Ich bekam eine dreifache Antwort zurück.
„Ja, kein Problem. Worum geht es denn?“
Ich antwortete in unserer Whatsapp Gruppe
„Es geht um Romans Geburtstag und ich will mich bei ihm entschuldigen, das ich ihm quasi unterstellt habe, er würde Rabea Schaden wollen. Ich glaube ihm, wenn er sagt, das es ihn nervt. Helft ihr mir Roman zu überraschen? Zumal sein Bruder noch nicht raus darf aus der Klinik, das wird hart für beide, also müssen wir uns was überlegen. Ich brauche Eure Hilfe. So nun fahre ich auch in die Klinik. Habe Spätdienst.“
Die Antwort kam prompt.
„Klar, wir sind dabei.“
„Julie, ich möchte dich zu meiner Party übermorgen einladen“, kam es von Schü.
Schnell sah ich nach und war enttäuscht.
Ich fotografierte meinen Dienstplan ab und schickte diesen privat an Schü.
„Tut mir so leid, Großer. Hau mit den Jungs ordentlich auf den Putz.“
Damit fuhr ich in die Klinik. Ich bekam zwar eine Antwort, aber ich sah erst nach, als ich das Auto geparkt hatte.
„Schade, Danke für den Schichtplan. HDL“
Während meiner Schicht wurde es hektisch. Es wurden vier Notfälle eingeliefert und drei Mal stand ich im OP. Es waren Opfer von Autounfällen. Ich liebte meine Arbeit, aber eines der Kinder, die ich operieren musste, war Opfer häuslicher Gewalt. Im OP arbeitete ich eng mit Dr. Leonard Johanus und Dr. Johannes Hollmann - er ist Neurochirurg, für Kinder, zusammen. Das Kind war etwa vier Jahre alt und hatte schwere innere Verletzungen. Es gab während der Hirnoperation des Kindes schwere Komplikationen und wir kämpften um das Leben dieses unschuldigen Menschen. Leider vergeblich. Das Kind, ein Mädchen namens Maya, starb uns unter den Händen weg. Da war mir eines klar. Ich würde in Zukunft alles daran setzen, um Kindern zu helfen, sie zu beschützen. Aber ich brauchte dafür Hilfe.
Ich verließ den OP-Raum weinend und selbst Polizisten, die Maya zu uns begleitet hatten, ließen mich wortlos durch. Ihnen war offenbar klar, das etwas schreckliches passiert war. Die Mutter von Maya sah mich und schrie, bis sie keine Stimme mehr hatte und brach zusammen. Sofort kümmerten Ärzte sich um sie. Auch Mayas Mutter, ihr Name ist Laura – so erfuhr ich später – sah schlimm zugerichtet aus. Dann kam ein junger Mann auf uns zu und er erfuhr was vorgefallen war. Auch er schrie auf. Anscheinend ist er Mayas leiblicher Vater, da er sehr starke Ähnlichkeit mit ihr hatte.
Ich floh zu Marco und er sah mich schockiert an.
„Julie! Was um Himmelswillen ist passiert?“
Ich antwortete ihm nicht und schmiegte mich einfach nur vorsichtig an ihn.
„Maya ist tot“, schluchzte ich.
Verdutzt sah Marco mich an.
„Wer ist Maya?“
„Sie wurde eingeliefert. Schwer verletzt und etwa vier Jahre alt. Sie ist eben im OP gestorben. Wir haben sie Notoperieren müssen. Dr. Hollmann und ich. Mein Kollege ist Kinderneurochirurg. Er hat sie am Gehirn operiert und es gab schwere Komplikationen. Wir haben um sie gekämpft und leider verloren. Sie war so unschuldig. Warum müssen manche Menschen so grausam sein?“, schniefte ich, während ich mich langsam wieder beruhigte.
Man sah Marco an, das nicht alles verstanden hatte. In seine Augen trat ein langsames Erkennen meiner Worte.
„Was ist mit Maya geschehen?“, wollte er wissen.
Ich richtete mich auf und sah ihm fest in die Augen.
