Val fühlte sich wie gerädert. Der wenige Schlaf, der anstrengende Tag mit dem Perversen, die immer noch vorhandenen Nachwirkungen ihres Blutverlusts und die Sorge um Alexey forderten am Ende des Tages ihren Tribut. Sie schleppte sich mehr zu ihrer Kammer zurück, als dass sie wirklich ging, obwohl zumindest der Gedanke, Alexey bald wieder zu sehen, ihr ein wenig Kraft gab. Doch vorher musste sie sich dringend waschen.
Nicht zum ersten Mal in letzter Zeit fiel Val auf dem Weg zu ihrer Kammer auf, dass sie gar nicht mehr von dem notgeilen Typen belästigt wurde. Eigentlich war sogar seit seiner lächerlichen Bestrafung Ruhe. Bisher hatte Val nur nicht die Zeit und auch nicht den Kopf dafür gehabt, um sich näher damit zu beschäftigen, doch inzwischen fiel es ihr tatsächlich deutlich auf, dass sie den Kerl seither nicht mehr gesehen hatte. Hatte man ihn am Ende doch noch rausgeschmissen?
Wünschenswert wäre es, denn das würde bedeuten, dass Val wenigstens eine Sorge weniger hätte. Allerdings bezweifelte sie stark, dass ihr das Glück einmal so wohlgesonnen sein könnte. Nein, den Kerl hatte sie bestimmt nicht zum letzten Mal gesehen, aber immerhin war er nicht hier, während Alexey sie nicht beschützen konnte. Das war tatsächlich dann doch einmal eine glückliche Fügung. Dennoch vertrieb Val diese Gedanken schnell wieder, da sie das Schicksal am Ende nicht auch noch herausfordern wollte.
Am Ziel angekommen öffnete sie mit ein wenig Mühen die schwere Holztür, nur um abrupt im Rahmen stehen zu bleiben und sich mit einem schleichenden Gefühl der Angst umzusehen.
Die Kammer war leer. Ceara war nicht hier, obwohl sie für gewöhnlich immer vor Val mit ihrer Arbeit fertig war. Eigentlich tatsächlich so gut wie immer!
Da stand nur die gewohnte Schüssel zum Waschen und ein frischer Krug mit warmem Wasser, aus dem sich sogar noch kleine Dampfwölkchen kräuselten. Sie konnte also nicht lange fort sein. Doch wo war sie hin?
Vals erster Impuls war, sofort zu Alexey zu laufen und nachzusehen, ob die Eiskönigin Ceara gerade an ihn verfütterte. Das war zwar trotz ihres Wissens besorgniserregend, doch immerhin bedeutete es nicht, dass man Ceara in der Zwischenzeit umgebracht hatte, ohne, dass Val es mitbekommen hätte. Doch was, wenn diese verdammte Bitch schon dieses Mal ihr Wort brach und Alexey befahl, Ceara zu töten? Er würde sich nicht dagegen wehren können, so wie er es auch bei ihr nicht konnte. Würde sie ihre letzte verbliebene Freundin heute Nacht verlieren?
Val musste sich setzen. Ein überwältigendes Gefühl der Ohnmacht wollte sich ihrer bemächtigen und ihr war mit einem Mal so wahnsinnig schlecht, dass sie sogar den unbenutzten Eimer in der Ecke zu sich heranzog, um sich darüber zu beugen. Obwohl sie sich bemühte, ruhig zu atmen, ertappte sie sich dennoch immer wieder dabei, wie sie fast panisch nach Luft schnappte. Das alles durfte einfach nicht geschehen. Sie konnte Ceara auf keinen Fall auch noch verlieren!
***
Vorenus war mit Abstand die letzte Person, die Alexey in seiner Kammer erwarten würde und dennoch kam ausgerechnet der Mensch, den er auf der Stelle ohne zu zögern töten würde, wenn er es könnte, zur Tür herein.
Begleitet wurde er von dem blonden Schönling und Hedera, die Valerias rothaarige Freundin vor sich her schob.
