Traumfinder
Eduard war eine Seele von Mensch, nie hatte er gegen einen anderen Mitmenschen die Hand erhoben, geschweige einen schlechten Gedanken gehabt.
Gut, das konnte sich alles noch ändern, denn Eduard selbst war ja noch jung, zumindest wenn man ihm mit anderen in seinem Alter verglich. Dreißig Jahre war noch kein Alter, wenn er andere beobachtete, die dreißig Jahre zählten, da musste er zugeben, dass da einige schon ganz schön heruntergewirtschaftet schienen. Schon als sich bei ihnen die ersten Falten im Gesicht gebildet hatten, und was am meisten eingewirkte, war der gesamte Stress mit der angeschafften Familie. Eduard selbst hatte sich diesen Stress nie angeschafft. Eine Frau und sich dazu noch Kinder anzuschaffen, war absolut nicht sein Ding, ihm reichte eine Freundin, die man nicht unbedingt auch noch heiraten musste.
Da lag doch etwas.
Etwas, was ihm ins Auge stach, und er bückte sich, es auszuheben. Ein dunkler Schatten ließ Eduard für einen Moment schaudern, als ob es nicht gut ist, es aufzuheben. In seinen Fingern kam ein Kribbeln auf, was ihm vielleicht sagen wollte – „lass es liegen!“
Er bückte sich hob es auf, gegen alle Warnungen, die sich wie ein Sturm in ihm erheben wollten, er aber nicht darauf reagierte. Selbst seine Finger wollten ihm nicht gehorchen, er hob es trotzdem auf.
Heute hatte Eduard etwas gefunden, und plötzlich fiel es ihm ein, er hatte dieses Buch einfach in seine Tasche gesteckt, was er achtlos von der Erde aufgehoben. Als es in seiner Tasche entschwunden war, war es auch schon aus seinem Kopf fort. Jetzt allerdings fiel es ihm wieder ein, er kramte es aus seiner Tasche, und öffnete es mit einer gewissen Neugier. Bücher hatte er reichlich, und wenn es ihm nicht interessieren würde, dann wollte er es verschenken. Auf keinen Fall wollte er sich hinsetzen es zu lesen, wenn es nicht gutgeschrieben war, zu viele Bücher hatte er gelesen, die eigentlich langweilig, und kompliziert geschrieben waren. Nein, nur weil er ein Buch begonnen hatte, konnte er es trotzdem zur Seite legen, und aus seinem Kopf verschwinden lassen. Nur weil es vielleicht ein großer Schreiber geschrieben hatte, musste er sich nicht mit vielleicht tausend Seiten und mehr herumplagen. Wenn er sich vorher überwinden musste, um sich hinzusetzen es zu lesen, dann war es Zeitverschwendung, und das wollte er sich nicht mehr antun. Außerdem war er nicht mehr in der Schule, wo er ein Buch lesen musste, ob es langweilig, oder einfach schlecht geschrieben war. Seine Deutschlehrerin fand alles gut, und wir hatten dann die Aufgabe es zu lesen, es auszuwerten, selbst etwas dazu zu schreiben, weil sonst eine schlechte Zensur winkte.
Da war es, und Eduard schlug es neugierig auf, und schon der Titel ließ ihm zusammenzucken. Mit großen Lettern stand da in fetter Schrift;
„Sieht ihm euch an, da sitzt er der Versager – Eduard!“
Vor Schreck schlug er es zu, denn was hatte dies schon wieder zu bedeuten, wollte jemand mit ihm ein Scherz treiben?
Er fing an nach einem Autor dieses kleinen Buchs zu suchen, konnte jedoch nichts finden. Kein Autor würde darauf verzichten, dass sein Name nicht angeführt werden würde. Also konnte es nichts anderes als ein Scherz sein, ein Scherz ihm zu ärgern ihm vielleicht zu prüfen. Doch das ergab keinen Sinn, er war kein Schreiber noch hatte er vor, ein Buch zu schreiben. Er setzte sich auf ein Stuhl schlug seine Augen zu, in der Hoffnung, wenn er sie wieder öffnen würde, wäre das Buch verschwunden, alles nur ein komischer Traum.
Ein Traum, weil er ganz einfach in der Nacht schlecht geschlafen hatte, und seine Fantasie über die Ufer seines Verstandes schmetterte. Noch als die Augen geschlossen waren, genoss Eduard die Dunkelheit.
Eine Dunkelheit, die ihm einzuhüllen schien, und er überlegte sogar, ob er sie überhaupt noch öffnen sollte, sich einfach zurückzulehnen, um einzuschlafen. Etwas rief seinen Namen, immer lauter, denn dieses Buch sollte er nicht weiterlesen, ein Schauder durchlief sein Innerstes, er machte seine Augen auf, und da lag das Buch noch immer.
