Die Geschwindigkeit, mit der Alexey die englische Sprache lernte, war unbeschreiblich. Bedachte man dann auch noch seinen schrecklichen Zustand und dass er seit Tagen weder etwas zu essen noch zu trinken bekommen hatte, glich sein gewaltiger Fortschritt mehr und mehr einem Ding der Unmöglichkeit. Es schien, als wäre sein Hirn ein Hochleistungscomputer, der nur einmal die richtige Vokabel mit der dazu passenden Übersetzung aufnehmen musste, um das Wort für alle Ewigkeit abzuspeichern, und das mit einem Akku, der bald keinen Saft mehr hatte. Damit alleine war es aber noch nicht getan, denn Alexey stellte mühelos Zusammenhänge her, fand sich leicht in den verschiedenen Zeitformen zurecht und hatte ein wahnsinnig gutes Gespür für die richtige Satzstellung. Zusätzlich stellte er auch noch die richtigen Fragen, um noch mehr lernen zu können.
Gerade deshalb ließ sich nicht leugnen, dass am Ende Val es war, der er noch so einiges beibrachte, da er ihr nun sehr viel besser seine Sprache erklären konnte. Sicher, sie war kein wandelndes Wörterbuch und dass sie seine Sprache nicht besonders gut beherrschte, machte es ein wenig komplizierter, ihm die ihre beizubringen. Aber es war weit nicht so mühsam, wie sie anfangs gedacht hätte und schon gar nicht frustrierend.
Im Endeffekt war sie es, die Alexeys Fortschritte bremste, da Val keinen Computer als Gehirn hatte und sie immer wieder etwas vergaß, das er ihr dann noch einmal erklären musste. Dass sie selbst ziemlich müde war von den relativ schlaflosen Nächten, machte ihr das Lernen nicht gerade leichter, aber wenigstens lenkte es sie sehr gut von der ganzen Scheiße ab, die hier vor ihren Augen ablief und in der sie selbst immer wieder mitten drin steckte.
Nach knapp einer Woche unterhielten sie sich abwechselnd in seiner oder in ihrer Sprache, manchmal wurden auch einzelne Wörter vermischt, doch immer war es ein guter Austausch, der kaum noch Raum für Unklarheiten oder Missverständnisse bot. Leider wurde aber mit jeder Nacht, die verging, immer deutlicher klar, wie schlecht es Alexey ging. Er hatte von Anfang an nicht besonders flüssig sprechen können, da es ihn anzustrengen schien, doch je weiter sein unvorstellbares Dahinsiechen andauerte, umso mehr begann Val einen Monolog zu führen und umso leiser und kraftloser wurde Alexeys Stimme. Zwischendurch hatte Val sogar das Gefühl, er würde während ihrer vollkommen belanglosen Gespräche immer wieder einnicken, da er manchmal Ewigkeiten brauchte, bis er antwortete. Da sie die offensichtlichen Themen zu vermeiden suchten, war das nicht weiter schlimm. Zumindest versuchte Val sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie Alexeys Zustand mitnahm und dass sie nichts für ihn tun konnte. Doch tatsächlich brachte es sie selbst langsam aber sicher um, ihm nicht helfen zu können und hautnah mitzuerleben, wie es ihm immer schlechter ging.
Am Ende saß Val einfach nur bei ihm, lauschte seinem angestrengten Atem und weinte ab und an still vor sich hin, während sie immer noch darauf hoffte, dass dieses elendige Miststück ihn befreite. Sobald er aufwachte, versuchte sie Alexey mit Worten abzulenken und war auch immer wieder erleichtert, wenn er noch ein wenig mit ihr sprach, doch irgendwann kam, was einfach kommen musste und er antwortete überhaupt nicht mehr.
