wer sich da gerade an ihr verging.
Es hätte sie eigentlich nicht großartig wundern dürfen, dass es die Sklaventreiberin Gràinne war, die da gerade versucht hatte, Rashads Werk zunichtezumachen.
Seltsamerweise verspürte Val aber auch gar keine Schmerzen. Was allerdings auch eine Nachwirkung der Flüssigkeit sein könnte, die sie hatte trinken müssen.
Umso angestrengter versuchte sie daher, einen Blick über ihre Schulter auf ihren Rücken zu werfen, doch alles, was Val dort erkennen konnte, war frisches Narbengewebe.
Da war keine offene Fleischwunde mehr, die von unzähligen Fäden zusammengehalten werden musste, um die Blutungen zu stillen. Ganz im Gegenteil, die Heilung war bereits so weit fortgeschritten, dass das Ziehen der Fäden schon längst überfällig war.
Aber wenn sie tatsächlich so lange geschlafen hatte, wieso hatte sich Rashad dann nicht darum gekümmert?
Mehr zufällig, als wirklich gewollt, landete Vals verwirrter Blick genau auf jenem blutigen Messer, das die Eiskönigin dazu verwendet hatte, um ihren Wachhund zu verstümmeln.
Das Blut daran war noch nicht einmal getrocknet, also musste der Vorfall tatsächlich erst einige Minuten her sein. Doch das war einfach unmöglich.
Bevor Val jedoch endgültig an ihrem Verstand zweifeln konnte, kam ihr etwas sehr viel Wichtigeres in den Sinn.
Hastig sah sie sich noch einmal genauer im Raum um, ehe sie sich an die Eiskönigin wandte: „Kore, wo?“
Alles, was sie von ihr bekam, war ein langer Blick mit hochgezogener Augenbraue. Die Queen ließ sich nicht zu einer Antwort herab.
„Wo?!“ Vals Tonfall wurde schärfer, obwohl sie sich davor hüten sollte, diese Frau zu reizen. Doch im Moment machte die Angst um Kore sie unvorsichtig.
Es war schließlich Gràinne, welche ihr die Antwort gab, nach der sie verlangt hatte und irgendetwas von „Küche“ fauchte, während sie ganz offensichtlich empört über Vals Tonfall war. So recht glauben wollte sie dem Weib eigentlich nicht, doch andererseits, warum sollten diese Leute lügen? Dazu hatten sie gar keinen Grund. Nicht, nachdem sie einfach willkürlich Menschen töten konnten, ohne dafür von irgendjemandem zur Rechenschaft gezogen zu werden. Zumindest soweit hatte Val es verstanden.
Dennoch sah sie sich skeptisch im Raum um und suchte nach verräterischen Anzeichen für eine Gewalttat, fand jedoch nichts, was darauf hingewiesen hätte. Nicht einmal bei Vanadis' Mörder.
Entweder hatten sie inzwischen alles gründlich saubergemacht, oder es war tatsächlich nichts geschehen und die Eiskönigin hatte sie nur auf die Probe gestellt.
Eine Tatsache, die Val ziemlich beunruhigte. Vor allem die Frage, was sich dieses Weib noch alles einfallen lassen würde, wenn es darum ging, ihren Willen bei ihr durchzusetzen.
Dass Val bereit war, so ziemlich alles für das Leben ihrer Freundinnen zu tun, sollte nach der Aktion mit dem gefakten Blut jedoch klar sein.
„Hinlegen!“
Gràinne schlug ihr hart auf den Hinterkopf, was sie nur deshalb tatenlos hinnahm, da sie momentan von der ganzen Situation zu verwirrt war, um auch nur irgendwie darauf zu reagieren.
Waren jetzt nur ein paar Minuten vergangen oder einige Wochen?
Alles in ihrer Umgebung sprach für Ersteres, doch ihr Rücken ganz eindeutig für Letzteres. Logisch betrachtet wäre es realistischer, nach ihrem Heilungsfortschritt zu gehen, da man diesen nicht verfälschen konnte, doch hundertprozentig sicher war sie sich da trotzdem nicht.
Was stimmte nun?
„Hin – le – gen!“ Die Sklaventreiberin schlug sie noch einmal und schrie dabei so laut, als wäre Val nicht nur dumm, sondern auch noch taub, was die Eiskönigin mit einem erheiterten Lachen quittierte.
