Kleine Kurzgeschichte über das Vergessen.
Edmund Lausitz, hört sich adlig an, ist es aber nicht.
Edmund ist nur ein Findelkind, und einer der ihm gefunden hatte, hatte sich einen Spaß daraus gemacht, ihm den Namen zu verpassen. Hieß der kleine Junge tatsächlich Edmund? -denn in seinem Hemd was er anhatte, war der Name eingenäht worden. Also hieß er Edmund Lausitz.
„Immerhin hat er jetzt einen Namen, nicht einfach nur Findelkind – oder so!“
Laus – wie die Laus in meinem Pelz – und es war einfach nur ein Witz gewesen, also „Lausitz“ – und immer, wenn er es in einer Runde erzählte, musste er herzhaft lachen. Allerdings mit der Zeit, Edmund war schon ein richtiger junger Mann, war er ihm richtig ans Herz gewachsen. Jetzt lachte Bruno nicht mehr, im Gegenteil es konnte sogar passieren, dass eine winzige Träne aus seinen Augen lief, so ungefähr wie konnte ich ihm nur so einen Namen geben?
Aber auch Edmund sah in Bruno nicht etwa den Finder seiner Person, er liebte ihm wie ein junger Mann eben seinen Vater liebt.
Es kam der Tag, da schien sich alles verändern zu wollen, denn Edmund selbst wurde gesucht, gesucht von einer reichen, wohlhabenden Familie, die ihren Sohn auf tragische Weise verloren hatten. Edmund war ganz einfach von einem großen, riesigen Raben entführt worden.
Der Rabe hatte sich auf seine Windel gesetzt, hatte mit seinem kräftigen Schnabel in dem Hemd des kleinen Babys gepickt und hatte ihm einfach hoch mit in die Lüfte genommen. Warum er es gemacht hatte, weiß wohl nur der große und kräftige Rabe selbst, der allerdings von einem Jäger erschossen wurde. Gerade nachdem er das kleine Baby abgelegt hatte. Warum der Jäger den Raben erschossen hatte, ist im Prinzip auch nicht klar, vielleicht wollte er einfach nur seine Schießkünste verbessern, oder aber er hatte im Allgemeinen etwas gegen Rabenvögel. In Wirklichkeit hatte er mit seinem Jagdgewehr geübt, und der Schuss war einfach losgegangen, wohin der Schuss gegangen war war ihm egal.
Bruno war auch nur zufällig über die große Wiese gegangen, was er sonst nie machte. Als hätte etwas in seinem Unterbewusstsein, ihm dazu gebracht den Weg über die Wiese abzukürzen. Es ist aber auch so, dass sich oftmals Kleinigkeiten die Hand gegeben, etwas im Ablauf veränderten, und so eine ganz andere Zukunft in die Wege geleiten. Vielleicht hatte der Rabe auch nur aus einer Eingebung heraus so gehandelt, das Baby mit in die Lüfte zu nehmen, damit es eben von Bruno gefunden werden sollte? Oder aber es ist noch viel einfacher, wie es eben nur das Leben schreibt. Das Baby selbst sah aus der Luft wie ein vollkommener Leckerbissen aus, der den Raben sicherlich für mehrere Tage den Bauch füllen könnte. Dann als er es hoch in die Luft mitnahm, hatte er nach ein Versteck Ausschau gehalten, damit er es sicher verzehren konnte. Ja, auch so ein Baby ist eben auch nur ein Leckerbissen, was sich so ein großer und kräftiger Rabenvogel nicht gern entgehen lässt.
Fast wäre Bruno auch noch auf das kleine Baby getreten, was dem Kleinkind sicherlich unglaublich weh getan hätte. Erst im letzten Moment hatte Bruno das winzige Lebewesen bemerkt, sich gebückt es aufzuheben. Als er mit dem Baby Zuhause angekommen war, war seine Frau erstaunt, denn Bruno brachte doch nie etwas mit, wenn er irgendwo einer Arbeit nachgehen wollte. Außerdem war er auch nicht lange weg gewesen, da musste ihm etwas aufgehalten haben, eben das mit der Arbeit zu tun hatte. Bruno legte das Baby auf den Tisch, damit Hannelore nachsehen konnte, was mit dem Baby war?