Volle acht Tage und Nächte nach Alexeys Folter schien er so entkräftet zu sein, dass er nicht mehr zu sich kam, obwohl Val anfangs noch versucht hatte, ihn zum Reden zu bewegen, sobald sie sich an seiner Tür niedergelassen hatte. Lediglich das Geräusch seines schweren Atems dicht dahinter zeugte davon, dass er noch lebte, doch Val hatte nach jedem Atemzug Angst, dass darauf kein weiterer mehr folgen würde, so groß waren mittlerweile die Abstände dazwischen.
Sie war nur noch ein nervliches Wrack, das die Tage wie ein Zombie durchlief und für die Nächte vor dieser Tür lebte, obwohl sie Schlaf dringend benötigt hätte. Mehr als ein paar Stunden brachte sie dennoch nicht zusammen, und manchmal – obwohl es verdammt riskant war – nickte sie auch einfach vor Alexeys Tür ein. So wie auch in dieser Nacht, als sein einnehmender Duft, der inzwischen sehr stark durch die verschlossene Tür zu ihr durchdrang, Val völlig einlullte, bis sie sich einfach nicht mehr wachhalten konnte.
Im Schlaf runzelte Val die Stirn, während immer wieder eine Gänsehaut ihren Körper überzog und sich sämtliche Härchen in ihrem Nacken aufstellten. Das leise, grollende Geräusch, das gedämpft an ihr Ohr drang, schlich sich in ihre Träume, wo ein riesiger Wolf mit zotteligem, schwarzen Fell und unheimlich weiß glühenden Augen erschien. Seine Zähne und Klauen waren erschreckend lang und Geifer tropfte ihm von der Schnauze, ehe er sich hungrig das Maul leckte. Er schnüffelte und knurrte. Nahm ihre Spur auf und sobald er sie entdeckt hatte, begann er Val gnadenlos zu jagen. Sie lief panisch davon und versuchte ihm zu entkommen. Dabei umgab sie ein dunkler Wald bestehend aus missgestalteten Bäumen mit dünnen Ästen, die sich zu Klauen formten und nach ihr grabschten und an ihrem Haar und ihrem Nachthemd zerrten. Über ihr zog sich ein nachtschwarzer Himmel, der jegliches Licht zu verschlucken schien, während sie über aufgerissene, tote Erde stolperte und immer wieder den Atem ihres nahenden Todes eiskalt im Nacken spürte, der sie noch mehr anspornte.
Wie aus dem Nichts erschien plötzlich eine kleine, windschiefe Hütte, in die Val sich mit letzter Kraft gerade so rettete. Ihr Atem ging keuchend, während sie hinter sich die Tür zuschlug und den schweren Riegel vorlegte. Mit aller Kraft stemmte sie sich dagegen, als der riesige Wolf das Holz ungebremst rammte, die Tür im Rahmen heftig erzittern ließ und aufheulte, als er dennoch nicht hindurch kam. Er begann zu schnüffeln und an der Tür zu kratzen, als würde er nach einem Weg hinein suchen und als er keinen fand, erklang erneut dieses unheimliche Jaulen, bevor er sich ein weiteres Mal wie ein Rammbock dagegen warf.
Val fuhr mit einem leisen Schrei aus ihrem Schlaf hoch, als sie unvermittelt zur Seite fiel, weg von der Tür, an die sie sich gerade noch gelehnt hatte.
Im ersten Moment war sie völlig desorientiert. Schwer keuchend sah sie sich im diffusen Licht des schwach beleuchteten Gangs um und erkannte, dass sie vor Alexeys Kammer kauerte. Eigentlich hätte Val mit Schritten oder Stimmen gerechnet, die sich näherten und sie so alarmiert aus ihrem Schlaf hatten hochschrecken lassen, doch als ein weiterer schwerer Schlag die Tür zu Alexeys Kammer von innen traf und diese heftig erzittern ließ, wirbelte sie mit weit aufgerissenen Augen herum.