Auch wenn der Zustand ihres Rückens absolut nicht dazu passte und Val keine Ahnung hatte, wie das möglich war, so kam sie letztendlich doch zu dem Schluss, dass nur wenige Minuten vergangen sein konnten. Denn während sie sich zögerlich wieder mit dem Bauch voran auf der Liege ausstreckte, konnte sie einen flüchtigen Blick auf die rechte Hand des Hünen werfen und dort deutlich an jener Stelle einen tiefen Schnitt erkennen, an der seine Herrin ihn so bereitwillig verletzt hatte.
Irgendwie ergab hier überhaupt nichts mehr einen Sinn.
***
Alexey konnte die Verwirrung der kleinen Kriegerin nur allzu gut nachvollziehen.
Natürlich war ihm bewusst, welch enorme Heilkräfte sein Blut bei Menschen besaß, doch dass Hedera diese ausgerechnet dazu nutzte, um Valerias Verletzungen fast vollständig zu heilen, überraschte ihn dann doch sehr.
Niemals hätte er erwartet, dass sie so großzügig sein Blut mit jemand anderem teilen würde, und schon gar nicht mit einer Sklavin, die in ihren Augen weniger wert war als ein Hund.
Als sie ihm das erste Mal befohlen hatte, Valeria sein Blut zu geben, war das aus einem nachvollziehbaren Grund geschehen, da die kleine Kriegerin sonst innerhalb kürzester Zeit an den Folgen ihrer Bestrafung verblutet wäre. Aber das hier ...
Die Menge, die Valeria hatte trinken müssen, war beachtlich gewesen. Selbst Hedera nahm in den meisten Fällen höchstens einen Bruchteil davon zu sich.
Verständlicherweise, wenn man bedachte, wie heftig die kleine Kriegerin darauf reagiert hatte.
Für einen schrecklichen Moment lang hatte Alexey sogar gedacht, dass es sie vielleicht sogar töten könnte, so wild hatte ihr das kleine Herz in der Brust geschlagen.
Doch am Ende hatte es sich zum Glück wieder beruhigt, und der aufblühende Duft von Jasmin hatte sich im ganzen Raum verteilt. Zwar nur für ihn wahrnehmbar, dennoch sehr intensiv.
Im Augenblick konnte er kaum noch etwas davon wittern. Zu stark waren Valerias Angst und Verwirrung, selbst jetzt, wo sie wusste, dass ihrer Freundin nichts geschehen war.
Auch Alexey war voller Furcht gewesen, als Kore vor ihm gekniet hatte und er abermals seine Schwerter hatte ziehen müssen.
Zwar war ihm zu jenem Zeitpunkt klar gewesen, dass Hedera mit den beiden nur spielte, aber es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass aus diesem Spiel tödlicher Ernst wurde.
Um sich von den düsteren Erinnerungen abzulenken, konzentrierte er sich lieber wieder auf Valeria, die es still ertrug, wie Gràinne ihr die Fäden aus dem Rücken zog.
Für gewöhnlich wäre das natürlich Rashads Aufgabe gewesen, aber da er sie erst gestern zusammengeflickt hatte, würde die rasche Genesung der kleinen Kriegerin wie ein göttliches Wunder auf ihn wirken.
Fragen würden gestellt werden und gerade die versuchte Hedera zu vermeiden. Darum hatte sie auch Briseis und Kore fortgeschickt und stattdessen ihre treueste Sklavin rufen lassen.
Dennoch beunruhigte Alexey die Tatsache, dass sie die Sache mit seinem Blut so offen vor Valeria inszeniert hatte. Sie hätte es ihm auch heimlich entnehmen und ihr dann zu trinken geben können, ohne dass die kleine Kriegerin gewusst hätte, was genau da in dem Becher war.
Aber vielleicht war es auch Hederas Absicht gewesen, den Widerwillen in Valeria zu wecken, die mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr viel bereitwilliger eine Flüssigkeit getrunken hätte, die sie für Wein oder etwas Vergleichbares hielt, anstatt zu wissen, dass es sein Blut war.
Dennoch glaubte Alexey, dass da mehr dahinter steckte, als er im Augenblick erkennen konnte.
***
Nachdem die Sklaventreiberin mit ihrem Rücken fertig war, legte diese ihr zu Vals Überraschung einen frischen Verband an, obwohl der überhaupt nicht mehr nötig gewesen wäre, bedachte man den enormen Heilungsfortschritt ihrer Wunden.
