Minigeschichten Kapitel 32
Magisches Buch – Buch der Liebe
Für Gert war das Lesen ein Übel, jedoch musste man sich arrangieren, wenn es nötig war.
Heute war Gert, Franke, zwanzig geworden, und seine Freunde hatten ihm eingeladen, weil er Geburtstag hatte, in die Disco zu gehen. Hört sich nicht schlecht, hatte er gesagt, und somit auch zugesagt.
Dass er einen ausgeben musste, war ihm auch klar gewesen, und er hatte schon drei Monate vorher, immer etwas für seinen Geburtstag zurückgelegt. Schließlich wird man nur einmal zwanzig und da musste er auch etwas schmunzeln.
Es war so eine Redensweise, die vollkommen hohl war, jeder Geburtstag, hat man in seinem Leben nur ein einziges Mal.
Neunzehn, oder einundzwanzig, ist auch immer einzigartig.
Innerlich war er mächtig aufgeregt, allerdings war in der Disco immer viel Lärm, dass sein Geburtstag im Lärm untergehen könnte. Auf der anderen Seite war es aber auch egal, denn mit feiern hatte er sowieso nie viel am Hut gehabt. Ihm war es immer etwas unangenehm, wenn er im Mittelpunkt stehen musste, und das war in einer Disco fast ausgeschlossen. Trotzdem war er der Grund, warum sich alle zusammengefunden hatten, er war eben nicht allein, denn eine Freundin hatte er nicht. Er war immer zu schüchtern, traute sich nicht im entschiedenen Moment den Mund aufzumachen. Vielleicht hatte er aber auch noch nicht das richtige Mädchen kennengelernt, dann werden die Karten wieder neu gemischt. Zumindest glaubte er es, und glauben konnte man ja alles, es musste eben nur irgendwann umgesetzt werden.
Gert kam etwas später, und fast hatte er sogar gedacht, dass alle seine Freunde schon wieder gegangen waren. Hätte er besser überlegt, dann wäre ihm vielleicht ein Licht aufgegangen, denn warum auch, sollten sie schon gegangen sein, schließlich war es eine Disco, und da konnte man immer hineingehen. Trotzdem schien es anders abzulaufen, wie er vorher gedacht hatte, denn seine sieben Freunde hatten sich nur versteckt, als sie gemerkt hatten, Gert war noch nicht da. Sie hatten sich die Karten besorgt, natürlich für das Geburtstagskind auch, und warteten in einem Hausflur neben dem Eingang der Diskothek. Wie würde wohl Gerd reagieren, wenn er kam, und keiner seiner Freunde war zu sehen. Innerlich hofften sie, dass er nicht länger als eine halbe Stunde später kommt, denn wie lange sollten sie noch warten?
Innerlich hatten sie gehofft, einen ausgelassenen Abend erleben zu dürfen. Einer der sieben Freunde hatte seine Kusine mitgebracht, weil seine Mutter darauf gedrängt hatte, damit Sieglinde auch mal aus ihrem Zimmer herauskam. Sie saß immer nur da und war versunken in einem Buch und las Bücher, eines nach dem anderen.
Der Freund war schon in die Disco gegangen, damit Sieglinde nicht zu lange draußen stehen musste.
Mit einem etwas kleinem Gewissensbiss kam Gert mit schnellem Schritt angelaufen. Waren sie schon hineingegangen? - oder waren sie wieder nach Hause gegangen, er wusste es nicht, da stand ein Mann, ein Riese von einem Mann. Von dem möchte ich nicht hinausgeschmissen werden, der versteht sicherlich keinen Spaß. - dachte Gert schon. Den werde ich fragen, vielleicht haben sie über ihm etwas ausgerichtet.
„Leider habe ich mich etwas verspätet!“ - sagte Gert zu dem Mann.
„Mit sieben Freunden wollte ich mich hier treffen!“ - stotterte er schon mehr, als es fest gesprochen war.
„Haben sie vielleicht etwas hinterlegen lassen?“ - fragte er voller Hoffnung, auf eine positive Antwort.