„A-alexey?“ Ihre Stimme war nur ein leises Krächzen, kaum hörbar und doch hätte sie genauso gut ein Startschuss sein können, denn plötzlich brach hinter der fest verschlossenen Tür die Hölle los.
Alexey warf sich mit seinem gesamten Gewicht gegen das Holz, hieb mit Fäusten oder was auch immer brutal darauf ein und ließ das Holz im Rahmen erbeben.
Woher er die Kraft dafür hernahm, war ihr ein Rätsel. Unter anderen Umständen hätte Val es sogar begrüßt, wenn Alexey seine übermenschliche Kraft dazu benutzt hätte, sich aus seinem Gefängnis zu befreien, doch stattdessen schlug sie sich entsetzt die Hand vor den Mund, um einen weiteren Schrei zu unterdrücken, während sich ihre geweiteten Augen erneut mit Tränen füllten. Denn dieses heftige Schauspiel an brachialer Gewalt, das dennoch nicht ausreichte, um durch die massive Holztür zu kommen, wurde zusätzlich begleitet von wildem Knurren und einem derart grauenvollen Jaulen, dass es ganz und gar nicht mehr menschlich klang. Als säße da hinter der Tür ein tollwütiges Tier, das herauszukommen versuchte, oder … ein wahnsinnig gewordener Bluttrinker!
Val war versucht, noch etwas zu sagen und vielleicht auf diese Weise zu Alexey durchzudringen, doch kaum, dass sie sich der Tür wieder näherte, schien er noch mehr durchzudrehen. Dabei erklang immer wieder ein Geräusch ganz dicht an den schmalen Schlitzen zwischen Tür und Rahmen, das verdächtig nach einem Schnüffeln klang und sie frösteln ließ. Als könnte er sie tatsächlich wittern, versuchte Alexey daraufhin noch energischer durch diese verdammte Tür zu brechen – um zu ihr zu kommen und … über sie herzufallen. Eine andere Möglichkeit gab es nicht, denn er hatte sie in den letzten Nächten genau darauf vorbereitet.
Val hatte es lange zu verdrängen versucht. Hatte sich eingeredet, dass es doch sicher nicht so weit kommen würde, sondern irgendwas geschah, das Alexeys schleichenden Wahnsinn verhindern würde. Aber es war nichts passiert und der grausame Plan der Eiskönigin ging nun vor Vals Augen auf.
„Es tut mir leid.“ Sie rieb sich über die feuchten Wangen und kam auf ihre zittrigen Beine, dabei die Wolldecke fest um sich geschlungen.
Alexey hörte sie nicht. Besser gesagt, verstand er sie nicht, denn auf ihre Worte hin reagierte er erneut mit wilder Raserei, die sich gegen die Tür richtete, die ihn eingesperrt hielt.
Die ganze Zeit über konnte Val nur daran denken, dass er dabei wohl kaum Rücksicht auf sich selbst nahm. In diesem wahnhaften Zustand verletzte er sich mit Sicherheit selbst ohne Rücksicht auf Verluste und zugleich verbrauchte er noch mehr seiner Kraftreserven, die vermutlich ohnehin kaum noch vorhanden waren.
Wenn er so weiter machte, könnte er am Ende tatsächlich noch sterben, egal, was er war.
Diesen Gedanken ertrug Val einfach nicht, also ging sie schließlich, obwohl es ihr das Herz brach, Alexey zu verlassen.
***
Hedera presste sich das Seidentaschentuch, das sie mit Kräuteressenz beträufelt hatte, fester gegen die Nase, als Gràinne die schwere Holztür mit deutlichem Unbehagen aufschob. Die Vorsteherin der Haussklaven hatte jedoch nichts zu befürchten. Noch ehe überhaupt der Schlüssel im Schloss herumgedreht worden war, hatte Hedera ihre Macht eingesetzt, um die gefangene Bestie in diesem Raum unter ihre Kontrolle zu bringen. Eine Vorsichtsmaßnahme, die der Frau eindeutig das Leben rettete. Denn obwohl man meinen sollte, dass ihr verfluchtes Haustier inzwischen mehr tot als lebendig sein müsste, war dem nicht so. Es lauerte im Schatten, sprungbereit, um sich auf die erstbeste Kehle zu stürzen, die ihm über den Weg lief.