„Ich weiß es nicht. Das wird die Polizei ermitteln müssen, aber wenn ich das Verletzungsmuster sehe und deren Folgen bedenke, dann kommen nur zwei Wörter in Betracht. Zumal auch Mayas Mutter schlimm zugerichtet aussah. Die Wörter sind Häusliche Gewalt“, antwortete ich und in Marcos Augen flackerte Zorn auf.
„WAS? Das ist wirklich grausam. Was hast du jetzt vor? Ich sehe es dir an, das du irgendwas vor hast“, gab er zu und ich staunte nur noch über ihn.
„Du kennst mich inzwischen einfach zu gut. Du scheinst in mir lesen zu können, als sei ich entweder ein Buch oder aus Glas“, lächelte ich gequält.
Marco lachte auf.
„Ja, gut möglich. Also was ist dein Plan?“
Zögernd antwortete ich ihm.
„Ich will Kinder, wie Maya, beschützen. Ihnen helfen. Ich meine, ich bin Ärztin und wie könnte ich da zulassen, das es weiter Kinder und natürlich auch Mütter gibt, die unter Häuslicher Gewalt leiden müssen?“
Marco schwieg lange. Nach einigen Minuten begann er zu lächeln.
„Moment, ich habe eine Idee.“
„Und welche?“
„Lass mich nur machen. Weißt du, ob Roman da ist?“
„Nein, er ist mit Rabea nach München gefahren. Cathy gibt doch ihre Babyparty.“
„Ich erinnere mich. Also gut, dann anders.“
Verwirrt sah ich ihn an.
„Ich hole dir gleich dein Mittagessen, Marco.“
„Du bist so gut zu mir. Dankeschön für alles.“
Dann tippte er auf seinem Handy herum und er lächelte.
„Unterstützung ist unterwegs.“
Ich nickte und stand langsam auf. Dann ging ich das Essen holen und traf auf die Polizisten, die mich zuvor hatten gehen lassen.
„Doktor Schmelzer? Hätten Sie Zeit für uns? Wir haben das Videoprotokoll der Notoperation von Maya gesehen. Sie und ihre Kollegen haben alles richtig gemacht. Alles versucht um Maya zu retten. Der Professor der Kindermedizin hat den Eltern alles erklärt.“
„Einen Moment. Ich gebe Ihnen gleich meine Kontaktdaten. Zuerst muss ich andere Aufgaben lösen und mich um das Wohlbefinden meiner Patienten kümmern. Nun bitte ich Sie die Intensivstation auf der Stelle zu verlassen, da sie keine Zutrittsberechtigung haben. Es sei denn, Sie können eine Dienstliche Anweisung vorlegen. Ich bin in einer Stunde bei Ihnen und hole Sie aus dem Wartebereich ab.“
„Danke, Doktor. Verzeihen Sie unser unerlaubtes Betreten der Station.“
Damit gingen sie und ich folgte Ihnen, um sicherzustellen, das sie die Intensivstation auch wirklich verließen.
Dann holte ich erst eine Visitenkarte und das Essen für uns.
Damit kehrte ich zu meinem Lieblingsschweizer zurück.
„Entschuldige, das es ein wenig gedauert hat. Ich musste die Polizisten, die Maya begleitet hatten, der Station verweisen. Ich werde nach dem Essen mit ihnen sprechen. Soweit ich weiß, haben wir – also meine Kollegen und ich – alles richtig gemacht. Das hat der Professor der Kindermedizin bestätigt. Es gibt ja die Videoprotokolle. Aber nun erzähl, was du planst“, bat ich ihn und entschuldigte mich bei ihm.
„Ich habe Schü und Marcel informiert. Vielleicht haben Sie eine umsetzbare Idee für deine Pläne.“
Ich lächelte und servierte Marco sein Essen. Es gab Grünkohl mit geräucherten Würstchen.
„Danke. Guten Appetit“, lächelte Marco glücklich.
„Dir auch, Engel“, wünschte ich ihm und setzte mich an den Tisch in seinem Zimmer.