„Der Mann antwortete, aber etwas für sie haben sie nicht hinterlassen!“ - der Mann überlegte.
„Sie sind wieder hinausgegangen, danach habe ich sie nicht mehr gesehen!“
Fast schon resigniert drehte sich Gert um, wollte auch gehen, als er auf die Straße trat, standen seine Freunde plötzlich vor ihm.
Natürlich sind sie nicht gegangen, und danach lachten sie, über den Scherz, waren aber auch zufrieden, dass Gert sich einfach nur verspätet hatte. Die Pünktlichkeit, die er hier gezeigt hatte, war für sie nichts Neues, und schon gingen sie hinein in die Diskothek. An einem Doppeltisch saß Gerald Passmann, der neben sich ein junges Mädchen saß.
„Hat Gerald eine Freundin?“ - fragte Gert, der etwas verwundert war.
„Nein!“, antworteten im Chor die anderen Freunde, – er musste seine Kusine mitbringen, eine Weisung von seiner Mutter!
Gert war sichtlich beeindruckt, von dem Mädchen, sie gefiel ihm auf den ersten Blick, und seine Stimme war in Mitleidenschaft gezogen worden, weil er immer wieder zu diesem Mädchen sehen musste. Wenn es nicht schon dunkel in der Diskothek gewesen wäre, hätte wohl auch jeder sehen können, wie sein Gesicht im rötlichen Farbton angelaufen war.
Sie war wunderschön, dachte Gert, der immer wieder zu diesem Mädchen blicken musste. Die schien von ihm nicht zu bemerken, als wäre er überhaupt nicht vorhanden.
Gert dachte schon, sie ist sicherlich schüchtern, kann keine Menschen ansehen, genau so bin ich doch auch, allerdings nur dann, wenn es um ein Mädchen geht. Plötzlich schien sich etwas in ihrem Gesichtsausdruck zu verändern, es war wie ein winziges Huschen, was über ihrem Gesicht entlanglief.
Gert drehte sich um, nichts zu sehen, was diese Regung in ihr hätte auslösen können. Kann sein, dass sie auf ihrem Freund wartete, der vielleicht etwas später kommen wollte. Gert konnte nichts sehen, und trotzdem lächelte dieses Mädchen mit einem verzauberten Gesichtsausdruck, so wie es Gert noch nie von einem Menschen mitbekommen hatte. Plötzlich war sie nicht nur schön, sie war ein Bild von Schönheit, unglaublich wie sich ein Gesicht so schnell verändern konnte. Als wäre sie jetzt kein Mensch mehr, sie war ein aus dem Himmel herabgestiegene Göttin. In Gert schien sich alles zu drehen, es war wie in einem Karussell, wo man jeden Moment in die entgegengesetzte Richtung geschleudert wurde.
Sein Herz pochte, als würde es jeden Moment zerbersten, auseinander Platzen, ihm danach umfallen lassen. Es war für Gert schwierig, seine Fassung zurückzugewinnen, er war nicht mehr hier, in dieser Diskothek, er war jetzt in einem anderen Universum, eine andere Welt, eine Dimension, in die er gefallen sein musste. Gefallen, als dieses schöne Mädchen aufgetaucht war, da war er nicht mehr Herr seiner selbst, da war er eine Marionette, er wurde von einem anderen gespielt.
Plötzlich tat sie etwas, was eine Göttin in einer Diskothek nicht machen würde.
Sie sah sich nach allen Seiten um, um zu sehen, ob da einer war.
Einer, der sie beobachtete.
Sie konnte wohl keinen sehen, der sie beobachtete, denn Gert selbst hatte im entscheidenden Moment seinen Kopf weggedreht, damit sie keinen Verdacht schöpfen konnte.
Ein strahlendes Lächeln überdeckte ihr ganzes Gesicht, und Gert selbst konnte nicht anders, als auch zu lächeln. Im halbdunklem konnte er sehen, wie sie etwas aus ihrer Handtasche herauszog, es war eindeutig ein Buch, was wirklich eigenartig schien. Noch nie konnte sich Gert erinnern, dass jemand in einer Diskothek ein Buch aus seiner Tasche gezogen hatte.