Dem Anschein nach stand Ceara unter Hederas magischem Einfluss und bekam nichts von ihrem nächtlichen Ausflug mit. Die einzige gute Sache im Moment, während es nicht bloß wegen des Platzmangels in Alexeys Kammer zunehmend beklemmender für ihn wurde.
„Ist das die angemessene Begrüßung eines Sklaven gegenüber seiner Herren?“, kam es auch schon höhnend von Vorenus. „Auf die Knie, du elender Köter und senke gefälligst den Blick!“
Alexey konnte sich nicht bewegen. Er starrte Vorenus lediglich an, während in ihm ein Kampf tobte, wie er ihn nur selten erlebt hatte. Seine innere Bestie wollte raus und Blut sehen. Wollte diesen Bastard, der überall nach ihrer kleinen Kriegerin roch, in tausend Stücke reißen! Allein der Gedanke daran, dass dieser Hurensohn sie angefasst hatte, ließ die Bestie rot sehen.
„Tu, was er sagt.“ Hederas gelangweilter Tonfall war so deplatziert in dieser mörderisch aufgeladenen Situation wie hilfreich.
Allein, weil ihm gar keine andere Wahl blieb und sein Körper ohnehin tat, was sie befahl, kam Alexey der Aufforderung nach. Zugleich war er froh darüber, den Bastard nicht länger ansehen zu können, denn so bestand zumindest die Chance, dass er sich wieder in den Griff bekam, ehe er sich und die Beziehung zu Valeria verraten konnte.
„Zumindest gehorcht er dir aufs Wort.“ Vorenus klang nicht gerade glücklich.
„So ist es auch gedacht. Immerhin ist er keine billige Straßenhure, die für jeden die Beine breit macht. Besser du vergisst das nicht.“
Vorenus gab ein leises Schnauben von sich, sagte jedoch nichts dazu. Stattdessen machte er anstandslos Platz für Hedera, die sich sogleich über Alexey beugte, um ihn besser begutachten zu können. Dabei berührte sie sein Haar, strich ihm über die frischrasierte Wange, prüfte die Festigkeit seiner Schulter- und Oberarmmuskulatur und sah sich schließlich die Hand mit dem verstümmelten Finger genauer an.
Alexey hatte im Laufe des Tages die festen Bandagen abgenommen, da seine Knöchel soweit wieder verheilt waren. Jetzt war er in der Tat sehr froh darüber, dass er dieses verräterische Zeichen entfernt hatte, bevor Hedera mitbekam, dass er sich selbst verletzte.
Obwohl seine verstümmelte Hand bei weitem nicht so schrecklich entstellt aussah wie seine Füße, verzog Hedera missbilligend das Gesicht. Sein kleiner Finger war immer noch mehr Stumpf als sonst was, obwohl er dank Valerias Blut gut heilte und mit Sicherheit am Ende genauso aussehen würde wie sein alter Finger. Dennoch würde es noch Zeit brauchen, bis es so weit war. Zeit, in der Hedera ihn glücklicherweise für unvollkommen hielt und ihn nicht mehr als nötig anfassen wollte.
Obwohl er sich auf sie konzentrieren sollte, drehte sich allerdings jeder von Alexeys Gedanken um Vorenus. Er folterte sich selbst mit der Frage, was der Hurensohn an diesem Tag mit Valeria getan und wozu er sie gezwungen hatte. Die Bestie malte sich dabei mit gebleckten Zähnen und gewetzten Krallen jede nur erdenkliche Todesart für ihn aus. Eine grausamer als die andere, sodass Alexey zunächst gar nicht den anderen Geruch bemerkte, den er an dem Bastard wahrnehmen konnte.
Erst als Hedera ihm mit einem Messer in die Hand schnitt und sie Vorenus darbot, damit er von Alexeys Blut nehmen konnte, begriff er, dass der Hurensohn krank war. Schwerkrank sogar, dem Geruch nach zu urteilen. Was erklärte, warum Alexey ihm sein Blut darreichen musste.