Hedera alleine war es zu verdanken, dass es sich nicht bewegte, sondern gehorsam an Ort und Stelle verharrte. Lediglich gegen das bestialische Knurren, das der Kehle ihres Bluttrinkers entsprang, vermochte sie nichts auszurichten.
An ihrer Seite erschien Arum, der sich wie Gràinne und sie selbst ebenfalls ein Tuch vor die Nase presste, während er in der anderen Hand eine Fackel hielt und näher trat, um einen Blick auf die wahnsinnig gewordene Bestie zu werfen.
Es war weniger der widerliche Gestank von einem ungewaschenen Körper und dem vielen getrockneten Blut, das diese Maßnahme nötig machte. Im Gegenteil. Würden sie ihre Tücher von den Nasen nehmen und tief einatmen, wäre es kein Gestank, der ihre Sinne überwältigte, sondern ein solch köstlicher und intensiver Duft, wie es keinen zweiten auf dieser Welt gab. Die Geheimwaffe dieser Bestien war absolut nicht zu unterschätzen. Erst recht nicht, wenn sie dem Tod näher standen als dem Leben.
Als der Lichtschein von Arums Fackel auf den Körper ihres überaus wertvollen Sklaven fiel, verzog Hedera angewidert das Gesicht. Schon unter normalen Umständen sah sie es nicht gerne, wenn er verletzt und seine Makellosigkeit auch nur geringfügig beeinträchtigt war. Insbesondere nach den Ritualen, wenn sein Mund völlig zerschnitten und mit diesen dunklen Fäden missgestalten war, konnte sie ihn kaum länger als nötig ansehen. Doch im Moment hätte sie ihren Blick am liebsten von ihm abgewandt und ihn erst wieder betrachtet, sobald seine Makellosigkeit völlig hergestellt wäre. Dennoch stellte Hedera sich diesem widerwärtigen Anblick, der die heiße Wut in ihren Eingeweiden zumindest ein wenig dämpfte, zeugte er doch davon, wie sehr ihre Bestie in den letzten Tagen und Nächten gelitten haben musste.
Er hatte es verdient und würde es nicht sein Leben gefährden, Hedera würde ihren Bluttrinker noch sehr viel länger so dahinsiechen lassen. Damit er endgültig wusste, wo sein Platz und wer seine Herrin war. Was leider nichts ändern würde. Eher starb er, als sich ihr zu beugen und das war ein Problem, das inzwischen immer deutlicher zu Tage trat.
Hedera zwang sich also, hinzusehen, um zu verinnerlichen, wie weit ihr Haustier inzwischen zu gehen bereit war, um ihr zu entkommen und um zu begreifen, dass ihr eingeschlagener Weg am Ende wohl doch nicht mehr der richtige war.
Das einst so wunderschöne Haar ihres Sklaven hing ihm in Strähnen tief ins Gesicht. Die Augen, die darunter hervorblitzten waren von einem ekelerregenden Weiß und starrten ins Leere. Gewiss konnte er noch nicht damit sehen, nachdem die Sonne so gründlich ihr Werk verrichtet hatte. Überhaupt schien es, als wären all die Verletzungen, die er dank ihrer rasenden Wut erlitten hatten, kaum verheilt.