Wir aßen und schwiegen.
Nachdem wir fertig waren brachte ich die Tabletts weg und informierte eine Krankenschwester darüber, das Marco Besucher erwarte und diesen der Zutritt gewährt werden sollte.
„Natürlich, Doktor. Kann ich noch etwas für Sie tun?“
„Ja, bringen Sie Herrn Bürki noch frisches Obst und was immer er sonst wünscht.“
Sie nickte und grinste.
Dann ging ich und trat auf die Polizisten zu, nachdem ich den Wartebereich erreicht hatte.
„So nun habe ich Zeit für Sie, die Herren. Folgen Sie mir bitte. Hier meine Visitenkarte.“
Ich gab beiden eine und bekam im Gegenzug auch eine.
Darauf stand Kriminalhauptkommisar Luca Degener und auf der anderen stand Kriminaloberkommissar Micon-Aurel Buratti.
Brav bedankten sie sich bei mir und folgten mir in mein Büro.
„Setzen sie sich, die Herren.“
Sie gehorchten sofort. Kommissar Buratti sah mich entschuldigend an.
„Schon ironisch, das wir jetzt doch auf der Station sind, von der sie uns vorhin verscheucht hatten“, lächelte er.
„Ja, stimmt. Aber das ist Vorschrift. Ohne Begleitperson, aus dem Stationspersonal, haben Sie hier nichts zu suchen. Das hier ist eine Intensivstation, an die auch die normale Station angeschlossen ist. Ich habe allein auf dieser Doppelstation rund 22 Patienten. Darunter ist zurzeit ein Profifußballer.“
„Wir müssen Sie was fragen, Frau Doktor“, begann Kommissar Degener.
„Dann los“, erwiderte ich und lächelte.
„Wie stellt man Häusliche Gewalt fest?“, fragte er und ich sah ihn überrascht an.
„Viele Opfer verhalten sich extrem scheu, lassen sich nicht gern berühren. Sie sind zu still. Bei Kindern ist es auffälliger. Wenn sie Kinder in einem liebevollen, behüteten Umfeld kennen, dann werden Sie erkennen, das sich Kinder solcher Haushalte anders verhalten. Sie sind still, zurückgezogen, ängstlich, spielen wenig und toben nicht herum. Berührungen mögen sie nicht. Aufgrund dieses Verhaltens erkennt man oft auch welcher Elternteil schuldig ist. Lernen sie Körpersprache zu lesen und zu deuten. Kinder und Erwachsene die Opfer von Gewalt sind, drücken dies oft mit Körpersprache, der Mimik oder gar Gestik aus. Sie sagen nichts. Für weitere Informationen, wenden sie sich an Psychologen oder Fachleute medizinischer Abteilungen“, gab ich zu und sie nickten.
„Danke, Frau Doktor. Sollten wir noch Fragen haben, melden wir uns bei Ihnen“, bedankten sie sich und verließen mein Büro.
Ich kehrte zu Marco zurück und staunte nur noch wer alles bei ihm war. André, Nuri, Marcel, Mario, Reusi und Marc.
„Hallo, Leute“, begrüßte ich alle und Marci umarmte mich.
„Hallo, Fee.“
„Marco, warum hast du uns zusammengerufen?“, fragte Nuri und übersetzte sogleich für Marc, der nur wenig Deutsch sprach.
Er erzählte es und Marci umarmte mich sanft.
„Meine kleine Fee. Was hast du vor? Ich ahne, was Marco vor hat, aber was ist mit dir? Ich kenne dich und weiß das es dich tiefer berührt hat, als wir alle ahnen.“
Schü sah mich groß an und gab mir seine Hand. Ich zog meinen Superstar mit mir zu André und umarmte auch diesen.
„Nuri würdest du jetzt bitte alles für Marc übersetzen?“
„Aber natürlich. Erzähl bitte alles, damit wir verstehen, was dich beschäftigt. Vielleicht können wir dann einen Plan entwickeln, um dir zu helfen.“