Gut, sagte sich Gert, er war ja auch nicht sehr oft in einer Diskothek, aber schon die Lichtverhältnisse waren dafür wirklich nicht geeignet.
Für sie, allerdings schien das Licht zum Lesen nicht zu dunkel zu sein, sie setzte sich eine Brille auf, und fing tatsächlich an zu lesen. Damit hatte Gerd nicht gerechnet, und er wusste auch nicht, wie er sich jetzt ihr gegenüber verhalten konnte. Er suchte den Raum ab, um zu sehen, was Gerald Passmann gerade trieb, denn er hatte doch dieses wunderschöne Mädchen mitgebracht, weil es seine Mutter so bestimmt hatte.
Eigentlich wollte Gert das Mädchen auffordern, mit ihm einen Tanz zu wagen, was in so einer Situation nicht ging, das Mädchen würde ihm dumm ansehen, vielleicht einfach nur sagen;
„Siehst du es nicht, ich lese gerade!“
Es wäre sicher nicht der richtige Weg, er würde sich eine Abfuhr einhandeln, und dazu hatte er keine Lust. Gert durfte nicht viel Zeit vergeuden, sicherlich war sie gerade dabei, sich tief in das Buch hineinzuversetzen.
Wenn er jetzt kommen würde, sie herausreißen würde, aus der Geschichte, könnte es sein, dass sie wirklich sauer auf ihm sein würde, entweder sofort aufstehen, oder abwarten, was Gerald machen würde, wenn er es bemerken würde. Gerd hatte noch nicht zu Ende gedacht, als er schon aufgestanden war, und mit schlottrigen Beinen zu diesem wunderschönen Mädchen zu gehen.
Was eigenartig war, er hatte sich noch nichts überlegt, wie er sie ansprechen wollte, er war einfach losgelaufen, was überhaupt nicht sein Ding war. Der Weg war nicht weit, nur um den Tisch herum und schon stand er vor ihr. Sie bemerkte ihm erst nicht, sie schien tatsächlich schon vollkommen in dem Buch vertieft zu sein. Trotzdem sah sie verwundert hoch, vielleicht weil er das wenige Licht noch mehr verdunkelt hatte, und sie sich noch mehr anstrengen musste, überhaupt noch etwas lesen zu können. Dann hob sie langsam ihren Kopf, um zu sehen, was neben ihr war, was ihr das Licht raubte. Gert erstarrte, wie er in ihrem Gesicht das Erstaunen sah. Es war unglaublich, es schien, als würde in ihren Augen ein Licht funkeln, was ihm mit steigender Neugier betrachtete. In Gert schoss ein Zittern in jeden Winkel seines Körpers hindurch. Es war, als ob er sein ganzes Leben nach dieser Liebe gesucht hatte, und sie schien mit ihren Augen eine Kraft auf ihm auszustrahlen, die er sich nicht entziehen konnte. Er hatte nur noch einen Wunsch, für immer hier zu stehen, in ihre Augen blicken zu dürfen, und so sein restliches Leben zu verbringen.
Plötzlich tauchten Buchstaben vor seinen Augen auf, es waren die Buchstaben, die sie gerade in dem Buch gelesen hatte. Die Buchstaben verwandelten sich vor ihm in Wörter, die sich sofort zu Sätzen formierten, anfingen ihm eine Geschichte zu erzählen.
Die Geschichte kam Gert unglaublich bekannt vor, es war seine Geschichte, vom heutigen Tag an wurde sie ihm erzählt. Wie er am Morgen erwacht war, und die Aufregung, die er innerlich gespürt hatte, denn es war sein Geburtstag. Wie er sich innerlich über den Tag gefreut hatte, heute in der Diskothek seine Freunde zu treffen, um gemeinsam seinen Ehrentag zu feiern.
Auch wie er die Kusine von Gerald Passmann zum ersten Mal erblickt, er sich sofort verliebt hatte.
Jetzt sah er neue Sätze, es waren die Sätze, was Siglinde Peters das erste Mal gedacht hatte, als sie Gert zum ersten Mal gesehen hatte.