Doch es hätte auch keinen Sinn gehabt, Fragen zu stellen, auf die sie ohnehin keine Antwort bekommen würde. Zumal ihr dazu auch das nötige Vokabular fehlte.
Wenigstens bedeckte der Verband sie nun wieder vollständig, so dass ihre kleinen Brüste nicht länger jedem der Anwesenden im Raum und vor allem dem Hünen mit der Metallfresse offen präsentiert wurden.
Zwar machte es ihr bei dem Kerl seltsamerweise weniger aus, dass er sie so sah, aber auch nur, weil sie hinter der dämonischen Fratze sein Gesicht nicht erkennen konnte, was bei dem perversen Arschloch im Bad ganz anders gewesen war.
Dessen lüsterne Blicke hatten sie zutiefst angeekelt. Immer noch erstaunt darüber, dass die Schmerzen vollständig verschwunden waren, ließ sich Val erneut von der Liege gleiten, nachdem sich auch die Eiskönigin erhoben hatte und Anstalten machte, den Raum zu verlassen.
Niemand hatte ihr gesagt oder erklärt, was von Val verlangt wurde, nun, da sie ganz offensichtlich nicht mehr unter der direkten Fuchtel der Sklaventreiberin stand, sondern der Queen persönlich zugeteilt worden war
Sollte sie hierbleiben und warten, oder musste sie der Eiskönigin folgen?
Wenigstens auf diese Frage bekam sie schnell eine Antwort, nachdem Gràinne sie ihr in Form eines kräftigen Schubses in Richtung Tür mitteilte.
Also folgte sie dem Wachhund und seiner Herrin, während sie immer mehr an ihrem Verstand zu zweifeln begann. Denn vor nicht einmal einer Stunde war sie so schwach gewesen, dass ihre eigenen Füße sie nicht länger hatten tragen können, und jetzt war das genaue Gegenteil der Fall.
Sie fühlte sich unglaublich leicht, vital und so energiegeladen wie eigentlich schon seit Jahren nicht mehr. Auch das Summen, das sie kurz nach der Einnahme dieser äußerst seltsamen Flüssigkeit in sich gespürt hatte, war immer noch in abgeschwächter Form da.
Wenigstens sah sie die Welt nicht mehr in diesen seltsamen Farben. Ihr Verstand war auch so schon abgedreht genug.
Gràinne verließ die kleine Gruppe schließlich auf halben Weg durch die Villa, was in Vals Augen keinen großen Verlust darstellte, während die Eiskönigin sie in einen Raum führte, der wohl ihr Büro sein musste und in dem sie am Tag zuvor schon gewesen war, auch wenn sie sich kaum noch daran erinnern konnte.
Der Wachhund der Eiskönigin bezog links von seiner Herrin seine Stellung und Val musste sich ihm gegenüber auf der rechten Seite von ihr platzieren.
Kurz darauf erschien dann auch noch ein etwas älterer Mann mit blonden kurzen Haaren und für einen Sklaven sogar überraschend gut gekleidet, denn er trug eine Tunika aus feinen Stoffen mit einem edlen Gürtel um die Taille.
Dass er dennoch ein Sklave war, konnte Val an dem Metallring um seinen Hals sehr gut erkennen. Im Gegensatz zu dem ihren war bei ihm jedoch auch noch eine große Metallscheibe daran befestigt, die über und über mit lateinischen Wörtern vollgeschrieben war.
Zwar hatte Val keine Ahnung, wie die Hierarchie in diesem veralteten System funktionierte, doch der Mann war ihr vom Rang her ganz offensichtlich weit überlegen.
Der Hüne mit der Metallfresse trug nichts dergleichen um den Hals. Er konnte also kein Sklave sein.
Was die Queen ihm wohl dafür bezahlte, dass sie ihn einfach so aus einer Laune heraus verletzen durfte? Wenn man bedachte, wie ergeben er ihr stets hinterherdackelte, musste es auf jeden Fall eine ganz ordentliche Summe sein.
Vals Abneigung gegen dieses Monster wuchs mehr und mehr. Da half es auch nichts, dass sie auf einmal viel zu viel Zeit zum Nachdenken hatte, da die Eiskönigin sie wieder einmal vollkommen ignorierte. Stattdessen stand Val einfach nur unnütz in der Gegend herum und starrte Löcher in die Wand, während sie sich ausgiebig mit ihrem Innenleben beschäftigen musste.
Es wäre ihr so viel lieber gewesen, wieder die Böden schrubben zu dürfen, nur um sich irgendwie von allem ablenken zu können.