Zwar hatte sie es im Moment seiner Bestrafung überaus genossen, sein Fleisch zu verletzen und zu sehen, wie sein kostbares Blut den Boden tränkte, während seine gequälten Schreie ihre Ohren zum Klingeln brachten, doch nun, in diesem Stadium der Heilung, wo er weder frisch verletzt noch vollständig geheilt war, könnte Hedera sich allein beim Anblick seiner verstümmelten Füße auf der Stelle übergeben. Vom Rest ganz zu schweigen. Ihre Bestie war nur noch ein Schatten ihrer selbst und hatte gänzlich die Anmut des gefährlichen Raubtiers verloren, das sie einst gewesen war.
Arum trat einen Schritt zurück, als Hedera ihren Sklaven dazu zwang, auf seine widerwärtigen Füße zu kommen. Ihr Bluttrinker konnte sich kaum aufrecht halten und schwankte bedenklich, doch ihre Magie hielt ihn aufrecht, wo reiner Willen nicht mehr ausgereicht hätte. Glücklicherweise bedeckten die Fetzen seines Umhangs ihn zumindest so weit, dass ihr der Großteil dieses zerstörten Anblicks erspart blieb. Auch so würde es Zeit und viele Mühen brauchen, bis sie diese abartigen Bilder wieder aus dem Kopf bekam. Im Moment jedoch hatte etwas anderes Vorrang.
Schweigend wandte Hedera sich ab und ergriff Arums Arm, als er ihn ihr anbot, bevor sie durch den langen Gang wieder hoch in die Villa gingen. Immer wieder atmete sie dabei tief den Duft der Kräuter auf ihrem Taschentuch ein, obwohl kein Anlass mehr dazu bestand. Sie zwang ihr Haustier weit genug Abstand zu ihnen zu halten, damit sein Duft ihnen nicht die Sinne vernebeln konnte. Dennoch wollte sie im Augenblick noch nicht einmal einen Hauch davon erhaschen, denn diesen erregenden Duft mit diesem zerstörten Anblick in Verbindung zu bringen, lag ihr absolut fern.
Die Villa selbst lag ruhig und verlassen da. Hedera hatte die diensthabenden Wachen außerhalb der Villa rund um das Gebäude Stellung beziehen lassen und um diese Uhrzeit befanden sich sämtliche Sklaven bereits in ihren Kammern. Es war also der perfekte Zeitpunkt, um zu prüfen, wie weit ihr Einfluss auf ihre widerspenstige Bestie nachgelassen hatte und ob es tatsächlich noch einen anderen Weg gab, um sie sich gefügig zu machen. Vielleicht behielt Arum am Ende sogar recht. Nun, es würde sich zeigen.
Im Peristyl zwang Hedera ihren Sklaven zwischen den beiden hoch aufragenden Eisensäulen auf die Knie. Immer noch erfüllte sein wildes Knurren die Nacht und Hedera spürte, wie sehr er gegen ihre Macht aufbegehrte, doch ihr Bluttrinker – so wahnsinnig er im Moment auch war – konnte sich nicht gegen ihren Einfluss wehren. Was viel darüber aussagte, in wie weit er ihrer Macht inzwischen entwachsen war. Vielleicht war es gar nicht so schlimm, wie sie zunächst befürchtet hatte. Doch die wahre Belastungsprobe ihres Zaubers stand noch bevor.
Hedera nickte Gràinne zu, nachdem sie sich mit Arum in sicherem Abstand zum Dunstkreis ihrer Bestie begeben hatte. „Hol die kleine Ägypterin.“
Während die Vorsteherin der Haussklaven davon eilte, um ihrem Befehl nachzukommen, lehnte Hedera sich an Arum, der sofort einen Arm um sie schlang. Sie sprachen beide kein Wort. Es war alles bereits gesagt worden und nun galt es, das Gesagte in die Tat umzusetzen und herauszufinden, ob Arum mit seinem Vorschlag, einen anderen Weg bei der Bezwingung ihres kostbaren Bluttrinkers einzuschlagen, richtig lag.