„Direkt aus der Quelle ist es wirkungsvoller. Damit sollte die Sache erledigt sein“, erklärte Hedera, während Vorenus gierig über den Schnitt in Alexeys Handfläche leckte und daran zu saugen begann.
Alexey wurde dabei von einem Schauer des Ekels übermannt, der jedoch sofort wieder in rasende Wut umschlug, als er daran denken musste, was Valeria von dem Kerl alles ertragen musste. Im Vergleich dazu war das hier nichts!
„Das ist genug!“ Hedera entzog ihrem Sohn Alexeys Hand wieder und schob ihn von ihm weg. „Besser du legst dich sogleich hin, wenn du dich nicht vor den Sklaven lächerlich machen willst.“
Von Vorenus kam nur noch ein merkwürdiges Kichern und unverständliches Gebrabbel, zudem schwankte er bedenklich, als wäre er volltrunken. Kein Wunder. Zu viel von Alexeys Blut, wenn man es nicht gewohnt war, konnte einen schnell ins Delirium schicken, wobei jeder anders darauf reagierte.
Dem Seufzen nach zu urteilen, war Hedera nicht gerade angetan von der Reaktion ihres Sohnes. „Arum, könntest du bitte?“
„Natürlich, Liebste.“ Der blonde Schönling zückte ein Stofftuch, um Vorenus das Blut aus dem Gesicht zu wischen, ehe er ihn am Oberarm packte und aus Alexeys Kammer führte, wodurch er zwar wieder etwas mehr Luft bekam, aber beruhigt war er deshalb noch lange nicht. Immerhin hatte Hedera auch etwas mit Valerias Freundin vor und Alexey konnte sich nur zu leicht ausmalen, worum es ging. Es überraschte ihn lediglich, dass sie schon so früh damit ankam. Hedera schien ihr Wort tatsächlich zu halten.
„Normalerweise hätte ich gesagt, einmal die Woche wäre ausreichend, um mich an unseren Handel zu halten …“, begann sie da auch schon zu erklären, während sie durch die kleine Kammer ging und sich schließlich auf dem kleinen Hocker beim Tisch niederließ. „Da du aber schwer verletzt warst und ich mit Arum eine Weile verreisen werde, gestatte ich dir ausnahmsweise eine weitere Blutmahlzeit, obwohl die letzte noch nicht einmal volle zwei Tage her ist … Du da!“ Hedera schnippte in Cearas Richtung. „Geh zu ihm!“
Ceara folgte gehorsam und stellte sich vor Alexey, dem es offenbar nun doch gestattet war, aufzusehen, denn er konnte sich wieder entsprechend bewegen. In den Augen von Valerias Freundin lag kein Erkennen. Sie wirkte völlig abwesend und das war mit Sicherheit auch gut so. Er wollte ihr in der Tat nicht unnötig Angst einjagen.
„Servius wurde bereits von mir instruiert, dass er dir einmal die Woche die kleine Ägypterin schickt, von der du trinken kannst. Darüber hinaus hast du dich auch weiterhin bedeckt zu halten und weitestgehend in deiner Kammer zu bleiben, bis du vollständig genesen bist. Das Essen wird dir regelmäßig vor die Tür gestellt, womit du versorgt sein solltest, bis Arum und ich wieder da sind.“
Wie lange das dauern würde, ließ sie im Unklaren, doch es schien ein längeres Fernbleiben zu sein, was Alexey absolut begrüßte. Allerdings bedeutete das auch, dass in der Zwischenzeit Vorenus das Sagen hatte. Nur konnte der sich für gewöhnlich keine größeren Eskapaden erlauben, wenn es um das Anwesen oder um Alexey ging, doch was die restlichen Sklaven anging … Alexey hoffte einfach darauf, dass der Bastard nicht einfach die Sau rausließ, solange seine Mutter nicht im Haus war.