Doch so musste sie gegen ihre Wut, Verwirrung und Trauer ankämpfen und sollte sich dabei auch möglichst keine Gefühle anmerken lassen. Ein Ding der Unmöglichkeit, wie es schien, aber es kümmerte sich ohnehin keiner um ihre Anwesenheit.
Der blonde Mann um die Vierzig hieß Titus und hatte wohl den Posten eines Sekretärs inne.
Zumindest so viel fand Val während des elend langen Nachmittags heraus, während dem sie sich die Beine in den Bauch stand und um sich abzulenken, sehr genau die Gespräche im Raum verfolgte, auch wenn sie fast nichts davon verstehen konnte.
Aber es war durchaus eine gute Übung.
Briseis brachte ihrer Herrin irgendwann eine Kleinigkeit zu essen.
Val selbst hätte inzwischen auch einen Happen vertragen können. Im Gegensatz zu heute Morgen war ihr Appetit im Laufe des Tages gewaltig angewachsen, weshalb man in den stillen Pausen zwischen den Gesprächen auch ab und an ihren Magen knurren hören konnte.
Doch der Wachhund und sie bekamen selbstverständlich nichts zu essen.
Im besten Falle würde das erst heute Abend geschehen, sobald die Eiskönigin sie nicht länger brauchte.
Bis dahin hieß es Zähne zusammenbeißen und darauf zu hoffen, nicht auch noch auf die Toilette bzw. den Nachttopf gehen zu müssen.
Dass der Hüne mit der Metallfresse das jeden Tag durchzog und sich dabei nicht im Geringsten etwas anmerken ließ, war dann doch irgendwie eine beachtliche Leistung. Selbst Val musste sich das eingestehen.
Noch während des Essens arbeitete die Eiskönigin weiter, unterzeichnete mehrere Wachstafeln, schrieb etwas auf kleine Papyruszettel, die sie anschließend mit Wachs versiegelte, und schickte Titus letztendlich damit fort. Danach streckte sie sich ausgiebig, bevor sie sich schwer in ihrem Stuhl zurücksinken ließ und mehrmals mit geschlossenen Augen tief durchatmete.
Nach dem heutigen Tag zu urteilen, war sie nicht einfach nur da, um das Geld ihres Mannes aus dem Fenster zu werfen und sich zu amüsieren, sondern schien tatsächlich auch richtig zu arbeiten. Das war eine Seite an der Eiskönigin, die Val bisher noch nicht kannte.
Während Briseis die Reste des Essens abräumte, gab die Queen ihrem Wachhund ein kaum wahrnehmbares Zeichen, der daraufhin direkt hinter sie trat, seine riesigen Hände auf ihre schlanken Schultern legte und diese zusammen mit ihrem Nacken zu massieren begann.
Also war er nicht nur ihr Wachhund und Henker, sondern auch noch ihr persönlicher Masseur?
Diese seltsame Verbindung der beiden zueinander, wurde von Mal zu Mal schräger, und das war noch längst nicht alles, wie Val mit immer größer werdendem Entsetzen feststellen musste.
Eine Weile hatte die Eiskönigin sich voll und ganz dem Genuss der Massage hingegeben, doch als sie schließlich ihre Augen öffnete und dabei ihren Kopf in den Nacken legte, richtete sich ihr Blick auf eine sehr spezielle Art und Weise auf ihren Wachhund.
So sah eine Frau einen Mann an, wenn sie ihn wollte.
Als könnte er die Wünsche seiner Herrin allein von ihren Augen ablesen, zog er sie ganz langsam an den Schultern vom Stuhl hoch, den er nebenbei mit seinem Fuß zur Seite schob, so dass Val weiter von den beiden zurückweichen musste, und drehte sie anschließend so herum, dass sie mit ihrem Po gegen die Kante des Schreibtischs gedrängt wurde, als er ihr noch sehr viel näher kam.
Es baute sich eine deutlich wahrnehmbare Spannung zwischen den beiden auf, während sie reglos dastanden und darauf warteten, dass einer von ihnen den nächsten Schritt machte.
Es war die Eiskönigin, die am Ende den Zauber brach und etwas zu ihrem Wachhund sagte, der sie daraufhin an den Hüften packte, auf der Tischplatte des Schreibtischs absetzte und ihr mit seiner Hand den Saum des Kleids bis zu den Knien hochschob, bevor er sie dazwischen verschwinden ließ.