Eigentlich missviel Hedera ihre Wahl, was die Sklavin anbelangte, um sie für ihren Feldversuch zu opfern. Nicht nur, da Servius einen absoluten Narren an der kleinen Ägypterin gefressen hatte, obwohl er sich maßvoller im Umgang mit ihr zeigen sollte, um sich nicht noch mehr zu verausgaben, sondern auch, weil Hedera die Kleine äußerst amüsant fand. Arum gefiel sie ebenfalls. Von daher wäre es ihr eigentlich lieber, wenn die kleine Ägypterin noch ein wenig länger am Leben bliebe. Leider ließ sich jedoch absolut nicht leugnen, dass gerade diese sich nur deshalb so gefügig zeigte, weil Hedera ihre kleine, rothaarige Freundin als Druckmittel gegen sie einsetzte. Würde sie also die rothaarige Sklavin zuerst opfern, könnte dadurch auch noch die kleine Ägypterin gegen sie aufbegehren und wahrlich, sie hatte inzwischen genug von aufsässigen Sklaven!
Andere Wahlmöglichkeiten standen leider im Moment nicht zur Verfügung, da Hedera nur ungern Sklaven opferte, die sich bereits vollständig in den Haushalt und die damit verbundenen Aufgaben eingefügt hatten. Vielleicht sollte sie bei Gelegenheit Rutilus antanzen lassen. Je nach dem, wie das hier heute Nacht ausging, wäre es so oder so von Nöten, wollte sie ihr widerspenstiges Haustier in nächster Zeit wieder angemessen füttern, und das würde sie. Sie konnte es gar nicht erwarten, bis er wieder vollständig genesen war. Doch bis dahin … Nun, wenigstens stand ihr Arum zur Seite, der ihr die Zeit ohne ihren Sklaven wahrlich versüßte.
„Im Moment scheint es nicht so, als hätte dein Einfluss auf ihn auch nur im Geringsten nachgelassen“, kommentierte Arum und brach damit das Schweigen zwischen ihnen, während er seinen Blick nicht von ihrem Haustier nahm. „Ich bin sicher, würdest du ihn nicht zurückhalten, er hätte uns schon längst angefallen.“
„Gewiss, das hätte er.“ Hedera konnte nicht verhindern, dass sich ihr Blick ebenfalls auf ihren Bluttrinker legte. Wobei sie genau darauf achtete, dass sie alles von seinem Hals abwärts mied. Doch auch so war die wahnsinnige Fratze, die er offen zur Schau stellte, alles andere als nett anzusehen. Seine gefletschten Zähne schimmerten weiß im Mondlicht und zeigten deutlich, dass seine Fänge noch nicht nachgewachsen waren, was die Wahrscheinlichkeit massiv steigerte, dass das hier heute Nacht in einem Blutbad endete. Denn Hedera gedachte nicht, es ihrer tobenden Bestie leichter zu machen.
Allerdings hatte Arum recht. So sehr ihr Bluttrinker auch gegen ihren Einfluss ankämpfte und dabei nicht den geringsten Funken von Verstand erkennen ließ – es bereitete ihr kaum Mühe, ihn mit ihrer Magie festzuhalten, weshalb sie es sogar riskierte, noch einen Schritt weiter zu gehen, indem sie ihrem Haustier befahl: „Beweg dich nicht.“
Im ersten Moment schien keine Veränderung erkennbar zu sein, denn zuvor hatte er schon vollkommen stillhalten müssen, doch sobald Hedera allmählich ihren Einfluss auf ihren Sklaven losließ und er sich immer noch nicht bewegte, obwohl er vor Wut und Wahnsinn nur so brodelte, wurde offensichtlich, dass die Siegel hielten und der in seinem Körper eingebettete Zauber wirkte. Er gehorchte ihr immer noch aufs Wort.