„Soweit dazu und jetzt trink. Ich habe heute noch wichtigere Dinge zu erledigen, als dich zu füttern!“
Von wegen! Hedera erweckte zwar gerne den Anschein, sie wäre an der Sache nicht interessiert, doch konnte sie das gierige Funkeln in ihren Augen nicht verbergen, das sie immer bekam, sobald Alexey eine Blutmahlzeit zu sich nahm. Wenigstens bekam er dieses Mal kein panisches Opfer im Todeskampf, dessen Blut einfach nur widerlich schmeckte. Wahrscheinlich würde sich Ceara noch nicht einmal daran erinnern, hier gewesen zu sein. Eine Tatsache, die Alexey absolut erleichterte.
In Hederas Beisein konnte er die rothaarige Sklavin dennoch nicht so behandeln, wie er es ohne ihre Anwesenheit getan hätte. Er blieb also absolut distanziert, drehte sie sogar sanft um, damit sie ihm den Rücken zuwandte und ihn nicht sehen konnte, während er sich langsam weiter aufrichtete, die roten Locken in ihrem Nacken zur Seite schob und ohne großes Federlesen zubiss.
Ceara zuckte nur leicht zusammen. Ein einziges, kleines Aufwallen ihres Überlebensinstinkts, der rasch wieder von Hederas Magie unterdrückt wurde.
Da sein Blutdurst sich bisher stark in Grenzen hielt, trank Alexey ruhig und ohne Gier. Er zeigte es zwar nicht, doch obwohl Cearas Blut bei weitem nicht an den Geschmack von Valeria herankam, war es dennoch absolut köstlich. Die fehlende Todesangst und das Wissen, hier keinen Bastard von Vorenus zu schmecken, machte diese Mahlzeit wahrhaftig zu einer Gaumenfreude, mit der Alexey gar nicht gerechnet hätte.
Tatsächlich fiel es ihm am Ende sogar ziemlich schwer, wieder von Ceara abzulassen, um nicht zu viel von ihr zu nehmen. Es kam einfach zu selten vor, dass er einmal so ruhig und ungestört trinken konnte. Doch schließlich zwang er sich mit aller Gewalt dazu, die kleine Wunde zu versiegeln und Ceara loszulassen. Danach wischte Alexey sich zwar aus Gewohnheit über den Mund, doch er hatte keinen Blutstropfen vergeudet.
„Gut. Du kannst gehen.“ Hedera stand von dem kleinen Hocker auf und schickte Ceara mit einer Handbewegung aus Alexeys Kammer.
Eigentlich nahm er an, sie wäre nun fertig mit ihm und würde ebenfalls gehen, doch stattdessen trat Hedera mit einem ernsten Ausdruck im Gesicht vor ihn. „Nun zu dir. Es ist an der Zeit, meine Befehle an dich wieder aufzufrischen. Nicht, dass noch irgendein Missgeschick während meiner Abwesenheit geschieht.“
Obwohl er gerade eine große Menge Blut zu sich genommen hatte, wich Alexey alle Farbe aus dem Gesicht und er senkte ergeben das Haupt. Das hier würde sehr viel unerfreulicher werden, als das Trinken zuvor. So viel wusste er aus Erfahrung.
***
Val lief beinahe einen Graben in den Steinboden ihrer Kammer, da sie es nicht ertrug, auch nur noch einen Moment länger still zu sitzen, während sie darauf wartete, dass Ceara zurückkehrte. Kurz war sie versucht gewesen, im Gang zu lauschen, doch sobald sie auch nur ein wenig die Nase zur Tür hinaus gestreckt hatte, waren ihr der Stecher der Eiskönigin und ein ziemlich angetrunkener Perverser entgegen gekommen, also hatte sie rasch die Tür wieder geschlossen.
Seitdem wartete sie, zog eine Bahn nach der anderen über den Boden und übergab sich tatsächlich sporadisch in den Eimer in der Ecke. Allerdings mit mäßigem Erfolg, da ihr Magen immer noch leer war. Was die Übelkeit vielleicht auch noch zusätzlich verstärkte, doch das alles war im Moment nicht wichtig. Val hatte immer noch panische Angst um Ceara und die hatte sich kein bisschen gebessert, seit sie die beiden Männer im Gang gesehen hatte. Weshalb Val auch beinahe über ihre eigenen Füße stolperte, als die Tür ohne Vorwarnung aufging und ein gelockter Rotschopf leise hereinkam.