Was auch immer er dort genau damit anstellte, es zeigte ganz offensichtlich Wirkung.
Die Eiskönigin fegte ihre Gerätschaften auf dem Tisch zur Seite, um sich auf ihren Händen abgestützt weiter zurücklehnen und das Ganze richtig genießen zu können.
Val, die plötzlich nicht mehr wusste, wohin mit sich oder ihren Blicken, war einfach nur schockiert über die Szene, die sich da direkt und ungeniert vor ihren Augen abspielte, ohne dass ihre Anwesenheit auch nur zur Kenntnis genommen wurde.
Man zwang sie regelrecht dazu, eine unfreiwillige Voyeurin zu sein, obwohl sie auf so etwas überhaupt nicht stand. Doch einfach zu gehen wagte sie am Ende auch nicht.
Ihr blieb also nichts anderes übrig, als sich so klein wie möglich zu machen, den Blick starr auf ihre Füße zu richten und nicht auf das, was sie hörte, zu reagieren.
Wenigstens war es ebenso schnell vorbei, wie es begonnen hatte.
Nachdem die Eiskönigin einen Moment gebraucht hatte, um sich von ihrem Höhepunkt zu erholen, rutschte diese auch schon von der Tischplatte und richtete sich in aller Ruhe das Kleid, ganz so, als hätte sie sich gerade nicht von ihrem Wachhund bis zum Orgasmus fingern lassen. Der bei näherer Betrachtung genauso ruhig und aufgeräumt wirkte, wie immer, als hätte ihn dieses kurze Techtelmechtel in keiner Weise berührt.
Nach einer heimlichen Liebesaffäre mit ihrem Angestellten sah das nun wirklich nicht aus. Das gerade eben auf dem Tisch war reine Triebbefriedigung gewesen und hatte ansonsten nicht besonders viel mit Gefühlen zu tun gehabt.
Val wusste nicht, was sie davon halten sollte. So wie das bei vielen Dingen in letzter Zeit der Fall war.
***
Es musste schon weit nach Mitternacht sein, als die Eiskönigin sie endlich gehen ließ.
Val war inzwischen viel zu müde, um sich noch großartig Gedanken darüber zu machen, dass sie ganz alleine mit Vanadis' Mörder durch die weitläufige Villa marschierte.
Ob es nun daran lag, dass sie den gleichen Weg hatten oder er auf sie aufpassen musste, wusste sie nicht genau. Es war ihr momentan auch egal. Sie wollte im Augenblick nur noch zwei Dinge: etwas zu essen und schlafen.
Wie es um das Essen stand, konnte Val nicht wirklich sagen, da sie sich, was das anging, wohl oder übel, nach ihrem unerwünschten Begleiter richten musste, dem sie gehorsam folgte, um auf Nummer sicher zu gehen, anstatt sich ihm in irgendeiner Form zu widersetzen.
Im Gegensatz zu ihr hatte er dabei sicher nicht das Gefühl, als würde man ihm eine Knarre an den Hinterkopf halten, nur weil sie hinter ihm hertrottete.
Wie sehr sie sich doch beim Anblick seines breiten und völlig ungeschützten Rückens eine Waffe herbeisehnte.
Nicht, um ihn zu töten, sondern um ihn die gleiche Angst spüren zu lassen, die sie immer noch unterschwellig in seiner Nähe empfand, obwohl sie das gar nicht wollte.
Vermutlich getrieben von seinem eigenen Hunger, führte er Val am Ende sogar in die Küche, in der es inzwischen unheimlich still geworden war.
Niemand war hier. Bis auf sie beide schienen alle anderen schon zu schlafen.
An den erloschenen Feuerstellen und sauber aufgeräumten Arbeitsflächen vorbei führte Vanadis' Mörder sie in den hintersten Teil des Raums, dort, wo ein paar einfache Tische mit Holzbänken standen und für gewöhnlich alle Sklaven im Haus in verschiedenen Schichten ihr Essen zu sich nahmen.
Dort war auch die einzige Feuerstelle, in der noch etwas Glut glimmte und über der ein großer Kessel hing.
Dem Geruch nach zu urteilen, war es noch der Eintopf vom Mittag, aber darüber würde sich Val ganz bestimmt nicht beklagen, schien es doch Jahre her zu sein, seitdem sie etwas gegessen hatte.