Nur leider nicht, wenn es darum ging, ihr zu antworten. Was neue Wut in Hedera hochflammen ließ, sobald sie daran dachte. Immer noch wusste sie nicht, wie es ihm möglich war, sich in dieser einen Sache ihrem Einfluss zu entziehen, vor allem, da das letzte Blutritual noch gar nicht allzu lange her war. Irgendetwas musste dabei schiefgegangen sein, oder er wurde tatsächlich stärker, wie Arum vermutete. Darum auch der geplante Strategiewechsel.
Gerade wollte Hedera ihr Wort an Arum richten, als Gràinne mit der kleinen Ägypterin zurückkam. Dabei machte sie einen weiten Bogen um den am Boden kauernden Bluttrinker, ehe die beiden vor Arum und Hedera stehen blieben.
Die kleine Ägypterin sah alles andere als gut aus. Tagsüber vermochte es Gràinne zwar, ihr äußeres Erscheinungsbild mit Schminke und kostbarem Geschmeide aufzupolieren, doch in dem viel zu großen Nachthemd, vollkommen ungeschminkt und mit den ungekämmten offenen Haaren sah die junge Sklavin einfach nur wahnsinnig erschöpft aus. Wahrlich, ihre Chancen, diese Nacht lebend zu überstehen, standen nicht besonders gut, obwohl es durchaus sein könnte, dass die kleine Ägypterin ihr Schicksal womöglich sogar begrüßte. Hedera konnte sich nicht vorstellen, dass es allzu erquickend war, sich jeden Tag aufs Neue von Servius schlagen und besteigen zu lassen. Sein Verschleiß an noch brauchbaren Mädchen war nicht umsonst so enorm, allerdings hatte er bei der kleinen Ägypterin womöglich seine Meisterin gefunden. Das kleine Biest war wirklich äußerst zäh. Nun, es würde sich zeigen, ob dieser Trend anhielt.
„Geh zu ihm“, befahl Hedera der kleinen Ägypterin und deutete auf ihren Bluttrinker, „und bleib vor ihm stehen.“ Der Sklavin zu sagen, dass sie sich am besten auch nicht wehren sollte, da es alles nur noch schlimmer machen würde, verkniff sie sich, denn in gewisser Weise gab es Hedera ein nicht unerhebliches Gefühl von Befriedigung, zu sehen, wie das Mädchen auf ihre Worte hin noch weiter erbleichte.
Obwohl die Kleine zögerte und sich vermutlich jeden Moment vor Angst anpinkelte, neigte sie dennoch ergeben ihr Haupt, ehe sie sich umwandte und mit gestrafften Schultern und aufrechtem Gang ihrem nahenden Tod gegenübertrat. Ja, genau deswegen fand Hedera die Sklavin so äußerst amüsant. Sie war so unvorhersehbar und in ihrer Sturheit absolut spannend, da sich nie genau sagen ließ, wie sie als nächstes reagieren würde.
Drei Paar sehender Augen verfolgten jede noch so kleine Bewegung der kleinen Ägypterin und auch Hederas hungrige Bestie entging keinesfalls die sich nähernde Beute. Doch obwohl ihr Bluttrinker sich ob der nahenden Mahlzeit noch weiter ins Zeug legte, blieb er an Ort und Stelle und rührte nicht einmal den verbliebenen kleinen Finger. Wenn also eine weitere Schwachstelle in ihrem magischen Netz zu finden gewesen wäre, hätte sie sich nun offenbaren müssen. Doch Hedera konnte nichts entdecken, obwohl sie wartete und ihren wahnsinnig gewordenen Köter noch länger zappeln ließ, bis ihm auch noch Geifer vom Kinn tropfte und die kleine Ägypterin bedrohlich zu schwanken begann. Kein Wunder, bekam sie doch soeben die geballte Ladung dieses verfluchten Dufts ab.
Bevor die Sklavin zusammenbrechen konnte, holte Hedera noch einmal tief Luft, um sich zu sammeln, ehe sie ihr Haustier von der Leine ließ.
„Trink.“