Val klebte an Ceara, noch bevor diese die Tür wieder schließen konnte. Wahrscheinlich erwürgte sie ihre Freundin halb, doch die Erleichterung war so riesig, dass sie beinahe vor Freude in Tränen ausbrach und ziemlich heftig am ganzen Leib bebte.
Erst nachdem der erste Anflug von Erleichterung verflogen war und Ceara nicht die geringsten Anstalten machte, Vals Umarmung zu erwidern, wurde Val skeptisch.
Als sie Ceara losließ und einen halben Schritt zurück machte, wurde ihr auch klar, warum sich ihre Freundin so verhielt. Bei dem Rotschopf war keiner daheim. Zumindest ging ihr Blick so völlig reglos ins Leere, dass es schien, als stünde Ceara unter Schock oder wäre in so eine Art Trance gefallen. Wobei letzteres durchaus hinkommen könnte, nach allem, was Val durch Alexey inzwischen über die Eiskönigin wusste.
„Ceara?“ Val nahm ihre Freundin an der Hand und berührte sie an der Wange, doch auch jetzt kam keine Reaktion, weshalb sie es noch ein paar Mal versuchte und ihre Freundin schließlich sogar ohrfeigte. Ohne Erfolg. Ceara blieb völlig weggetreten.
Wie lange dieser Zustand anhielt, wusste Val nicht, doch sie war zuversichtlich, dass es vorübergehen würde und keinen bleibenden Schaden anrichtete. Das könnte sich die Eiskönigin gar nicht leisten, wenn sie Ceara nicht als Blutmahlzeit und Sklavin verlieren wollte. Dafür war das Mädchen in diesem Sinne wohl doch zu wertvoll. Val hoffte es zumindest.
Da sich im Augenblick nichts an Cearas Zustand änderte, zog Val ihre Freundin schließlich zu deren Strohsack und zwang sie dazu, sich zu setzen, was Ceara auch anstandslos tat. Val überprüfte auch mehr als gründlich, ob sie irgendetwas Auffälliges an Cearas Körper entdecken konnte. Blutergüsse, Vergewaltigungsspuren und dergleichen, doch sie fand nichts. Ihre Freundin war lediglich etwas blass um die Nase, wobei das bei dem Rotschopf nicht ungewöhnlich war, da sie ohnehin eine sehr helle Haut besaß, die zahlreich mit Sommersprossen überzogen war.
Wenigstens hatte man sie in ihrem Zustand nicht angerührt und verletzt schien sie auch nicht zu sein. Vielleicht hatte die Eiskönigin Alexey tatsächlich nur befohlen, von ihr zu trinken und sie ansonsten nicht weiter anzurühren. Was gut war – für beide Betroffenen.
Nun, da Ceara zurück war und es ihr den Umständen entsprechend gut ging, begann Val sich wahnsinnige Sorgen um Alexey zu machen. Gerne wäre sie sofort zu ihm geeilt, doch sie wollte ihre Freundin in diesem Zustand nicht alleine lassen. Wer wusste schon, was Ceara vielleicht anstellte, sobald man sie alleine ließ?
Val brachte sie also dazu, sich ganz hinzulegen. Ihr Nachthemd hatte Ceara schon an, darum deckte sie sie nur noch ordentlich zu und blieb dann bei ihr sitzen, während sie darauf wartete, dass Cearas Zustand sich entweder besserte, oder sie wenigstens einschlief. Doch nichts dergleichen passierte. Sie starrte die ganze Zeit einfach nur mit leerem Blick an die Decke.