Um ihren hungrigen Magen nicht noch länger warten zu lassen, schnappte sie sich eine der sauberen Holzschüsseln vom Stapel und wollte sich eigentlich etwas von dem Eintopf nehmen, doch Val schreckte sofort vor dem Hünen zurück, als dieser, ohne sie dabei auch nur anzusehen, die Hände an seine beiden Waffen legte.
Wollte er jetzt tatsächlich mit Gewalt erreichen, dass sie ihm den Vortritt ließ?
Der Gedanke war so absurd, wie auch falsch, denn der Hüne zog gar nicht seine Waffen, stattdessen nahm er den Gürtel mit den Schwertern ab und legte ihn ganz zwanglos auf den Tisch neben sich, bevor er sich vor die Feuerstelle hockte und frisches Holz auf die Glut warf.
Val war plötzlich hellwach, als ihr Blick zuerst auf die beiden Schwerter und dann auf den nackten Rücken von Vanadis' Mörder fiel.
Sie traf im Bruchteil einer Sekunde eine Entscheidung.
So leise wie nur möglich stellte Val die kleine Holzschüssel in ihren Händen wieder zur Seite und schob sich Stück für Stück weiter auf den Hünen und damit auch auf seine Waffen zu.
Dabei ließ sie ihn keinen Moment lang aus den Augen, um sofort reagieren zu können, falls er beschloss, aufzustehen.
Was er nicht tat. Stattdessen begann er, in aller Ruhe den Eintopf umzurühren.
Es war viel zu leicht. Das wurde Val spätestens in dem Moment klar, als sie eines der Schwerter nur mit Müh und Not ziehen konnte und dabei auch noch genügend Lärm machte, um Tote zu wecken. Zumindest kam es ihr in diesem Moment extrem laut vor.
Dennoch reagierte Vanadis' Mörder auch dann nicht darauf.
Erst, als sie ihm genau jene Klinge an den Hals setzte, mit der er ihre Freundin getötet hatte, hörte er auf, im Kessel zu rühren.
Er war kein bisschen überrascht.
„Du“, Val schluckte, um ihre zittrige Stimme entschlossener klingen zu lassen, „umdrehen!“
Einen Moment lang rührte sich keiner von ihnen beiden, doch als langsam Bewegung in den Hünen kam, umschloss Val das Schwert in ihren Händen noch fester.
Es war zu schwer, um es nur mit einer Hand halten zu können, darum musste sie auch aufpassen, dass sie ihm nicht unabsichtlich die Kehle aufschlitzte, während er ihrem Befehl nachkam.
Die Hände ganz locker auf seinen massiven Oberschenkeln ruhend, kniete Vanadis' Mörder kurz darauf vor ihr und sah sie schweigend an.
Zwar konnte sie nicht erkennen, was hinter seinem Helm vorging, doch seine ganze entspannte Haltung vermittelte ihr den Eindruck, als würde sie für ihn nicht die geringste Gefahr darstellen.
Val wurde wütend.
Zwar wusste sie selbst nicht so genau, was sie mit dieser Aktion bezwecken wollte, außer, dass sie damit ihr Leben und das ihrer Freundinnen in Gefahr brachte. Aber er sollte wenigstens nicht so scheißgelassen vor ihr knien, sondern Angst haben, wenn sie ihn schon mit einem Schwert bedrohte.
Um deutlich zu machen, dass sie es ernst damit meinte, erhöhte Val den Druck der Klinge auf die Haut des Hünen so weit, bis ein kleines blutiges Rinnsal seinen Hals hinablief.
Er versuchte noch nicht einmal, dem Schwert auszuweichen, sondern verharrte auch weiterhin reglos in seiner Position.
„Spürst du denn überhaupt keinen Schmerz?!“, fuhr Val ihn wütend auf Englisch an, bevor sie tiefer schnitt, jedoch darauf achtete, nicht einmal in die Nähe seiner Halsschlagader zu gelangen.
Doch wie zuvor schon reagierte er auch jetzt nicht auf sie.
„Dann empfindest du also gar nichts?“ Val zog die Spitze des Schwertes langsam von seinem Hals abwärts über seine nackte, muskulöse Brust und hinterließ dabei einen weiteren blutenden Schnitt.
Nichts. Noch nicht einmal seine Atmung war beschleunigt.
Erst, als sie die Schwertspitze durch das Tal seines Sixpacks hindurch zu seinem Bauchnabel schneiden ließ und von dort ausgehend noch weiter zu wandern drohte, kam endlich Bewegung in ihn.
Vanadis' Mörder lehnte sich weiter zurück, um ihr mehr Platz zu machen.