Als sie ihm sah, zogen sich alle Synapsen in ihrem Kopf zusammen, denn plötzlich fehlten ihr die Worte, was sie empfinden konnte, und was überhaupt in ihr geschah. Sie hatte in seine Augen geblickt, natürlich nur vom Weiten, und alles war plötzlich anders, sie war zum ersten Mal verliebt, in einen jungen Mann, den sie hier das erste Mal erblickt hatte. Scheu hatte sie sich weggedreht, denn sie wusste erst nicht, wie sie sich verhalten sollte. Bis ihr das Buch in ihrer Handtasche zugerufen hatte, hole mich heraus, und alles wird sich so verwandeln, so wie du es richtig finden wirst.
Da tat sie es, als würde sie in dem Buch lesen, was sie aber nicht getan hatte, ihre Gedanken waren bei dem fremden jungen Mann, der heute sein Geburtstag feierte. Alle Gedanken, die Gert in diesem Moment gehabt hatte, konnte sie auf unsichtbare Weise vor sich lesen. Es war wie ein Zauber, ein Zauber, der sich an die Arbeit gemacht hatte, zwei schüchterne junge Menschen miteinander zu verkuppeln. Es konnte kein normales Buch sein, denn wenn ein Buch die Kontrolle übernimmt, dann hat es sicherlich etwas mit Magie zu tun, eine Magie, die zwei Seelen miteinander verbinden kann, wenn es die große Liebe fühlt.
Gerald Passmann kam zu seinem Platz am Tisch zurück, er hatte sich amüsiert, hatte einmal mit einem hübschen jungen Mädchen getanzt, dann wieder mir der Freundin von ihr. Plötzlich hatte er keine Lust mehr, und er wollte nach seiner Kusine sehen, denn er wusste, dass sie sehr schüchtern war. Besser ich unterhalte mich mit ihr, sonst wird sie meiner Mutter erzählen, dass ich den ganzen Abend nur mit anderen jungen Mädchen getanzt hatte, und mich nicht einmal um ihr gekümmert zu haben.
Dann wollte er seine Kusine auch nicht die ganze Zeit einsam zurücklassen.
Als er aber zum Platz zurückkehrte, fielen ihm fast die Augen aus seinem Kopf, denn seine Kusine war nicht allein, sie saß eng umschlungen mit seinem Freund da, und dann küssten sie sich sogar. Damit hatte er nicht gerechnet, denn seine Kusine war doch immer so schüchtern. Aber auch sein Freund kannte er nicht so, er war eigentlich noch schüchterner als seine Kusine.
Er blickte auf seine Armbanduhr, und staunte nicht schlecht, es war tatsächlich schon eine ganze Stunde vergangen, als er sie das letzte Mal gesehen hatte. Sieglinde, so dachte er, hatte wirklich die Zeit genutzt, und sich einen Freund gesucht. Aber auch für Gert freute er sich, denn er hatte schon überlegt, ihm bei einer Freundin zu vermitteln, ihm gut zuzusprechen, dass auch er endlich eine Freundin finden könnte.
Jetzt hatte es sich von allein ergeben, seine Kusine und Gert hatten sich ohne seine Hilfe gefunden.
Was allerdings nur Sieglinde wusste, dass es ganz allein das Buch war, was diesen Zauber bewirkt hatte.
Nur, so dachte Sieglinde, man muss ja nicht alles in die Welt hinausposaunen, wichtig ist doch nur das neue Liebesglück, und es tat ihr innerlich so gut.
Ende der kleinen Kurzgeschichte, was sogar eine Liebesgeschichte geworden ist, was mir im Grunde auch gut gefällt. Denn es ist die Liebe, was die Welt zusammenhält, der Kitt, der gut ist, für den Menschen.
Klaus Konty
Namen zur Kurzgeschichte:
Gert Franke: Hauptfigur der kleinen Geschichte
Sieglinde, Peters. Die Kusine, die mitgebracht worden war zur Geburtstagsfeier!
Gerald Passmann: Der Freund, der seine Kusine mitgebracht hatte.