Da die größte Aufregung verflogen war und Vals Nebennieren kein Adrenalin mehr in rauen Mengen produzierten, spürte sie auch recht schnell wieder, wie erschöpft sie war. Wie hungrig und ausgelaugt und überhaupt fühlte sie sich einfach nur beschissen, obwohl sie es so gut wie möglich zu ignorieren versuchte. Sie war hier nicht wichtig. Ceara war alles, was zählte und sobald sie konnte, würde Val auch nach Alexey sehen. Doch im Moment wagte sie es noch nicht, ihre Freundin allein zu lassen.
Val musste irgendwann eingenickt sein, denn als die Tür zwar leise aber doch hörbar aufging, sprang sie fast vor Schreck von Cearas Strohsack auf. Dabei schoss ihr Puls geradezu durch die Decke, sodass ihr auch noch schwindlig wurde und sie sehr undamenhaft zurück aufs Stroh plumpste.
„Tut mir leid. Ich wollte dich nicht erschrecken.“ Alexey sprach merkwürdig leise, aber gut verständlich und Val war auch sofort wieder auf den Beinen, um zu ihm zu eilen und nach ihm zu sehen. Er schaffte es gerade Mal, die Tür zu schließen, da klebte sie schon an ihm und tastete ihn auf neue Verletzungen hin ab. Doch Val fand nichts. Wie Ceara war er lediglich sehr blass und zugleich wirkte er unglaublich erschöpft und angespannt.
„Geht es dir gut?“, fragte Val besorgt und hielt Alexeys Hand, da sie nicht wusste, ob er mehr Nähe im Moment überhaupt ertragen konnte.
Schwach drückte er ihre Hand und versuchte sich sogar an einem Lächeln, das ziemlich kläglich scheiterte, darum schüttelte er nur leicht den Kopf. „Es geht mir gut. Ich wollte nach deiner Freundin sehen, nachdem ich …“
Alexey musste es nicht aussprechen. Val wusste auch so, was er meinte, darum ritt sie auch nicht weiter darauf herum. „Sie steht immer noch total neben sich.“
Dieses Mal nickte Alexey und ging langsam und irgendwie ein wenig unsicherer als sonst zu Cearas Strohsack hinüber, um sich davor mit leisem Ächzen niederzulassen. Val setzte sich wieder neben ihre Freundin und beobachtete wortlos, wie Alexey sich den Daumen ein kleines Stück in den Mund steckte und darauf herumbiss. Allerdings gab er ziemlich schnell und deutlich frustriert auf.
„Hast du hier irgendeinen scharfen Gegenstand? Ich kann mir nicht mal die Haut öffnen, doch Ceara braucht etwas von meinem Blut, damit sie sich leichter von dem Verlust erholt. Ich will nicht, dass sie auch nur irgendetwas spürt, wenn sie wieder zu sich kommt.“
Etwas zu wissen und etwas bestätigt zu bekommen, waren eindeutig zwei Paar Stiefel. Nun war Val auch noch die dritte im Bunde, der alles Blut aus dem Gesicht wich, doch anstatt Alexey zu antworten, stand sie auf zittrigen Beinen auf und ging zu der kleinen Truhe hinüber, die sie sich mit Ceara teilte. Darin fand sie relativ schnell die grobe Hornnadel, mit der sie zur Not ihre Sachen flicken konnten.
Als sie die Nadel Alexey hinhalten wollte, schüttelte er den Kopf und streckte ihr stattdessen seine Hand entgegen. „Du musst es tun. Ich kann es nicht.“
Was auch immer das genau bedeuten mochte, es schien Alexey nicht glücklich zu machen und Val erst recht nicht. Da es ihm jedoch wichtig zu sein schien und Val hier auch nur eine Nadel in der Hand hatte, quälte sie ihn auch nicht länger als nötig, in dem sie es allzu lange hinauszögerte. Sie nahm stattdessen Alexeys Hand und pikste ihm wie bei einem Blutzucker-Schnelltest in den Zeigefinger, sodass ein kleiner Blutstropfen hervorquoll.