Jedoch als das Baby Hannelore sah, fing es an zu schreien, so laut wie wohl noch nie ein Baby geschrien hatte. Erst als Bruno zukam, hörte es eigenartigerweise auf zu schreien. Dass wiederholte sich ständig, und so musste Bruno das Baby versorgen, denn scheinbar hatte das Baby Bruno als seinen Menschen auserkoren.
Bruno konnte machen, was er wollte, das Kind lächelte immer, wenn er vor ihm stand, und wenn Hannelore nur einen winzigen Augenblick neben Bruno stand, verzog es das Gesicht und fing dann an laut zu schreien. Hannelore musste schon lachen, denn da musste Bruno sich um das Kindlein kümmern.
Jetzt war Edmund schon kein kleines Kind mehr, Edmund und Bruno waren ein Herz und eine Seele.
Es kam ein Tag, als vor Brunos Haus ein großes Auto hielt. Es war ein wahrhaftiger Luxusschlitten. Aus dem Fahrzeug stieg ein älterer Mann, gramgebeugt, als hätte ihm das Leben übel mitgespielt.
Bruno kannte den Mann nicht, aber der Mann war einige Kilometer weiter, der Herr in einem wunderbaren Sommerschloss, zumindest erzählten es die Bewohner in der Umgebung. Sommerschloss hört sich gewaltig an, wobei es sich nur um eine Luxusvilla handelte, die tatsächlich nur im Sommer genutzt wurde. Der Mann, der aus dem Auto gestiegen war, musste wahrlich ein reicher Mann sein, zumindest schätzte ihm Bruno so ein. Der Mann war auch nicht selbst gefahren, zusammen mit ihm stieg ein anderer Mann aus, der wohl der Chauffeur dieses Mannes war.
Bruno war überrascht, denn so einen Besuch hatten sie hier noch nie gehabt. Besuch kam hier selten, schließlich war er keine Herberge, er war ein einfacher Mann, der sein Leben mit Gelegenheitsarbeit verdingte. Natürlich fragte sich Bruno, was der Mann hier wollte, trotzdem fragte er ihm höflich.
„Wie kann ich ihnen helfen?“
„Meine Mutter wurde vor über zehn Jahren hier in der Gegend erschossen!“
„Haben sie vielleicht Informationen, was da genau geschehen war?“
Bruno glaubte erst, er höre nicht richtig, jedoch wie er den Mann genauer betrachtetet, bekam Bruno unglaubliche Angst, denn der Mann hatte Ähnlichkeit mit einem Rabenvogel, zumindest konnte man das Gesicht fast so deuten, es fehlte der Schnabel. In diesem Moment blickte der Fremde starr in das Gesicht von Bruno. Es war Bruno einst gewesen, der sich als Förster verdingt hatte, und es war die Zeit gewesen, als er seinen Ziehsohn gefunden hatte. Kurz davor hatte er mit seinem neuen Jagdgewehr geübt, wo er einfach nur so aus Freude in die Gegend geschossen hatte. Ausgerechnet als er den Heimweg antreten wollte, und die Abkürzung über die Wiese nehmen wollte, lag da Edmund auf der Wiese, ganz verdeckt vom hohen Gras.
Was der Mann jetzt hier wollte, kam ihm völlig komisch vor, denn die Ähnlichkeit mit einem Raben, war schon beängstigend. Bruno verstand das Begehren des Mannes nicht, der für ihm unglaublich hässlich wirkte.
„Wer sind sie überhaupt?“ - fragte Bruno, dem im Hals scheinbar übel wurde.