Es ist doch nur ein einfaches Buch, und wenn es ihm nicht zu gefallen schien, brauchte er es nicht lesen, es schnell wieder zuzuschlagen, war doch kein Problem.
Auf der ersten Seite stand noch immer;
„Sieht ihm euch an, da sitzt er der Versager – Eduard!“
Fett geschrieben, als würde dort eine Wahrheit proklamiert.
Der Name Eduard machte ihm stutzig, denn Eduard war kein so gängiger Name, und er selbst hörte den Namen wirklich selten. Vielleicht doch alles nur ein Zufall? – Name, ist Name, dachte er und schlug das Buch wieder auf, um es umzublättern. Die nächsten Seiten waren aber leer, und es war erstaunlich, wie es sich weiter entwickeln wollte. Plötzlich hatte er das Gefühl leichter zu werden, sich zu erheben, obwohl er noch immer auf seinem Stuhl saß. Er wurde nicht leichter, er schwebte hoch, das Buch fiel ihm aus seiner Hand, landete auf dem Boden, und es lag aufgeschlagen dort unten, und die leeren Seiten schienen ihm zuzuzwinkern. Vielleicht war er doch eingeschlafen und alles spielte sich in seinem Kopf ab, in seinem Kopf, so wie ein Traum im Schlaf daherkommt. Alles war so leicht, ja weil er eben immer noch schwebte, dann kam ein Sog auf, er wurde gezogen, sein ganzer Körper wurde nach unten in die leeren Seiten des Buchs gesogen. Eduard, war verschwunden, er saß nicht mehr auf seinen Stuhl in seiner Wohnung, er hatte sich scheinbar aufgelöst, war in das Buch gesogen worden, was er erst vorhin gefunden hatte. Eduard versuchte sich selbst zu betrachten, zumindest so gut es eben ging. Er selbst fühlte sich nur platt, als würde sein Körper nur noch auch Reihen von Buchstaben bestehen, Buchstaben, die jetzt als gedruckte Version im Buch zu finden waren. Er war einfach zu flach, jedoch vermutete er, jetzt nur noch aus Buchstaben zu sein, wie auch immer es geschehen konnte.
Das Buch, was er auf der Straße aufgehoben hatte, erzählte in schriftlichen Wortbildungen, sein Tagesablauf.
Sogar der Moment … der Moment, als er das Buch am Boden, liegen sah, ließ ihm erschauern, als er sich bücken wollte, da wurde er von seinem Gewissen erfasst.
Nicht dieses Buch aufzuheben, weil sonst etwas im Gang gesetzt wird, was Eduard in eine endlose Schleife geraten lässt. Aus einer Schleife, die ewiglich ablaufen wird, er dann nur noch als Buchstaben in leeren Seiten auftaucht. Er war dann nur noch der Seitenfüller, in einem endlosen Geschehen, das Buch zu finden, es einzustecken, dann in ihm zu verschwinden. Immer – immer wieder derselbe Ablauf, nicht bis das Buch gefüllt war, sondern für alle Ewigkeiten darin zu wandern. Darin zu wandern, als würde er alle Träume suchen, die er jemals geträumt hatte. Dann war er nur noch ein Traumfinder, von Träumen – die es nie gegeben hatte.
Wie oft er schon vor diesem auf dem Boden liegendem Buch gestanden hatte, sich gebückt hatte, es aufzuheben, war schon in seinem Kopf vergangen. Es hätte schon das erste Mal sein können, aber auch milliardenfach geschehen sein, immer wieder kamen dieselben Zweifel auf, es einfach liegenzulassen. Gerade da, als er sich bücken wollte, tauchte eine andere Hand auf, es war nicht seine Hand, die schneller reagierte, das Buch vor ihm aufhob.
Da war ein Heute, was anders war, und Eduard hatte das Buch nicht aufgehoben, wie der Besitzer der Hand hieß war Eduard unbekannt. Aber, er hätte schwören können, dass der Titel des Buches jetzt einen anderen Namen hatte;
„Sieht ihm euch an, da sitzt er der Versager –? … !“
Eduard erschrak, denn plötzlich war etwas ganz anders, nicht alles, er rief den neuen Besitzer hinterher;
„Öffne das Buch nicht!“
Jedoch der neue Besitzer, der Eduard tatsächlich sogar ähnlichsah, war schon verschwunden.
Es konnte auch möglich sein, dass er es tatsächlich selbst gewesen war, in einem anderen Ablauf.
Ein anderer Ablauf, in einem anderen Universum?
Wer weiß es schon, dachte Eduard dankbar.
Durch seinen gesamten Körper lief ein Schauer, dem entronnen zu sein, und in ihm machte sich eine wirkliche Dankbarkeit breit.
Ende der Minigeschichte
Klaus Konty
Namen;
Eduard – Hauptfigur in der Minigeschichte