„Danke.“ Alexey zog seine Hand wieder zu sich und drückte noch ein wenig mehr an seinem Finger herum, sodass sich der Blutstropfen vergrößerte und er ihn schließlich an Cearas leicht geöffnete Lippen führen konnte.
„Nein, nicht dafür.“ Val schüttelte den Kopf und strich Alexey sanft über die Schulter. Sie hätte gerne mehr getan, doch die ganze Situation war einfach nur merkwürdig. Vor allem dieses seltsame Gefühl in ihr, das sie gar nicht so richtig benennen konnte. Es konnte doch wirklich nicht sein, dass sie … nun ja … eifersüchtig auf Ceara war? Völlig absurd! Und doch nagte es irgendwie an ihr, dass Alexey von ihrer Freundin getrunken hatte. Es war vielleicht auch einfach spät und der ganze Tag vollkommen beschissen. Daran musste es liegen.
Da Val nicht wirklich großartig eine Reaktion von Ceara erwartet hatte, überraschte es sie umso mehr, dass ihre Freundin sich in ihrer Trance tatsächlich über die Lippen leckte und sogar die Lippen um Alexeys Finger schloss, um an der kleinen Wunde zu saugen, bis er ihr den Finger von sich aus entzog. Man merkte, dass sein Blut eindeutig eine Reaktion in ihr auslöste, dennoch wurde sie dadurch nicht wirklich klar. Im Gegenteil. Sie schien kurz darauf sogar noch sehr viel ruhiger zu werden, bis sie sogar die Augen schloss.
Genauso gebannt wie sie, beobachtete auch Alexey ihre Freundin, bis er sich ein wenig entspannte und seine Aufmerksamkeit auf Val richtete, wobei er ihr kaum in die Augen sehen konnte.
„Sie schläft jetzt. Ich denke, wenn sie morgen früh aufwacht, ist alles wieder gut. Sie wird sich an nichts erinnern können.“
Was gut war, oder nicht? Val hatte wirklich keine Ahnung und sie wurde erst recht nicht das Gefühl los, dass hier auch mit Alexey einiges nicht stimmte.
„Denkst du, ich kann sie heute Nacht alleine lassen?“
Wieder wich Alexey ihrem Blick aus, stattdessen stand er ebenso mühevoll auf, wie er sich hingekniet hatte.
„Ja. Sie wird schlafen. Ich denke nicht, dass sie schon bald wieder aufwacht.“
Sein seltsames Verhalten verunsicherte Val. Sehr sogar, weshalb sie ihn nicht noch mal berührte, sondern stattdessen leise fragte: „Willst du denn, dass ich heute bei dir bleibe?“
Nun richtete sich Alexeys Blick doch einmal direkt auf sie, sodass Val deutlich erkennen konnte, wie sehr er sich zu quälen schien. Nur wegen was?
„Immer. Wenn du … soweit bist …“
Zunächst verstand Val diese eher kryptische Aussage nicht, bis sie deutlich erkennen konnte, wie Alexeys Nasenflügel bebten. Da fiel es ihr plötzlich wie Schuppen von den Augen und sofort sehnte sie sich wieder den Eimer in der Ecke herbei.
Scheiße! Sie hatte sich noch nicht gewaschen und Alexey konnte wirklich ALLES an ihr riechen!
Val gab sich alle Mühe, ihm nicht direkt vor die Füße zu kotzen, selbst wenn nichts dabei rauskam. Mit diesem Wissen fühlte sie sich gleich noch schmutziger, aber das änderte gerade nichts an der beschissenen Situation, also schluckte sie mehrmals und meinte dann bemüht um Fassung ringend: „Geh schon mal … vor. Ich komme dann … nach.“
Alexey nickte knapp und dieses Mal hatte er keine Mühe, ihre Kammer geradezu fluchtartig zu verlassen. Val konnte es nur zu gut nachvollziehen und war sogar dankbar dafür, denn sie würde gleich noch mal den Eimer umarmen gehen, bevor sie auch nur daran denken konnte, sich mit dem inzwischen kalten Wasser im Krug zu waschen.