Da erst begriff sie, dass er sie nicht aufhalten würde. Egal was sie tat.
Vals Wut schlug in Verzweiflung um.
Denn wenn es ihm egal war, was sie mit ihm anstellte, wie zum Teufel sollte sie sich dann an ihm für Vanadis' Tod rächen?
Jetzt, wo er blutend vor ihr kniete, seine ganze Haltung dabei eine einzige Kapitulation, was konnte sie da mehr tun, als ihn einfach weiter zu verletzen? Ihn am Ende etwa töten?
Das ... konnte sie nicht.
Egal wie sehr sie bei seinem Anblick zuvor noch von Hass und Angst zerfressen gewesen war, ihm das Leben zu nehmen, brachte sie letztendlich trotzdem nicht fertig.
Tief in sich drin, war sie eben doch eine Ärztin.
Als hätte er ihre Gedanken gelesen, legte der Hüne plötzlich seine riesige Hand auf ihre. Instinktiv versuchte Val, ihn auf Abstand zu bringen, indem sie das Schwert gerade vor sich ausstreckte und zwischen sie brachte, doch sein Arm war länger als die Klinge selbst.
Langsam richtete er sich vor ihr zu seiner vollen und ziemlich einschüchternden Größe auf, während er sie daran hinderte, zurückzuweichen.
Als würde er nicht einmal den Widerstand spüren, den sie ihm entgegenbrachte, richtete er das Schwert in ihren Händen so aus, dass die Spitze ein Stück weit in sein Fleisch drang, die Klinge selbst befand sich dabei im perfekten Winkel zu seinem Körper.
Val müsste das Schwert nur noch mit entsprechender Kraft nach oben stoßen, direkt in sein schlagendes Herz hinein.
Nein ... Das wollte sie nicht.
Einen Moment lang verharrten sie beide in dieser grotesken Position, darauf wartend, was der jeweils andere tun würde, ehe sich etwas in dem Hünen zu verändern begann.
Seine Hand fing plötzlich an zu zittern, bevor er Val zu ihrem eigenen Entsetzen dazu zwang, den Stahl noch tiefer in sein Fleisch zu bohren.
Nicht, hör auf!
Sie versuchte, gegen ihn anzukämpfen. Doch vergeblich.
Nun wurde auch noch seine Atmung schneller. Selbst das Zittern seiner Hand nahm zu, ebenso wie der Druck auf Vals Hände, bevor der Hüne die Klinge noch tiefer in sich hinein drückte.
„Hör auf! Bitte!“, schrie sie ihn nun doch verzweifelt an, während sie mit aller Macht dagegen ankämpfte, dass er sich mit ihren Händen noch weiter selbstverletzte.
Er ließ Val so unvermittelt los, dass sie zwei Schritte zurücktaumelte, ehe sie sich wieder fangen konnte.
Fassungslos starrte sie zuerst die vor Blut triefende Klinge in ihren Händen an, ehe ihr Blick sich auf die stark blutende Wunde am Bauch des Hünen richtete, an der sie selbst nicht ganz unschuldig war.
Val ließ das Schwert fallen und rannte zu ihm, um sofort ihre Hände auf das klaffende Loch in seinem Fleisch zu pressen, während sie verzweifelt nach etwas Ausschau hielt, das sie dagegen drücken konnte, um die Blutung zu stillen.
In Ermangelung anderer Möglichkeiten in ihrer Nähe nahm sie seine Hand und ließ ihn selbst die Wunde damit abdecken, während sie sich einen breiten Stoffstreifen vom Saum ihres Kleides riss, den sie anschließend darauf pressen konnte.
Im Kopf spulte sie bereits die nächsten Schritte ab, die zu tun waren, um die Wunde fachgerecht zu versorgen, bis Val klar wurde, dass sie keine Ärztin mehr war und ihr auch nicht die hochmoderne Ausstattung eines Krankenhauses zur Verfügung stand.
Eigentlich stand sie mit vollkommen leeren Händen da.
„Du verdammter Idiot!“ Val knurrte den Kerl wütend an, der so dumm war, sich in einer Welt, in der es weder Penizillin noch Ultraschall oder brauchbare Skalpelle gab so verletzen zu lassen.
Wenn er es tatsächlich auf seinen Tod anlegte, dann war er gerade auf dem besten Weg dorthin.