„Mein Name ist Kräht, und ich bin seit Jahren auf der Suche“ – dann hielt er inne und blickte Bruno mit ernstem Gesicht an. Als Kräht Bruno ansah, da wurde das schon hässliche Gesicht noch hässlicher, und Bruno hatte das Gefühl, das dieser Mann in ihm hineinsah. Er sah nicht, einfach in den Kopf hinein er durchforstete alle seine Gedanken und Erlebnisse. Ohne Vorwarnung wurde Bruno mit diesem Mann konfrontiert, dabei war das Aussehen besonders schlimm. Bruno hatte das Gefühl vollkommen durchleuchtet zu werden, und alles, was er je angestellt, unternommen hatte, lag plötzlich wie eine Offenbarung vor ihm ausgebreitet. Dieser hässliche Mann badete völlig in seinem Leben, da wurden seine Augen unglaublich hart und er sprach im harten Ton;
„Sie haben sich als Förster verdingt, und hatten mit einem Jagdgewehr geübt!“
„Einfach so in die Luft geschossen, ohne zu beachten, wohin die Kugeln liegen!“
„Meine Mutter war dort gewesen – und sie haben sie erschossen!“
„Dann sind sie einfach weitergegangen, ohne sich um meine Mutter zu kümmern!“
„Sie haben meine Mutter schwer verletzt liegen lassen – sich nicht mehr um sie gekümmert!“
„Sie sind der Mörder meiner Mutter!“
Bruno verstand die Welt nicht mehr, und was faselt da dieser hässliche Mann – von Mutter erschossen?
Bruno wollte sich umdrehen, und einfach nur gehen – einfach weg von diesem Irren. Doch er konnte es nicht, als könnte sein Körper sich nicht mehr bewegen. Dann schienen die Augen des hässlichen Mannes Feuerstrahlen in seinem Kopf zu jagen. Jeglicher Wille war fort, er war nicht mehr Bruno, er war jetzt ein Stück Fleisch, was zu einer Opferbank getragen wurde. Unfähig etwas zu tun, sich von diesem unheimlichen Mann abzuwenden, musste Bruno jetzt alles erdulden.
Dann tauchte plötzlich Edmund auf, sah was da ablief, und war erst sprachlos, wie er seinen Vater so hilflos gesehen.
Kräht sah den jungen Mann und sein Gesicht fing an zu strahlen.
„Bruder!“ - rief Kräht, urplötzlich, was den Bann gegen Bruno augenblicklich aufhob.
„Bruder – du lebst tatsächlich!“ - sprach er vollkommen verdutzt.
Edmund sah jetzt genauso hilflos aus wie sein Vater, dass er ihm nur gefunden hatte, wusste er ja nicht.
Plötzlich verwandelte sich Kräht in einem großen Raben, der seine Flügel ausbreitete und zu Edmund flog. In dem Moment als Kräht der Rabe auf der Schulter von Edmund saß, verwandelte sich Edmund auch in einem großen Rabenvogel, und beide hoben ab, flogen in die Lüfte. Voller Freude flogen sie umeinander, dann wieder noch höher in die Lüfte, als hätten sich gerade zwei Seelen gefunden, die sich schon ihr ganzes Leben gesucht hatten. Jetzt hatten sie sich gefunden und schienen vor Freude in der Luft zu tanzen. Zwei Seelen, haben sich gefunden, haben sich vereinigt, und Bruno fehlten die Worte, als er seinen Ziehsohn sah, der jetzt oben am Himmel als Rabe dahinflog.
Ende der kleinen unheimlichen Kurzgeschichte von dem Jäger und die Raben!
Klaus Konty
Namen;
Edmund Lausitz; ist ein Findelkind, und wurde von Bruno adoptiert, erst gefunden – dann adoptiert. So geht manchmal das Leben.
Bruno; hatte Edmund als Baby auf einer Wiese liegen sehen und mitgenommen.
Hannelore; die Frau von Bruno.
Kräht – der alte Mann, der ausgestiegen war, weil seine Mutter vor Jahren erschossen worden war.