Sein Herz hatte die Klinge mit Sicherheit noch nicht getroffen, da er sonst kaum noch auf seinen eigenen Beinen stehen würde, doch Val machte sich dennoch Sorgen, ob andere Organe verletzt worden sein könnten. Das Schwert war doch ein ganzes Stück in ihn reingegangen.
Bevor ihr der Hüne am Ende noch umkippte, obwohl er eigentlich überhaupt nicht den Eindruck machte, drängte Val ihn zur nächstgelegenen Bank und zwang ihn dazu, sich darauf niederzulassen.
Als sie das Tuch vorsichtig ein Stück von der Wunde anhob, war sie erleichtert, dass die Blutung inzwischen etwas nachgelassen hatte, dennoch musste sie überprüfen, wie viel von seinem Inneren verletzt worden war, einfach nur um sicherzugehen.
Nicht damit rechnend, dass sie ihm zwei ihrer Finger in das Loch in seinen Bauch schob, fuhr der Hüne nun doch etwas zusammen, ehe sein Atem schwer gegen das Metall seines Helms schlug.
Val legte ihm beruhigend die Hand auf die Brust, damit er stillhielt, während sie sich konzentrierte.
Soweit schien alles in Ordnung zu sein. Anscheinend war nur Muskelgewebe betroffen, das zu seinem Glück ja reichlich vorhanden war.
Vorsichtig zog Val ihre Finger aus ihm zurück, presste den Stoff wieder auf die Wunde und überlegte fieberhaft, was sie zum Desinfizieren verwenden könnte.
Alkohol war natürlich eine Option und davon müsste in einer Küche wie dieser eigentlich auch etwas herumstehen, aber vielleicht wäre es doch besser, ihn gleich zu Rashad zu bringen. Der Arzt kannte sich bei weitem besser damit aus, welche bescheidenen Möglichkeiten ihnen in dieser Welt zur Verfügung standen. Immerhin hatte sie bisher –
Der Hüne berührte sie sanft am Kinn und brachte sie so dazu, ihn wieder anzusehen, doch der Anblick der dämonischen Fratze war immer noch etwas, an das sie sich selbst nach einem ganzen Tag mit ihm, nicht gewöhnen konnte.
Sie wich ihm schließlich aus, woraufhin er das Gleiche tat, in dem er sich ihren Händen entzog und wieder aufstand.
Val wollte eigentlich dagegen protestieren, doch langsam kam ihr nun auch wieder in den Sinn, mit wem sie es hier eigentlich zu tun hatte.
Er war nicht ihr Patient, sondern der Mörder ihrer Freundin.
Für einen Moment schauten sie sich gegenseitig einfach nur schweigend an, während dieser Gedanke zwischen ihnen hing, bevor der Hüne sich ganz von ihr abwandte und zur Feuerstelle zurückkehrte.
Sein Gang war dabei kraftvoll und ohne Einbußen, trotz der Wunde in seinem Bauch und den zahlreichen Schnitten, die sie ihm zugefügt hatte. Vielleicht hatte er deshalb keine Probleme damit, gerade jetzt ans Essen zu denken, nach allem, was gerade noch zwischen ihnen vorgefallen war.
Umso überraschter war Val daher, als er schließlich wieder zurückkam und ihr zusammen mit einem Tuch, von dem sie nicht wusste, woher er es genommen hatte, eine Schüssel von dem dampfenden Eintopf in die blutverschmierten Hände drückte.
Dabei fiel ihr Blick wieder auf die Wunde in seinem Bauch, die inzwischen zu bluten aufgehört hatte, auch ohne dass man Druck darauf ausübte.
Konnte dieser Tag eigentlich noch merkwürdiger werden?
Ohne auch nur einen Bissen zu essen, sah Val dem Hünen dabei zu, wie er seelenruhig sein Schwert vom Boden aufhob, es gründlich säuberte und anschließend zurück in die dafür vorgesehene Scheide steckte, bevor er mit seinen Sachen in der Hand zu ihr zurückkehrte.
Val musste seinen Blick hinter der dämonischen Fratze nicht einmal erkennen, um zu wissen, was er von ihr wollte. Also setzte sie sich wieder in Bewegung und folgte ihm tief in Gedanken versunken zu ihrer Schlafkammer.
Bei all dem verrückten Zeug, das ihr dabei durch den Kopf ging, hob sich nur ein einziger Gedanke klar von allen anderen ab, als sie dem Hünen nach ihrem stummen Abschied hinterher blickte.
Wo ist deine Schüssel mit Eintopf?